09.01.2025

America First 2.0

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America First 2.0

In Trumps Vorstellung sollte die US-Außenpolitik ausschließlich wirtschaftlichen Interessen folgen

von Michael T. Klare

Maja Behrmann, ohne Titel (Glu), 2022, Lack, Holz, Epoxidharz, 106,7 × 65 × 37 cm Studio kela-mo
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Die weltpolitische Lage, die Donald Trump bei seinem Amtsantritt vorfinden wird, ist dieselbe, mit der Joe Biden zu tun hatte. Aber der neue Präsident vertritt einen außenpolitischen Ansatz, der sich stark von dem seines Vorgängers unterscheidet. Und sein Leitprinzip „America First“ wird die Beziehungen Washingtons zum Rest der Welt sehr rasch von Grund auf verändern.

Biden und seine Leute sahen die Welt als ein geopolitisches Schachbrett, auf dem sich das eigene und das feindliche Lager Positionskämpfe um die Dominanz in umkämpften Regionen liefern. Für Trump dagegen ist die Welt ein riesiges „Monopoly“, auf dem mehrere Rivalen um wertvolle Immobilien, Märkte und Rohstoffe konkurrieren.

Unter Biden ging es vorrangig um Ideologie: Demokratie, Rechtsstaat und „westliche Werte“ als Klebstoff, der die Nato und andere US-geführte Bündnisse zusammenhalten sollte. Für Trump dagegen dient Außenpolitik vornehmlich dem Zweck, dem eigenen Land möglichst große ökonomische und strategische Vorteile zu verschaffen.

Trumps Weltbild hat der designierte Außenminister Marco Rubio kurz nach der Wahl Anfang November so skizziert: „In der jetzigen weltpolitischen Ära muss verantwortungsvolle amerikanische Außenpolitik nicht auf idealistischen Fantasien, sondern auf pragmatischen Entscheidungen basieren, die die grundlegenden nationalen Interessen der Vereinigten Staaten über alles andere stellen.“1

Was genau Rubio unter „grundlegenden nationalen Interessen“ versteht, ist schwer zu sagen. Er selbst wie auch Trump und andere seiner Leute haben dazu unterschiedliche und teils widersprüchliche Aussagen gemacht. Dennoch sind die wesentlichen Ziele klar: langfristige Absicherung der globalen Vormachtstellung der USA, Eindämmung des chinesischen Einflusses, Lockerung der Allianzen und Sicherung wichtiger Ressourcen. Diese vier Ziele werden die Außenpolitik Trumps in all ihren Aspekten bestimmen.

Das erste Ziel, die eigene globale Vormachtstellung zu sichern, stand natürlich schon seit dem Ende des Kalten Kriegs an oberster Stelle der US-Außen- und Militärpolitik. In der Erstfassung eines Pentagon-Memorandums vom 18. Februar 1992 (das später der New York Times zugespielt wurde) heißt es: „Unser oberstes Ziel ist es, das Erstehen eines neuen Rivalen zu verhindern.“ Deshalb müsse man alles tun, um „eine feindliche Macht daran zu hindern, die Dominanz in einer Region zu erlangen, deren Ressourcen – unter ihrer Kon­trolle – sie befähigen würde, globale Macht zu entwickeln.“2

Die Formulierung stammt von Paul Wolfowitz, damals Unterstaatssekretär im Verteidigungsministerium, doch die Regierung von George Bush dem Älteren ging auf Distanz zu seinem Text, der auch später niemals offiziell erwähnt wurde. Dennoch formuliert diese „Wolfowitz-Doktrin“ die Essenz des Denkens, das heute in der Umgebung von Donald Trump vorherrscht. Demnach müssen die USA alles tun, um ihren Status als dominierende Weltmacht abzusichern.

Allerdings befand sich diese Weltmacht im Jahr 1992 in einer viel stärkeren Position als heute. Vor 30 Jahren stand China noch am Anfang seines kometenhaften Wirtschaftsaufschwungs; Russland hatte seine militärische Stärke noch nicht wiedergewonnen; und potenzielle Rivalen wie Indien stellten noch keine Bedrohung dar. Inzwischen ist der Vorsprung der USA jedoch erheblich geschrumpft. Dem wollte die Biden-Regierung dadurch begegnen, dass sie Allianzen mit gleichgesinnten Staaten in Europa und Asien reaktivierte, um das Machtpotenzial der USA zu stärken.

Nach Ansicht der Trumpisten signalisierte diese Politik nicht Stärke, sondern Schwäche. Die Forderung „Make America Great Again“ gebiete dagegen, die Überlegenheit der USA zu sichern, ohne auf ausländische Freunde und Verbündete angewiesen zu sein.3 Mit der Umsetzung dieses Konzepts betraut der Wahlsieger Trump nun nicht mehr die Neokonservativen wie in seiner ersten Amtszeit, sondern Konvertiten, die sich zu seiner Formel America First 2.0 bekehrt haben, wie Vizepräsident J. D. Vance und der künftige Außenminister Marco Rubio.

Für diese Trumpisten ist, um die globale Vormachtstellung zu wahren, vor allem erforderlich, die alte ökonomische Stärke zurückzugewinnen; und das soll mittels deftiger Zölle auf alle Importwaren geschehen. Sie sind der Meinung, dass Globalisierung und Freihandel die Wirtschaft der USA geschwächt haben, indem wichtige industrielle Prozesse ins Ausland verlagert wurden. Um die Vitalität der eigenen Volkswirtschaft wiederherzustellen, müsse man die Importe beschränken – selbst die aus eng verbündeten Ländern wie den Nato-Staaten. Im Wahlkampf hatte Trump getönt, Einfuhrzölle seien „das Tollste, was jemals erfunden wurde“.

1992, als Wolfowitz schrieb, die Vereinigten Staaten müssten jeden potenziellen Rivalen daran hindern, jemals „globale Macht erzeugen“ zu können, verfügte noch kein anderes Land über diese Fähigkeit. Doch inzwischen kommt China diesem Status immer näher. Deshalb galt es in Washington seit der ersten Amtszeit Trumps als wichtigstes Ziel, zu verhindern, dass China machtpolitisch mit den USA gleichzieht.

Um ihre Vormachtstellung dauerhaft zu sichern, müssen die USA ihre Investitionen in modernste Technologien erhöhen, China den Zugang zu Hightech-Innovationen verwehren und ihre militärische Präsenz im westlichen Pazifik verstärken. Neuerdings fordert Trump auch, der Panamakanal müsse wieder unter US-Kontrolle kommen; damit will er vermutlich einen möglichen Zugriff der Chinesen auf diesen wichtigen Transportweg verhindern und generell den wachsenden chinesischen Einfluss in Lateinamerika bekämpfen.

Washingtons Verbündete in Asien werden aufgefordert, an der Eindämmung Chinas mitzuwirken, ohne jedoch auf den automatischen Beistand der USA zählen zu können. Und sie müssen laut Trump, „mehr zu ihrer eigenen Verteidigung beitragen“.4 Das gilt sogar für Taiwan, dessen Verteidigung gegen eine mögliche chinesische Invasion den Falken im Kongress als Grundpfeiler der US-Außenpolitik gilt.

Solche Falken gibt es im demokratischen wie im republikanischen Lager, zu Letzterem zählen auch der designierte Außenminister Marco Rubio und Michael Waltz, den Trump für das Amt des Nationalen Sicherheitsberaters auserkoren hat. Trump hat seinerseits bereits klargemacht, dass Taiwan nicht mit der bedingungslosen Unterstützung Washingtons rechnen kann: „Ich denke, Taiwan sollte uns für seine Verteidigung bezahlen“, erklärte er im Juli 2024 gegenüber Bloomberg TV. Für die Insel seien die USA „nichts als eine Versicherungsgesellschaft“.5

Eine ähnliche Aufweichung der Bündnisse ist auch für die Ukraine und die Nato vorgesehen. Trump wie ­Vance erklärten mehrfach, die Ukrai­ner würden keine weitere US-Militärhilfe erhalten, wenn sie nicht bereit seien, eine Friedenslösung mit Russland auszuhandeln. Das würde fast sicher bedeuten, dass die Ukraine ein Fünftel ihres Territoriums aufgibt und auf eine Nato-Mitgliedschaft verzichtet.

Auch den europäischen Nato-Partnern hat Trump mehrfach ausrichten lassen, sie müssten mehr zu ihrer eigenen Verteidigung beitragen; andernfalls würden die USA ihre Unterstützung massiv zurückfahren. Ein Anstieg der europäischen Verteidigungsausgaben – Trump fordert inzwischen 3 Prozent des BIP – dürfte sich als Geldsegen für die US-Rüstungskonzerne erweisen, die 2023 bereits sagenhafte Exporte in Höhe von 238 Milliarden US-Dollar verbuchen konnten.6

Die Trumpisten betonen stets, dass die Eindämmung Chinas wichtiger sei als die Verteidigung Europas. „Unsere militärischen Kapazitäten reichen nicht aus, um überall zu sein“, erklärt Elbridge Colby, der als stellvertretender Verteidigungsminister in der zweiten Trump-Regierung für die Verteidigungspolitik zuständig sein soll. Laut Colby sollten die USA nicht so viel Geld für die Unterstützung der Ukraine ausgeben, während „die gefährlichere und größere Bedrohung von den Chinesen ausgeht“.7

Ein weiteres Thema, das Trump obsessiv beschäftigt, ist die Rohstoffversorgung, wobei er entschlossen ist, das Zeitalter der fossilen Energieträger zu verlängern und sicherzustellen, dass die USA über alle Rohstoffe verfügen, die sie für ihre ökonomische und technologische Entwicklung benötigen. Er erklärt ganz offen, dass er viele der unter Biden gestarteten Initiativen zur Förderung erneuerbarer Energien beenden und wieder voll auf die einheimische Öl- und Erdgasförderung setzen will.

Obwohl die USA heute weitgehend energieautark sind, pflegt Trump immer noch eine besondere Nähe zu den Herrschern der Öl und Gas produzierenden Länder, speziell zu Saudi-Arabien und den Golfstaaten. Schon in seiner ersten Amtszeit war er besonders eng mit dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman verbunden. Bei diesen Kontakten sprangen für Mitglieder seiner Familie, vor allem für seinen Schwiegersohn Jared Kushner, lukrative Geschäftsabschlüsse heraus.

Die saudische Connection beruht auf finanziellem Kalkül und einer gemeinsamen Aversion gegen Iran. Sie zeugt zudem von der Entschlossenheit beider Seiten, die Vorherrschaft der fossilen Energieträger zu verlängern.

Die Saudis stemmen sich stur gegen alle Bemühungen, den Verbrauch dieser klimaschädlichen Brennstoffe einzuschränken – zuletzt auf der UN-Klimakonferenz COP29 in Baku. Und Trump hat angekündigt, er werde gleich am ersten Tag seiner Amtszeit den Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaabkommen von 2015 vollziehen. Heißt das, dass er auch auf eine Verständigung mit anderen großen Öl- und Gasproduzenten aus ist, also mit Iran, Venezuela und Russland?

Trump schließt eine Aussöhnung mit diesen drei Staaten nicht aus, obwohl seine Einstellung gegenüber Teheran und Caracas feindselig ist. Putin gegenüber verhält er sich zwiespältig. Wenn die von ihm vorgeschlagene Vereinbarung über einen russisch-ukrainischen Waffenstillstand zustande käme, könnte er viele der Sanktionen aufheben, die 2022 gegen die russische Öl- und Gasindustrie verhängt wurden. Dann könnte auch die Kooperation der russischen und der US-Energiekonzerne wieder aufgenommen werden.

In ähnlicher Weise könnte ein neues Abkommen über Teherans Atomprogramm ermöglichen, dass die iranische Öl- und Gasförderung wieder auf volle Kapazität hochgefahren wird.8 Auch das würde die weitere Dominanz fossiler Energieträger auf den Weltmärkten absichern. Und im Hinblick auf Venezuela hat ein wichtiger Sponsor Trumps – der Geschäftsmann Harry Sar­geant III, der seine Milliarden im Ölgeschäft verdient – für die Aufhebung der Sanktionen gegen das Maduro-Regime plädiert. Damit würden sich neue Investitionsmöglichkeiten aus den USA in die venezolanische Ölindustrie eröffnen.

Trump wird solche Ratschläge vielleicht nie befolgen, zumal sie seinen Zusagen widersprechen, Israels Kampf gegen Iran zu unterstützen und Venezuela zu bestrafen. In jedem Fall aber zielen solche Vorschläge auf Trumps Neigung zu erfolgversprechenden Deals.

Die Rohstoff-Obsession des neuen Präsidenten erstreckt sich auch auf strategisch wichtige Mineralien wie Kobalt, Lithium und seltene Erden, auf die vor allem die Hightech-Branche angewiesen ist. Zumal in den Bereichen Raumfahrt, Computer und Autobatterien, die mit Leuten wie Elon Musk, Peter Thiel und anderen Topberatern Trumps verbunden sind. Viele dieser wichtigen Rohstoffe werden in China gefördert oder verarbeitet oder sie stammen aus afrikanischen und lateinamerikanischen Förderstätten in chinesischem Besitz.

Zu den Prioritäten Trumps gehört es deshalb, größere Mengen dieser Mineralien in den USA zu fördern und so die Abhängigkeit von China zu reduzieren. Allerdings sind die Vorkommen in den USA weder besonders von besonderer Reinheit noch sehr ergiebig; sie zu erschließen, wäre mit hohen Kosten und anderen Schwierigkeiten (auch wegen der hohen Umweltbelastungen) verbunden. Deshalb dürfte die künftige Trump-Regierung engere Beziehungen mit Ländern wie Chile, Peru und der Demokratischen Republik Kongo knüpfen, die über große Vorkommen der begehrten Mineralien verfügen. Aus diesem Grund möchte sich Trump auch den Zugriff auf Grönland sichern, wo riesige Rohstoffvorkommen einschließlich seltener Erden vermutet werden.

Wird Trumps Außenpolitik das Risiko der USA, in bewaffnete Konflikte verwickelt zu werden, erhöhen oder vermindern? Bislang scheint er eher darauf aus zu sein, die Beteiligung an kriegerischen Auseinandersetzungen auf anderen Kontinenten zu reduzieren. Trump will zwar die globale Dominanz der USA dauerhaft absichern, aber weniger mit militärischer als vielmehr mit ökonomischer und technologischer Macht. Es mag durchaus sein, dass er militärische Mittel einsetzt, um potenzielle Gegner einzuschüchtern, doch die Beteiligung an neuen „endlosen Kriegen“ wie im Irak und in Afghanistan wird er wohl eher vermeiden.

Allerdings könnte Trumps erklärte Absicht, die Vorherrschaft im Westpazifik zu bewahren und den Machtzuwachs Chinas aufzuhalten, im Falle einer Krise zu Fehleinschätzungen führen – und sogar in einen Krieg münden. Auch der Run auf wichtige mineralische Ressourcen könnte auf eine Konfrontation mit den betreffenden Ländern, vielleicht auch mit China oder mit Russland, hinauslaufen.

Welche dieser konkurrierenden Absichten Trumps die Oberhand behalten werden, wenn er erst einmal im Weißen Haus sitzt, lässt sich schwerlich voraussagen. Allerdings wird er sich kaum von den „idealistischen Fantasien“ leiten lassen, auf die sich seine Vorgänger, Demokraten wie Republikaner, verbal zu beziehen pflegten. Wobei von diesen Prinzipien – Einhaltung des Völkerrechts, Förderung der Demokratie, Schutz der Menschenrechte – in der Praxis wenig zu sehen war, was zuletzt vor allem die Palästinenser zu spüren bekamen.

1 Marco Rubio am 6. November 2024 auf X.

2 Zitiert nach: „Excerpts from the draft 1992 ‚De­fense Planning Guidance‘“, PBS Frontline.

3 Siehe „An America First Approach to US National Security“, America First Policy Institute, Mai 2024. Die Herausgeber und die meisten Autoren des Buchs bekleideten in der ersten Trump-Administration hohe Posten.

4 Siehe Robert C O’Brien (Nationaler Sicherheitsberater der ersten Trump-Regierung), „The Return of Peace through Strength: Making the Case for Trump’s Foreign Policy“, Foreign Affairs, Juli/August 2024.

5 „The Donald Trump Interview Transcript“, Bloomberg Business News, 16. Juli 2024.

6 „US arms exports hit record high in fiscal 2023“, Reuters, 29. Januar 2024.

7 Zitiert nach Michael Hirsh, „Trump’s plan for NATO is emerging“, Politico, 2. Juli 2024.

8 Die iranische Ölindustrie fördert derzeit rund 3,3 Millionen Barrel pro Tag; ihre Kapazität wird auf etwa 3,8 Millionen geschätzt.

Aus dem Englischen von Niels Kadritzke

Michael T. Klare ist emeritierter Professor am Hampshire College in Amherst (Massachusetts). Zuletzt erschien: „All Hell Breaking Loose: The Pentagon’s Perspective on Climate Change“, New York (Me­tro­politan Books) 2019.

Le Monde diplomatique vom 09.01.2025, von Michael T. Klare