Wie Israel in Syrien Fakten schafft
von Angélique Mounier-Kuhn

Noch bevor sich am Morgen des 8. Dezember die Nachricht von der Flucht des syrischen Machthabers Baschar al-Assad verbreitete, brachte die israelische Regierung sich in Stellung, um die Unsicherheiten im Nachbarland für sich zu nutzen. Die Machtdemonstration begann mit dem Aufmarsch israelischer Truppen in der entmilitarisierten Zone zwischen Syrien und den von Israel annektierten Golanhöhen.
Diese fast 80 Kilometer lange Pufferzone wurde 1974 im Zuge eines Rückzugsabkommens zwischen beiden Staaten geschaffen, ein halbes Jahr nachdem Syrien erfolglos versucht hatte, die Golanhöhen zurückzuerobern. Seither steht das Gebiet unter Aufsicht von rund eintausend UN-Blauhelmsoldaten der Undof-Mission.
Nachdem Israel 1967 während des Sechstagekriegs zwei Drittel (1250 Quadratkilometer) des Hochplateaus erobert hatte, mussten die einheimischen Drusen-Familien mitansehen, wie immer mehr israelische Siedlungen entstanden. 1981 verabschiedete die Knesset ein Gesetz, mit dem das Gebiet formal annektiert wurde; ein Gesetz, das der UN-Sicherheitsrat sogleich für „null und nichtig“ erklärte.1 Bis heute haben nur die USA unter Donald Trump 2019 diese Annexion anerkannt.

Durch den Fall des Assad-Regimes sei das Abkommen von 1974 „zusammengebrochen“, erklärte Benjamin Netanjahu, als er seine Soldaten am Tag nach ihrem Einmarsch in die Pufferzone besuchte. An der israelischen Grenze sei „ein Vakuum“ entstanden, hieß es in einer wenig später von Netanjahu veröffentlichten Erklärung; dies sei der Grund für die „vorübergehenden“ Truppenbewegungen.
Die israelische Zeitung Haaretz wies darauf hin, dass das Wort „vorübergehend“ in der hebräischen Version dieser ohnehin recht ungenauen Erklärung fehlte. Hinzu kam, dass die israelischen Streitkräfte nicht nur in die Pufferzone vordrangen, sondern die Auflösung der syrischen Regierungstruppen nutzten, um Abstecher auf die andere Seite der Grenze zu machen. So bezogen sie Stellungen an den Hängen des Bergs Hermon, des höchsten Bergs Syriens – auf Arabisch Jabal asch-Schaykh –, der die Ebene von Damaskus überragt.
Parallel zu diesen Truppenbewegungen am Boden ließ die israelische Regierung ihre Luftwaffe massive Angriffe fliegen. Das Ziel waren alle schweren Kriegswaffen und militärischen Einrichtungen, die Syrien nach 13 Jahren Bürgerkrieg noch besaß: Flugabwehrgeschütze, Flugplätze, Marinestützpunkte, Waffenfabriken, Chemielabore, Munitionslager, Panzer, Radaranlagen, Raketen und Drohnen.
Gemäß offizieller Verlautbarungen sollten die gezielten Bombardierungen die Gefahr ausräumen, dass diese Waffen in „die Hände von Extremisten“ gelangen. Nach zwei Tagen hatte die israelische Armee nach eigenen Angaben bereits zwischen 70 und 80 Prozent der militärischen Kapazitäten des nördlichen Nachbarn zerstört. Doch Israel bombardierte weiter. In den acht Tagen nach Beginn der Operation flog Israel insgesamt etwa 600, teils sehr massive Luftangriffe, die keines der 14 syrischen Gouvernements verschonten.2
Nach dem Schock der ersten Tage wurde die Strategie, „on the ground“ Tatsachen zu schaffen, von mehreren arabischen und europäischen Staaten verurteilt. In der Hektik der Ereignisse, in der alle darum bemüht waren, Kontakt zu den neuen Machthabern in Damaskus aufzunehmen, fand die Kritik am israelischen Vorgehen jedoch nur wenig Echo.
„Das Völkerrecht gestattet es nicht, ein Land präventiv zu demilitarisieren, bloß weil man es nicht leiden kann. Solche Aktionen sind gänzlich illegal und können sich auf keinerlei Grundlage berufen“, erklärte Ben Saul, der UN-Sonderberichterstatter zu Menschenrechten bei der Bekämpfung von Terrorismus, in Genf.
Die Schnelligkeit und Präzision der israelischen Militäroperation namens „Arrow of Bashan“ – eine Anspielung auf den biblischen Namen eines Teils der Golanhöhen – zeugt von ausgezeichneter Kenntnis des syrischen Terrains. Die israelische Regierung soll sich bereits seit Beginn des Bürgerkriegs 2011 auf einen Sturz des Assad-Regimes vorbereitet haben.3
Tatsächlich hat Israel seit dieser Zeit wiederholt illegale Militärschläge gegen Syrien ausgeführt. Unter dem Vorwand, eine mögliche Ausweitung des Bürgerkriegs auf das eigene Staatsgebiet zu verhindern, flog die Luftwaffe im Verlauf der vergangenen 13 Jahre immer wieder Angriffe. Dabei nahm sie vor allem Stellungen Irans und der von ihm unterstützten Hisbollah-Miliz ins Visier, aber auch Stützpunkte der syrischen Armee.
Die Haltung der israelischen Regierung zum syrischen Bürgerkrieg war stets von den eigenen Sicherheitsinteressen bestimmt. Und denen diente zynischerweise der Status quo des Bürgerkriegs am besten, wie der israelische Diplomat Alon Pinkas 2013 erklärte: „Beide [Regierungstruppen und Rebellen] ausbluten lassen: Das ist der strategische Gedanke. Solange das anhält, kommt aus Syrien keine echte Bedrohung.“4
Nach dem Sieg der Rebellen zögerte Benjamin Netanjahu wiederum nicht, sich den Sturz des syrischen Diktators selbst ans Revers zu heften. Bei seinem Truppenbesuch auf dem Golan erklärte er, dies sei das „direkte Ergebnis unseres entschiedenen Vorgehens gegen die Hisbollah und gegen Iran“.
Nachdem Israel Gaza in eine Trümmerlandschaft verwandelt und den Libanon gebrochen hat, zerstört es nun gründlich alle militärischen Mittel, die eigentlich in die Hände der neuen syrischen Regierung gehören; in einer Situation, in der die innere Sicherheit dort noch kaum gefestigt ist. Zugleich haben israelische Soldaten Berichten zufolge die Kontrolle über den Al-Wahda-Staudamm an der syrisch-jordanischen Grenze übernommen. Der dort gestaute Grenzfluss Jarmuk ist ein wichtiges Wasserreservoir für beide Staaten.5
Auf diese Weise wird die kriegerische Atmosphäre aufrechterhalten. Obwohl, wie es der neue De-facto-Machthaber in Syrien, Ahmed al-Scharaa, erklärte, der Rückzug der Iraner und der Niedergang der Hisbollah solche Einmischungen längst nicht mehr rechtfertigen.6
Al-Scharaa forderte im selben Interview die internationale Gemeinschaft auf, Druck auf Israels Regierung auszuüben. „Wir haben nicht die Absicht, in einen Konflikt einzutreten, weder mit Israel noch mit irgendeinem anderen Land.“ Al-Scharaas inzwischen abgelegter Kampfname al-Jolani bedeutet übrigens: „der vom Golan kommt“.
1 Resolution Nr. 497 des UN-Sicherheitsrats vom 17. Dezember 1981.
4 „Israel backs limited strike against Syria“, The New York Times, 5. September 2013.
5 „Israel takes control of vital water source in Syria“, Middle East Monitor, 19. Dezember 2024.
Aus dem Französischen von Sabine Jainski