07.11.2024

Taxi Teheran

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Taxi Teheran

Das iranische Kino wird weltweit gefeiert. Doch für die Filmschaffenden ist jede Produktion eine Gratwanderung

von Adrien Cluzet

Maeve van Klaveren, New Artifacts, 2024, Aquarellfarben, Pastellfarben, Pastellstifte und Zeichenkohle auf Papier, 65 × 50 cm
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Am 25. Mai erhielt der iranische Regisseur Mohammad Rasoulof beim Filmfestival in Cannes den Spezialpreis der Jury für seinen Film „Die Saat des heiligen Feigenbaums“. Rasoulof war in seinem Land mit Arbeitsverbot belegt worden, hatte 2023 im Gefängnis gesessen und lebt inzwischen im Exil in Hamburg, wo auch die Postproduktion des Films erfolgte. Deshalb kann er 2025 auch für Deutschland ins Rennen gehen um den Oscar für den besten ausländischen Film.

Bereits 2011 wurde ein iranischer Film mit einem renommierten internationalen Preis ausgezeichnet: „Nader und Simin – Eine Trennung“ von Asghar Farhadi bekam bei der Berlinale den Goldenen Bären. Entstanden war der Film noch vor der Tauwetterperiode unter Präsident Rohani (2013–2021), die auch durch das Nuklearabkommen von 2015 ermöglicht wurde und eine Reihe hervorragender iranischer Filme hervorgebracht hat: „Nahid“ von Ida Pa­na­han­deh (2015), „The Salesman“ von Asghar Farhadi (2016) und „A Man of Integrity“ (2017), ebenfalls von Mohammad Rasoulof, der damals vom Regime noch toleriert wurde.

Die meisten dieser Filme konnten damals in iranischen Kinos gezeigt werden. International wurden sie gefeiert, sowohl von der Kritik als auch von einem breiten Publikum.

Dass der Export von Filmen durch das Regime durchaus unterstützt wurde, hatte auch damit zu tun, dass das teilweise isolierte Land gern kulturelle Strahlkraft im Ausland entfalten wollte, wie Tahseen Abdullah und Ahmed Ba­bakr in einer Studie zur iranischen Soft Power schreiben.1

Das war bereits in den 1990er und 2000er Jahren so: Erfolgreiche Filme konnten von staatlicher Förderung profitieren – wie „Kinder des Himmels“ von Majid Majidi und „In the Alleys of Love“ von Khosrow Sinai. Die Islamische Republik war also durchaus daran interessiert, dass ihre Kinoproduktion internationale Verbreitung fand.

Schon kurz nach der Revolution erklärte der Oberste Führer Ajatollah Cho­mei­ni am 1. Februar 1979 bei einer Rede auf dem Friedhof Behescht-e Zahra zwischen den Gräbern der Opfer des Schah-Regimes: „Das Kino ist eine moderne Erfindung, die man nutzen sollte, um das Volk zu bilden.“

Mitten im Volksaufstand gegen den Schah und kurz nach der Rückkehr in sein Land entwarf Chomeini bereits die Grundlagen der Kulturpolitik des neuen Regimes. Von Anbeginn verlangte die „islamische Kul­tur­re­vo­lu­tion“ von allen Produktionsfirmen, dass jede einzelne Herstellungsetappe vom Ministerium für Kultur und islamische Führung (Erschad) zu genehmigen sei.

Um sicherzustellen, dass die Werke mit den Werten des Regimes übereinstimmten, legte die Zensur einen Moralkodex fest, der deutlich strenger war als der berüchtigte Hays-Code, dem die Hollywood-Produktionen der 1930er bis 1960er Jahre unterlagen. Explizite Liebesszenen, Intimitäten und „der muslimischen Moral zuwiderlaufendes Verhalten“ waren verboten, ebenso Kleidungsstücke, die die weibliche Figur betonten oder sich an westlichen Vorbildern orientierten.

Bald wurden mehrere Institutionen zur Filmförderung gegründet, deren wichtigste die Farabi Cinema Foundation war, eine öffentliche Stiftung unter der Schirmherrschaft des Erschad. Mit ihrer Unterstützung sollte „die kulturelle Aggression des Westens“ bekämpft werden und ein „islamisches Kino“ für die Massen entstehen.

Gleichzeitig strebte man nach internationaler Verbreitung, was sich aber als etwas zweischneidig erwies. Immer mehr anspruchsvolle Filme aus Iran eroberten die großen Festivals, die häufig auch iranische Re­gis­seu­r:in­nen in ihre Jurys beriefen. Zwischen 1991 und 2022 wurden über 25 iranische Filme mit einem der vier größten westlichen Filmpreise ausgezeichnet.2

Mit ihrer einzigartigen, oft poetischen Erzählweise verschafften diese Filme dem Publikum die Illusion einer unverstellten Innenansicht auf Iran. Zu der „dokumentarischen Anmutung vieler iranischer Filme“ trage auch die bevorzugte Kameraeinstellung aus der Totalen bei, erklärt die Filmjournalistin Anke Leweke.3 Allerdings ist dieser Blick durch die Filter der iranischen Zensur – und gelegentlich auch durch eigene Vorurteile – verzerrt.

Der dieses Jahr in Cannes gefeierte Episodenfilm „Irdische Verse“ von Ali Asgari und Alireza Khatami versetzte das Publikum in ein Land, das noch stark von der im September 2022 entstandenen Bewegung „Frau, Leben, Freiheit“ geprägt war.4 Es gab Filme, die sogar noch kritischer waren als dieser; manche wurden eigens für diesen Mut geehrt.

Das galt auch für „Taxi Teheran“ von Jafar Panahi (2015), der ohne Genehmigung gedreht wurde. Der Regisseur durfte weder ausreisen noch in seinem Land drehen und entschied sich daher, den Alltag der Menschen in Teheran aus der Perspektive eines Taxifahrers zu dokumentieren. Der Film ist ein Zeugnis des Widerstands und der klaren politischen Haltung des Regisseurs, die ihn mehrfach ins Gefängnis gebracht hatte.

Und der Film „Doch das Böse gibt es nicht“ von Mohammad Rasoulof, der bei der Berlinale 2020 den Goldenen Bären gewann, ist eine direkte Attacke gegen die Einschränkung der Meinungsfreiheit und gegen die Todesstrafe. Der Regisseur, dessen Pass eingezogen worden war, hatte in Erwartung einer Haftstrafe zum Teil heimlich gedreht.

Zahlreiche Produktionen bewegen sich auf dem schmalen Grat zwischen der Suche nach internationaler Anerkennung und der Überwindung der Zensur. Ein Vorkämpfer für die internationale Verbreitung der iranischen Filme und Vorbild für die Filmschaffenden war Ab­bas Kiarostami (1940–2016). Ihm gelang in dem Jahrzehnt 1980–1990 jene Gratwanderung, indem er Menschen zeigte, die vor persönlichen Gewissensentscheidungen standen. Durch seine subtilen, aber allgemein verständlichen Filmerzählungen lernte das in­ter­na­tio­nale Publikum den kreativen und alltäglichen Iran kennen und merkte, dass manche Sorgen von den eigenen gar nicht so weit entfernt waren.

„Leila’s Brothers“ von Saeed Rous­ta­yi (2022) orientierte sich an Kiarostamis Meisterwerken („Close-up“, „Der Geschmack der Kirsche“, „Der Wind wird uns tragen“) und an Filmen wie „Nader und Simin“. Roustayis bitter­süßes Familiendrama bleibt mit seinen Generationen- und Gesellschaftskonflikten im Ausland nachvollziehbar und wirft zugleich einen realistischen Blick auf den zeitgenössischen Iran. Diese – nur scheinbar einfache – Geschichte einer Familie in Finanznöten konnte gleichzeitig die Zensur überzeugen und das Publikum im Ausland für sich einnehmen.

Doch das Regime weiß um das gefährliche Potenzial solcher Erfolge. „Wir haben genug von den weltweit gelobten Autorenfilmen. Widmen Sie sich jetzt dem Publikum und machen Sie Kassenschlager!“, forderte bereits 2004 ein leitender Beamter des Erschad.5

Unter dem Eindruck der über die sozialen Medien weltweit bekannt gewordenen Proteste setzt das Ministe­rium inzwischen Kulturschaffende massiv unter Druck, wenn sie sich nicht exakt an die immer strengeren Zensurvorschriften halten. So wird die Einhaltung der „islamischen Moral“ inzwischen deutlich restriktiver interpretiert als unter Präsident Rohani.

Derzeit ist unklar, wie es mit der internationalen Verbreitung von (genehmigten) iranischen Spielfilmen weitergeht, die weder Regierungspropaganda noch echter Spiegel der Gesellschaft sind, die ihre Botschaft subtil und zugleich allgemeingültig vermitteln und damit ein – wenn auch getöntes – Fenster in den Iran bedeuten. Ebenso unklar ist, ob die im Ausland anerkannten Filmschaffenden in ihrem Land weiterleben und -arbeiten können.

In den letzten Monaten wurden nach Angaben von Amnesty International hunderte Künstlerinnen und Künstlern zu Haftstrafen, Peitschenhieben und Reiseverboten verurteilt, manche sogar zum Tode, wie die Rapper Saman Seydi (Saman Yasin) und zuletzt Toomaj Salehi.6 Derzeit sieht es nicht so aus, als ob die Wahl des reform­orien­tier­ten Präsidenten Massud Pe­sesch­kian im Juli 2024 zu einer Aufweichung der Zensur führt.

1 Tahseen Wsu Abdullah und Ahmed Babakr, „Soft power in Iran’s foreign policy“, in: Qalaai Zanist Scientific Journal, Lebanese French University of Erbil, Bd. 7, Nr. 4, 2022.

2 Die Goldene Palme in Cannes, den Goldenen Bären in Berlin, den Goldenen Löwen in Venedig und den Oscar für den besten Film.

3 Siehe Anke Leweke, „Kino auf vier Rädern“, in: Edition Le Monde diplomatique No. 27, Berlin (taz verlag) 2020.

4 Siehe Mitra Keyvan, „Iran – die Mauer aus Angst ist gefallen“, LMd, November 2022.

5 Im Interview mit Naser Refa’i in: Agnès Deviktor, „Politique du cinéma iranien. De l’ayatollah Khomeini au président Khatami“, Paris (CNRS Édition) 2004.

6 Salehis Todesurteil wurde Ende Juni aufgehoben, es soll jetzt einen neuen Prozess geben.

Aus dem Französischen von Sabine Jainski

Adrien Cluzet ist Experte für internationale Beziehungen.

Le Monde diplomatique vom 07.11.2024, von Adrien Cluzet