07.11.2024

McKinseys doppeltes Spiel

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McKinseys doppeltes Spiel

Das fragwürdige Geschäftsmodell der US-Consultingfirmen

von Louis Callonnec

Maeve van Klaveren, Banana Peel, 2023, Aquarellfarben, Pastellfarben, Pastellstifte und Zeichenkohle auf Papier, 19,5 × 28,5 cm
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Das Thema des heutigen Tages sei „von historischer Tragweite“. Mit diesen Worten eröffnete der demokratische US-Senator Richard Blumenthal am 6. Februar 2024 eine Anhörung vor dem Senatsausschuss für innere Sicherheit und Regierungsangelegenheiten. Vorgeladen waren die Chefs der großen US-Beratungsunternehmen McKinsey, Boston Consulting Group (BCG), Teneo und M. Klein & Company. Sie wurden von den Ausschussmitgliedern über die Arbeit ihrer Unternehmen für die saudische Regierung befragt.

Hintergrund für die Untersuchung durch den Senatsausschuss waren Presseberichte von Juni 2023, die die Pläne des saudischen Staatsfonds (PIF) für massive Investitionen in den US-amerikanischen Profisport schilderten, vor allem durch den Kauf von Vereinen und Sponsoring von Athleten.1 Dabei ließ sich Riad von den genannten Firmen beraten. Um sich über die Absichten der saudischen Regierung zu informieren, forderte der Senat von den vier Consultingfirmen zunächst einmal nur die Vorlage einer detaillierten Aufstellung ihrer Aktivitäten für den PIF, der ein Vermögen von mehr als 900 Milliarden US-Dollar verwaltet.

Der Fall nahm eine politische Wendung, als die saudische Justiz den Mit­ar­bei­te­r:in­nen der Beratungsunternehmen mit Gefängnis drohte, sollten diese die geforderten Unterlagen an den US-Kongress weiterleiten. Deren Veröffentlichung stelle „eine Verletzung der Sicherheitsinteressen des Landes“ dar, so die saudischen Richter.

Daraufhin nahm der Senat seine „Untersuchung über ausländische Einflussnahme“ auf. Der Ausschussvorsitzende Blumenthal wollte herausfinden, wie es sein kann, dass „von amerikanischen Unternehmen durchgeführte Beratungsaufträge, etwa in Bezug auf Investitionen in das amerikanische Golfgeschäft, unter nationale Sicherheitsbelange Saudi-Arabiens fallen“.

Seit dem Ölboom der 1970er Jahre unterstützen Beratungsunternehmen aus den USA die saudische Regierung bei wirtschaftspolitischen Entscheidungen. Dies ging so weit, dass das Planungsministerium in Riad den Spitz­namen „McKinsey-Ministerium“ erhielt. 2015 verfasste McKinsey einen Bericht mit dem Titel „Saudi Arabia Beyond Oil“ (Saudi-Arabien nach dem Öl), der voraussagte, dass die Abhängigkeit des Landes vom Öl zu „steigender Arbeitslosigkeit, einem sinkenden Haushaltseinkommen und einer sich verschlechternden Haushaltslage“ führen könnte, was eine Gefahr für die Stabilität des Königreichs darstelle.

Die Boston Consulting Group wiederum war maßgeblich an der Ausarbeitung des Plans „Vision 2030“ zur Diversifizierung der saudischen Wirtschaft beteiligt, der die Abhängigkeit vom Erdöl überwinden sollte. Darüber hinaus beraten US-Consultingfirmen Riad bei der Konzeption von internationalen Imagekampagnen: McKinsey war an der Gründung des Saudi Center for International Strategic Partnerships (SCISP) beteiligt, die darauf zielt, die Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und zahlreichen anderen Ländern „zu harmonisieren“. Die BCG begleitete auch die Bewerbung des Landes um die Ausrichtung der Fußball-WM 2030.

Bereits 2018 begannen die US-Behörden das Engagement der Consultingfirmen mit größerem Misstrauen zu betrachten, nachdem der saudische Journalist Jamal Khashoggi, der unter anderem für die Washington Post gearbeitet hatte, in den Räumlichkeiten des saudischen Konsulats in Istanbul ermordet worden war. Damals wurde deutlich, dass die Öffnungsversprechen des Königreichs nicht mit einem stärkeren politischen Pluralismus einhergehen würden.

Zudem nahmen mehrere investigative Recherchen von Journalisten die Partnerschaft zwischen den Riesen der Beratungsbranche und dem saudischen Regime unter die Lupe. Die Journalisten Walt Bogdanich und Michael Forsythe etwa deckten auf, wie die Monarchie auf die Expertise von McKinsey zurückgegriffen hatte, um das Risiko eines Volksaufstands im Zuge des Arabischen Frühlings zu minimieren.2

Schon 2015 hatte McKinsey den Behörden in Riad einen Bericht vorgelegt, in dem es um die mögliche Reaktion der Öffentlichkeit auf Sparmaßnahmen der Regierung ging. Die Be­ra­te­r:in­nen identifizierten darin saudische Staatsangehörige, die in sozialen Netzwerken besonders aktiv waren und als mögliche Initiatoren einer Debatte über die geplanten Reformen genannt wurden.

Einer von ihnen, der Journalist Khaled al-Alkami, wurde nach der Übergabe des Berichts verhaftet. Genauso erging es zwei Brüdern des im Exil lebenden Aktivisten Omar Ab­dul­aziz, der ebenfalls in dem Bericht erwähnt wurde. Abdul­aziz, der mit Kha­shog­gi in Kontakt stand, gab an, sein Telefon sei gehackt worden.

Obwohl sich keine direkte Verbindung zwischen dem McKinsey-Bericht und dem Mord an Khashoggi herstellen lässt, hielt die Firma dennoch eine öffentliche Verteidigung für angebracht: Man sei „entsetzt über die auch nur entfernteste Möglichkeit, dass [ihre] Arbeit in irgendeiner Weise missbraucht worden sein könnte“.3

Auch vor diesem Hintergrund nahm der US-Senat seine aktuellen Untersuchung auf. Der Vorstandvorsitzende von M. Klein & Company, Michael S. Klein, versuchte sich gegenüber den Se­na­to­r:in­nen zu verteidigen, indem er sich auf die juristische Komplexität des Falles berief: Man sei „gefangen zwischen zwei Rechtsordnungen zweier souveräner Staaten“, in einer solch schwierigen Lage hätte er sich „als Investmentbanker noch nie befunden.

Klienten in Riad und im Pentagon

Dieses Argument wischte Senator Blumenthal beiseite: Indem die Beratungsfirmen mit der saudischen Regierung Verträge schlossen, die Vertraulichkeitsklauseln enthielten, hätten sie sich bewusst dem amerikanischen Recht entzogen.

Kurz darauf wurde der Ton sehr viel rauer. „Das ist erbärmlich! Was verheimlichen sie uns?“, erregte sich ein Senator angesichts des Verweises auf den Druck durch die saudische Justiz. Ein anderer brachte gar Washingtons Erzrivalen China ins Spiel: „Sie haben sich für die saudische Seite entschieden, nicht für die amerikanische. Was, wenn es China wäre? Wäre Ihre Posi­tion dann die gleiche?“

Die Manager gerieten sichtlich in Verlegenheit. Sein Unternehmen sei „zwischen zwei Souveränen gefangen“, erklärte auch BCG-Chef Rich Lesser. Blumenthal bezeichnete die saudischen Investitionen in den US-Sport als „Sportwashing“ und betonte ihren politischen Charakter.

Die Untersuchung des Senats bedroht den Fortbestand des Geschäftsmodells der Beratungsgiganten, das bereits vorher stark in der Kritik stand. Denn diese Firmen haben ein Vermögen damit verdient, ein doppeltes Spiel zu spielen, nämlich sowohl den öffentlichen als auch den privaten Sektor zu beraten. So wurde McKinsey in 49 US-Bundesstaaten wegen seines Beitrags zur Opioidkrise verklagt: Die Berater hätten, so der Vorwurf, die Pharmaindustrie zu aggressivem Marketing von Schmerzmitteln ermutigt, deren Gefährlichkeit längst bekannt war – und gleichzeitig den Gesundheitsbehörden geraten, die Abgabe dieser Produkte weniger streng zu regulieren.

Auf internationaler Ebene beraten dieselben Firmen sowohl das US-Verteidigungsministerium als auch Regierungen rivalisierender Staaten. Der republikanische Senator Josh Hawley aus Missouri – einem der am stärksten von der Opioidkrise betroffenen Bundesstaaten – konfrontierte bei der Anhörung im Februar die Berater direkt mit diesem Interessenkonflikt.

„Wir arbeiten mit der amerikanischen Regierung, hinter der wir stehen …“, verteidigte sich McKinsey-Chef Bob Sternfels, worauf Hawley ihn unterbrach: „Ich bin sicher, dass Sie das tun, es ist ja schließlich unglaublich lukrativ. Sie verdienen einen Haufen Geld mit unseren Feinden und anschließend mit uns. Das ist wirklich skandalös. Warum sollten Sie weiter Aufträge von der US-Regierung erhalten?“

In seinem Schlusswort nahm der Ausschussvorsitzende explizit das Geschäftsmodell der Consultingfirmen ins Visier und forderte eine Verschärfung der Gesetze. Zu diesem Zweck bereitet das US-Justizministerium nun eine Reform des Registrierungsgesetz für Auslandsvertreter (Foreign Agent Registration Act, Fara) vor. Sollte die Reform tatsächlich verabschiedet werden, könnten US-Beratungsunternehmen, die für ausländische Regierungen arbeiten, dazu gezwungen sein, sich als „ausländische Agenten“ zu deklarieren.

Aus der Senatsanhörung vom Februar lassen sich drei Schlussfolgerungen ziehen. Die offensichtlichste betrifft die Feststellung, dass die Beziehungen der USA zu Saudi-Arabien – das lange eine tragende Säule der US-Strategie im Nahen Osten war – nicht mehr das sind, was sie einmal waren.

Die Affäre um den Einkauf des saudischen PIF in den US-Profisport ist ein Hinweis darauf, dass die lange Zeit übereinstimmenden Interessen beider Länder stärker in Konflikt geraten. Die Beziehungen zwischen den beiden Staaten hatten sich schon 2020 infolge von Khashoggis Ermordung und des Kriegs, den die Saudis im Jemen führen, deutlich abgekühlt. Der damalige Präsidentschaftskandidat Joe Biden hatte sogar angekündigt, das Königreich zu einem „Paria“ zu machen.

Die Energiekrise infolge des russischen Einmarschs in die Ukraine zwang den US-Präsidenten allerdings dazu, seine Haltung abzumildern. Bei einem Besuch in Riad im Juni 2022 versuchte Biden, sich mit Mohammed bin Salman (MBS), dem saudischen Kronprinzen und De-facto-Herrscher des Königreichs, zu versöhnen. Nur zwei Monate später verpasste ihm MBS allerdings einen herben Schlag, als er sich mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin auf eine Obergrenze für die Ölproduktion einigte. 2023 unterzeichnete er auf Vermittlung Chinas ein Abkommen mit Iran – ein weiterer Affront gegenüber Washington.4

Die zweite Schlussfolgerung betrifft die Beziehung zwischen der US-amerikanischen Regierung und den großen Beratungsfirmen, die Washington lange als Instrumente zur Einflussnahme betrachtete. Dass Regierungen in der arabischen Welt auf ausländische Berater zurückgreifen, ist nichts Neues. „Die Wurzeln externer Politikgestaltung in der Region reichen bis zur Kolonialzeit zurück“, schreiben Dawud Ansari und Isabelle Werenfels von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.5

Die Rolle, die amerikanische Consultingfirmen für die arabischen Regierungen spielen, erinnert an die Rolle der europäischen Berater, die im 19. Jahrhundert mit der „Modernisierung“ der osmanischen und ägyptischen Verwaltungen beauftragt worden waren, und später an den Einfluss der französischen und britischen Entwicklungshelfer auf die Regierungen ihrer ehemaligen Kolonien. Historisch gesehen ist der Einsatz ausländischer Berater also ein Instrument westlicher Dominanz. Doch nun muss der US-Kongress feststellen, dass dieses Ins­tru­ment auch gegen die Interessen der USA eingesetzt werden kann.

Drittens gibt der vor dem Senatsausschuss diskutierte Fall einen Einblick in die außergewöhnliche Symbiose zwischen dem saudischen Autoritarismus und dem Geschäftsmodell der Beratungsgiganten. Die enge Beziehung zwischen der saudischen Staatsmacht und den privaten Strategen hat dazu geführt, dass dieselben Firmen, die man bisher als trojanische Pferde der US-amerikanischen Wirtschaftsinteressen betrachtete, mittlerweile zumindest von manchen Se­na­to­r:in­nen als Brückenkopf ausländischer Interessen in den USA angesehen werden.

Die Ergebnisse der Untersuchung sind zudem ein Anreiz, den westlichen Blick auf Saudi-Arabien zu hinterfragen. Lange war man geneigt anzunehmen, dass das Land insgeheim von amerikanischen Beratern regiert werde, weil es an lokaler Expertise fehle – eine Annahme, die die Bezeichnung „McKinsey-Ministerium“ unterstrich. Doch wie Bogdanich und Forsythe erklären, dienen die Beratungsfirmen „in erster Linie dazu, die Absichten ihrer Kunden zu legitimieren“, indem sie längst getroffene Entscheidungen mit einem Anstrich von Expertenwissen versehen.

Tatsächlich brauchte Saudi-Arabien nicht die Analysen von McKinsey und Boston Consulting, um sich seiner Abhängigkeit vom Erdöl bewusst zu werden. Hochrangige saudische Ölmanager hatten schließlich schon in den Nullerjahren davor gewarnt.6 Die Zuarbeit der Beratungsfirmen dürfte daher vor allem dem Zweck gedient haben, unpopuläre Reformen zu legitimieren.

Sollte es den saudischen Machthabern am Ende sogar gelungen sein, die US-Beratungsfirmen gegen die Interessen Washington einzusetzen? In jedem Fall hat die Episode vor dem Senatsausschuss gezeigt, dass Saudi-Arabien weit davon entfernt ist, lediglich den Anweisungen US-Berater zu folgen.

1 Siehe Karim Zidan, „How Saudi Arabia buys influence in US Sports“, Play The Game, 27. Juni 2024.

2 Walt Bogdanich und Michael Forsythe, „When McKinsey Comes to Town: The Hidden Influence of the World’s Most Powerful Consulting Firm“, New York (Doubleday) 2022.

3 Katie Benner u. a., „Saudis’ image makers: A troll army and a twitter insider“, The New York Times, 20. Oktober 2018.

4 Siehe Akram Belkaïd und Martine Bulard, „Friedensstifter China?“, LMd, April 2023.

5 Dawud Ansari und Isabelle Werenfels, „Akteure im Schatten: Westliche Consultancies in der arabischen Welt“, Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin, 30. August 2023.

6 Siehe Philippe Petriat, „Aux pays de l’or noir. Une histoire arabe du pétrole“, Paris (Folio) 2021.

Aus dem Französischen von Nicola Liebert

Louis Callonnec studiert Politologie am Institut d’études politiques in Paris.

Le Monde diplomatique vom 07.11.2024, von Louis Callonnec