Burger de Chef
Frankreich und seine Liebe zum Fastfood
von Camille Beauvais und Gatien Élie
Ein aufgekratzter Moderator läuft von einer Kochinsel zur anderen. „Noch 15 Sekunden!“ Auf der Bühne schwitzen fünf Kandidaten. Über ihre dampfenden Kochplatten gebeugt, stapeln sie Zutaten aufeinander. Mit gewagten Kreationen rivalisieren sie um die Gunst einer Jury von Starköchen. Sie wollen den 9. Coup de France des Burgers gewinnen, der beim Salon du Snacking, einer Fastfood-Messe an der Porte de Versailles in Paris verliehen wird.
Buns in allen Farben, Cheddar, tütenweise Bacon und Rindfleisch. Hier ist der Burger König. Die meisten Stände bieten die entsprechenden Zutaten an. „Das ist eigentlich kein Kochen, das ist bloß Montage“, meint die Köchin Marie-Anna Delgado. Von einem „Fabrikat“ schreibt Didier Pourquery in seiner „Histoire de hamburger-frites“ (Robert Laffont, 2019) Mit dem Snacking d’Or, dem Goldenen Snackpreis, wird Fertigkäse aus dem Plastikbeutel prämiert: weniger als 5 Prozent Cheddar, aber leicht in eine Soßenpistole zu kriegen.
Der Burger ist nicht nur auf der Fastfood-Messe zu Hause, er hat auch angesagte Markthallen, Brasserien und sogar Edelrestaurants erobert. Die Nettogewinnmarge liegt bei fast 20 Prozent, doppelt so hoch wie bei einem normalen Gericht, eine echte Geldmaschine. Schnell profitabel, schnell zubereitet, schnell verzehrt – heutzutage steht er in drei von vier französischen Gastronomiebetrieben auf der Speisekarte. 2023 wurden 1,5 Milliarden Burger für 10 Milliarden Euro verkauft, kein anderes Gericht wird häufiger geliefert. Nur in den USA werden mehr Burger verzehrt.1
Als 1961 in Paris das erste Fastfood-Restaurant, ein Wimpy, aufmachte, blieb es fast unbemerkt. Hamburger in Frankreich? Daran glaubte nicht mal McDonald’s. Der Fastfood-Riese öffnete seine erste Filiale erst 1979 in Straßburg. Überall wurde der Hamburger niedergemacht. „Heilige Jungfrau Maria … Man muss schon Vater und Mutter umgebracht haben, um das runterzuwürgen!“, schimpfte die Fernsehköchin Maïté 1992 auf FR3. 1999 demolierte der Bauernverband eine Baustelle von McDonald’s in Millau. 2004 erreichte das Doku-Drama „Super Size Me“ – in dem der Filmemacher Morgan Spurlock sich einen Monat lang ausschließlich bei McDonald’s ernährt und zehn Kilo zunimmt – in Frankreich 170 000 Zuschauer.
Trotzdem berichten 20 Jahre später Artikel und Reportagen, wie der Burger das französische Baguette mit Schinken verdrängt. Unerbittlicher Triumph des Fetts? „Der Kontakt mit der glatten und öligen Textur im Mund“ stimuliert angeblich den orbitofrontalen Cortex, der über den „Belohnungswert der Lebensmittel“ urteilt, erklären die Neurowissenschaften.2
Aber die französische Gastronomie hat nicht auf diese Erkenntnisse gewartet, um sich anzupassen. Schon 2014 publizierte Larousse „Burgers de Chefs“, (deutsche Ausgabe: Fackelträger Verlag, 2015) 100 Burger-Rezepte, darunter eines von 3-Sterne-Koch Guy Martin mit Hummer und weißen Pfirsichen. 2023 krönte die Sendung „Très très bon“ des sehr, sehr anerkannten Restaurantkritikers François-Régis Gaudry das beste Burger-Restaurant in Paris.
Brot, Käse und Rindfleisch – eigentlich wissen die Franzosen mit diesen Zutaten umzugehen. Der für traditionelle französische Backwaren bekannte Hersteller Jacquet hat seine Produktion von Buns zwischen 2004 und 2014 verdreifacht. Der Nobelbäcker Gontran Cherrier bietet Buns in fünf verschiedenen Farben an. Die Molkerei Rians aus dem Berry passt ihre Ziegenkäse-Taler mittlerweile der Größe der Brötchen an.
Und die gehobene Burger-Kette PNY (Paris New York) verwendet Fleisch von Salers-Rindern, einer alten französischen Rasse aus dem Zentralmassiv, „aufgezogen nach französischer Bauerntradition“. Nähe, Tradition, Authentizität. „Die junge Generation, die die traditionelle, französische Küche ins Museum verbannt, hat ein Talent, einfach alles zu französisieren“, schreibt Gilles Fumey in seinem Buch über Edelsnacks.3
Montieren statt kochen
Die Millennials sind mit McDonald’s groß geworden. Sie haben dort ihre Geburtstage gefeiert. Sie sind eine Generation, die ihre Launen befriedigen kann, wann immer sie Lust hat. Aber das Huhn mit den goldenen Eiern legt ihnen nicht schnell genug. „In Frankreich werden immer noch 67 Prozent der Mahlzeiten zu Hause verzehrt, nur ein Drittel außer Haus. In den USA sind es 51 Prozent.“ Nicolas Nouchi, Chef des Start-ups Strategeat zur Vermarktung von Fastfood, ist überzeugt, dass „in jedem von uns ein Amerikaner schlummert“, und motiviert beim Salon du Snacking junge Unternehmer, mit der „Essensdose im Büro“ aufzuräumen und die Telearbeiter zum Snacken zu bringen.
Er tut das mit drei strategischen Begriffen: Premiumisierung – Aufwertung der Produktpalette, um die Gewinnspanne zu erhöhen. Zum Beispiel: „Rindfleisch vom Jersey-Rind, ein Hauch von Cheddar, Savora-Sauce, knuspriger Bacon, Gewürzgurken auf einem Bett von Kartoffeln aus der Region, harmoniert mit unserem Pic Saint-Loup Domaine Christophe Peyrus, 22 Euro (ohne Wein)“. Angeboten von Père & Fils Burger, Rue de Grenelle, Paris.
Hybridisierung – Desorientierung des Verbrauchers, um ihn einzufangen. Nicolas Nouchi beschreibt es so: „Ich war in New York. Das Krasse dort ist, du kannst nicht mehr unterscheiden, ob du in der Filiale einer Fastfood-Kette oder in einem schicken Restaurant sitzt. Diese experimentelle Dynamik muss der Konsument erleben und sich sagen: Hier bin ich, ich weiß nicht, was ich will; aber ich habe alles, was ich will.“
Lieferdienste – den Impuls in einen Kauf verwandeln. Nicolas Nouchi preist es wie folgt an: „Seit Covid gehört es zum Mindset des französischen Konsumenten, einen warmen Burger nach Hause geliefert zu bekommen. Wenn man sich etwas liefern lässt, ist es nicht die Ekstase, aber man hat das Impulsmoment, das man sucht.“
Ob Premium- oder Billigburger: 7 von 10 Hamburgern bestehen aus Rinderhack. Nur 0,8 Prozent der Franzosen sind Vegetarier, 0,3 Prozent Veganer.4 Der Rindfleischverbrauch nimmt nicht ab, der Anteil von Hackfleisch steigt stetig. Das hat seinen Grund: Da es an Zeit und Können fehlt, überlassen die Französinnen und Franzosen die Zubereitung der edlen Teile (Entrecôte, Filet, Kugel) den Restaurantküchen und beschränken sich zu Hause – auch aus Geldmangel – auf Hackfleisch.
Auch das gehört zum Erfolg des Burgers, verschärft jedoch die Sorgen einer anderen Branche. Aus Sicht des Fleischers ist es nämlich ein schlechtes Geschäft: „Normalerweise macht man aus 40 Prozent des Fleisches einer Kuh Gehacktes: minderwertige Teile, die sonst lange und umständlich gegart werden müssten“, erklärt Myriam Loloum von Unebio, dem Verband der Bioviehzüchter. „Erhöht man diesen Anteil auf 60 Prozent, wie es aktuell geschieht, geht man ans Muskelfleisch, das teuer ist, aber als Hackfleisch nicht teuer verkauft werden kann.“
Bislang bleiben die Züchter von diesem Wertverlust verschont. Dass sie immer weniger werden, wirkt sich zu ihren Gunsten aus. Die Schlachtereien haben da schlechtere Karten: Sie zerhacken edles Fleisch, um die wachsende Nachfrage zu befriedigen und müssen zugleich den Rückgang der französischen Tierbestände kompensieren. „Die Schlachthöfe arbeiten gegenwärtig mit zwei Dritteln ihrer Kapazität“, erklärt Myriam Loloum. „In ihrer Not suchen sie nach Masse, um ihre Maschinen rentabel laufen zu lassen.“ So kaufen sie Milchkühe zum Preis von Fleischkühen, importieren Rindfleisch aus Polen – oder sie kämpfen um neue Lieferverträge, etwa mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten.
Die Begeisterung für Burger und Hackfleisch schlägt sich für die Schlachter in Firmenkonzentrationen und Sozialplänen für die Belegschaft nieder. Deshalb versucht der nationale Fleischerverband, die französische Art der Tierzerlegung bei der Unesco als Kulturerbe anerkennen zu lassen.
1978 stellte die Sendung „À la bonne heure“ auf TF1 ihre Kameras in einer Fleischerei auf. „Ist das Hackfleisch für Sie?“ „Nein“, antwortet die Kundin, „für eine Bekannte, die alt ist und schlecht kauen kann.“ „Und Sie?“, fragt die Journalistin, „nehmen Sie lieber Steak?“ „Na immer, wenn man richtig kauen kann! Es ist doch eine Unsitte, Hackfleisch zu essen.“ Eine Unsitte, die sich inzwischen durchgesetzt hat.
Burger sind weich, schnell geschluckt, schnell verdaut. Zerkleinert, zerstampft, mit Soße übergossen: Vom tierischen Ursprung bleibt nur wenig. Der moderne Smash Burger hat weder Blut noch Konsistenz: Die Fleischkugel wird auf einer Heizplatte flachgedrückt und karamellisiert. „Der Burger ist das Fleischgericht für alle, die kein Fleisch mögen“, sagt Alexandre Mosescot, der Regisseur des Theaterstücks „Carne“ (Fleisch).
Fleisch essen und sich das Gefühl ersparen, ein Tier zu essen – diese „Sarkophagie“ ist vor allem unter den jüngeren Generationen verbreitet. Ganz allgemein steht der Burger für die heutige Beziehung vom Menschen zum Tier5 – eine Entfremdung nach einer langen Geschichte der Viehzucht.
„Noch fünf Sekunden.“ Das Publikum an der Porte de Versailles applaudiert. Die Kandidaten, kräftige Kerle mit tätowierten Armen, präsentieren ihre Werke in einer fotogenen Kulisse aus Kuhfellen, Ochsenschädeln und Strohhaufen bevor sie sie der Jury übergeben. Und der Moderator ruft begeistert: „Der Geist des Rindviehs ist unter uns!“
3 Vgl. Gilles Fumey, „Le snacking, nourriture noble“, snacking.fr, 25. April 2024.
5 Siehe Pascal Lardellier, „Unbekannte Essobjekte“, LMd, November 2003.
Aus dem Französischen von Claudia Steinitz
Camille Beauvais und Gatien Élie sind Lehrkräfte für Geschichte und Geografie.