Das Recht auf Strand in Kalifornien
von Isabelle Bruno und Grégory Salle
Milliardäre leben entspannt, sollte man meinen. Es sei denn, es geht um einen Strand in Kalifornien. Unterhalb des berühmten Highway One zwischen San Francisco und Santa Cruz liegt Martin’s Beach, ein – normalerweise – öffentlich zugänglicher Strand in Privatbesitz. 2008 erwarb der milliardenschwere Investor Vinod Khosla das 36 Hektar große Grundstück für 33 Millionen Dollar und riegelte den einzigen Zugang zum Strand ab.
Obwohl sich das Gatter leicht umgehen ließ, kam es auf lokaler wie bundesstaatlicher Ebene zu heftigen Protesten. 15 Jahre lang folgte eine Klage auf die andere. Khosla eröffnete selbst die Feindseligkeiten, indem er die California Coastal Commission (CCC) und das zuständige County San Mateo verklagte, die ihn aufgefordert hatten, eine Genehmigung für die Schließung zu beantragen.
Am 10. Mai kam es nach sechs Verfahren zu einem vorläufigen Ende des Rechtsstreits, als das oberste Gericht von San Mateo County Khoslas Antrag abwies, das Gerichtsverfahren, das seit 2020 gegen ihn lief, einzustellen. Die State Lands Commission (SLC) und die California Coastal Commission (CCC) hatten geltend gemacht, dass ein privater Eigentümer selbst dann nicht die Zufahrt zu einem Strand blockieren dürfe, wenn er alle umliegenden Grundstücke besitzt.
Ihre Argumentation ist historisch begründet. Via Gewohnheitsrecht (Common Law) haben die Bürger:innen seit fast einem Jahrhundert Zugang zum Martin’s Beach; zudem existiert seit 1976 der California Coastal Act, der den Zugang zu den Stränden an der kalifornischen Küste für die Allgemeinheit priorisiert.
Es ist davon auszugehen, dass die politische und juristische Auseinandersetzung weitergeht – nicht zuletzt wegen des gewaltigen wirtschaftlichen und sozialen Kapitals von Vinod Khosla, der mit Barack Obama befreundet sein soll und der Demokratischen Partei regelmäßig Spenden zukommen lässt. 2015 schätzte das Magazin Forbes sein Vermögen auf 1,6 Milliarden Dollar, 2023 soll es dank lukrativer Investitionen in umweltfreundliche Technologien und künstliche Intelligenz bereits die Schwelle von 6 Milliarden überschritten haben.
Khosla besitzt also alle Voraussetzungen, um bei der Verteidigung seines Grundrechts juristisch bis zum Ende zu gehen: des Ausschlussrechts, das dem Privateigentum innewohnt. Er hat es sogar beim Supreme Court versucht, der seine Klage allerdings nicht annahm.
Jenseits des Streits um zwei Grundprinzipien – Zugangs- oder Ausschlussrecht – lässt sich bei der Auseinandersetzung um Martin’s Beach wie durch ein Brennglas betrachten, wie es um die sozioökonomischen Ungleichheiten im „Golden State“ bestellt ist. Der Fall ist allen Protagonist:innen der Küstenplanung bestens bekannt. Denn mit ihm steht eine kalifornische Küstenpolitik auf dem Prüfstand, die seit einem halben Jahrhundert – seit soziale Proteste 1976 zur Verabschiedung des Californian Coastal Act führten – institutionalisiert ist.
Ungewöhnlich ist der Fall allerdings nur wegen seines ausufernden Verlaufs. Denn Kalifornien ist ohnehin derjenige Bundesstaat, in dem Konflikte um die Aneignung der Küste durch vermögende Besitzer am schärfsten verlaufen oder zumindest die größte Sichtbarkeit entfalten. Seit 20 Jahren stehen oft Prominente im Zentrum dieser Streitigkeiten um den Zugang zu Ufergebieten, die sich „unterhalb der durchschnittlichen Flutlinie“ (high tide line) grundsätzlich in öffentlichem Besitz befinden.
Die wohl bekannteste Affäre dreht sich um den Musik- und Filmproduzenten David Geffen, der Strandbesucher:innen 2002 den Zugang zum Carbon Beach vor seinem Grundstück in Malibu verweigerte. Damit verstieß er allerdings gegen eine Vereinbarung, die er 20 Jahre zuvor selbst unterschrieben hatte – um eine Baugenehmigung zu bekommen.
Mit Unterstützung der Stadtverwaltung von Malibu, einer Luxusenklave, wo fast ein Viertel der Haushalte ein Jahreseinkommen über 200 000 Dollar erzielt, strengte Geffen einen Prozess gegen die Bundesbehörden und die Initiative „Access for All“ an. Diese engagierte sich vor allem für die Umsetzung einer bestimmten Vorschrift: Alle 300 Meter sollte es einen Strandzugang geben. In dem fraglichen Küstenabschnitt gab es indes über fünf Kilometer keinen einzigen Zugang.
Nachdem seine Klage dreimal abgewiesen worden war, gab Geffen 2005 auf und verkaufte schließlich 2017 sein Grundstück für 85 Millionen Dollar, ein Rekord in der Großregion Los Angeles.
Wieder zugänglich ist seit 2023 auch Escondido Beach – nach 40 Jahren Rechtsstreit. Den Behörden (SLC und CCC) war es schließlich gelungen, die beiden Besitzer dazu zu verpflichten, den seit 1980er Jahren geschlossenen Zugang wieder zu öffnen. Am nahegelegenen Lechuza Beach dauert der Konflikt zwischen der Stadt Malibu und der Mountains Recreation and Conservation Authority (MRCA) an. Die Naturschutzbehörde hatte im Frühjahr 2023 Hinweisschilder zu diesem schwer auffindbaren Strand aufgestellt.
Grundsätzlich in öffentlichem Besitz
Im Juni entfernte die Stadt die Schilder mit der Begründung, die MRCA hätte dafür eine Genehmigung beantragen müssen, zudem gebe es Sicherheitsbedenken. Nach Ansicht der MRCA ist die fehlende Beschilderung ein zusätzlicher Ausschlussfaktor: Isolierte Strände seien damit auch gesellschaftlich zunehmend exklusiv. „Das stimmt nicht“, entgegnet Malibus Bürgermeister und versichert, er wolle so viele Menschen wie möglich als Strandbesucher empfangen.
Hinter diesem Geplänkel verbergen sich tiefe gesellschaftliche Risse: Im reichsten Bundesstaat der USA herrscht nämlich auch die größte Ungleichheit. Kaliforniens vermögende Oberschicht verfügt über großes materielles und symbolisches Gewicht, vom Silicon Valley bis Hollywood, während hier zugleich die meisten Obdachlosen in den gesamten USA leben.1
Zudem kommt den kalifornischen Stränden eine besondere Bedeutung zu, sowohl praktisch als auch auf repräsentativer Ebene. Der Golden State besitzt weltberühmte Strände, die medial und kulturell so oft in Szene gesetzt wurden, dass sie zum Stereotyp eines bestimmten Lebensstils geworden sind. Dieses Klischee verdeckt jedoch die Ungleichheiten, die auch auf dem Sand gelten.
Eine umfassende quantitative Studie von 2017 über Hindernisse beim öffentlichen Zugang zu kalifornischen Stränden stellte fest, dass es abhängig vom Wohnort (die Einwohner:innen der Küstenorte sind logischerweise die fleißigsten Besucher:innen), Haushaltsgröße (Kinder erhöhen die Lebenshaltungskosten) und Alter (am häufigsten besuchen Menschen unter 40 Jahren, meist Eltern von minderjährigen Kindern, die Strände) deutliche soziale Unterschiede gibt.2
Entgegen dem Mythos der gleichberechtigten öffentlichen Nutzung belegt die Studie einen teilweisen Ausschluss nichtweißer Unterschichten zugunsten weißer Mittel- und Oberschichten. Diejenigen, deren Jahreseinkommen nach eigener Auskunft weniger als 20 000 Dollar beträgt, halten den freien Strandzugang zwar überwiegend für ein „sehr wichtiges“ Thema (62 Prozent, im Durchschnitt 57 Prozent), kommen aber tatsächlich gar nicht oft an den Strand: Nur 67 Prozent besuchen nach eigenen Angaben mindestens einmal pro Jahr einen Strand – gegenüber 86 Prozent der Menschen mit einem Einkommen über 100 000 Dollar. Im Gesamtdurchschnitt sind es 77 Prozent. Die Schwarze Bevölkerung ist unterrepräsentiert: 33 Prozent der Afroamerikaner:innen gehen weniger als einmal pro Jahr an den Strand, in der US-Gesamtbevölkerung sind es dagegen 23 Prozent.
Nach Schätzungen werden über 200 000 Hektar an öffentlichem Land durch Privateigentümer unzugänglich gemacht.3 Es ist also ein durchaus wichtiges Anliegen, den öffentlichen Zugang (public access) zur Natur vor privater Aneignung – sei es zu Wohn- oder sei es zu Geschäftszwecken – zu schützen. Dasselbe gilt für den gleichberechtigten Zugang (equal access), wie er seit Mitte der 2000er Jahre im Namen der Umweltgerechtigkeit vom Verein „The City Project“ gefordert wird, gegründet von einem auf Zivilrecht spezialisierten Anwalt aus Los Angeles.
Die Kalifornierinnen und Kalifornier haben eine enge Beziehung zu ihren Stränden. Am 1. Mai 2020, mitten in der Coronapandemie, gingen mehrere tausend Demonstrierende mit dem Ruf „Open our beaches!“ („Öffnet unsere Strände!“) gegen die Verletzung ihres Grundrechts – denn als solches wird es wahrgenommen – auf die Straße.
Nur: Diese Konflikte finden nicht unter ansonsten gleichbleibenden Umweltbedingungen statt: Mit den neuen ökologischen Gegebenheiten verändern sich die sozialen Fragen. Kalifornien eignet sich auch bei diesem Thema besonders gut für die exemplarische Beobachtung von Ungleichheiten. Der Golden State will nämlich seit den 1970er Jahren auf zwei Ebenen Vorbild sein: beim öffentlichen Zugang zu den Stränden und beim Naturschutz an den Küsten. Deshalb ist der Druck auf die Küsten hier mit am besten dokumentiert.
Der Bau erschwinglicher Wohnungen oder Parkplätze in Ufernähe, den die Zugangspolitik vorsieht, scheint nur schwer vereinbar mit der Bewahrung des ökologischen Gleichgewichts, das den Verzicht auf Bauvorhaben und sogar einen „strategischen Rückzug“ bedeutet. Diese Formulierung ruft viel Ärger hervor, ebenso wie andere Bezeichnungen und Euphemismen, wie etwa den der „resilienten Umsiedlung“.
Doch diese Art Konflikte wird gern ausgeklammert, etwa im Fall Khosla. Auch wenn der Silicon-Valley-Milliardär als Galionsfigur von „Green Tech“ gilt, haben seine Anwälte im Streit um den Martin’s Beach niemals ökologische Argumente ins Feld geführt. Dabei steht der Strand seit Ende letzten Jahrhunderts auf der Risikozonen-Liste des US-Instituts für Geologische Studien. Auch die oben erwähnte Sozialstudie über Strandbesuche geht auf die ökologischen Herausforderungen nicht ein.
Im Gegensatz zu Florida oder New Jersey zählt Kalifornien zwar zu den Musterschülern in guter Küstenverwaltung4 ; dennoch geben die verfügbaren Daten Anlass zur Sorge. Jüngste Modellierungen sagen voraus, dass ohne Gegenmaßnahmen der Meeresspiegel bis 2100 zwischen 0,5 und 3 Meter steigen wird. Zwischen 24 und 75 Prozent der kalifornischen Strände würden dann überflutet.5
Wie eine andere Studie auf Basis von Satellitendaten vorrechnet, werden mit jedem Fuß (circa 30 Zentimeter) steigenden Wasserspiegels etwa 100 Strandzugänge verschwinden, vor allem im Süden des Bundesstaats.6 Wissenschaftliche Analysen und Medienberichte bestätigen, dass das Problem längst nicht mehr allein in der Theorie oder in der Zukunft liegt: Einige Klippen, Bahnschienen, Straßen, Häuser und Hotels sind bereits unterspült worden und eingestürzt.
Angesichts der teuren, wiederholt gescheiterten Maßnahmen zum Schutz vor dem steigenden Meeresspiegel – wie Steinaufschüttungen, Deiche und Techniken zur Rückhaltung oder Wiedergewinnung von Sand – kann es in einer Politik, die nach naturbasierten Lösungen strebt, nicht mehr darum gehen, gegen etwas anzukämpfen, sondern darum, damit zu leben. Sie sollte also besser auf die Fähigkeit der Küsten-Ökosysteme setzen, um die Folgen des Klimawandels wie Stürme oder Überschwemmungen aufzufangen, mit anderen Worten: Die Küstenlinie darf sich verändern, Dünen dürfen wandern, ebenso die Strände.
Dieser Ansatz stößt bei Grundbesitzern, Lokalpolitikerinnen und Vereinen, die unterstellen, dass damit nur den Reichsten öffentliche Gelder zugutekämen, in der Regel jedoch auf heftigen Widerstand.
2021 gab es in Kalifornien ein Gesetzesvorhaben zur Einrichtung eines bundesstaatlichen Fonds, der betroffene Küstengemeinden mit verlängerbaren Krediten versorgen sollte. Damit hätten die Kommunen die am stärksten gefährdeten Wohnhäuser in Ufernähe aufkaufen können, um sie an die Bewohner:innen bis zur endgültigen Zerstörung zu vermieten.
Dieser Finanzierungsvorschlag zum natürlichen Rückbau der Küstenstädte wurde angesichts des Wohnungsmangels aber als ungerechter Ausgleich wahrgenommen, weil er vor allem den Eigentümer:innen von Luxusvillen entlang der Strände zugute gekommen wäre. Obgleich das kalifornische Parlament das Gesetz verabschiedet hatte, legte Gouverneur Gavin Newsom zweimal sein Veto dagegen ein – wegen der Kosten der Maßnahme, der Folgen für den Immobilienmarkt und der öffentlichen Auseinandersetzung darum.
Einige der vermögenden Grundbesitzenden wissen durchaus um die bevorstehenden Veränderungen und organisieren sich vor Ort. Dabei machen sich manche sogar die Perspektive der Umweltschutzgruppen zu eigen, denen sie sich bislang entgegengestellt hatten. Einen solchen Strategiewechsel gab es etwa in Broad Beach, Malibu. Früher bestanden sie auf ihrem privaten Eigentum und lehnten jegliche staatliche Eingriffe ab, um öffentlichen Raum für sich beanspruchen zu können. Nun fordern sie vom Staat Unterstützung – vor allem finanzieller Art – und sprechen gern vom öffentlichen Interesse am Allgemeingut, um die weitere Existenz der Strände zu sichern.7 Denn von dieser hängt schließlich der Wert ihrer Immobilie ab.
Aus dem Französischen von Sabine Jainski
Isabelle Bruno ist Dozentin für Politikwissenschaft an der Universität Lille; Grégory Salle arbeitet als Sozialwissenschaftler am Nationalen Forschungszentrum CNRS.