Roter Staub in Smederovo
Chinas Interessen in Serbien
von Jean-Arnault Dérens und Laurent Geslin
Drei Frauen sitzen vor einer Hütte am Straßenrand in dem ostserbischen Dorf Krivelj – vor sich eine Feuerschale, dazu ein Fernseher, sogar mit Kabelanschluss. Ein Nachbar bringt ihnen türkischen Kaffee. Er sagt: „Achtung! Da kommt ein Auto! Das sind die chinesischen Brüder.“ Die drei Frauen treten auf die Straße und zwingen den Fahrer zur Umkehr.
Die Rede von den „chinesischen Brüdern“ ist in Krivelj ironisch gemeint, die Regierung in Belgrad hingegen beschwört damit die Freundschaft mit „Bruder“ Xi Jinping.
Ähnliche Szenen spielen sich hier, im Herzen des Bergbaugebiets Bor, seit dem 29. Januar 2024 mehrmals täglich ab. Die Einheimischen haben eine Sperre errichtet, auf einem Plakat steht: „Ihr seid nicht willkommen.“ Der Kupfertagebau hat das Dorf fast vollständig umzingelt. Seit den 1970er Jahren schon soll es verschwinden. 2018 hat das Staatsunternehmen Bergbau und Gießerei Bor (RTB Bor), Nachfolger der 1904 gegründeten Compagnie française des mines de Bor, 63 Prozent des Kapitals an die chinesische Zijin Mining Group abgetreten.
Dafür versprach der Bergbaugigant, die Schulden des staatlichen Unternehmens in Höhe von 200 Millionen US-Dollar zu übernehmen, 5000 Arbeitsplätze zu erhalten und in der ersten sechs Jahren 1 Milliarde Dollar zu investieren. Seitdem geht der Erzabbau stetig voran, ganze Bergflanken werden weggesprengt.
„Gold und Kupfer werden in unserer Gegend seit der Antike gefördert“, erklärt Jasna Tomić, die das Aktionskomitee von Krivelj leitet. „Seit die Chinesen da sind, ist das Leben für die verbliebenen 44 Familien unerträglich geworden. Die Luft ist kaum noch zu atmen und in den Hauswänden klaffen breite Risse. Und jetzt wollen sie einen Staudamm errichten, um eigenen Strom zu erzeugen. Im Januar fuhr hier jede Minute ein Sattelschlepper durch.“
Mit der Blockade der einzigen Zugangsstraße zu den Minen von Novo Cerovo verhinderten die Dorfbewohner:innen zwei Wochen lang die Kupfergewinnung. Dann hatte Zijin eine Alternativroute durch die Berge gebaut. Dennoch: Die Arbeiten am Staudamm ruhen bis heute. Die 300 Meter vom Dorf entfernte Baustelle ist verlassen. An bröckelnden Rohbauruinen hängen Schilder, die in schlechtem Serbisch mahnen: „Sicherheit kommt durch Wachheit – das Unglück lahmlegen.“ Ein alter Bergarbeiter, der uns herumführt, meint ironisch: „Das kommt dabei raus, wenn kommunistische Parolen auf Google Translate treffen.“
Jasna Tomić erklärt, sie habe keine „ernsthaften Gesprächspartner“ bei dem chinesischen Konzern oder den serbischen Behörden gefunden. Auf unsere gemailten Fragen antwortet das Belgrader Ministerium für Bergbau und Energie: „Die geplante Versetzung und Neuansiedlung des Dorfs Krivelj wird seit 2014 nach strengsten internationalen Normen durchgeführt.“ Zwei Drittel der Bewohner hätten ihre Zustimmung gegeben. Von Tomić und ihren Mitstreiterinnen an der Straßensperre wird das nicht bestritten.
Den Leuten hier geht es nicht nur um Geld. Sie wollen auch sicher sein, dass ihre neuen Häuser nach der Umsiedlung nicht abermals dem Bergbau weichen müssen. In der Umgebung von Bor, sagen sie, sollen zwölf Dörfer umgesiedelt werden. Die Angaben lassen sich nicht überprüfen – die Entwicklungspläne von Zijin Bor Copper und Serbia Zijin Mining, den serbischen Töchtern der Zijin Mining Group, sind nicht öffentlich.
Chinesische Investitionen statt EU-Gelder
Irena Živković sitzt seit Dezember 2023 für das Oppositionsbündnis „Serbien gegen Gewalt“ im serbischen Parlament. Sie beklagt die Undurchsichtigkeit der chinesischen Projekte. „Das Parlament hat die Abbaukonzession für RTB Bor gebilligt, aber die viel später auf der Website des Ministeriums veröffentlichte Version des Vertrags ist unvollständig. Im Stadtrat von Bor, dem ich lange angehörte, bekamen wir Informationen nur häppchenweise.“
Die Abgeordnete befürchtet ein Abbaumodell „wie im Kongo“. Serbien setze lieber auf Investitionen chinesischer Unternehmen als auf EU-Gelder, weil das weniger Kontrolle bedeutet. Die Zijin-Gruppe will schon insgesamt 2,89 Milliarden Euro in Serbien investiert haben. Sie ist des Lobes voll über die „soziale Stabilität des Landes“, „die geografische Lage“, „die vielen gut ausgebildeten Arbeitskräfte“, das „gute Geschäftsklima“.1
Tatsächlich hat China allen Grund, seine Partnerschaft mit Serbien toll zu finden: Zwischen 2014 und 2023 beliefen sich die chinesischen Investitionen angeblich auf 5,5 Milliarden Euro.2 Wenn chinesische Unternehmen in Serbien ansässig werden, haben sie die uneingeschränkte Unterstützung der Behörden. „Entscheidungen, die China betreffen, werden direkt im Büro von Präsident Vučić getroffen“, bestätigt die Juristin Hristina Vojvodić vom Renewables and Environmental Regulatory Institute (Reri). Das Reri kämpft für die Einhaltung der serbischen Umweltgesetze, insbesondere des Gesetzes über Bergbau und Geologie. „Den Chinesen sind Umweltstandards egal“, sagt Vojvodić, „sie fangen an zu buddeln und beantragen die Erlaubnis hinterher, die sie natürlich erhalten.“
Smederovo war im 15. Jahrhundert die letzte Hauptstadt des serbischen Despotats vor der Eroberung durch die Osmanen. Am Rand der Stadt steht ein Stahlwerk, dessen Rauch die umliegenden Dörfer vergiftet. Der 1921 gegründete und 1945 verstaatlichte Industriekomplex wurde 2003 von U.S. Steel gekauft, das ihn 2012 zum symbolischen Preis von 1 US-Dollar an den serbischen Staat zurückgab, zusammen mit fast 500 Millionen Euro Schulden. 2016 verkaufte Belgrad dann 98 Prozent seiner Anteile für lediglich 46 Millionen Euro an den zweitgrößten Stahlproduzenten der Welt, den chinesischen HBIS-Konzern.3
„Die Amerikaner hatten leicht modernisiert und ein paar Filter eingebaut, aber seit der Übernahme durch die Chinesen ist nichts geschehen, und die Inspektion für Umweltschutz darf die Fabrik nicht betreten“, klagt Nikola Krstić, Leiter einer Bürgerinitiative, die gegen die Verschmutzung durch das Stahlwerk kämpft. Häuser und Felder im Umkreis der riesigen Schlote sind mit einer dicken Schicht von rotem Staub bedeckt. Wenn man die Wäsche nur ein paar Minuten raushängt, ist sie wieder schmutzig.
2020 hatten mehrere hundert Menschen versucht, den Flusshafen zu blockieren, der HBIS in Erbpacht überlassen wurde. Seitdem haben mehrere Familien aus dem Dorf Radinac Klage eingereicht, aber viele schweigen lieber. Die Fabrik ist immer noch der wichtigste Arbeitgeber der Region.
Die Demonstrationen in Smederovo haben kaum eine Chance auf Erfolg. 2020 verabschiedete das serbische Parlament ein Gesetz, demzufolge die Regierung ein Infrastrukturprojekt für „dringend“ erklären kann. Damit erübrigt sich eine öffentliche Ausschreibung wie auch eine nähere Überprüfung des Investor. Zudem hat die Belgrader Regierung die chinesischen Unternehmen auch von der Bindung an das serbische Arbeitsrecht befreit.
Über die Zahl der chinesischen Beschäftigten wird viel spekuliert. 2022 waren es allein in der Region Bor offiziell 9000, heute sollen es sehr viel mehr sein. Manche werden von der Landebahn des Belgrader Flughafens direkt zum jeweiligen Arbeitsplatz gebracht, ohne die Einreisekontrollen zu durchlaufen. Sie wohnen in Containersiedlungen direkt neben den Tagebaustätten von Bor oder dem Stahlwerk von Smederovo. Fremden ist der Zugang zu den Wohnanlagen untersagt.
2021 ließ der Reifenhersteller Shandong Linglong Tire Co. 500 Vietnamesen kommen, um ein Werk in Zrenjanin, im Norden Serbiens, zu bauen. Rekrutiert wurden sie von der Tianjin Electric Power Construction Co. (TEPC), einer 100-prozentigen Tochter der staatlichen China Energy Engineering Group. Den Vietnamesen wurden die Pässe abgenommen, sie arbeiteten unter „sklavenartigen“ Bedingungen und bei schlechter Verpflegung.
Am 30. Januar 2024 riefen indische Arbeiter bei TEPC mit Unterstützung der NGO Astra, die gegen Menschenhandel kämpft, ein serbisches Gericht an.4 Wie einige aussagten, „schliefen 16 Personen in einem Zimmer, Löhne wurden nicht ausgezahlt, und die Arbeitsbedingungen waren extrem hart“.
Die Belgrader Brücke der Freundschaft
Im ersten Quartal 2022 exportierten die drei größten chinesischen Unternehmen in Serbien – Zijin Bor Copper, Serbia Zijin Mining und HBIS – Produkte im Wert von 721 Millionen Euro nach China, das waren 11,6 Prozent der gesamten Exporte Serbiens.
China hatte nach 1961 besondere Beziehungen zum stalinistischen Albanien unterhalten, nachdem das Enver-Hoxha-Regime mit der Sowjetunion gebrochen hatte. Lag es deshalb nicht nahe, dass China in Albanien und in der übrigen Balkanregion investieren würde? „Im Gegenteil“, meint Vuk Vuksanović vom Belgrade Centre for Security Policy (BCSP), „für Mao war Tito ja ein Revisionist, und China trat auch nicht der Bewegung der Blockfreien bei.“
Der chinesische Blick auf Südosteuropa veränderte sich nach den Nato-Luftangriffen gegen Restjugoslawien (noch bevor sich die chinesische Unternehmen auf die Suche nach neuen Investitionsmärkten machten).5 In der Nacht des 7. Mai 1999 wurde die chinesische Botschaft in Belgrad von fünf US-Bomben getroffen, die mindestens drei Menschen töteten. Der damalige CIA-Direktor George Tenet behauptete, es habe sich um einen Irrtum gehandelt. Einige Monate später veröffentlichte Hinweise lassen aber vermuten, dass die USA vorsätzlich gehandelt hatten, um eine jugoslawische Funkstation auf dem Botschaftsgelände auszuschalten.
Die USA haben sich entschuldigt und die Reparaturen bezahlt, doch der diplomatische Schock wirkt bis heute nach. Seit der Unabhängigkeitserklärung des Kosovos 2008 unterstützt Peking mit seiner Vetomacht im UN-Sicherheitsrat die Regierung in Belgrad, die es ablehnt, die Selbstständigkeit der ehemaligen serbischen Provinz anzuerkennen. China wie Serbien beschwören das Prinzip der territorialen Integrität als ihr heiliges Mantra.
Mitte der 2000er Jahre begann sich China für die Länder Mittelosteuropas zu interessieren – in der Hoffnung, sich über diese Zugang zu den Hauptmärkten der EU zu verschaffen. 2012 startete Peking die Initiative 16+1 mit einem ersten Gipfeltreffen in Warschau, an dem 17 mittelosteuropäische Staatschefs teilnahmen. Das waren neben EU-Mitgliedstaaten auch Nicht-EU-Länder und EU-Beitrittskandidaten der Balkanregion – nicht aber der Kosovo.
Ein Jahr später kündigte Peking in der kasachischen Hauptstadt Astana sein Projekt „One Belt, One Road“ an. Das 2017 in „Belt and Road Initiative“ umbenannte Programm, auch unter dem Namen „Neue Seidenstraße“ bekannt, schließt heute rund 100 Länder auf allen Erdteilen ein.
Als Südosteuropa noch an den Folgen der Finanzmarktkrise von 2007 bis 2008 zu tragen hatte, wurde China als unverhoffter Retter begrüßt. „Die Balkanstaaten taten alles, um chinesische Investitionen zu erhalten“, erinnert Ana Krstinovska vom nordmazedonischen Thinktank Estima.
Tatsächlich war die neoliberale Politik, die sich zu Beginn der 2000er Jahre in den Ländern der Region durchgesetzt hatte, nicht imstande, die erwünschten ausländischen, vor allem europäischen Investitionen anzuziehen. In Belgrad vollzog Boris Tadić von der Demokratischen Partei, der 2008 mit einem proeuropäischen Programm zum Staatschef gewählt worden war, prompt eine Kurskorrektur. Fortan sollte sich die serbische Außenpolitik auf „vier Pfeiler“ gründen: EU, USA, China und Russland.
Zugleich startete Belgrad eine einmalig intensive Kampagne gegen die selbst erklärte Unabhängigkeit Kosovos. Dafür suchte man Verbündete in allen erdenklichen multinationalen Foren – etwa in der Afrikanischen Union oder in der Bewegung der Blockfreien, die zu diesem Zweck aus ihrem Tiefschlaf erweckt wurde.6
2009 reiste Tadić zu einem Staatsbesuch nach China, der erste eines serbischen Präsidenten. Zum Symbol der neuen Dynamik wurde die 1507 Meter lange Mihailo-Pupin-Brücke oder „Brücke der Freundschaft“. Die zweitlängste Donaubrücke von Belgrad wurde von der China Road and Bridge Corporation (CRBC) gebaut. „Mit solchen Aufträgen verschaffen sich die chinesische Unternehmen Referenzen, mit denen sie andere Ausschreibungen vor allem in der EU gewinnen können“, erklärt Vuksanović. Nach dem Belgrader Großprojekt bekam die CRBC den Auftrag für die Pelješac-Brücke in Kroatien.
Die „Brücke der Freundschaft“ wurde von der chinesischen Import-Export-Bank (Exim) finanziert. China bezuschusst solche Projekte nie, sondern vergibt immer nur Kredite für Arbeiten, die von chinesische Unternehmen unternommen werden. Dieses Finanzierungsmodell galt auch für den Bau eines Abschnitts der Autobahn Bar–Boljare, die den Norden Montenegros mit der Adriaküste verbinden soll.7
Die 41 Kilometer Abschnitt wurde im Sommer 2022 für den Verkehr freigegeben. Er wurde von der CRBC gebaut und von der Exim-Bank mit einem Kredit über 944 Millionen US-Dollar finanziert. Die Kreditkosten belasten den Staatshaushalt Montenegros und machen 20 Prozent der Auslandsschulden des Landes aus.
Neben den schweren Umweltschäden, die der Autobahnbau im Tara-Tal angerichtet hat, kritisieren zivilgesellschaftliche NGOs auch die undurchsichtigen Verträge der Chinesen mit der früheren Regierung der Demokratischen Partei der Sozialisten Montenegros (DPS), die mit den Wahlen vom August 2020 aus dem Amt gejagt wurde. „Wie viel von den 20 Millionen Euro pro Kilometer sind in die Korruption geflossen?“, fragt etwa Dejan Milovac von der NGO „Mans“.8
China soll nach Angaben des Digital Forensic Center in Podgorica zwischen 2013 und Ende 2023 insgesamt 32 Milliarden US-Dollar in den Balkanstaaten investiert haben, das ist mehr als die Hälfte aller chinesischen Investitionen in Europa.
Wie Ana Krstinovska erläutert, hat die Griechenlandkrise den Einstieg Chinas auf dem Balkan zusätzlich begünstigt: „Seitdem konnte es sein Netzwerk in der Region ausbauen, vor allem mit der Übernahme von Infrastrukturen. 2008 pachtete die China Ocean Shipping Company (Cosco) zwei Containerterminals im Hafen von Piräus. Und 2016 überließ die Linksregierung von Alexis Tsipras – unter dem Zwang, den „Rettungsplan“ der Troika zu erfüllen und dazu Staatseigentum zu privatisieren – dem chinesischen Staatsunternehmen Cosco 67 Prozent der Anteile an der Hafengesellschaft.9
China strebt nach einer logistischen Führungsrolle im Mittelmeer. 2017 hat das Reedereienbündnis Ocean Alliance, zu dem auch Cosco gehört, den albanischen Hafen Durrës in sein Netzwerk integriert. Der Hafen im slowenischen Koper ist seit 2018 Teil der chinesischen Belt and Road Initiative. Seine Lage im äußersten Norden der Adria erleichtert den Zugang in Richtung Österreich, Ungarn und Deutschland.
Als Montenegro im Juli 2021 die erste Schuldenrate für den Bau der Autobahn nicht bedienen konnte, wäre um Haar der Tiefseehafen von Bar an China gegangen. Im letzten Moment erhielt Podgorica einen Anschlusskredit von zwei europäischen und zwei US-Banken. Trotz dieser Erfahrung unterzeichnete die neue montenegrinische Regierung am 29. März 2023 einen Vertrag mit der Shandong International Economic & Technical Cooperation Group, die einen weiteren Abschnitt der Adria-Autobahn bauen soll.
Die EU hat lange Zeit nur zögerlich auf den strategischen Vormarsch Chinas in der Region reagiert, so als gehe es um rein wirtschaftliche Interessen ohne politische Konsequenzen. Doch der Handelskrieg zwischen Washington und Peking zwingt die südosteuropäischen Staaten, sich zu entscheiden, argumentiert Krstinovska. Schon jetzt gehen die chinesischen Investitionen in Nato-Staaten zurück und verlagern sich nach Bosnien und Herzegowina und Serbien.
In Bosnien und Herzegowina war China lange auf die Republika Srpska, den serbischen Teil des immer noch zerrissenen Landes, fixiert. Deren Regierung steht in offenem Konflikt mit Sarajevo und ist ständig auf der Suche nach Geld. 2016 ermöglichte ein Kredit der China Development Bank über 350 Millionen Euro den Bau eines Kohlekraftwerks in der Gemeinde Stanari. Chinesische Unternehmen bauen auch Staudämme an der Neretva, die große Umweltschäden verursachen.
Das Interesse Chinas am bosnischen Energiesektor ignoriert jedoch die ethnopolitischen Abgrenzungen. Ein Konsortium chinesischer Unternehmen baut gerade einen Windpark im Kanton Livno, wo die Regionalregierung von den kroatischen Nationalisten der HDZ BiH geführt wird. Die hat den Chinesen angeblich schon Grundstücke bereitgestellt, zu Lasten der Eigentümer.
2015 reiste Dragan Čović, der mächtige Chef der HDZ BiH und damals Mitglied des Staatspräsidiums von Bosnien und Herzegowina, zu einem Treffen mit Präsident Xi nach Peking. Offenbar bevorzugt China, wie Professor Asim Mujkić von der Universität Sarajevo anmerkt, politische Beziehungen zu autoritären Herrscherfiguren, die keinem Gebot der Transparenz unterliegen.10
Durch die Coronapandemie hat sich die chinesische Präsenz auf dem Balkan noch weiter verstärkt. Am 15. März 2020 fasste die EU den politisch fatalen Beschluss, jeden Export von medizinischem Material zu verbieten – selbst in EU-Kandidatenstaaten. Bereits am 21. März landete ein chinesisches Flugzeug auf dem Belgrader Flughafen, der für den zivilen Luftverkehr gesperrt war. An Bord waren Ärzte sowie Masken und Einweghandschuhe. An Häusern in Belgrad hingen alsbald große Transparente mit den Worten: „Danke, Bruder Xi!“
Der Ukrainekrieg hat die chinesisch-serbische Annäherung noch beschleunigt. Die ehemalige, 1999 bombardierte chinesische Botschaft ist heute ein riesiges chinesisches Kulturzentrum; den Grundstein legte Xi Jinping bei seinem Staatsbesuch im Juni 2016. Auch auf seiner letzten Europareise Anfang April 2024 hat der chinesische Präsident wieder Serbien besucht, um die Bedeutung der strategischen Partnerschaft zu unterstreichen.
Gemeinsam gegen die Anerkennung Kosovos
Die vier Pfeiler der serbischen Diplomatie sind nicht mehr gleich wichtig, meint Aleksandar Mitić vom regierungsnahen Institut für internationale Politik und Wirtschaft. Serbien habe zwar keine Sanktionen gegen Russland verhängt, „aber die Beziehungen zu Moskau sind schwieriger geworden und die Treffen seltener“. Laut Mitić sind auch die Verbindungen mit Brüssel strapaziert: „Die EU demütigt Serbien schon über zwei Jahrzehnte, aber die Ukraine erhielt den Kandidatenstatus binnen weniger Monate.“
Umso wichtiger sind heute die beiden anderen Pfeiler. „In Belgrad zählen nur die Stimmen Chinas und der USA“, sagt Vuk Vuksanović. Diese Konstellation zwingt Serbien zuweilen zu komplizierten Verrenkungen.
Seit 2021 ist Christopher Hill US-Botschafter in Belgrad und in den Medien sehr präsent. Er war 1995 an den Friedensverhandlungen von Dayton beteiligt, aber auch an den gescheiterten Verhandlungen vor den Nato-Bombardierungen 1999.
Nicht immer folgt Belgrad den Empfehlungen aus Washington. So hatte US-Präsident Trump am 4. September 2020 Aleksandar Vučić und Avdullah Hoti, den damaligen Ministerpräsident Kosovos, ins Weiße Haus beordert. Die beiden unterzeichneten einen nie umgesetzten Vertrag zur „Normalisierung der Beziehungen“.
Zwei Klauseln waren besonders überraschend: Serbien und Kosovo (der gerade mit Israel die wechselseitige Anerkennung vollzogen hatte) verpflichteten sich, ihre Botschaften in Israel nach Jerusalem zu verlegen und jede Zusammenarbeit mit dem chinesischen IT-Konzern Huawei einzustellen.
Die serbische Botschaft befindet sich bis heute in Tel Aviv, aber Belgrad hat seine Waffenverkäufe an Israel seit Oktober 2023 vervielfacht.
Nur zehn Tage nach Unterzeichnung des Washingtoner Abkommens weihte Huawei in Belgrad ein Zentrum für Innovation und digitale Entwicklung ein. Das chinesische Unternehmen soll in der serbischen Hauptstadt Kameras zur Gesichtserkennung getestet haben. Doch dieses Projekt wurde vorläufig gestoppt, versichert Filip Milošević von der Stiftung „Share“ zur Verteidigung der Menschenrechte im Internet.
„Der Ukrainekrieg wird langfristige Folgen haben, die für allzu naive Visionen keinen Raum lassen. Die serbische Öffentlichkeit ist mehr aufseiten Chinas als für Russland. Peking hat es geschafft, seine Vorstellung einer neuen Weltordnung durchzusetzen, die auf dem Respekt der territorialen Integrität der Staaten beruht“, erklärt Stefan Vladisavljev von der Stiftung Belgrade Fund for Political Experience (BFPE).
Die Annäherung zwischen Belgrad und Peking vollzieht sich auch über die gegenseitige Unterstützung bei Abstimmungen in internationalen Institutionen. Laut Mitić setzten beide Länder jedoch auch andere Methoden ein, um die internationale Anerkennung Kosovos und Taiwans zu durchkreuzen. Zum Beispiel habe Peking finanziell nachgeholfen, um einige Pazifikstaaten dazu zu bringen, ihre Anerkennung Kosovos zu revozieren.
Im August 2023 gab es neue Spekulationen über einen möglichen Beitritt Serbiens zur Brics+-Gruppe.11 „Diese Option wurde von der Regierung nie ernsthaft verfolgt“, versichert Mitić, die gezielten Gerüchte seien aber sicher als Test gedacht und als Signal an die westlichen Partner Serbiens.
In Majdanpek, einer Kleinstadt zwischen der Donau und der Bergbauregion Bor, sind solche geopolitischen Erwägungen weit weg. Hier beginnen die Bergbauaktivitäten gleich hinter dem Zaun des Busbahnhofs, alle halbe Stunde kündigen Sirenen weitere Sprengungen an.
„Der Berg fällt bald zusammen, in manchen Vierteln gehen Felsbrocken nieder“, klagt Wladimir Božić vom Bürgerkollektiv „Ne dam Nu dau“ (Ich gebe nicht). Er saß wegen „rassistischer Hetze“ gegen chinesische Arbeiter einen Monat im Gefängnis, nachdem er ein Protestcamp gegen die unkontrollierte Erweiterung der Minen organisiert hatte. „Wir müssen wissen, wo das Gebiet, das von den Chinesen ausgebeutet wird, anfängt und wo es aufhört. Und ob wir unsere Koffer packen müssen, um die Stadt zu verlassen.“
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5 Siehe Renaud Lambert, „Wer hat Angst vor China“, LMd,März 2024.
6 Siehe Jean-Arnault Dérens, „Kosovo muss warten“, LMd, September 2010.
7 Siehe Philippe Descamps und Ana Otasević, „Neustart in Montenegro“, LMd, Februar 2021.
9 Siehe Niels Kadritzke, „Privatisierungsschwindel in Griechenland“, LMd, März 2016.
Aus dem Französischen von Claudia Steinitz
Jean-Arnault Dérens und Laurent Geslin sind Journalisten und Autoren; zuletzt erschien „Les Balkans en cent questions“, Paris (Tallandier) 2023.