12.09.2024

Warum sie Trump lieben

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Warum sie Trump lieben

Dieser US-Wahlkampf ist der teuerste aller Zeiten – und ein hochemotionales Spektakel. Trumps Reden zielen auf maximalen Beifall und haben mit den politischen Traditionen der Grand Old Party oft wenig gemein. Viele altgediente Republikaner halten ihm dennoch die Treue.

von Serge Halimi

ALLEN G. BREED / picture alliance / ap
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Ex-Präsident Donald Trump hasst Überraschungen, die er nicht selbst inszeniert hat. Vor allem wenn sie ihn Geld kosten: „Wir haben 100 Millionen Dollar ausgegeben, um gegen den Betrüger Joe Biden zu kämpfen. Und plötzlich nehmen sie ihn raus und schicken jemand anders ins Rennen.“

Zwischen dem 27. Juni und dem 21. Juli kamen die Überraschungen in der Tat Schlag auf Schlag: Zunächst sah US-Präsident Joe Biden im Fernseh­duell zwischen den beiden Spitzenkandidaten extrem alt aus, kurz darauf entging Trump nur knapp einem Mordanschlag. Dann drängten die Demokraten ihren offiziellen, in allen Vorwahlen siegreichen Kandidaten zum Rückzug zugunsten von Kamala Harris, obwohl Biden in den Umfragen bis dahin höhere Popularitätswerte erzielt hatte als seine Vizepräsidentin.

Doch auch das sollte sich im Handumdrehen ändern: War Harris bis dahin als opportunistisch und unaufrichtig wahrgenommen worden, wurde sie plötzlich die strahlende, fröhliche Kamala. Und prompt besannen sich die Demokraten wieder auf ihre Parteihymne aus den Zeiten des New Deal, die da lautet: „Happy days are here again“.

Als die Republikaner vom 15. bis 18. Juli ihren Parteitag in Milwaukee abhielten, schienen sie das Paradies noch für sich gepachtet zu haben. Die New York Times, die Tag für Tag Partei für die Demokraten nimmt, titelte betreten: „Republikaner vereint hinter Trump, Biden im Haifischbecken“.

Nicht nur hatte der Ex-Präsident seinen demokratischen Nachfolger in einer Fernsehdebatte, die Biden selbst gefordert hatte, vernichtend geschlagen, er hatte auch das Attentat vom 13. Juli überlebt, woraufhin die Gerichtsurteile gegen ihn plötzlich kein Thema mehr waren. Mit Blut im Gesicht hatte Trump die Faust in den wolkenlosen Himmel gereckt und „Fight, fight, fight!“ in die Menge gerufen: Der neue Champion der amerikanischen Rechten, ohnehin mit einem Ego ohnegleichen ausgestattet, kennt den Effekt eindrucksvoller Bilder. Und die Parteitagsdelegierten lagen dem Retter zu Füßen, der ein Attentat auf wundersame Weise überlebt hatte.

Opfermythos eines Narzissten

Rückblende: Vor acht Jahren hatte Trump über die Frau seines republikanischen Konkurrenten Ted Cruz gelästert, sie sei hässlich und von Goldman Sachs gekauft. Und dann hatte er auch noch behauptet, der Vater des texanischen Senators sei in die Ermordung John F. Kennedys verwickelt gewesen. Doch in Milwaukee begannt Cruz seine Rede mit dem pathetischen Ausruf: „Gott segne Donald J. Trump.“ Die Delegierten jubelten, Trumps Beleidigungen waren vergessen.

Normalerweise ist der Präsidentschaftskandidat, der sich in den Vorwahlen durchgesetzt hat, in den ersten Tagen des Parteitags nicht präsent und hat seinen großen Auftritt erst kurz vor der Annahme seiner Nominierung. Nicht so Trump, für den ohnehin keine Regeln gelten. Jeden Abend nahm er mit verbundenem Ohr die Ovationen entgegen. Der Anschlag, dem er kurz vorher entgangen war, passte perfekt zu seiner Botschaft: Trump, der Verfolgte. Alle sind sie hinter ihm her, die Demokraten, die Medien, die Steuerfahndung, die Justiz und jetzt auch noch ein verrückter Attentäter, vor dem man ihn nicht ausreichend geschützt habe.

Das ergibt ein herzerweichendes Narrativ: Trump könnte eigentlich seinen Reichtum genießen und sich seiner Familie widmen. Stattdessen opfert er sich auf, für das Wohl seiner Mitbürger. Unerschütterlich und offensichtlich unter göttlichem Schutz, erfüllt er seine Mission, Amerika wieder groß zu machen, unter dem Markennamen ­MAGA, Make America Great Again.

Kellyanne Conway, die Architektin des erfolgreichen Trump-Wahlkampfs von 2016, erzählte den Delegierten, wie selbstlos sich ihr ehemaliger Chef aufopfert: „Als Milliardär könnte er jeden Tag auf seinem eigenen Golfplatz stehen. Er müsste nicht Präsident werden, aber wir brauchen ihn. Dasselbe erzählte Eric Trump: Sein Vater habe „auf die Annehmlichkeiten eines Finanzimperiums“ verzichtet in dem Wissen, dass er dafür „einen enormen Preis zahlen würde“.

Zu seinem Vizepräsidentschaftskandidaten mach­te Trump den Senator James David („J. D.“) Vance aus Ohio. Hat er damit einen politischen Erben berufen, damit die Republikanische Partei die Metamorphose, die Trump ihr aufgezwungen hat, nicht rückgängig macht? Genau das befürchtete das Wall Street Journal: „Wie Trump ist ­Vance für besser gesicherte Grenzen, für eine mehr isolationistische Außenpolitik und für staatliche Eingriffe in die Wirtschaft. Er verbreitet Trumps Anti-Establishment-Botschaft und hat in seiner Parteitagsrede gegen die Wall Street gewettert.“ Sein Boss selbst brüstete sich damit, dass er die Partei von „Freaks, Neocons, Globalisten, Offene-Grenzen-Fanatikern und Narren“ befreit habe.

Hat Trump die Partei von diesen Leuten gesäubert oder sind sie konvertiert? Jovante Teague, ein Delegierter aus Florida, sagt dazu ohne Zögern: „Ich mochte die Bushs sehr, George W. und seinen Bruder Jeb, unseren ehemaligen Gouverneur. George W. Bush war einer unserer besten Präsidenten. Aber der Irakkrieg war ein schlechter Krieg. Bush hat getan, was im Rahmen seiner Möglichkeiten lag.“ Doch heute unterstützt Teague ganz die Linie America First, die Trump und Vance leidenschaftlich verfechten. „In der Ukraine haben wir alles getan, was wir konnten. Wir haben viel gegeben, aber viel haben wir dafür nicht bekommen.“

Wenige Tage später spreche ich in Alabama mit dem Rechtsanwalt Perry Hooper. Der unermüdliche und begeisterte Republikaner hat an sieben Parteitagen teilgenommen, erstmals 1984 im Alter von 24 Jahren. Sein Held hieß damals Ronald Reagan. Später wählte er George Bush, ­George W. Bush, John McCain und Mitt Romney, die später allesamt Trump ihre Unterstützung verweigerten, als dieser gegen Hillary Clinton und später gegen Joe Biden antrat.

Hooper vermeidet es, seine früheren Helden zu kritisieren. Aber er prophezeit einen Erdrutschsieg seines neuen Helden, dem er seit seiner Konversion ein paar Mal begegnet ist. Sein Erweckungserlebnis hatte er 2016 bei der Lektüre von „The Art of the Deal“ (Die Kunst des Verhandelns), dem Bestseller des New Yorker Im­mo­bi­lien­investors Donald Trump.

Ein paar Jahre später unterstützte Hooper eine Resolution des Parlaments von Alabama, die Trump zum „besten Präsidenten in der Geschichte der Vereinigten Staaten“ erklärte. Wie kann er das rechtfertigen, wo doch ein Gremium von Historikern in einem Gutachten zu dem Schluss kam, Trump sei der schlimmste gewesen?

Hooper zählt auf: „die Einwanderung, die Wirtschaft, die Mauer, die Deregulierung der Wirtschaft, die Friedensverträge, das Abraham-Abkommen im Nahen Osten, drei neue Berufungen für den Supreme Court“. Und fügt mit bewegter Stimme hinzu: „Er tut alles für den amerikanischen Arbeiter, für dich, für uns.“ Trump sei kein Republikaner des Establishments, sondern eher ein populistischer Konservativer. „Das ist ein Milliardär, der morgens um halb sechs in sein Büro geht, und dann spricht er als Erstes mit einem, der die Straße kehrt, oder einem, der auf einer seiner Baustellen im Keller arbeitet. Er setzt sich hin und unterhält sich eine halbe Stunde.“ Und der Lobbyist und Anwalt Hooper sammelt Geld ein für die Kampagne „Donald J. Trump“.

Die Republikaner sind überzeugt, dass das amerikanische Volk die Reichen nicht prinzipiell hasst – sofern sie nicht von oben herab und belehrend auftreten.Es hört lieber auf einen großmäuligen Immobilienentwickler als auf einen akademischen Moralprediger.

Diese antiintellektuelle Einstellung, die den Demokraten ihre Nähe zu den Experten und zur „wissensbasierten Wirtschaft“ übel nimmt, ist an den Wahlstatistiken abzulesen. Während 1980 noch 76 der 100 Wahlbezirke mit dem höchsten Anteil an Hochschulabsolventen an Reagan gingen, lag Biden 2020 in 84 dieser 100 Bezirke vorn.1

Da der Anteil von Hochschulabsolventen und Ausländern an der Bevölkerung stetig zunimmt, hatten republikanische Strategen ihrer Partei empfohlen, stärker um die gebildete Mittelschicht und insbesondere um Frauen zu werben und ihre einwanderungsfeindliche Sprache zu mäßigen. Doch das passte Trump überhaupt nicht. Er tat genau das Gegenteil und mobilisierte das politikverdrossene weiße – vor allem männliche – Proletariat. Wobei er nicht nur gegen die Immigration wettert, die er für steigende Kriminalität, Drogenhandel und Lohnverfall verantwortlich macht, sondern auch über das „Gemetzel“ amerikanischer Arbeitsplätze durch den Freihandel.

Ein bevorzugtes Trump-Thema sind auch die „endlosen Kriege“ und deren Befürworter, wobei er nicht nur die Medien und die neokonservativen Thinktanks im Visier hat, sondern auch die „progressiven“ Stimmen, die meinen, alles Unrecht dieser Welt korrigieren zu müssen. Dabei seien es die Proletarier, die ihren Kopf hinhalten müssten.

Auf Experten und Intellektuelle hat sich Trump besonders eingeschossen. Diese Leute seien für alles Unheil (Globalisierung, Immigration, Kriege) verantwortlich, würden aber alle anderen, die ihre Vorherrschaft infrage stellen, als Versager verachten. Im Übrigen sei diese Elite darauf aus, die „traditionellen Werte“ im Namen einer „politischen Korrektheit“ abzuschaffen, die der gesamten Gesellschaft, einschließlich der Kinder, von Feministinnen, Journalisten und Künstlern aufgezwungen werde. Aus diesen Versatzstücken konstruieren die Republikaner das Feindbild der Demokratischen Partei, die es am 5. November zu besiegen gilt.

Nun hat die altbekannte These, dass die USA sich ohne eine Regierung Trump in eine „Bananenrepublik“ verwandeln würden, in den letzten Jahren zwangsläufig an Zugkraft verloren. Dennoch wiederholt Trump diese apokalyptische Erzählung in jeder seiner endlosen Reden, in denen er sein eigenes Genie feiert und sich zu seinen Erfolgen gratuliert. In Milwaukee dauerte die Selbstbeweihräucherung 92 Minuten; es war die längste Rede in der Geschichte der Nominierungsparteitage. Dem Delegierten Perry Hooper war das nicht zu lang: „Donald Trump ist eben Donald Trump. Und ich werde nichts von dem, was er tut, infrage stellen.“

Seit Trumps Kampagne ins Stocken geraten ist, wird ihm angeraten, positiver aufzutreten und mit eigenen politischen Vorschlägen zu punkten. Er solle nicht mehr behaupten, Harris sei „dumm“ oder „verrückt“. Auch eine republikanische Aktivistin wie Ann Bennet befürchtet, „dass Trump alles vermasselt“, und mahnt: „Er sollte sich korrekt ausdrücken und Kamala nicht beleidigen.“ Doch der Kandidat weist derartige Ratschläge lapidar zurück und sagt: „Ich bin, wie ich bin.“

Trump hält generell wenig von Beratern und Spindoctors. Die den Demokraten nahestehenden Medien und die europäische Presse haben ausführlich über das 900 Seiten starke Programm „Project 2025“ berichtet, das die ultrakonservative Denkfabrik Heritage Foundation für ihn ausgearbeitet hat. Daraufhin distanzierte sich Trump, der das Programm offensichtlich nicht einmal überflogen hatte, von den Autoren und stellte klar, dass sie in seiner möglichen Regierung keine Rolle spielen würden.

Trump mache keine Politik im eigentlichen Sinne, sagt Ann Bennett. „Er hält allgemein gehaltene Reden und schaut, wie das Publikum reagiert und wie das Fernsehen berichtet. Er lässt auch keine Umfragen zu bestimmten Themen machen, ihn interessieren einzig seine Popularitätswerte.“

Ein Beispiel ist Trumps Position zur Transgender-Frage. Im Juni 2023 erklärte er auf dem Parteitag der Republikaner von North Carolina, er werde als der nächste Präsident „die Teilnahme von Männern an Sportwettkämpfen von Frauen“ untersagen. Und dann plauderte er aus, warum er so gern über den „linken Transgender-Wahnsinn“ herziehe: „Ich spreche über Steuersenkungen, die Leute klatschen brav. Ich spreche über Transgender, und alle flippen aus. Wer hätte das gedacht? Vor fünf Jahren hat kein Mensch gewusst, was das überhaupt ist.“ Inzwischen ist Transgender zu einem von Trumps Lieblingsthemen geworden. Wie der Kulturkampf geführt wird, bestimmt der Applausometer.

Die Republikaner setzen gegen die demokratische Kandidatin fast ausschließlich auf Männer und haben die andere Hälfte der Wählerschaft offenbar abgeschrieben. Auf dem Parteitag in Milwaukee standen Polizisten, Priester und Wrestler im Rampenlicht. Am dritten Abend trat Trump zu den Klängen von „It’s a Man’s World“ auf das Podium. Ein überaus passender Titel, auch wenn der Text des Songs von James Brown keineswegs eine Hymne auf die Männlichkeit ist.

Vor Trumps Rede hatte die Parteitagsregie, um den Saal auf Betriebstemperatur zu bringen, Hulk Hogan auf die Bühne geschickt. Die Rede des legendären Wrestlers, der auch für seine Rolle in dem Film „Rocky III“ bekannt ist, wurde zum Highlight der ganzen Veranstaltung. „Als ich heute Abend hierherkam“, begann der Wrestler, „war so viel Energie in diesem Saal, dass ich dachte, ich wäre im Madison Square Garden, vor einem weiteren Weltmeistertitel. Mit unserem Führer hier, meinem Helden, diesem Gladiator, werden wir Amerika zusammenbringen.“

Und dann zerriss Hogan mit beiden Händen sein T-Shirt, auf das er selbst und die US-Flagge gedruckt waren, und enthüllte darunter ein Shirt mit den Namen „Trump“ und „Vance“. Der Saal tobte, aber der Wrestler war noch nicht zu Ende: „Ich bin heute Abend hier, weil die Welt wissen soll, dass Donald Trump ein echter amerikanischer Held ist. Als ich das letzte Mal auf der Bühne stand, blutete ich wie ein Schwein und gewann vor den Augen von Donald J. Trump den Weltmeistertitel. Mit seiner Rückkehr ins Weiße Haus wird Amerika wieder gewinnen. Ich habe harte Kerle kennengelernt. Aber glaubt mir, Brüder, Donald Trump ist der härteste von allen.“ Warum? „Sie haben alles gegen ihn aufgefahren, all die Ermittlungen, Amtsenthebungsverfahren und Prozesse, aber er steht immer noch und tritt sie in den Hintern.“

Trumps tiefes Verständnis für Kim Jong Un

Die Wahl von J. D. Vance zum Kandidaten für das Vizepräsidentenamt spricht nicht dafür, dass die Republikanische Partei und ihr Kandidat ihr ungehemmtes Machogehabe abzulegen gedenken. Während Trump schlicht unkontrollierbar ist und unreflektiert daherredet, sind dagegen die Sprüche, die sich sein Running Mate leistet, Ausdruck einer mächtigen und sich stetig radikalisierenden intellektuellen Grundströmung.

Schon im Juli 2021 hatte Vance in einem Interview mit dem in konservativen und libertären Kreisen populären Tucker Carlson auf Fox News von „einem Haufen kinderloser Frauen mit Katzen“ fabuliert. „Weil ihre Existenz sie unglücklich macht, wünschen sie dem Land dasselbe.“ Dabei denunzierte er namentlich Kamala Harris und Alexandra Occasio-Cortez als Politikerinnen der Demokratischen Partei, die keine Kinder haben und deshalb „die normalen Amerikaner hassen, die sich für Familie entschieden haben“.

J. D. Vance repräsentiert – als Autor des Bestsellers „Hillbilly Elegy“ über seine proletarische Kindheit in den Appalachen, als katholischer Konvertit und als Abtreibungsgegner – ein traditionelles Amerika, das beunruhigt ist über den Wandel der Familienstrukturen, den Rückgang der Geburtenrate und den Vormarsch der Frauen auf einem Arbeitsmarkt, auf dem die vorwiegend von Männern nachgefragten Blue-Collar-Jobs immer rarer werden.

Amerikanische Paare bekommen nicht mehr so viele Kinder, klagte Vance in besagtem Interview, deshalb wüchsen die Kinder isoliert auf, ohne Brüder, Schwestern, Cousins und Cousinen. Sein Gesprächspartner Carlson interpretierte die beklagte demografische Krise am Ende des Interviews als neue Rassenfrage: „Die Weißen werden gehasst. Sie hassen sich selbst. Sie vermehren sich nicht mehr. Sie verschwinden.“

Allerdings haben die Republikaner inzwischen verstanden, dass im Kampf gegen den Zerfall der traditionellen Familie das Thema Abtreibung nicht mehr so richtig zieht. Im Juni 2022 hat der Supreme Court in einer umstrittenen Entscheidung das bislang landesweit geltende Recht auf Abtreibung gekippt und damit 18 Staaten ermöglicht, Abtreibungen fast vollständig zu verbieten beziehungsweise nur bis zur sechsten Schwangerschaftswoche zuzulassen.

Ein anderes heißes Thema in diesem Kulturkampf ist mittlerweile durch: Die Homo-Ehe ist weitgehend akzeptiert. Deshalb konzentriert die US-Rechte ihre Angriffe jetzt auf Transsexuelle, genauer: Es geht gegen Schulen, die angeblich Transidentität fördern, gegen Bundesstaaten, die Eltern angeblich nicht informieren, und gegen Sportarten, in denen „biologische Männer“ an Frauenwettbewerben teilnehmen dürfen. Für die Retter der Familie zeugt all dies von einem Niedergang, den man – wenn überhaupt – nur durch die Wiederwahl Trumps aufhalten kann.

Der Immobilienhai als Erlöser? Der Pfarrer einer Baptistengemeinde in Opelika, Alabama, tat dazu eines Sonntags im Juli Folgendes kund: „Wir folgen dem Weg, den Jesus uns weist, selbst wenn wir nicht verstehen, wohin wir gehen.“ Etwas später ergänzte einer der anwesenden Mitprediger etwas rätselhaft: „Gott benutzt falsche Propheten als Seine Werkzeuge, um Gutes zu bewirken.“ Meinte er damit Trump? Im Gottesdienst wurde jedenfalls nur ein einziges aktuelles Ereignis erwähnt: die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Paris, die als „visuelles Debakel“ und „Blasphemie“ beklagt wurden.

Trump kehrte am 14. August nach North Carolina zurück, aber diesmal sprach er nicht über Transgender, sondern über sein Wirtschaftsprogramm. Dabei machte er sogleich klar, dass er das Thema nicht selbst ausgewählt hatte: „Sie wollten, dass ich eine Wirtschaftsrede halte, etwas, das ein bisschen intellektuell ist. Also sind wir heute alle Intellektuelle.“ Doch dann kam er sehr schnell von seinem Manuskript ab, das er nur widerwillig abgelesen hatte, und landete bei seinem Lieblingsthema, der Einwanderung. Im Anschluss kamen die „Hardliner“ in Russland, China und Iran dran, die ihn als Präsident respektiert hätten, womit er die Welt vor den Kriegen bewahrt habe, die nach seiner Amtszeit überall ausgebrochen seien.

Auch diese Rede geriet dem Kandidaten langatmig und konfus, ein weiteres Kommunikationsdesaster. Wie sagte doch Ann Bennett: „Trump ist ein großer Präsident, aber ein sehr schlechter Kandidat.“

Die Wirtschaft ist für Trump keine Inspira­tionsquelle mehr, seit Präsident Biden die Ideen seines Vorgängers aufgegriffen und eine protek­tio­nistische Handelsstrategie, gepaart mit einer auf Großprojekte ausgerichteten Industriepolitik, betrieb. Und Biden handelte zügig, legte ein 1,9 Billionen Dollar schweres Konjunkturprogramm auf und machte eine weitere Billion für Infrastrukturprojekte locker.

Positiv daran ist vor allem, dass diese Staatsausgaben, die die Produktion in den USA und die einheimische Arbeiterschaft unterstützen, endlich einmal breiten Bevölkerungsschichten zugutekommt. Entsprechend volksnah konnte Biden auftreten: „Es ist nicht nötig, dass jeder und jede einen Universitätsabschluss hat. Es ist toll, wenn Sie einen Abschluss machen, und wir versuchen, Sie dabei zu unterstützen. Das ist aber keine Voraussetzung mehr dafür, einen gut bezahlten Job zu bekommen.“

Da Trump die Themen Massen­ar­beits­lo­sig­keit, Freihandelsabkommen und Standortverlagerungen abhandengekommen sind, konzentriert er seine Angriffe nun auf die stark gestiegene Inflation. Endlos redet er über die Preise von Benzin, Versicherungen – und für Speck, den sich niemand mehr leisten könne. Er vergisst sogar die bei den Republikanern geheiligte Wirtschaftsorthodoxie, indem er die Schuldenproblematik der USA kaum erwähnt und auch keine Anhebung des Rentenalters fordert. Stattdessen verspricht er die Aufrechterhaltung der Sozialhilfeprogramme – aber natürlich nicht für Ausländer.

Dass Trump die Republikanische Partei programmatisch umgepolt hat, zeigt sich am spektakulärsten in der Außenpolitik.2 Der Bruch mit dem Neokonservatismus trat auf dem Parteitag in Milwaukee deutlich zutage. 2002 hatte George W. Bush noch die berühmte „Achse des Bösen“ ausgemacht, deren „Streben nach dem Besitz von Massenvernichtungswaffen“ den Weltfrieden bedrohe. 22 Jahre später erklärte Trump: „Ich habe mich sehr gut mit Nordkorea, mit Kim Jong Un verstanden.“ Er habe damals die Raketenabschüsse aus Nordkorea gestoppt. „Jetzt macht er wieder Ärger, aber wenn wir zurückkehren, werde ich mit ihm klarkommen. Er würde sich auch freuen, wenn ich zurückkäme. Ich denke, er vermisst mich, wenn Sie es genau wissen wollen.“

Ein Präsident der Vereinigten Staaten, dessen Rückkehr der Führer der Kommunistischen Partei Nordkoreas kaum erwarten kann – das hätte stramme Republikanern früher in Schockstarre versetzt. Jetzt zeigten sich einige Delegierte in Milwaukee sogar amüsiert.

Für Sue Ann Balch, die der republikanischen Frauenvereinigung angehört, beruht die Hoffnung auf internationale Entspannung auf zwei Faktoren. Der erste: die nicht gerade sympathischen Charakterzüge des Ex-Präsidenten: „Trump ist ein Narzisst. Für Trump geht es nur um Trump. Was gut für Trump ist, ist auch gut für Amerika. Und Kriege sind nun mal nicht gut für das Geschäft mit Immobilien, Hotels, Kasinos und Restaurants.“

Faktor zwei, nach Balch: „Die meisten Regierenden auf der Welt sind sehr maskulin und respektieren ein Alphamännchen. Das gilt auch für Putin. Er wäre niemals in die Ukraine einmarschiert, wenn Trump an der Macht geblieben wäre.“ Vor acht Jahren befürchteten die Demokraten, ein republikanischer Wahlsieg würde den Weltfrieden gefährden. Doch Trump habe während seiner Amtszeit keinen einzigen Krieg begonnen. Was ja nicht so häufig vorkommt.

Die Panikmacher geben allerdings weiterhin den Ton vor. Von Wahl zu Wahl immer wichtiger werden die sozialen Netzwerke, über die Anhänger der Parteien ihre Propagandafilmchen teilen, sobald man eine ihrer Thesen infrage stellt. Der politische Gegner wird dabei prinzipiell als innerer Feind dargestellt. Und der sei, erklärte Trump am 12. August in seinem kumpelhaften Plausch mit Elon Musk, „gefährlicher als die Russen und die Chinesen“ – und meinte damit die Demokraten und Joe Biden.

Im Mai 2023 hatte Senator Cruz den ihm außerordentlich gewogenen Journalisten Sean Hannity von Fox News gefragt: „Stellen Sie sich vor, Sie hätten das Ziel, Amerika zu zerstören. Was hätten Sie anders gemacht als Joe Biden?“ Hannitys Antwort: „Nichts. Und ich habe große Angst, dass China das sieht. Russland sieht es, Iran sieht es.“

Die Republikaner stellen alles, was verloren gegangen ist, als etwas dar, das ihnen „gestohlen“ wurde: die Wahlen, die Größe Amerikas, die alte Männerherrlichkeit. Und so würden die Demokraten auch Trump seinem Volk zu „stehlen“ versuchen, indem sie ihn vor Gericht zerren. Doch die 91 Anklagen hätten ihm nicht geschadet, sondern vielmehr den Sieg in den Vorwahlen beschert. Ein enthusiastischer Trump-Berater ereiferte sich seinerzeit: „Sie versuchen den Mann, der so hart für uns gekämpft hat, buchstäblich einzukerkern.“

Sue Ann Balch ist skeptisch im Hinblick auf die Chancen ihres Kandidaten: „Ich glaube nicht, dass er es schafft. Wir werden eine weitere Pandemie haben, die sie erneut nutzen werden, um uns einzusperren und uns zur Abstimmung per Briefwahl mit lauter Computerproblemen zwingen und mit Leuten, die unsere Wahlmaschinen steuern.“

Die Republikaner lieben ihren Kandidaten, aber vor allem hassen sie dessen Gegner. Und die zahlen es mit gleicher Münze heim. Deshalb ist es fast zum Lachen, wenn Hillary Clinton ihre demokratischen Freunde mahnt, die von Trump ausgehende Gefahr nicht zu unterschätzen.

Clinton selbst tut das gewiss nicht. Sie wäre „nicht überrascht“, erklärte Trumps Konkurrentin von 2016, wenn Tucker Carlson, der im vergangenen Februar Wladimir Putin exklusiv interviewen durfte, von den Russen bezahlt würde. Und Nancy Pelosi, die ehemalige Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, behauptete im Januar, einige der Demonstranten, die einen Waffenstillstand in Gaza forderten, seien „mit Russland verbunden“ und würden „Putins Botschaft“ verbreiten. Deshalb solle das FBI Ermittlungen aufnehmen.3

Beim Stichwort Moskau verlieren die Demokraten regelmäßig den Verstand. Als wir einem Broker in New York ein republikanisches Plakat mit der Message „Trump = Stärke; Biden = Schwäche“ zeigten, konterte er automatisch mit: „Trump = Putin; Biden = Demokratie“.

Clinton sieht bei einer Rückkehr Trumps ins Weiße Haus die Demokratie bedroht, und auch in manchen Medien wird die These verbreitet, das würde das Ende der freien Wahlen in den USA bedeuten. Der Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 wird als Probelauf gesehen. Um zu verhindern, dass der Generalprobe die erfolgreiche Premiere auf nationaler Bühne folgt, seien so ziemlich alle Mittel erlaubt.

In gebildeten Kreisen wird der 6. Januar sogar mit dem misslungenen Hitler-Putsch vom 9. November 1923 verglichen. Solche historischen Analogien dürften unentschiedene Wählerinnen und Wähler kaum beeindrucken. Die treibt eher die Inflation um, die seit drei Jahren ihre Kaufkraft auszehrt. Vielleicht haben sie auch im Kopf, dass Trump schon einmal Präsident war, ohne dass das System der „Checks and Balances“ und die Macht der Einzelstaaten beseitigt worden wäre.

Vergleiche zwischen Trump und Hitler bestärken die Republikaner nur in ihrem Gefühl, verfolgt zu werden. Auf dem Parteitag berichtete die Delegierte Annie Eckrich aus Indiana, die in einer Immobilienagentur arbeitet, wie ihr eine Kundin erklärt habe: „Wenn ich gewusst hätte, dass Sie Trump unterstützen, wäre ich wegen des Hauskaufs nicht zu Ihnen gekommen.“

Trump selbst hat mit seinen zahllosen Hetzreden das Bürgerkriegsklima angefacht, auf das sich seine Gegner beziehen. Die wollen demonstrieren, dass sie auf der richtigen Seite stehen, doch im Grunde überspielen sie nur ihre Angst.

Zudem verwickeln sie sich in einen Widerspruch. Trump wettert ja nicht erst seit gestern gegen die Migranten, die „das Blut unseres Landes vergiften“, und gegen die „Kommunisten, Marxisten, Faschisten und die Schläger der radikalen Linken, die wie Ungeziefer leben“. Wenn die Demokraten also sagen, Trump sei „ein pathologischer Lügner“ und verbreite ständig Unwahrheiten, was ja nicht falsch ist, stellt sich die Frage: Warum nehmen sie dann tatsächlich ernst, was er in seinen Wutreden so von sich gibt?

Die Personalie Trump ist in diesem Präsidentschaftswahlkampf derart dominant, dass gesellschaftliche Veränderungen – wie etwa die Ero­sion der bürgerlichen Freiheiten oder die Herausforderungen durch die Coronapandemie – kaum eine Rolle spielen. Themen wie Vorzensur und Polizeiüberwachung werden mit dem Argument verharmlost, man brauche sie im Kampf gegen Desinformation und Terrorismus. Und die Pandemie hat offenbar gemacht, wie ungleich die Chancen auf Zugang zu den Schulen, den digitalen Netzwerken und zum öffentlichen Gesundheitssystem verteilt sind. Und zugleich Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Experten, der Medien und der Regierenden geweckt.

„Die Demokraten haben unser Vertrauen in unseren Staat zerstört.“ Diese Aussage der Republikanerin Ann Bennett kann kaum überraschen. Sie kritisiert damit nicht nur – wie seit Reagans Zeiten üblich – hohe Steuern, erstickende Regulierungen und verschwenderische Sozialleistungen, sondern auch die Justiz, die Polizei und die Verflechtungen zwischen Geheimdiensten und den Informationsoligopolen. Als die repressive Maschinerie des Staats linke Subversive jagte und „feindliche Kämpfer“ ohne Gerichtsverfahren in Guantanamo einsperrte, hatten die Republikaner wenig dagegen. Das hat sich total geändert, seit die Zensurmaßnahmen und Repressionen auch auf Trump-Anhänger zielen.

Kevin Bennett, Anns Ehemann, regt sich nicht nur über das Justizsystem auf, das den Ex-Präsidenten verfolgt, aber den Fällen von Wahlbetrug, wie er meint, nicht nachgegangen sei. Er kritisiert auch die Brutalität der Bundespolizei: „Ich würde das FBI zerschlagen. Seit J. Edgar Hoover hat es zu viel Macht.“ Die Leute hätten Zweifel an den Untersuchungen der Morde an John F. Kennedy, an Robert Kennedy. „Die FBI-Spitze ist parteipolitisch besetzt, diese DNA war schon immer ein Problem.“

Bennett verweist auf den Fall von Bryan Malinowski, der im März von Einsatzkräften der Bundespolizeibehörde ATF getötet wurde. Die Beamten seien eines Morgens bei ihm aufgetaucht, hätten seine Haustür aufgebrochen und ihn mit einem Kopfschuss getötet, nachdem er eine Waffe gezogen hatte.

Dass das FBI viele Angehörige der Black-Panther-Bewegung auf ähnliche Weise liquidiert hat, bestreitet Bennett nicht. Doch die jetzige „Militarisierung der Polizei“ beunruhigt ihn ebenso wie die regelmäßige Verlängerung der Antiterrorgesetze, die nach den Anschlägen vom 11. September auf Initiative des republikanischen Präsidenten George W. Bush unter dem Namen „Patriot Act“ verabschiedet worden waren. Er räumt sogar ein, dass Trump, von der Macht berauscht, „ein Tyrann werden könnte“, aber nach dem Mordanschlag glaubt er das nicht mehr, Trump sei nun geläutert.

Davon ist nicht viel zu merken. Der Ex-Präsident erklärt nach wie vor, dass die Coronapandemie das von ihm geschaffene Wirtschaftswunder zerstört und die allgemeine Einführung der Briefwahl gebracht habe, die Betrug ermöglicht und ihn aus dem Weißen Haus vertrieben habe.

Die meisten Republikaner haben eine weniger paranoide Wahrnehmung der Gesundheitskrise, die 1,2 Millionen Todesopfer gefordert hat – so viele wie nirgends sonst auf der Welt. Die USA verzeichneten auch eine der höchsten Sterberaten. Viele Menschen erinnern sich an eine zerbröselnde Gesellschaft, in der jeder für sich allein versuchte, durch die Krise zu kommen.

Tracy West ist Schulrätin in einem der ärmsten Schulbezirke von Alabama. Der Bundesstaat liegt beim Ranking der Familieneinkommen ohnehin auf den untersten Plätzen. Das Gebiet von Tracy West, die auf dem republikanischen Ticket ins Amt gewählt wurde, umfasst 14 vorwiegend ländliche Landkreise.

Sie berichtet, wie sie den Beginn der Pandemie erlebt hat: „Wir konnten nicht einfach jeden bitten, zu Hause zu bleiben. Für Arme ist das keine Option. Viele Kinder, die auf unsere kostenlosen Mahlzeiten angewiesen waren, hätten hungern müssen. Mit Hilfe von Kirchen, Vereinen und Tafeln machten wir es möglich, dass Eltern, deren Kinder nicht mehr von den Schulbussen abgeholt wurden, ein paar Liter Milch, einen Laib Brot oder Eier bekommen konnten.“

Mittels Selbsthilfe konnte der Unterricht auch in den Gegenden aufrechterhalten werden, die keinen ausreichenden Netzempfang haben. „Wir kauften WLAN-Hotspots und installierten sie in Bussen, um den Schülerinnen und Schülern das Herunterladen ihres Unterrichtsstoffs zu ermöglichen. Die Autos parkten direkt neben dem Bus, oder der fuhr in den Wohngegenden herum. „Das hat irgendwie funktioniert.“ Familien, die keinen Computer besaßen, bekamen ein Tablet geliehen.

Weder für Donald Trump noch für Kamala Har­ris stehen solche Geschichten in ihrem Fokus. Sie starren auf die Prognosen der Meinungsforscher. Die allerdings, wie man 2020 gemerkt hat, trügerisch sind.

Das ist nicht der einzige Grund, weshalb viele Menschen dem 5. November mit Sorge entgegensehen: Kaum jemand kann sich vorstellen, dass Trump einen Sieg der Demokraten anerkennen würde. Schließlich behauptet er immer wieder: „Diese Leute wollen betrügen, sie betrügen, und das ist, offen gesagt, das Einzige, was sie gut ­können.“

Trump wird also gewiss nicht so schnell abtreten wie der Mann, der nach ihm das Weiße Haus bezogen hat.

1 Aaron Zitner und Dante Chinni, „How the 2020 Election Deepened America‘s White-Collar/Blue-Collar Split“, The Wall Street Journal, 24. November 2020.

2 Serge Halimi, „Wahlkampfthema Ukraine“, LMd, August 2023.

3 Lauren Gambino, „Pelosi condemned for suggesting pro-Palestinian activists have ties to Russia“, The Guardian, 30. Januar 2024.

Aus dem Französischen von Markus Greiß

Le Monde diplomatique vom 12.09.2024, von Serge Halimi