11.07.2024

Libertäre Kaderschmiede

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Libertäre Kaderschmiede

von Mikaël Faujour

Milton Friedman (3. v. r.) auf dem Campus der , 1978 UFM
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Die private Universität Francisco Marroquín (UFM), benannt nach einem guatemaltekischen Bischof des 16. Jahrhunderts, erreicht man über eine mit Repliken von Maya-Grabplastiken gesäumte Straße. Auf dem Parkplatz dösen teure Limousinen, und an den Unterkünften der Studierenden hängen Banner: „Willkommen im Haus der Freiheit!“

In diesem Teil von Guatemala-Stadt, weit entfernt von der belebten „Zona Viva“, herrscht eine seltene Ruhe. Die elegant proportionierten Gebäude aus rotem Backstein – ein ungewöhnliches Material in einer Stadt voller Beton – sind umgeben von üppiger Vegetation. Etwa 3000 junge Leute studieren hier 14 Fächer – nicht nur Wirtschaft, Jura und Internationale Beziehungen, sondern auch Visual Arts, Psychologie, Erziehungs- oder Ernährungswissenschaften. Die staatliche Universität San Carlos hingegen zählte im vergangenen Jahr 230 000 Studierende in 41 Fachbereichen.

Die Ortsnamen an der UFM sprechen für sich: „Platz der Freiheit“, „Ludwig-von-Mises-Bibliothek“ (an einem idyllischen Teich gelegen), „Adam-Smith-Platz“; Hörsäle heißen nach Friedrich A. Hayek und Milton Friedman, ein Relief ehrt die libertäre Bestsellerautorin Ayn Rand. Kurz: Wir befinden uns in einem Tempel des Liberalismus. Hier müssen alle Studierenden im ersten Jahr Pflichtkurse zur Ethik der Freiheit und zur Sozialphilosophie Friedrich A. Hayeks absolvieren.

Eine der beiden Straßen, die zum Campus führen, trägt den Namen des 2010 verstorbenen Unternehmers Manuel Ayau, des Gründers der „Marro“, wie die UFM auch genannt wird. Ayau, geboren 1925 als Sohn einer Oberschichtfamilie, machte nach einem Studium in den USA sein Vermögen mit Baumwolle, Erdöl, Keramik und dem Bau von Häfen.

In den 1970er Jahren war er auch Parlamentsabgeordneter des rechtsextremen Movimiento de Liberación Nacional, das mit den Todesschwadronen in Verbindung stand. Zuvor hatte er 1958 mit sechs Freunden zunächst das Zentrum für wirtschaftliche und soziale Studien (CEES) gegründet, als Gegengewicht zur in seinen Augen sozialismusverdächtigen Universität San Carlos.

Damals war der Keynesianismus politisch tonangebend und auch die Rechte noch etatistisch. Das CEES begriff sich als Avantgarde: Man begeisterte sich vor allem für Ludwig von Mises, eine der Ikonen der Österreichischen Schule. Erklärtes Ziel der UFM war es, „die ethischen, wirtschaftlichen und juristischen Prinzipien einer freien Gesellschaft zu erforschen und zu verbreiten“, wie Ayau in seinen Memoiren schrieb.1 Die Gründungsgruppe beschäftigte sich mit Wirtschaftstheorie und bewegte sich in internationalen neoliberalen Netzwerken.

Die „Marro“ wurde 1972 mit den Fachbereichen Jura, Volkswirtschaft, Betriebswirtschaft und Theologie eröffnet. Milton Friedman, der Papst des Monetarismus, hielt die UFM für „eine der wichtigsten Universitäten Lateinamerikas“, die vollständig von den Prinzipien der freien Märkte und des Privateigentums ausgehe.2

Ich treffe Daniel Haering, der 2008 mit einem Bachelor in Journalismus und einem Master in Internationalen Beziehungen aus Spanien kam und von 2009 bis 2011 an der UFM lehrte. Haering nimmt kein Blatt vor den Mund. Die UFM sei wissenschaftlich drittklassig, allerdings würden die Studierenden sehr gut und persönlich betreut, die Kursgröße liege bei nur 7 bis 10 Teilnehmern. „Ich habe wortwörtlich gehört: ‚Hier sind die Studierenden die Kunden und die Professoren persönliche Coaches‘.“ Den Einfluss der UFM hält für „unbedeutend“, es sei „kein intellektuell dynamischer Campus“. Man spreche über Theorien, bringe aber nichts hervor.

Der Ökonom Hugo Maúl Rivas, auch er ehemaliger Dozent an der UFM, sieht das anders: „Der Einfluss der UFM ist vorhanden, und er ruht auf dem Grundpfeiler des Washington Consensus.“ Rivas zählt die Reformen der 1990er Jahre in Guatemala auf, die alle an der Marro entworfen wurden: „Privatisierung der Energieversorgung, Liberalisierung der Telekommunikation, Verbot der Kreditvergabe durch die Nationalbank, Senkung der Zölle und der Steuern auf Kapitaleinkünfte, freier Devisenhandel. Ohne die UFM hätten diejenigen, die – wie ich selbst – diese Reformen durchgeführt haben, gar nicht gewusst, dass all das überhaupt möglich ist.“

Ich frage nach beim ehemaligen Mitte-links-Finanzminister Juan Alberto Fuentes Knight (2008–2010), und der gibt zu: „Hier gab es keinen Druck von der Weltbank. Der Anstoß kam von den Unternehmern. Die Vorschläge waren radikaler als die der Interamerikanischen Entwicklungsbank.“

Manuel Ayau wurde 1994 Vorsitzender der Privatisierungskommission der Regierung. Später versuchte er – vergeblich –, noch einen Schritt weiterzugehen, berichtet Fernando Solís von der Asociación El Observador, die zivilgesellschaftliche Prozesse analysiert und begleitet. Ayau „wollte einen meritokratischen Senat einführen, dessen Mitglieder auf Lebenszeit ernannt würden, Gesetze sollten nur für einen begrenzten Zeitraum gelten, und er stellte das Parteiensystem infrage.“

Selbst die US-Botschafterin in Guatemala, Prudence Bushnell, befand 2001 in einem internen Bericht, dass der Einfluss Ayaus und der UFM auf den Staat und die Gesellschaft Guatemalas „schädlich“ sei. Sie zitiert darin Ayau mit den Worten: „Ich betrachte Demokratie nicht als endgültiges Ziel, sie ist im Gegensatz zur Freiheit kein Endzweck.“

Die UFM belegt in internationalen Rankings nur einen hinteren Platz, obwohl die Lehrbedingungen sehr gut sind. Doch man braucht keine Promotion, um dort zu lehren, die Studierenden werden auch nicht auf höhere Abschlüsse vorbereitet und in Forschung wird nicht investiert.

In einem Buchladen in einer luxu­riö­sen Shoppingmall treffe ich Lucy Rodríguez, ehemalige Studentin und Professorin der UFM. Inzwischen hat sie sich von den Mythen des Trickle-down-Effekts und des Homo oeconomicus abgekehrt und fällt ein harsches Urteil: „Es gibt keine akademische Sorgfalt. Die Professoren behandeln nur die Theorie – und das oberflächlich. Die Lösung für jedes Problem ist Privatisierung und Liberalisierung. Ergebnis: Die Studierenden bekommen bloß eine Doktrin vorgekaut.“ Rodríguez weist zudem auf einen Widerspruch hin: „Man will den Einfluss des Staats begrenzen, aber keine Konkurrenz dulden.“

Haering berichtet: „Man hat mir Stunden gekürzt, weil ich auf die Privilegien und Staatsverbundenheit einer bestimmten Form des Kapitalismus hingewiesen habe.“ Über die illiberalen, gegen Kon­kurrenz gerichteten Gesetze, die bestehende Monopole schützen, spreche man nicht.

Für Manuel Ayau lag die historische Mission seiner Universität darin, die „künftigen intellektuellen Führungspersonen gut auszubilden“. Ein Beispiel dafür ist José Raúl González Merlo, der an der UFM Betriebswirtschaft studiert hat und heute den Fachbereich Wirtschaftswissenschaften leitet. Er wurde 2012 Generaldirektor beim Zement-Monopolisten Cementos Progreso, der der mächtigen Oligarchenfamilie Novella gehört.

Pablo Menéndez (Name geändert) erklärt die Geschichte der Marro mit der Entwicklung der staatlichen Universität in den 1980er Jahren. „An den Unis kamen Studierende oft zum ersten Mal in Kontakt mit linken Ideen. Deshalb war es wichtig, die Verbindungen zwischen der Oberschicht und diesen linken oder progressiven Ideen zu kappen.“ Für ihn ist die UFM „keine Universität, sondern eine Madrasa“.

Die UFM war schon immer mit internationalen liberalen Netzwerken verbunden. Sie beschäftigt zahlreiche ausländische Lehrkräfte, hat Standorte in Ciudad de Panamá (2017) und Madrid (2018) eröffnet und verteilte Ehrendoktorwürden an Leute wie Hayek, Friedman, Mario Vargas Llosa, Václav Klaus, James Buchanan oder José María Aznar. Zu den angesehenen Gästen gehörten José Manuel Piñera, Minister unter Augusto Pinochet, und Javier Milei, den die UFM als einen der größten lateinamerikanischen Ökonomen bezeichnet. Lange bevor er Präsident von Argentinien wurde, hielt er 2018 an der UFM Vorlesungen über die Fehler des Keynesianismus.

Vor 50 Jahren hatte Ayau der Universität noch ein anderes Ziel gesteckt: den Kampf gegen die Armut in Guatemala. Trotzdem blieb es eines der ärmsten Länder auf dem amerikanischen Kontinent. „Sind Sie nicht enttäuscht, dass die Armut nicht zurückgegangen ist?“, frage ich einen der Lehrenden, der anonym bleiben möchte. Seine Antwort: „Wenn man uns die Zeit gibt, werden sich Ayaus Ideen am Ende durchsetzen.“ ⇥Mikaël Faujour

1 Manuel Ayau Cordón, „Mis memorias y mis comentarios sobre la fundación de la Universidad Francisco Marroquín y sus antecedentes“ Guatemala-Stadt (Universidad Francisco Marroquín) 1992.

2 Interview vom 15. Oktober 2002, newmedia.ufm.edu.

3 Zitiert nach: „The peculiar case of a US embassy attacking a free-market educator in an underdeveloped country“ (PDF), Universidad Francisco Marroquín.

Aus dem Französischen von Sabine Jainski

Le Monde diplomatique vom 11.07.2024, von Mikaël Faujour