Lithium aus Lopare?
von Sead Husic
Sie habe Angst, sagt die Grundschullehrerin Adrijana Pekić, „dass die Welt, wie ich sie kenne, verschwindet“. Wir stehen an einer der Stellen auf dem Majevica-Berg, wo Testbohrungen durchgeführt wurden, weil hier wertvolle Mineralien und Metalle im Gestein liegen.
Die Landschaft um uns herum ist wirklich idyllisch. Hier in der Gemeinde Lopare im Norden der Republika Srpska (RS), einem Teilstaat Bosnien und Herzegowinas, blühen gerade die Kirschbäume. Zwischen den bewaldeten Bergen und Hügeln liegen verstreut zahlreiche Bauernhöfe. In den weiten Tälern und an den Hängen prägen Zwetschgen-, Kirsch-, Birnen-, Quitten- und Apfelplantagen das Panorama; im Sommer werden die Erdbeer- und Wassermelonenfelder abgeerntet.
In Adrijanas kleinem Garten wachsen Tomaten, Paprika, Auberginen, Gurken, Zwiebeln und Kartoffeln. „Vielleicht ist das alles schon bald weg“, sagt sie. Um die große Zerstörung zu verhindern, hat Adrijana eine Bürgerinitiative gegründet: „Čuvari Majevice“ (Wächter von Majevica). Im Herbst 2022 wurde bekannt, dass die Schweizer Firma Arcore AG bei geheimen Probebohrungen auf dem Majevica-Berg neben anderen Mineralien wie Magnesium, Kalium und Bor eine große Lithiumlagerstätte entdeckt hat.
Die Majevica ist ein Mittelgebirge, dessen höchster Punkt 916 Meter erreicht. Es erstreckt sich auf einer Länge von 50 und einer Breite von 25 Kilometern in südöstlicher Richtung, ist überwiegend mit Laubbäumen bewachsen und beherbergt zahlreiche Tierarten.
Die Mineralien des Majevica-Bergs zählen zu den strategisch wichtigen Ressourcen, mit denen sich die Europäische Union unabhängig von Drittländern machen will – vor allem von China, das über die weltweit größten Vorkommen an seltenen Erden verfügt und der größte Exporteur von aufbereitetem Lithium ist, das bislang vor allem in den Salzseen Lateinamerikas abgebaut wird.
Als weltweite Vorreiterin will die EU bis zum Jahr 2050 die Transformation von der fossilen hin zur regenerativen Energiegewinnung vollziehen. Doch für den Bau von E-Fahrzeugen, Ladestationen, Windkraft- und Photovoltaikanlagen braucht es immer noch Rohstoffe wie beispielsweise Blei, Bor, Kupfer, Kobalt, Nickel, Zink und Lithium.
Hier will die Arcore AG mitmischen und sie hat große Pläne. In einer Pressemitteilung vom November 2023 kündigte das Unternehmen eine strategische Partnerschaft mit der kanadisch-deutschen Firma Rock Tech Lithium an1 , das sich auf die Herstellung von Lithiumhydroxid spezialisiert hat und im brandenburgischen Guben ein Konverterwerk errichtet. In dieser Raffinerie soll das Lithium von Arcore zu Lithiumhydroxid veredelt werden, das man braucht, um Autobatterien herzustellen.
Guben gilt als eines der Schlüsselprojekte der deutschen Energie- und Verkehrswende. Für den Bau der Vorzeigefabrik in Brandenburg hat Rock Tech Lithium eine Förderung in Höhe von 200 Millionen Euro aus Bundes- und Landesmitteln beantragt. Entschieden wurde darüber bisher allerdings noch nicht.
Angeblich steht der Mercedes-Benz-Konzern bereit, um das Lithiumhydroxid aus der geplanten Rock-Tech-Raffinerie aufzukaufen und damit jährlich bis zu 150 000 Autobatterien herzustellen.2 Ein 2-Milliarden-Dollar-Deal, der die Branche aufhorchen lässt.
Rock Tech Lithium präsentiert sich auf seiner Homepage als Clean-Tech-Unternehmen, das seine Rohstoffe vor allem aus kanadischen Lithiumminen beschaffen würde. Doch es hat sich herausgestellt, dass es noch einige Jahre dauern könnte, bis tatsächlich Lithium aus Übersee nach Guben gelangt. Darum tauchte die Arcore AG auf und bot an, das wertvolle Gut aus der näheren europäischen Umgebung zu holen. Alles soll dabei natürlich nach strengsten Standards ablaufen, transparent, nachhaltig, umwelt- und sozialverträglich – und zwar entlang der gesamten Produktionskette, also auch in Lopare.
„Das ist nicht einmal das Papier wert, auf dem es geschrieben steht“, sagt Adrijana: „Transparent zum Beispiel ist hier wirklich gar nichts. Dass hier Probebohrungen durchgeführt worden sind, haben wir erst aus der bosnischen Presse erfahren. Hier gelten keine Gesetze. Hier zählt nur der Profit einiger weniger Leute.“
Tatsächlich zeigen sich die beteiligten Unternehmen sehr verschlossen. Mathias Schmid, der Präsident des Verwaltungsrats der Arcore AG, ist zu einem persönlichen Interview nicht bereit. Fragen beantwortet er nur per E-Mail. Er versichert, dass es in Bosnien möglich ist, ökologischen und sozial verträglichen Bergbau zu betreiben und dass das gesamte Projekt nach Recht und Gesetz der örtlichen Behörden und des bosnischen Staats abläuft. Auf die Nachfrage, wie das in einem der korruptesten Länder Europas unter einem Regime, das auf der US-Sanktionsliste steht, vonstatten gehen soll, geht Schmid nicht ein.
Rado Savić, der Bürgermeister von Lopare, zu deren Gemeinde auch der Majevica-Berg gehört, ist ein ernster Mann. Als er darauf angesprochen wird, ob er Arcore Ulagania, der Tochterfirma der Arcore AG mit Sitz in Banja Luka, eine Erlaubnis zu Probebohrungen in seiner Gemeinde erteilt hat, zieht er seine schwarzen Augenbrauen zusammen. „Niemals! Mir wurden nie irgendwelche Anträge vorgelegt. Nie wurden wir von dem Unternehmen in irgendeiner Weise in ihre Pläne mit einbezogen“, sagt er ziemlich wütend.
Die Entscheidungen, so Savić, würden an anderer Stelle getroffen. In der Republika Srpska gibt vor allem ein Mann den Ton an, der Präsident der RS: Milorad Dodik.
Seit mehr als 18 Jahren herrscht Dodik in diesem Teil Bosniens, er gilt als einer der korruptesten und gefährlichsten Politiker in der Balkan-Region.3 Er unterstützt den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, leugnet den Völkermord von Srebrenica und macht Geschäfte mit dem belarussischen Präsidenten Lukaschenko und mit Ungarns Machthaber Orbán. Sein Privatvermögen wird auf mehrere hundert Millionen Euro geschätzt– ein Reichtum, den er im Laufe der Jahre an der Parteispitze seiner Allianz der Unabhängigen Sozialdemokraten (SNSD) angehäuft hat.
Dodik hat wiederholt mit der Abspaltung des serbischen Landesteils von Bosnien und Herzegowina gedroht, womit er einen offenen Krieg in Kauf nehmen würde. Mit welch verheerenden Folgen ein solcher Konflikt eskalieren könnte, zeigt ein Blick auf den Bosnienkrieg zwischen 1992 und 1995. Das Resultat damals: 100 000 Tote, zwei Millionen Vertriebene und der Völkermord von Srebrenica.
Man weiß also, in welchen Abgrund Dodiks Politik führen könnte. Wegen seiner sezessionistischen Politik hat das Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung im vorigen Jahr vier Infrastrukturprojekte im Wert von 105 Millionen Euro in der RS eingefroren. Auch die USA haben Dodik und seine engsten Vertrauten schon vor Jahren mit Sanktionen belegt. Im vergangenen März verschärfte Washington noch einmal die Gangart: die US-Behörde zur Kontrolle von Auslandsvermögen (Office of Foreign Assets Control, Ofac) setzte Dodik und dessen Gefolgsleute auf eine Sanktionsliste, was zur Folge hatte, dass sämtliche ihrer Privat- und Geschäftskonten in Bosnien und Herzegowina geschlossen wurden.
Der Lithiumabbau in Lopare käme Dodik gerade recht, denn die RS kann jede Investition gebrauchen. Und gerade dieses Projekt verspricht Millionengewinne. Petar Đokić, Dodiks Minister für Energie und Bergbau und ein langjähriger Weggefährte, ist ebenfalls in nicht wenige Korruptionsaffären verwickelt.
2007 wurde Đokić wegen Betrugs der RS-Telefongesellschaft zu drei Monaten Haft verurteilt. Und 2020 versuchten Anwälte ihn wegen zahlreicher Verstöße gegen Umweltauflagen zur Rechenschaft zu ziehen: Er hatte über einen Zeitraum von sechs Jahren den Bau von kleinen Wasserkraftwerken erlaubt, ohne die gesetzlichen Bestimmungen zu berücksichtigen. Die Folge waren zerstörte Flussbetten, gerodete Waldflächen und die Verknappung der lokalen Wasserversorgung.
Und dies sind wohlgemerkt die Vertreter des Landes, in dem das Lopare-Projekt laut dem Arcore-Verwaltungsratspräsidenten Mathias Schmid „nach den rechtlichen Bestimmungen der Serbischen Republik und Bosnien und Herzegowinas“ verwirklicht werden soll.
Laut Schätzungen von Arcore lagern im geplanten Abbaugebiet im Majevica-Gebirge auf einer Fläche von etwa 25 Quadratkilometern 1,5 Millionen Tonnen Lithiumkarbonat, 14 Millionen Tonnen Borsäure, 35 Millionen Tonnen Kali sowie 94 Millionen Tonnen Magnesiumsulfat. Die Mineralvorkommen sollen nach Plänen von Arcore über einen Zeitraum von 50 Jahren im Tagebau gefördert werden.
Als die Bewohner Lopares im September 2023 von dem Vorhaben erfuhren, vergingen nur wenige Wochen, bis sich der Widerstand in dem 13 000-Einwohner-Städtchen organisiert hatte. Auf einer Bürgerversammlung mit 1500 Teilnehmern Ende Februar versprachen die Kommunalpolitiker, dass hier keine Lithiummine entstehen werde. Gemeinsam mit der Gemeinde Čelić, die 20 Kilometer entfernt auf der südöstlichen Seite des Majevica in der Föderation Bosnien-Herzegowina liegt, verfasste man eine Petition gegen das Abbauprojekt und übergab sie dem Parlament der RS. Dodik kommentierte den Widerstand mit den Worten, dass der Lithiumabbau eine große Chance für die gesamte Region sei; er werde Arbeitsplätze schaffen und stelle keinerlei Gefahr für die Umwelt dar.
„Na wenn Dodik das sagt, dann muss es stimmen“, sagt Admir Hrustanović, der Bürgermeister von Čelić, mit sarkastischem Unterton. „Die Menschen hier haben wirklich Angst um ihre Existenz. Sie fürchten, dass durch den Lithiumabbau über den Fluss Gnjica, der sich durch das Majevica-Gebirge schlängelt, Giftstoffe in den Fluss Šibošnica gelangen und somit die Wasserversorgung unserer Gemeinde gefährdet wird. Alle unsere landwirtschaftlichen Flächen wären bedroht.“
Dass die Menschen verschreckt sind, ist kein Wunder: Seit Monaten berichten die Medien über die massiven Umweltzerstörungen durch eine Mine in der kleinen Stadt Vareš, die in der Föderation Bosnien und Herzegowina liegt. Hier hat sich der britische Konzern Adriatic Metals die Schürfrechte gesichert und fördert Silber, Gold, Blei, Zink, Kupfer und Antimon. Schätzungsweise 22,5 Millionen Tonnen Metalle sollen dort lagern, an denen die EU ebenfalls ein strategisches Interesse hat.
Die Bewohner der Region klagen über die viel zu hohe Schwermetallbelastung des Trinkwassers und die massive Umweltzerstörung durch Rodungen. „Solche Verhältnisse wollen wir hier nicht haben“, sagt Hrustanović und glaubt, dass die Menschen sich schon wehren werden, auch wenn sie genau wissen, wie mächtig ihre Gegner sind. „Wenn es sein muss, dann werden wir die Transportwege für das Lithium durch unsere Gemeinde blockieren“.
Eigentlich habe man für die gesamte Majevica-Region ganz andere Pläne, erzählt Hrustanović. Zwei serbische und drei bosniakische Gemeinden, die sich einst verfeindet gegenüberstanden, arbeiten seit vier Jahren gemeinsam an dem Projekt „Via Majevica“. Die Gegend soll vollständig entmint werden, um sie für den Tourismus zu erschließen. Rad- und Wanderwege sollen entstehen.
Das Vorhaben wird auch vom Deutschen Bundestag mit 9 Millionen Euro gefördert. „Einerseits erhalten wir also Unterstützung von EU-Staaten, um die intakte Umwelt zu bewahren, andererseits hat die EU ein Interesse daran, am gleichen Ort Bergbau zu betreiben. Das widerspricht sich doch“, sagt Hrustanović.
Im heutigen Bosnien und Herzegowina ist das allerdings nicht der einzige Widerspruch. Die komplizierte Nachkriegsstruktur in dem kleinen Staat mit knapp 3,4 Millionen Einwohnern ist voll von Widersprüchen. Für ein Unternehmen wie Arcore ist das aber durchaus von Vorteil.
Die durch den Friedensvertrag von Dayton 1995 geschaffenen Teilgebiete des Bundesstaates – die Serbische Republik und die Föderation Bosnien und Herzegowina – verfügen über einen hohen Grad an Autonomie. Damit sich beide Seiten an den Friedensvertrag halten, wurde der Posten des Hohen Repräsentanten geschaffen, eine Art Schiedsrichter, der mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet ist. Er kann Gesetze und Vorschriften erlassen, an die alle gebunden sind. Seit August 2021 bekleidet der CSU-Politiker Christian Schmidt das Amt. Der Deutsche trägt eine große Verantwortung. Und er spielt eine entscheidende Rolle, wenn es um die Vergabe von Schürfrechten geht.
Seit Kriegsende herrscht nämlich in Bosnien Streit darüber, wem der Grund und Boden des Landes gehört, den Entitäten oder dem Gesamtstaat? Als Rechtsnachfolger der sozialistischen jugoslawischen Teilrepublik Bosnien und Herzegowina ist der 1992 anerkannte Staat Eigentümer des Grund und Bodens. Doch der Vertrag von Dayton regelt nicht explizit, welche staatliche Ebene wie über den Grund und Boden verfügen darf. Vor allem die RS reklamierte in ihrem Landesteil den Grund und Boden als ihr Eigentum.
Der damalige Hohe Repräsentant Paddy Ashdown erließ daraufhin 2005 ein vorläufiges Verbot der direkten oder indirekten Veräußerung von Staatseigentum, bis eine endgültige Regelung vereinbart wäre.4 Eine Entscheidung, die Dodik nach wie vor ignoriert und wiederholt mit Abspaltung droht, sollte die Grundeigentumsfrage endgültig entschieden werden.
Ausländische Unternehmen bewegen sich also auf rechtlich unsicherem Terrain. Daher stellte die Regierung der Föderation Bosnien und Herzegowina im November 2023 eine Anfrage zum Eigentumsrecht an den Hohen Repräsentanten, weil man eine Bergbaukonzession an Adriatic Metals in Vareš vergeben wollte.
Schmidt lieferte eine hoch umstrittene Interpretation der Entscheidung seines Vorgängers Ashdown. Soweit die Regierung die Nutzung des Grund und Bodens an ein Unternehmen auf Zeit vergebe, sei die Eigentumsfrage nicht berührt, heißt es in einem Schreiben des Hohen Repräsentanten. Und damit wäre auch Arcore in der RS rechtlich abgesichert. Denn was in der Föderation Recht ist, kann in der Serbischen Republik nur billig sein.
Ein pikantes Detail ist, dass der CDU-Bundestagsabgeordnete und Anwalt Peter Beyer seit April 2023 im Beirat von Arcore sitzt. Beyer befasst sich seit vielen Jahren mit den politischen Verhältnissen auf dem Westbalkan und ist Mitglied im Vorstand der Deutsch-Atlantischen Gesellschaft e. V., als deren Präsident Christian Schmidt fungiert. Man kennt sich also. Auf Anfragen zu dem Thema reagiert Beyer nicht.
„Politisch hinterlässt Herrn Beyers Engagement für Arcore einen fahlen Beigeschmack, wenn sein Freund Christian Schmidt zugleich eine Schlüsselrolle spielt bei den rechtlichen Rahmenbedingungen für Bergbauprojekte“, kommentiert der Balkan-Experte Bodo Weber vom Democratization Policy Council, einer NGO, die sich für demokratische und rechtsstaatliche Werte in der Politik einsetzt.
„Die Tragweite der Entscheidungen zum Bergbau sind in diesem Land sehr viel weitreichender als anderswo“, meint auch Muharem Cero, der in den Nachkriegsjahren verantwortlich war für das Erstellen eines Eigentumsregisters und seit Jahren zu diesem Thema veröffentlicht. Im Bosnienkrieg sei es auch um Grund und Boden gegangen, erklärt er: „Die nationalistischen Parteien der Serben vertrieben vom heutigen Gebiet der Serbischen Republik alle Nichtserben, um einen ethnisch reinen Staat zu schaffen, dessen Grund und Boden allein serbisches Eigentum ist.“ Nach 1995 hätten die serbischen Parteien in der RS diese Politik fortgeführt. „Auf diese Weise soll der bosnisch-herzegowinische Gesamtstaat zerstört werden“, ist Cero überzeugt.
Alternative Ökotourismus
Schmidts Umgang mit der Bodennutzungsfrage hält er für einen platten Winkelzug. „Die bloße Nutzung eines Grundstücks bedeutet, dass der Nutzer den Grund und Boden in dem Zustand an den Eigentümer zurückgeben muss, in dem er ihn erhalten hat.“ In Vareš handle es sich um einen Staatsforst, der noch zu jugoslawischen Zeiten als solcher deklariert wurde, sagt Cero: „Adriatic Metals aber rodet die Bäume und entnimmt dem Boden die Ressourcen. Das ist keine vorübergehende forstwirtschaftliche Nutzung. Hier wird die Art der Nutzung eines öffentlichen Guts geändert, und damit sind eigentumsrechtliche Fragen berührt, über die nur der Zentralstaat entscheiden darf.“
Daher wird Schmidts Entscheidung auch vor dem bosnischen Verfassungsgericht angefochten. Denn die Umwidmung staatlichen Eigentums kann nicht von einer der beiden Entitäten beschlossen werden. Wann in dieser Frage ein Urteil gefällt wird, ist unklar, weil das Oberste Gericht derzeit nicht beschlussfähig ist. Auf Dodiks Druck hin legte einer der Richter, der aus der RS kommt, sein Amt nieder, und die Entsendung weiterer Richter aus dem Teilstaat wird von Dodik blockiert. Diese Umstände sind natürlich auch den Konzernen und dem Hohen Repräsentanten bekannt.
Auch in Tuzla ist das Lopare-Projekt ein hochaktuelles Thema. Die Universitätsstadt liegt am südwestlichen Fuß des Majevica-Gebirges auf dem Gebiet der Föderation Bosnien und Herzegowina. Tihomir Knežiček lehrt hier Geologie und Bergbau. Der weißhaarige Mann sitzt in seinem Büro, das noch so aussieht wie zu sozialistischen Zeiten. An der Wand hängt neben Grubenhelmen und Bergbau-Urkunden ein Porträt des jugoslawischen Staatsgründers Tito. Auf einem Bücherregal steht eine kleine Lenin-Büste.
„Ohne den Kohlebergbau und die Salzförderung würde es diese Stadt nicht geben“, sagt er, „der Bergbau hat den Menschen zu Arbeit und Wohlstand verholfen. Wie kann ich da gegen solche Projekte sein?“ Knežiček beschreibt, wie ein umweltgerechter Abbau möglich wäre, erklärt, dass dafür geschlossene Systeme gebaut werden müssten, sodass das Wasser und die umliegende Region nicht kontaminiert werden. „Allerdings sind diese Technologien sehr teuer. Und natürlich wäre es das Worst-Case-Szenario, wenn die Abbaufirma Wasser einfach ins Erdreich sickern lassen würde.“
Im benachbarten Serbien, nur rund 40 Kilometer Luftlinie von Lopare entfernt, stieß vor einigen Jahren der australisch-britische Bergbaukonzern Rio Tinto auf eine Lithiumader in der Nähe der Stadt Loznica.5 Laut Aussagen von Geologen handelt es sich um dieselbe Ader wie in Lopare. In Serbien setzten westliche Botschaften die Regierung unter Druck, die Lithiumförderung zu ermöglichen. Doch im Land wehrten sich die Bürger vehement gegen das Projekt. Es kam zu Massenprotesten, und der autokratisch herrschende Präsident Alexander Vučić musste das Projekt schließlich stoppen.
Nur ein paar Straßen von der Geologischen Fakultät in Tuzla entfernt befindet sich das Büro von „Karton Revolucija“, einer NGO, die gegen die grassierende Korruption kämpft. Adi Selman, der 32-jährige Gründer der NGO, eine Hüne von 1,90 Meter, spricht mit ruhiger Stimme über das Schicksal, das seiner Heimat widerfährt. „Uns droht, dass wir als einziges Land weltweit eine Lithiummine in unmittelbarer Nähe zu einem bewohnten Gebiet bekommen. Im Umkreis der Majevica leben etwa 400 000 Menschen“, sagt er sichtlich fassungslos.
„Vor allem kann ich nicht verstehen, dass die westlichen Staaten offenbar glauben, ihre grüne Transformation sei wertvoller als unsere Leben und unsere Natur hier“, sagt Adi. Aber dass es multinationalen Konzernen möglich sei, ihre Interessen so leicht in Bosnien durchzusetzen, liege eben daran, dass in der Bevölkerung kein großes Bewusstsein für dieses Thema bestehe.
Die Politik befeuere den Nationalismus der ethnischen Gruppen, um von ihren korrupten Geschäften abzulenken. „Sezession, der Völkermord, das sind alles Themen, um die wahren Hintergründe ihres Handelns und ihre Absichten zu verschleiern“, sagt Adi und zuckt mit den Schultern, als könne er die Dummheit der Menschen nicht fassen. Für die internationalen Konzerne sei Bosnien damit ein ideales Spielfeld, um so billig wie möglich Bodenschätze zu heben.
Aktuell vermeldet Rock Tech Lithium, dass man mit dem chinesischen Unternehmen C&D Logistics eine Liefervereinbarung ab 2025 getroffen habe.6 Damit sichere man sich den Zugang zu essenziellen Rohstoffen für den Betrieb der brandenburgischen Anlage in Guben. Woher das Lithium aber genau kommen soll, bleibt offen.
Mercedes-Benz hat sich mittlerweile von dem Minenprojekt in Lopare distanziert. Man teilt schriftlich mit, es bestünde keinerlei Verbindung zwischen den Abbauplänen und der Beziehung des Konzerns zum Gubener Unternehmen Rock Tech Lithium.
Adrijana lächelt nur milde, als sie von dieser Nachricht erfährt. Sie zeigt mir einen Brief, den sie von einem Anwalt der Arcore Ulagania erhalten hat. Man droht ihr mit einer Verleumdungsklage: „Ich sei geschäftsschädigend, sagen sie, und auf mich könnte auch eine Schadenersatzklage zukommen.“
Am 1. April hat Dodiks Partei ein Gesetz über ausländische Agenten ins Parlament der RS eingebracht, das jenem russischen Gesetz gleicht, das Putin nutzt, um Oppositionelle und die freie Presse zu unterdrücken. „Für uns wird es immer schwieriger, gegen das Lithiumprojekt zu kämpfen. Auch das macht mir wirklich Angst“, sagt Adrijana. Sie blickt von der Anhöhe, auf der sie steht, über das Land und die sanften, grünen Hügel. Dann sagt sie: „Aber ich kann nicht aufgeben.“
3 Siehe Sead Husic, „Showdown in Bosnien“, LMd, November 2021.
5 Siehe Saša Dragojlo und Ivica Mladenović, „Lithiumhunger“, LMd, September 2022.
Sead Husic ist Journalist und Schriftsteller.
© LMd, Berlin