11.04.2024

Modis reiche Freunde

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Modis reiche Freunde

von Camille Auvray

Global Investors Summit 2014 in Indore: Narendra Modi (ganz links), Mukesh Ambani (Mitte) und Gautam Adani (ganz rechts) SANJEEV GUPTA/picture alliance/dpa
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Am Tag nach seinem Sieg bei den indischen Parlamentswahlen im Mai 2014 ließ sich der künftige Regierungschef Narenda Modi an Bord eines Privatjets fotografieren. Das Flugzeug gehörte Gautam Adani, einem der reichsten Männer Indiens, und an seinem Rumpf prangten auf der einen Seite die indischen Nationalfarben Safran, Weiß und Grün, auf der anderen Seite das Logo von Adanis Unternehmensgruppe.

Überall auf der Welt gehören Macht und Geld zusammen, doch die Beziehung zwischen Modi und Adani, von denen der eine den Hindu-Nationalismus, der andere den schnellen Reichtum repräsentiert, ist eine besonders enge, und das seit 20 Jahren. Sie zeugt von der Durchsetzungsfähigkeit eines Crony Capitalism, einer staatlich-privaten Vetternwirtschaft, die es in Indien vorher nicht gab.

Adani zog im Alter von 18 Jahren aus dem Bundesstaat Gujarat nach Mumbai. Er arbeitete zunächst als Sortierer in der Diamantenindustrie. Nach einem Jahr kehrte er nach Hause zurück und gründete zusammen mit seinem Bruder ein Unternehmen, das Kunststofffolie produzierte und rasch so erfolgreich war, dass sie Rohstoffe importieren mussten.

1988 gründeten die Brüder das Unternehmen Adani Exports Limited und investierten in neue Geschäftsfelder wie die Lagerung von Nahrungsmitteln, Energie, Zement- und Aluminiumproduktion. Zehn Jahre später kaufte Adani am Golf von Kachchh im äußersten Westen Indien einen Küstenlandstrich von knapp 3.600 Hektar. Hier legte er mit dem Bau des privaten Handelshafen von Mundra den Grundstein für sein Wirtschaftsimperium.

Modi und Adani fanden im Jahr 2002 zueinander, kurz nach dem Gujarat-Pogrom mit mehr als 2000 Toten. Die meisten Opfer waren Muslime, die Täter fanatische Hindus, die zumindest mit Billigung Modis agiert hatten, der damals Chief Minister des Bundesstaats Gujarat war. Damals forderten einige Mitglieder des gesamtindischen Industrieverbands (CII) Modi zum Rücktritt auf. Andere Industrielle gründeten, um Chief Minister Modi zu unterstützen, eine neue Organisation namens Resurgent Group of Gujarat (RGG). An der Spitze der RGG stand der gerade mal 40-jährige Adani.

2003 profilierte sich der ehrgeizige Unternehmer auf der ersten Investmentmesse Vibrant Gujarat gegenüber Modi mit dem Versprechen, 15 Milliarden Rupien (etwa 166 Millionen Euro) in Gujarat zu investieren. Das brachte ihm eine erste Gegenleistung ein: die Lizenz zur Erweiterung des Hafens von Mundra, heute der größte private Hafen Indiens. Nach Recherchen des Wirtschaftsmagazins Forbes India verpachtete der Bundesstaat einige Parzellen für lediglich 1 US-Cent pro Quadratmeter an Adani, und die teuerste Parzelle für gerade einmal 45 Cent. Dieses überaus billige Land verpachtete Adani anschließend für bis zu 11 US-Dollar pro Qua­drat­meter an andere Unternehmen.1

Schon vor Modis Amtsantritt hatte die Regierung von Gujarat eine für Indien beispiellos kapitalfreundliche Politik betrieben. Doch Modi bot den Unternehmern in seiner Amtszeit von 2001 bis 2014 noch mehr Vergünstigungen, etwa durch die Einrichtung von Sonderwirtschaftszonen (Special Economic Zones, SEZ) und sogenannten National Investment and Manufacturing Zones (NIMZ). In diesen Zonen stellte die Regierung ehemaliges Agrarland zur Verfügung und verschonte die Unternehmen mit Steuern, Umweltauflagen und arbeitsrechtlichen Verpflichtungen.

Dass Verwaltungsvorschriften nicht eingehalten und kontrolliert wurden, galt in Gujarat als normal. 2008 offerierte Chief Minister Modi dem Großindustriellen Ratan Tata ein erschlossenes Grundstück für den Bau eines Automobilwerks. Das war ursprünglich in Westbengalen geplant, aber als die örtlichen Bauern dagegen protestierten, gab Tata das Projekt auf. Die Genehmigung für die Fabrik erfolgte durch eine SMS mit einem einzigen Wort: „Suswatan“ (Willkommen).

Kein Wunder, dass Tata für seinen Gönner nur anerkennende Worte fand: „Narenda Modi ist eine Person, mit der man sehr gut Geschäfte machen kann, sehr unkompliziert, zuvorkommend und angenehm, aber auch kompetent.“2

Mehr als anderswo wurden damals in Gujarat öffentliche Gelder gezielt und freigiebig verschenkt. Der Comptroller and Auditor General (CAG), das indische Gegenstück zum Bundesrechnungshof, hat 2013 ermittelt, dass die Regierung von Gujarat der Energiesparte von Adani den Strom zu einem ungewöhnlich hohen Preis abgekauft hat. Mit solchen Methoden hat Modi innerhalb weniger Jahre ein auf Megaprojekte gestütztes Entwicklungsmodell geschaffen, wenn auch zulasten der kleinen und mittleren Unternehmen. Und die Steuervorteile für Investoren leerten die Staatskasse, was zu Kürzungen bei den Sozialausgaben führte.

Aber Gujarat war nur der Anfang. In ganz Indien hat sich die Beziehung zwischen politischen und wirtschaftlichen Eliten im Laufe der 1990er Jahre grundstürzend verändert. Unter dem Staatskapitalismus, der in den Jahrzehnten nach der Unabhängigkeit etabliert worden war, hatten sich die großen Familienkonzerne an die Vorgaben der Planwirtschaft zu halten. Mit der Zeit bildete sich jedoch ein anderes Modell heraus, das auf der Abwertung und letztendlichen Ausschaltung des Staats beruhte. Seit den 2000er Jahren werden immer häufiger öffentlich-private Partnerschaften (Public-private-Partnerships, PPP) gegründet. Über diese „Partnerschaften“ konnten die Konzerne ihren Einfluss auf die politischen Eliten verstärken, indem sie Schmiergelder zahlten.

Die meisten indischen Großunternehmen – wie die Konzerne der Brüder Ambani (siehe den nebenstehenden Kasten), der Mischkonzern Bharti Enterprises, der Stahlproduzent Jindal Steel & Power oder das Bergbauunternehmen Vedanta – erzielten mit Staatsaufträgen in den Bereichen Telekommunikation, Immobilien- und Energiewirtschaft Riesengewinne. Zudem genossen sie großzügige Kreditkonditionen bei den öffentlichen Banken, deren Leitungen von der Regierung ernannt werden. Laut dem 2012 veröffentlichten Bericht „House of Debt“ der Crédit Suisse ist das Volumen der Kredite indischer Banken an etwa zehn Konglomerate zwischen 2008 und 2012 explosionsartig angewachsen; im gleichen Zeitraum nahmen die Verbindlichkeiten der Banken um das Fünffache zu.3

Schon 2014 klagte Raghuram Rajan, der damalige Direktor der indischen Notenbank Reserve Bank of India (RCI): „Zu viele große Kreditnehmer betrachten ihr Recht auf Unterstützung als selbstverständlich, während sie sich weigern, ihre Kredite zurückzuzahlen.“ Laut Rajan drohen sie dabei so lange mit Konkurs, „bis die Banken die nötigen Zugeständnisse machen, um sie am Leben zu halten“.4 Angesichts dieser Praktiken fordert der marxistische Historikers Jairus Banaji, die „toten Winkel des Crony Capitalism auszuleuchten“, indem man alle Fälle öffentlich macht, bei denen „öffentliche Banken für die Schulden von Privatunternehmen ­bürgen“.5

Ein weiteres Zeichen ist, dass immer mehr Geschäftsleute in den Parlamenten sitzen. 1998 stammten 14,5 Prozent der Abgeordneten der Lok Sabha, dem Unterhaus des indischen Parlaments, aus Handel und Industrie. Heute sind es 28,4 Prozent. „Diese Politiker-Unternehmer nutzen ihre legislative Funktion zur Förderung ihrer wirtschaftlichen Interessen“, stellt die Politikwissenschaftlerin Aseema Sinha fest.6 So konnte der indische Spirituosen-Unternehmer Vijay Mallya 2005 dank seiner Mitgliedschaft in mehreren Parlamentsausschüssen die Fluggesellschaft Kingfisher gründen, die allerdings 2015 wegen totaler Überschuldung Konkurs anmelden musste.

Da es in Indien keine öffentliche Parteienfinanzierung gibt, haben die großen Unternehmen schon immer die Parteien und ihre Wahlkämpfe finanziert. So wurde die Kongresspartei lange Zeit von befreundeten Geschäftsleuten gepäppelt. Ende der 1960er Jahre zum Beispiel finanzierten sie die erfolgreichen Wahlkämpfe von rund 40 Abgeordneten. Gefördert wurden solche Praktiken – die der Politikwissenschaftler Stanley A. Kochanek als „Aktenkoffer-Politik“ bezeichnet7 – durch das System von Electoral Bonds (Wahlanleihen), die es indischen und sogar ausländischen Spendern ermöglicht, anonym zu bleiben. Die als „Anleihen“ getarnten Spenden hat das Oberste Gericht Indiens allerdings am 15. Februar dieses Jahres verboten (siehe den Beitrag von Christophe Jaffrelot auf Seite 8).8

Zwar weiß niemand genau, wie viel Geld geflossen ist, aber unzweifelhaft ist, dass Adani auch Modis Wahlkampf von 2024 weitgehend finanziert – zumal das Modell in der Vergangenheit bestens funktioniert hat. So beseitigte Modi im Februar 2019, am Ende seiner ersten Amtszeit, die rechtlichen Hindernisse, die seinem Mäzen den Zugriff auf sechs zur Versteigerung freigegebene Flughäfen verwehrt hatten.

Adani erwarb die Lizenz für alle Flughäfen gegen 25 Mitbewerber. Die Gegenleistung blieb nicht aus. 2022 kaufte er mit dem Fernsehsender ­NDTV eines der wenigen Medien, die noch kritisch über Modi berichtet hatten. Das war mit dem Einstieg Adanis sofort vorbei.

Im Sommer 2022 stieg der Multiunternehmer laut dem Bloomberg Billionaires Index zum drittreichsten Menschen der Welt auf, hinter Elon Musk und Jeff Bezos. Adani war der erste Mensch aus Asien, der die Top Three erreichte. Doch das währte nicht lange: Im Januar 2023 wurde die Adani Group von dem auf Leerverkäufe spezialisierten US-Unternehmen Hindenburg Research beschuldigt, den Kurs ihrer Ak­tien mithilfe von Offshore-Tochtergesellschaften hochgetrieben zu haben.

Die Enthüllungen brachten Adani Verluste in Höhe von 100 Milliarden US-Dollar ein. Doch die von einigen gehegte Hoffnung, sein Wirtschaftsimperium werde zusammenbrechen, erfüllte sich nicht. Die Episode offenbarte eher, dass die Schutzwälle, die Modis Regierung zum Schutz des Oligarchen errichtet hat, ihren Zweck voll erfüllen.

Kurz nach der Veröffentlichung des Hindenburg-Berichts hielt Modi eine Rede, in der er seine altbekannten Argumente vorbrachte: Er vertraue darauf, dass seine 1,4 Milliarden Landsleute eine vom Ausland initiierte Hexenjagd durchschauen. Kein Wort über Adani. Die Autorin und Aktivistin Arundhati Roy kommentiert Modis Haltung ironisch: „Er denkt zweifellos, dass diese Debatte an seinen Wählern vorbeigeht. Mehrere Millionen von ihnen sind arbeitslos und leben in extremer Armut. Was 100 Milliarden Dollar bedeuten, können sie sich gar nicht vorstellen.“9

Das System Modi funktionierte auch im Parlament. Nach den Enthüllungen wollte der Oppositionspolitiker Rahul Gandhi, Enkel der früheren Regierungschefin Indira Gandhi, Fragen „zum Finanzskandal Gautam Adani“ einbringen. Doch dann wurde er aus dem Parlament ausgeschlossen, und zwar „um Narenda Modi vor Fragen zu schützen“, wie Gandhi glaubt.10

Die Regierungsmehrheit verhinderte auch die Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses. Stattdessen ernannte das Oberste Gericht eine Gruppe von sechs Experten, von denen aber drei befangen waren. Dieser illustre Kreis kam wenig überraschend zu dem Befund, es gebe „keine überzeugenden Beweise dafür, dass die Aktienpreise manipuliert wurden“.11

Was die Tätigkeit der für Betrugsbekämpfung zuständigen Behörden betrifft, so stehen sie im Verdacht, gezielte Kontrollen bei den wirtschaftlichen Konkurrenten der Adani Group durchzuführen. „Das ist kein Zufall, sondern ein System“, meint dazu der Journalist und Whistleblower Paranjoy Guha Thakurta. Er hat zusammen mit seinem Kollegen Ayush Joshi über den jüngsten Fall recherchiert: die Übernahme eines Zementunternehmens im Sommer 2023.

Zwei Monate nachdem Shree Cement, der drittgrößte Zementproduzent Indiens, sein Interesse am Kauf seines Konkurrenten Sanghi Industries angemeldet hatte, durchsuchte die indische Betrugsbekämpfungsbehörde 24 Büros und Produktionsstätten von Shree Cement. Die Behörde beschuldigte das Unternehmen, Steuern in Höhe von 2,8 Milliarden US-Dollar hinterzogen zu haben. Daraufhin zog Shree Cement im Juli 2023 sein Kauf­an­gebot zurück. Drei Wochen später wurde Sanghi Industries von Ambuja Cement übernommen. Das Unternehmen gehört zur Adani Group.12

1 Megha Bahree, „Doing Big Business In Modi’s Gujarat“, Forbes India, 12. März 2014.

2 Zitiert von Christophe Jaffrelot, „Le capitalisme de connivence en Inde sous Narendra Modi“, in: Les ­Études du CERI, Nr. 237, Paris, September 2018.

3 Ashish Gupta und Prashant Kumar, „House of Debt“, Crédit Suisse, Zürich, 2. August 2012.

4 Rede von Raghuram Rajan, „Third Dr. Verghese Ku­rien Memorial Lecture on Indian Economic and Financial Development“, Institute of Rural Management Anand (Irma), 25. November 2014.

5 Jairus Banaji, „Indian Big Business“, Phenomenal World, 20. Dezember 2022.

6 Aseema Sinha und Andrew Wyatt, „The Spectral Presence of Business in India’s 2019 Election“, in: Studies in Indian Politics, Bd. 7, N r. 2, Neu-Delhi, Dezember 2019.

7 Stanley A. Kochanek, „Business and Politics in India“, Berkeley (University of California Press) 1974.

8 Krishn Kaushik und Kripa Jayaram, „What were India’s electoral bonds and how did they power Modi’s party?“, Reuters, 16. Februar 2024.

9 Arundhati Roy, „Modi’s model is at last revealed for what it is: violent Hindu nationalism underwritten by big business“, The Guardian, 18. Februar 2023.

10 Zitiert nach: Barnabé Binctin und Guillaume Vénétitay, „Gautam Adani: magnat du charbon et faux ami écolo de Total en Inde“, Observatoire des multinationales, Paris, 13. Juli 2023.

11 „Adani-Hindenburg row: Plea in SC seeks contempt action against Sebi“, Deccan Herald, 18. September 2023.

12 Paranjoy Guha Thakurta und Ayush Joshi, „Are law-enforcement agencies assisting Adani Group take­overs?“, Adani Watch, 22. September 2023.

Aus dem Französischen von Heike Maillard

Camille Auvray ist Journalistin.

Le Monde diplomatique vom 11.04.2024, von Camille Auvray