11.04.2024

Senegal: Demokratie gerettet

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Senegal: Demokratie gerettet

Nachdem der Verfassungsrat ein präsidiales Dekret aufgehoben hat, konnte am 24. März endlich gewählt werden. Die Erwartungen an den Überraschungs­sieger Bassirou Diomaye Faye sind groß. Doch kann er das Land auch wirtschaftlich aus der Krise führen?

von Francis Laloupo

Dakar, 24. März 2024: Stimmen zählen NICOLAS REMENE/picture alliance/dpa/maxppp/pictorium
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Am 24. März herrschte bei den senegalesischen Präsidentschaftswahlen im ganzen Land eine große Ruhe. Die Menschen waren sichtlich erleichtert und auch stolz: „Ich habe meine Pflicht mit Freude und Zuversicht erfüllt“, erklärte eine Wählerin einem Reporter.1

Die Wahlbeteiligung lag mit 61,3 Prozent – bei 7,3 Millionen Stimmberechtigten – nur fünf Prozentpunkte niedriger als 2019. Rund 1000 internationale und nationale Beobachter, auch aus senegalesischen sozialen Bewegungen, waren in den Wahllokalen präsent, um Stimmenbetrug zu verhindern und vor allem sicherzustellen, dass das Endergebnis von allen akzeptiert wird.

Der Wahlkampf der 16 Kandidaten und einer einzigen Kandidatin war kurz, aber gut organisiert. Einige hatten sogar noch schnell eine App entwickeln lassen, mit der sie ihr Programm präsentierten, wie der Politologe Gilles Yabi auf X berichtete.

Diese Präsidentschaftswahl bildet, obwohl die kurz- und mittelfristigen Folgen noch nicht abzusehen sind, den vorläufigen Abschluss der politischen Krise, die Anfang Februar ausgebrochen war.

Die Wahl war ursprünglich für den 25. Februar angesetzt. Der Vorwahlkampf verlief relativ ruhig, nachdem Präsident Macky Sall am 3. Juli 2023 endlich seinen Verzicht auf eine dritte Amtszeit verkündet hatte. Damit war eine lange Zeit der Ungewissheit voller politischer Spannungen zu Ende. Die schlimmsten Befürchtungen schienen hinfällig.

Doch am 3. Februar verkündete der Staatschef urplötzlich die Verschiebung des Wahltermins – wegen angeblicher „Unstimmigkeiten zwischen der Nationalversammlung und dem Verfassungsrat“, zwischen denen ein „offener Konflikt über eine Korruptionsaffäre“ ausgebrochen sei. Das schaffe „ungünstige Bedingungen, die der Glaubwürdigkeit der Wahl schaden, weil sie Anlässe für Rechtsstreitigkeiten vor und nach der Wahl schaffen“.

Salls Entscheidung löste auch jenseits des Senegals Entsetzen aus, insbesondere in der westafrikanischen Nachbarregion, die seit 2020 von Krisen und Staatsstreichen erschüttert wird. Moderate Kommentatoren sprachen von „Machtmissbrauch“, andere qualifizierten das Vorgehen Salls dagegen als „institutionellen Gewaltakt“ oder gar als „Staatsstreich“. Und manche befürchteten gar einen Militärputsch.

Diese Sorge wirkt vielleicht merkwürdig in einem Land, in dem die als staatstreu und republikanisch geltende Armee noch nie putschistischer Neigungen verdächtig war. Doch Salls autoritäres Vorgehen kam einem Staatsstreich ziemlich nahe.

Schon bei den letzten Präsidentschaftswahlen von 2019 waren Salls politische Hauptgegner nicht zur Wahl zugelassen, nämlich Khalifa Sall, der frühere Bürgermeister von Dakar, und Karim Wade, der Sohn des Ex-Präsidenten Abdoulaye Wade (2000–2012), der vor 2012 verschiedene Ministerämter bekleidet hatte.

Khalifa Sall war damals wegen Unterschlagung zu fünf, Wade wegen illegaler Bereicherung zu sechs Jahren Haft verurteilt worden. Die Urteile standen allerdings im Verdacht, von den Wünschen des Präsidenten inspiriert worden zu sein. Der ließ seit 2021 jegliche Protestkundgebung brutal unterdrücken, wobei es mehrere Dutzend Tote gab. Auch Medienschaffende wurden eingeschüchtert und bedroht.2

Was Macky Sall dazu bewogen hat, die Präsidentschaftswahl zu verschieben, bleibt bis heute im Dunkeln. Mö glicherweise rechnete er mit einer Niederlage seines Favoriten, Premierminister Amadou Ba, der in den Umfragen zurücklag. Vor allem aber fürchtete er – zu Recht, wie wir heute wissen – einen Sieg von Bassirou Diomaye Faye. Der kandidierte als Stellvertreter von Ousmane Sonko, dem eine Kandidatur aufgrund mehrerer strafrechtlicher Verurteilungen verwehrt worden war.

Der vor allem bei der Jugend enorm beliebte Sonko wird von der Gefolgschaft Salls als „senegalesischer Trump“ geschmäht, als Agitator, der auf den „Jargon des Terrorismus, Islamismus und Dschihadismus“ setze.3

Sonkos Partei, die „Afrikanischen Patrioten Senegals für Arbeit, Ethik und Brüderlichkeit“ (Pastef), will das korrupte Regime ablösen, „das sich an ausländische Interessen verkauft“ habe. Die Pastef propagiert die Rückkehr zu „nationalen Werten“ und fordert den Ausstieg aus der Gemeinschaftswährung CFA-Franc.4

Am 6. Februar beschloss die Na­tio­nalversammlung unter Tumulten – nachdem Abgeordnete der Opposition von Ordnungskräften aus dem Plenarsaal entfernt worden waren – die Präsidentschaftswahl auf den 15. Dezember 2024 zu verschieben. Damit hätte Macky Sall die verfassungsmäßige Befristung seines Mandats weit überschritten. Bei weiteren Protestkundgebungen in Dakar und Saint-Louis, die gewaltsam niedergeschlagen wurden, gab es erneut Tote und Verletzte.

Am 7. Februar bekundeten die Internationale Föderation der Menschenrechtsligen (FIDH) und deren Mit­glieds­or­ga­ni­sationen im Senegal ihre „große Besorgnis“ angesichts der Verschärfung der Spannungen, der Angriffe auf die Grundrechte und der möglichen Ausweitung der von Staatschef Sall ausgelöste politischen Krise, die „Demokratie und Rechtsstaatlichkeit im Senegal und in ganz Westafrika gefährdet“.

Am 15. Februar kam eine weitere unerwartete Wendung in der Kraftprobe zwischen Regierung und Opposition: Der Verfassungsrat, auch die „sieben Weisen“ genannt, hob das Präsidialdekret auf und erklärte die Verschiebung der Wahl auf den 15. Dezember für nichtig. Damit demons­trierte diese Institution ihre Unabhängigkeit, was im Senegal wie im Ausland begrüßt wurde. Und zugleich eine Handlungsfähigkeit, die ihr angesichts eines drohenden Machtvakuums eine größere Autorität verschaffte.

Die „sieben Weisen“ riefen den Präsidenten dazu auf, die Wahl „innerhalb der kürzestmöglichen Frist“ abzuhalten. Sall schwieg zunächst, was die Spannung erneut ansteigen ließ, erklärte aber schließlich, er werde sich den Anordnungen des Verfassungsrats beugen und am 2. April aus seinem Amt ausscheiden.

Die Regierung setzte daraufhin den 24. März für die erste Wahlrunde an. Doch dann überschlugen sich die Ereignisse. Nachdem Sall einen „Nationalen Dialog“ abgehalten hatte, den die Opposition jedoch boykottierte, beschloss das Parlament am 6. März eine Amnestie für alle, die an Aktionen „im Umfeld der politischen Kundgebungen seit 2021“ beteiligt gewesen waren. Diese Amnestie kam auch Sonko und ­Faye zugute, die am 14. März nach acht Monaten Haft in die Freiheit entlassen wurden.

Damit war eine faire Ordnung wiederhergestellt, in der die 17 Präsidentschaftskandidaten einen echten Wahlkampf führen konnten. Probleme hatte nur die oppositionelle PDS des früheren Präsidenten Abdoulaye Wade, die dessen Sohn Karim Wade ins Rennen schicken wollte, dessen Kandidatur aber vom Verfassungsrat zweimal abgewiesen wurde.

Im Rückblick mutet alles an wie viel Lärm um nichts. Bleibt die Frage, wieso ein Staatschef am Ende seiner Amtszeit so hoch gepokert und damit die Institutionen seines Landes beschädigt hat. Hätte sich Sall dieses gewagte Manöver nicht sparen können?

Sein Motto lautete schon immer: „Alles außer Sonko“. Entsprechend nutzte er alle Mittel, um seine Landsleute vor den politischen Plänen des Pastef-Gründers zu warnen, den er für einen gefährlichen Populisten hält. Doch am Ende blieb ihm nur die Rolle eines Zuschauers beim gemeinsamen Wahlsieg von Sonko und dessen Platzhalter Faye.

Ob die Wahl vom 24. März die ­politische Stabilität Senegals tatsächlich gestärkt hat, lässt sich heute noch nicht sagen. Doch immerhin hat das Land in den letzten Wochen bewiesen, das seine Institutionen gut funktionieren und dass seine Bürgerinnen und Bürger wie auch deren politische Repräsentanten in der Lage waren, mittels dieser staatlichen Institutionen eine politisch gefährliche Eskalation abzuwenden.

Senegal galt lange Zeit als einsames demokratisches Vorbild, weil das Land bereits 1976 ein Mehrparteiensystem ausgebildet hatte – das zwar zunächst auf drei Parteien beschränkt war, 1981 aber ausgeweitet wurde. Dennoch wurde Senegal immer wieder von Krisen erschüttert. Alle Wahlen seit 1988 waren überschattet von Konflikten, Betrugsvorwürfen und Wahlanfechtungen, von Unterdrückung, Verfolgung von Oppositionellen und der Instrumentalisierung staatlicher Institutionen.

Nach der Präsidentschaftswahl von 1988, bei der Abdou Diouf, der Kronprinz von Staatsgründer Léopold Sédar Senghor, einen umstrittenen Sieg errungen hatte, wurde neben anderen prominenten Politikern auch sein politischer Hauptgegner Abdoulaye Wade verhaftet und der Ausnahmezustand verhängt. Fünf Jahre später kam es zu einer Neuauflage dieser Konfrontation, doch das hielt die Rivalen Diouf und Wade nicht von einer Kooperation ab. Unter der Präsidentschaft von Diouf bekleidete Wade seit 1995 den Posten des Staatsministers.

Dann aber konnte Wade bei den Wahlen von 2000 den alten Präsidenten Diouf mit einer klaren Mehrheit von 58 Prozent der Stimmen besiegen.

Dieser erste echte Machtwechsel in Senegal erfolgte zu einer Zeit, als in anderen Ländern südlich der Sahara die Opposition bereits Wahlen gewonnen hatte. 2012 wollte Wade nach zwei Amtszeiten noch ein drittes Mal antreten, was heftige Proteste auslöste. Auch damals trugen die massenhaften Demonstrationen gegen die Institutionen dazu bei, dass der amtierende Präsident seinem Rivalen Macky Sall unterlag.

Seit den 1980er Jahren hat Senegal also mehrere Konflikte schwacher und mittlerer Intensität durchgemacht, die seinen Ruf als vorbildhafte Demokratie beschädigt haben. Doch gleichzeitig trugen diese kritischen Phasen auch dazu bei, dass die Bevölkerung sensible und für das französischsprachige Afrika ziemlich einzigartige Mechanismen für die Bewältigung einer politischen Krise entwickelt hat. Obwohl das demokratische Modell derzeit vielen feindlichen Angriffen ausgesetzt ist und auf dem afrikanischen Kontinent – wie in der übrigen Welt – kritisiert oder infrage gestellt wird, zeigt sich im Senegal, dass die Bürgerinnen und Bürger von den Vorzügen dieses politischen Modells fest überzeugt ist.

Im August 2023, als der Fall Sonko das Land entzweite und unklar war, ob Macky Sall nicht doch erneut antreten würde, veröffentlichte eine Gruppe von über 1000 Abgeordneten, Universitätsangehörigen, prominenten Wirtschaftsvertretern, Kirchenleuten und Künst­le­r:in­nen einen viel beachteten Appell: „Der Staat Senegal ist un­eingeschränkt der Demokratie und der Achtung der politischen und indivi­duel­len Grundrechte sowie des Rechtsstaats allgemein verpflichtet.“ Die senegalesische Demokratie bleibe stark, hieß es weiter, „weil sie ihre Kraft aus dem Geist unseres Volkes bezieht, das auf jahrhundertealte Traditionen der Mäßigung, der Toleranz und des Dialogs zurückblicken kann“. Der Weg der Wahrheit sei zwar ein steiniger, aber dennoch sei er „der einzig gangbare für die Frauen und Männer, die sich bewusst sind, dass die Sache der Nation wichtiger ist als die Partikular­interessen von Einzelpersonen und Parteien“.5

Der neue Staatschef Bassirou Diomaye Faye steht vor großen wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen und wird dabei auch auf den Wunsch nach Veränderung reagieren müssen.

Das liegt auch daran, dass der „Plan für einen aufstrebenden Senegal“ (Plan Sénégal émergent, PSE)6 , den Sall in seiner langen Amtszeit propagiert hatte, das Versprechen, die sozialen Ungleichheiten zu verringern, nicht einlösen konnte. Der Gegensatz zwischen den ehrgeizigen Infrastrukturprojekten in und um Dakar und dem gescheiterten Kampf gegen die Armut ist immer noch viel zu groß.

In naher Zukunft ist auch ein erbitterter Verteilungskampf um die potenziellen Gewinne aus den kürzlich entdeckten Öl- und Gasvorkommen zu erwarten. Doch das brennendste Pro­blem ist die Migrationskrise, die durch Massenarbeitslosigkeit und prekäre Beschäftigungsverhältnisse noch verschärft wird. Tatsächlich bleibt für eine Jugend, die das Gefühl hat, im Elend zu versinken, als einziger Ausweg nur die Route nach Norden.

1 Radio France Internationale, 24. März 2024.

2 Siehe Ndongo Samba Sylla, „Fünf Tage der Wut“, LMd, April 2021; RSF-Meldungen des Monats, LMd, Januar 2023; vgl. auch Amnesty International, „Senegal: Authorities must investigate killings and police brutality against protestants“, 13. Februar 2024.

3 Manon Laplace, „Sénégal: Ousmane Sonko accusé de propos extrémistes après la diffusion d’une vidéo“, in: Jeune Afrique, Paris, 16. Oktober 2018.

4 Matteo Maillard, „Présidentielle au Sénégal: Ous­mane Sonko, un candidat antisystème pas si rebelle que ça“, in: Le Monde, 13. Februar 2019.

5 Siehe „La démocratie sénégalaise reste debout“, 28. August 2023, www.impact.sn.

6 Siehe Ndongo Samba Sylla, „Am Beispiel Senegal“, in: LMd, Juni 2020.

Aus dem Französischen von Sabine Jainski

Francis Laloupo ist Journalist und Gastforscher am Institut für internationale und strategische Beziehungen (Iris) in Paris.

Le Monde diplomatique vom 11.04.2024, von Francis Laloupo