07.03.2024

Ein teuflisch penibles System

zurück

Ein teuflisch penibles System

Segregation und rassistische Herrschaft in den Südstaaten derUSA

von Loïc Wacquant

Columbus, Georgia, 1942 picture alliance/everett collection
Audio: Artikel vorlesen lassen

Der Begriff „Jim Crow“ verdankt sich der Comedy-Nummer „Jump Jim Crow“ aus dem Jahr 1832, gesungen und getanzt von Thomas Dartmouth „Daddy“ Rice. Rice war der beliebteste (Weiße) Bühnenkünstler seiner Zeit, sowohl in den USA als auch in Großbritannien. Mit schwarz angemaltem Gesicht (Blackface) karikierte er mit diesem Song einen Schwarzen Sklaven.

Er trat in zusammengeflickten Kleidern auf, gestikulierte mit dem Hut und versuchte das Publikum durch seine Verrenkungen zum Lachen zu bringen; in vorgeblichem „Äthiopisch“ sang er die Ballade eines Sklaven, der mit seinem Schicksal zufrieden ist. So wurde Jim Crow zu einer Schlüsselfigur der sogenannten Minstrel-Shows, die sich über die angeblichen Charaktereigenschaften der Schwarzen Plantagenarbeiter lustig machten.

In der Geschichtswissenschaft wurde eine ganze Epoche nach dieser Kunstfigur benannt: die Zeit der Segregation, der sogenannten Rassentrennung im Süden der USA, die der Oberste Gerichtshof 1896 für zulässig erklärte und 1954 wieder untersagte. „Jim Crow“ steht demnach für eines der brutalsten rassistischen Herrschaftssysteme zu Friedenszeiten in der Moderne.

Die Jim-Crow-Ära erstreckte sich von der Einführung der Segregationsgesetze Ende des 19. Jahrhunderts über ihre hegemoniale Durchsetzung in der Zwischenkriegszeit bis zur Phase offener Proteste und allmählicher Auflösung in den beiden Jahrzehnten nach Ende des Zweiten Weltkriegs. In den ehemals konföderierten Südstaaten existierte dabei ein ganzes Spektrum unterschiedlich brutaler Diskriminierung.

Um diese rassistische Herrschaftsform zu analysieren, muss man zunächst das Klassifikationsschema verstehen, das ihr zugrunde lag. Nach Abschaffung der Sklaverei gab es im Süden der USA laut Gesetz und Alltagspraxis nur zwei streng getrennte Kategorien von Menschen: „Weiße“ und „Schwarze“ (Letztere abwertend als Negros oder Colored bezeichnet), obwohl es in der Zeit der Sklavenhalter zu zahlreichen sexuellen Übergriffen gekommen war und die als „schwarz“ klassifizierte Bevölkerung eine Vielzahl von Hautfarben und Phänotypen aufwies. Wer einen „Weißen“ und einen „schwarzen“ Elternteil hatte, wurde automatisch in die niedrigere Kategorie einsortiert, galt also als „schwarz“, wobei die äußere Erscheinung, der Status oder die rassistische Kategorisierung der weiteren Vorfahren keinerlei Rolle spielten.

Diese One-drop rule (Blutstropfen-Regel) verhärtete sich Mitte des 19. Jahrhunderts, als der Kampf gegen die „Vermischung“ Ausmaße kollektiver Hysterie annahm; im gesamten Süden der USA wurden rassistische Milizen und Ligen gegründet. 14 der 15 Südstaaten erließen strenge Gesetze, die den Status von „Schwarzen“ auf Grundlage der One-drop rule definierten. In Florida wurde der kritische Blutsanteil in der Staatsverfassung auf 1/16 (ein Ururgroßelternteil) festgesetzt, in Maryland und Mississippi auf 1/8 (ein Urgroßelternteil). In Kentucky war jede „spürbare Menge schwarzen Bluts“ ausreichend, um als „schwarz“ klassifiziert zu werden, und in Arkansas galt der Begriff „Negro“ für „jede Person, in deren Adern gleich wie viel Negro-Blut fließt“.

Doch damit war das Problem der „gemischten“ Herkunft nicht gelöst, und die „Weißen“, die sich ihres eigenen Status nicht so sicher waren, entwickelten eine regelrechte Paranoia gegenüber der invisible blackness, dem unsichtbaren Schwarzsein, wie man etwa in Romanen von William Faulkner nachlesen kann („Licht im August“ oder „Absalom, Absalom!“).

Die Unsicherheit war so groß, dass es genügte, Umgang mit Menschen zu pflegen, die von Sklavinnen oder Sklaven abstammten, um als „schwarz“ oder „Weißer N****“ klassifiziert zu werden, auch wenn keinerlei Hinweis auf eine afrikanische Abstammung vorlag. Ab den 1920er Jahren galten besonders in den Südstaaten „Weiß“ und „Schwarz“ als „Rassen“-Katego­rien, die durch eine unüberwindliche Blutsgrenze getrennt waren.

Die USA waren das einzige Land der Welt, in dem auf Grundlage der Blutstropfen-Regel bestimmt wurde, wer als „schwarz“ zu gelten hatte. Doch trotz des strengen Dualismus der beiden Kategorien waren Abstufungen der Hautfarbe innerhalb der Schwarzen Bevölkerung durchaus von Bedeutung. In Kleinstädten im Bundesstaat Mississippi war in den 1940er Jahren eine helle Haut sowohl in wirtschaftlicher als auch in gesellschaftlicher und sexueller Hinsicht von Vorteil. Die Schönheitskriterien orientierten sich an einem „Weißen“ Ideal, und deshalb bemühten sich Männer, denen der soziale Aufstieg gelungen war, möglichst „helle“ Frauen zu heiraten.

Die Blutstropfen-Regel wurde ursprünglich erfunden und institutionalisiert, um die Sklaverei aufrechtzuerhalten, doch sie überlebte deren Abschaffung im Jahr 1865. Die Forderung nach „Blutsreinheit“ war im Glauben der Weißen tief verwurzelt, verbunden mit einer Abwertung Schwarzer Körper, deren Trieben und Körperflüssigkeiten.

Nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg (1861–1865) herrschte in der Weißen Oberschicht die Überzeugung, die ehemals Versklavten würden nach ihrer Befreiung in einen wilden, animalischen „Urzustand“ zurückfallen, und jede „Vermischung“ mit ihnen stelle eine existenzielle Bedrohung der „Zivilisation“ dar. Das Bild des Schwarzen als brutaler, lüsterner Dämon „hat seinen Ursprung in der Fantasie der Sklavenhaltergesellschaft, die dem Schwarzen Mann eine Doppelnatur zuschrieb – fügsam und liebenswürdig, wenn er unterjocht, wild und mörderisch, wenn er frei war“.1

Schwarze Menschen galten auch als besonders empfänglich für Krankheiten. Sie wurden als Träger von Infektionen betrachtet, so dass intime Beziehungen mit ihnen unausweichlich zum „Rassenselbstmord“ der Weißen führen würden. Man glaubte, die „Schwarze Rasse“ sei aufgrund „ihrer großen Sinnlichkeit und ihrer Unbeherrschtheit“ wie auch ihrer „Verachtung für die Gesetze der Reinigung und Hygiene“ besonders krankheitsanfällig. Um dieses Gesundheitsrisiko in den Griff zu bekommen, müsse man die Abstammung streng kontrollieren und segregierende Maßnahmen treffen.

Diffamierende Darstellungen afroamerikanischer Menschen hielten sich bis Mitte des 20. Jahrhunderts. In den 1940er Jahren glaubten Weiße in Mississippi: „Der Schwarze ist eine unterlegene Art, biologisch primitiver, mental unterlegen und emotional unterentwickelt. Er ist unempfindlich gegenüber Schmerz, lernunfähig und zeigt ein Verhalten, das dem Tier nahesteht.“2 Schwarze Menschen waren angeblich von Natur aus träge, so dass Weiße Gewalt anwenden mussten, um sie zur Arbeit zu zwingen. Sie galten als lustig und sorglos und wurden auf eine Stufe mit Kindern gesetzt. Angeblich besaßen Schwarze kein Zeitgefühl und waren daher nicht in der Lage, ihre Wünsche aufzuschieben oder die Zukunft zu planen; sie gehorchten allein dem Herdeninstinkt, wollten ihr Schicksal gar nicht verbessern und zögen es vor, von Weißen geführt zu werden: „Nicht einer von tausend will unabhängig sein.“

Schwarze Bauern ohne Land und Rechte

Dennoch sollten die Weißen Vorsicht walten lassen, da die Schwarzen von Natur aus verlogen, diebisch, labil und unzuverlässig seien, zudem sehr leichtgläubig, so dass „von außen kommende Agitatoren“ wie etwa Kommunisten sie leicht verführen könnten. Als afroamerikanische Ak­ti­vis­t:in­nen nach Ende des Zweiten Weltkriegs immer stärker gegen die Jim-Crow-Gesetze protestierten, taten viele Weiße im Süden das als Versuch ab, „N****-Sowjets“ zu errichten.

Nach der Abschaffung der Sklaverei war es der größte Wunsch der ehemaligen Sklavinnen und Sklaven, wirtschaftlich unabhängig zu werden, indem sie selbst Landwirtschaft betrieben. Aber das berühmte Versprechen, jede Familie solle „40 acres and a mule“ (16 Hektar Land und einen Maulesel) erhalten, wurde nie umgesetzt.3

Die weißen Großgrundbesitzer unterbanden, dass ihre Schwarzen Arbeitskräfte eigenes Land bekamen, und verhinderten so ihre ökonomische Unabhängigkeit. In manchen Bundesstaaten wurden direkt nach Ende des Bürgerkriegs Black Codes erlassen, die es afroamerikanischen Menschen untersagten, Ackerland zu besitzen. In anderen Staaten terrorisierte der Ku-Klux-Klan mit brutalen Überfällen Schwarze Kleinbauern.

In jedem Fall besaßen die meisten Nachkommen von Sklaven gar nicht die finanziellen Mittel, Ackerland zu pachten oder zu kaufen. Auf diese Weise wurde die überwiegende Mehrheit der Schwarzen entweder zu Naturalpächtern, die einen Teil der Ernte an den Grundbesitzer entrichten mussten (Sharecropping), zu Jahrespächtern oder landwirtschaftlichen Hilfskräften auf denselben Plantagen, auf denen sie zuvor als Sklaven zur Arbeit gezwungen worden waren.

In den ehemals konföderierten Staaten setzten die Großgrundbesitzer das Sharecropping-System gegenüber Schwarzen ebenso wie gegenüber armen Weißen durch. Doch aufgrund der Ideologie der Segregation, die die Zeit der Sklaverei überdauert hatte, bildete der Gegensatz zwischen Weißen Landbesitzern und Schwarzen Kleinbauern den größten Hebel für wirtschaftliche Ausbeutung und symbolische Herrschaft (White Supremacy). Sie setzte die Entrechtung der Afro­ame­ri­ka­ne­r:in­nen durch deren Enteignung und Abhängigkeit fort. Zudem konnten sich Weiße Farmer aus dem Status des Naturalpächters herausarbeiten, während er für afroamerikanische Bauern im Allgemeinen ein Leben lang galt.

Beim Sharecropping stellten der Bauer und seine Familie die Arbeitskräfte, der Grundbesitzer im Gegenzug Land, Saatgut, Werkzeuge und Zugtiere sowie eine notdürftige Behausung. Er gab den Pächtern auch einen kleinen Vorschuss, in bar oder in Couponheften, die nur im plan­tagen­eige­nen Laden einlösbar waren, und gewährte in den sechs Monaten vor der Ernte eine minimale medizinische Versorgung.

Die patriarchal organisierte Familie, unterstützt von Verwandten, war die landwirtschaftliche Basiseinheit im Baumwollanbau, und ihr wirtschaftliches Überleben hing hauptsächlich von der Größe des Haushalts ab. Kinder ab 7 Jahren wurden mit Hacken und Pflücken beauftragt, Jungen ab 12 Jahren führten bereits den Pflug.

Nach der Ernte verblieb dem Pächter je nach Vertrag ein Drittel oder die Hälfte des Ertrags. Der Grundbesitzer kontrollierte sowohl den Verkauf der Ernte wie die Verrechnung der Vorschüsse, die er im Vorjahr geleistet hatte. Es war für ihn daher leicht, die Buchführung zu seinen Gunsten zu fälschen. Unter diesen Voraussetzungen erreichte die Pächterfamilie am Ende der Saison kaum die Rentabilitätsschwelle oder blieb gar auf Schulden sitzen. Sie war also entweder gezwungen, umzuziehen und auf bessere Bedingungen in einer benachbarten Plantage zu hoffen, oder sie musste weiterarbeiten, um die Schulden zu tilgen. Um 1930 konnten über 80 Prozent der Naturalpächter in Indianola im Bundesstaat Mississippi ihre Schulden nicht zurückzahlen, und im County Macon in Georgia schrieben 91 Prozent rote Zahlen.4

Viele Naturalpächter, die zu arm waren, um den Winter auf ihrer Farm zu überstehen, mussten zu ihren Eltern zurückkehren oder in benachbarten Dörfern eine Anschlussbeschäftigung bis zur nächsten Pflanzsaison suchen. Auch den Jahrespächtern, die ihr Land gegen einen festen Pachtzins mieteten, erging es nicht besser. Sie ernährten sich von Milch und Brot, das sie dem Grundbesitzer abbettelten, und mussten sich mit geringeren Essensrationen zufriedengeben als die Sklavinnen und Sklaven vor ihnen.

Schwarze Naturalpächter hatten besonders unter organisiertem Betrug zu leiden, denn jede Kritik an der Abrechnung zog sofort den Zorn des Weißen Plantagenbesitzers nach sich. Er konnte dann entweder direkt Gewalt ausüben oder das Gesetz zur Hilfe rufen, um seine ausbeuterische „Regelung“ durchzusetzen. „Der Boss sitzt hinter seinem Schreibtisch, neben sich einen 45er Revolver. Der Pächter kann der Regelung nicht widersprechen, sonst greift der Boss zur Waffe und fragt ihn, ob er Streit sucht. Wenn er es tut – ‚Peng-Peng‘.“5

Afroamerikaner, die den Mut aufbrachten, eine detaillierte Aufstellung ihrer Vorschüsse oder eine Quittung für den Verkauf ihrer Baumwolle einzufordern, wurden misshandelt, ausgepeitscht, aus dem County verjagt oder ermordet – ohne juristische Konsequenzen. Wenn ein Schwarzer einem Weißen Betrug vorwarf, galt das gewöhnlich als ausreichendes Motiv für einen „gerechtfertigten Totschlag“. In abgelegenen ländlichen Countys war das Leben eines Schwarzen nicht viel wert, wie das Südstaaten-Sprichwort zeigt: „Töte ein Maultier, kauf dir ein neues. Töte einen N****, stell einen neuen ein.“

Die Einschüchterung der Schwarzen Pächter war eine übliche Vorgehensweise, damit sie nicht „unverschämt“ wurden, das heißt, den Anteil einforderten, der ihnen eigentlich zustand. „Ein Schwarzer Farmer, der die Buchführung seines Weißen Grundbesitzers hinterfragt, gilt stets als ‚schlechter N****‘ und als Gefahr für die Aufrechterhaltung des Plantagensystems. Im Allgemeinen wird er von der Plantage verjagt, bevor er die anderen verderben kann.“6 In dem County in Mississippi, von dem hier die Rede ist, lud ein Großgrundbesitzer nicht selten seine Nachbarn zu „Peitschenfesten“ ein und folterte Pächter, die sich widersetzt hatten, vor den Augen ihrer Kollegen, um diese einzuschüchtern.

Die gewalttätigen Übergriffe verschärften sich, sobald Landarbeiter und Pächter versuchten, sich zu organisieren, um ihre Lage zu verbessern. Dann wurden Schwadronen der bundesstaatlichen Miliz ausgeschickt, um alle Versuche gewerkschaftlicher Organisation zu unterdrücken; „Anführer“ wurden verprügelt, kastriert oder ermordet. In den meisten Bundesstaaten enthielt der Pachtvertrag eine Klausel, die festlegte, dass der Grundbesitzer dessen Einhaltung nicht vor einer Zivilkammer, sondern vor einem Strafgericht einklagen konnte. Ein Naturalpächter, der sich heimlich davonmachte, wurde nicht zivilrechtlich verfolgt, sondern strafrechtlich angeklagt und ins Gefängnis gesteckt. Im Anschluss wurde er entweder dem Grundbesitzer übergeben, um seine Schulden abzuarbeiten, oder als Zwangsarbeiter einem privaten Unternehmer überlassen.

Die Behörden waren überdies schnell bei der Hand, Schwarzen schon wegen kleinster Vergehen beträchtliche Geldbußen aufzudonnern, und nutzten Vorwände wie „Störung der öffentlichen Ordnung“, „Herumlungern“ oder „Vagabundieren“, um Geld zu kassieren, das anschließend der örtlichen Polizei und Gerichtsbarkeit zugutekam. So wurde „die strafrechtliche Verfolgung eine lukrative Tätigkeit zulasten der Schwarzen“: „Wenn den Weißen Arbeitgebern das Personal ausging, sagten sie dem Sheriff Bescheid, der sofort unter Berufung auf schwammig formulierte Gesetze – etwa gegen das Vagabundieren – die nötigen Arbeitskräfte für die Landwirtschaft zusammentrieb.“7 Sobald sie hinter Schloss und Riegel saßen, wurden die Inhaftierten gedrängt, die entsprechenden Verträge zu unterzeichnen.

Auch das Abwerben eines Schwarzen Arbeiters wurde per Gesetz zur Straftat erklärt, und Verordnungen schränkten den Spielraum von Arbeitsvermittlern, auf dem Land geeignete Kandidaten für Jobs in den Städten zu finden, drastisch ein. Diese Verbindung von wirtschaftlicher Abhängigkeit und juristischer Repression führte zur „Schuldsklaverei“, wie William Edward Burghardt (W. E. B.) Du Bois schrieb; sie trat an die Stelle der früheren Sklaverei und war in mancher Hinsicht sogar schlimmer als diese.8

Die wenigen Schwarzen, denen es gelang, dem Plantagensystem zu entkommen und einen Job in der Terpentingewinnung, den Sägewerken oder den neuen Bergbau- und Industriestädten zu finden, mussten rasch feststellen, dass ihre beruflichen Möglichkeiten auch hier auf die besonders unangenehme und gefährliche „N****-Arbeit“ beschränkt waren. Sie bekamen diese Jobs nur, weil man sie für niedrigere Löhne noch härter malochen lassen konnte als Weiße. In den 1930er Jahren erklärte ein Fabrikbesitzer in Mississippi, er stelle lieber Schwarze Arbeiter ein, denn so könne er Faulpelze und Gewerkschaftler leichter in Schach halten: „Mit einem Knüppel gebe ich zwei, drei N***** eine ordentliche Abreibung, und sofort herrscht wieder Ruhe.“9

Schwarze Frauen fanden relativ leicht eine Anstellung als Köchin, Putzfrau, Wäscherin oder Amme, denn bis auf die Ärmsten beschäftigten alle Weißen Familien Hausangestellte. Die Frauen mussten für einen lächerlichen Lohn schwer schuften – in Mississippi zu Beginn des 20. Jahrhunderts 14 Stunden am Tag und 7 Tage die Woche. So waren sie gezwungen, ihren eigenen Haushalt zu vernachlässigen, ganz zu schweigen von der allgegenwärtigen Gefahr sexueller Übergriffe durch Weiße Männer.

In der Jim-Crow-Ära wurden Bräuche, Gesetze und rohe Gewalt in Stellung gebracht, um alle Kontakte zwischen „Schwarzen“ und „Weißen“ drastisch einzuschränken und eine systematische Zweiteilung aller Institutionen durchzusetzen. Jede private oder öffentliche Institution musste einen Zugang nur für Weiße („Whites Only“) und einen nur für Schwarze („Colored Only“) haben.

Auf diese Zweiteilung bezieht sich der Begriff der Segregation, den die Gesetzgeber in den Südstaaten selbst verwendeten, bevor er Eingang in die Geschichtswissenschaft fand. Er ist jedoch beschönigend, denn mit den Jim-Crow-Gesetzen wurden als „Schwarz“ qualifizierte Menschen nicht allein in abgetrennte, schlechte Wohnviertel (Darktowns) verbannt, sondern auch vom gesamten Spektrum Weißer öffentlicher Daseinsvorsorge und privater Geschäftsräume ferngehalten: aus Wartesälen, Toiletten, Fahrstühlen, Telefonkabinen, Straßenbahnen und Bussen, Saloons und Kinos, Parks und Stränden, Krankenhäusern und Poststationen, Waisenhäusern und Seniorenheimen. Das Gesetz der Zweiteilung galt selbst für Gefängnisse, Leichenhäuser und Friedhöfe – in Florida wurden sogar verschiedene Galgen für Schwarze und Weiße Todeskandidaten verwendet.

Die ehemaligen Sklavinnen und Sklaven und deren Nachkommen hatten auch nicht das Recht, dieselben Schulen zu besuchen wie Weiße. Sie mussten ihre eigenen Kirchengemeinden gründen und aufbauen. Die allgemeine Rechtfertigung dieses geradezu teuflisch peniblen gesellschaftlichen Regelwerks lautete, dass ohne doppelte Institutionen „die Schwarze Rasse die Weiße Rasse anstecken und in ihrer Entwicklung aufhalten würde“, die angeblich den Gipfelpunkt der Zivilisation erreicht hatte.

Im Verlauf der beiden ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts veränderte sich das Erscheinungsbild der Städte im Süden der USA durch die Errichtung von Mauern und Trennwänden. Schilder mit den Aufschriften „Whites Only“ und „Colored Only“ wurden aufgehängt, etwa an Trinkbrunnen oder Wartesälen. In öffentlichen Gebäuden und privaten Geschäften gab es doppelte Eingangstüren. Diese Rassifizierung des städtischen Raums schrieb selbst der Architektur die beiden fiktiven Rollen ein: die des wohlwollenden, Weißen Meisters und die seines glücklichen, afroamerikanischen Dieners. Die größte Ausnahme von der rigiden Trennung betraf das Schwarze Dienstpersonal, das zur Ausführung seiner Tätigkeiten Weiße Räume betreten durfte.

In Alabama mussten Busgesellschaften getrennte Wartebereiche für „Schwarze“ und „Weiße“ einrichten, mit „einer Trennwand, die die Sicht auf den anderen Bereich verhindert“. In Arkansas wurde für jeden nicht ordnungsgemäß segregierten Zug eine Buße von 500 Dollar für den Bahnbetreiber fällig. In Georgia machten sich Bahnbedienstete strafbar, die einen Schwarzen Passagier, der die Trennungsregeln missachtete, nicht sofort aus dem Zug warfen. In North Carolina mussten Straßenbahnen, die nur für „Weiße“ oder „Schwarze“ bestimmt waren, über Leuchtschilder mit den Aufschriften „Whites“ oder „Colored“ verfügen, die auch nach Sonnenuntergang deutlich zu erkennen waren. Die Entscheidung, welcher „Rasse“ ein Fahrgast angehörte, oblag dem Zugführer.

In Anwesenheit von Weißen sollten Schwarze besondere Ehrerbietung und Folgsamkeit an den Tag legen, sonst wurden sie sofort ermahnt und durch private Strafmaßnahmen oder öffentliche Sanktionen zur Ordnung gerufen. Zudem mussten sie freiwillig und freudig die Umgangsregeln befolgen und die Weißen als „Ma’am“ und „Sir“ (auch „Captain“ oder „Boss“) anreden, während sie selbst mit Vornamen angesprochen und in jedem Alter oder Kontext als „Boy“, „Girl“ oder „Auntie“ bezeichnet wurden.

Daseinsvorsorge nur für Weiße

Die Tabus und Sanktionen für sämtliche Interaktionen zwischen „Schwarz“ und „Weiß“ galten selbst für Telefongespräche, obwohl es hier besonders schwierig war, die Gruppenzugehörigkeit des Gesprächspartners zu bestimmen. Viele Zeitungen hatten getrennte Nachrichtenteile oder gar eigene „Colored Editions“. In einer Stadt im Mississippidelta ging die örtliche Poststation so weit, auf Briefen an Schwarze Einwohner die Anrede „Sir“ oder „Madam“ durchzustreichen. In einer anderen Filiale betrachteten es die Weißen Postbeamten als ihre Aufgabe, Briefe für Schwarze auf den Boden zu werfen, anstatt sie ihnen in die Hand zu geben. In Gesprächen mit Weißen war es für Schwarze ratsam, diese zuerst sprechen zu lassen, ihnen die Gesprächsführung zu überlassen und in ihrer Meinung recht zu geben.

Afro­ame­ri­ka­ne­r:in­nen mussten jederzeit rasch vom Bürgersteig auf die Straße ausweichen, um genügend Platz für Weiße Pas­san­t:in­nen zu lassen, und darauf achten, diese nicht zu berühren oder in ihrer Bewegungsfreiheit einzuschränken, sonst wurden sie geohrfeigt, auf die Straße gestoßen oder von der Polizei verhaftet. In Geschäften oder Büros mussten sie warten, bis alle Weißen Kun­d:in­nen bedient waren, sich zugleich im Hintergrund halten und diesen die Tür aufhalten. Es war ihnen verboten, Kleidungsstücke, Hüte oder Schuhe anzuprobieren.

Ebenso untersagten die herrschenden Sitten Schwarzen Autofahrern, gegenüber Weißen am Steuer auf ihre Vorfahrt zu pochen, sie zu überholen oder ihren Wagen auf einer Hauptstraße zu parken. Für Afro­ame­ri­ka­ne­r:in­nen war es auch besser, keine teuren Autos zu besitzen, weil dies von Weißen als Beweis ihrer „Unverschämtheit“ betrachtet wurde. In manchen ländlichen Countys konnte allein die Tatsache, dass ein Schwarzer am Steuer eines Autos saß, zu brutalen Übergriffen führen. So zwang eine Gruppe Weißer Männer in einer Kleinstadt in Georgia einen Schwarzen Farmer und seine Tochter, aus ihrem Wagen zu steigen; dann übergossen sie das Auto mit Benzin, zündeten es an und riefen: „Ab jetzt werdet ihr N**** zu Fuß in die Stadt kommen oder den guten alten Maulesel nehmen.“

Jedes äußere Anzeichen, das auf den Wunsch einer Schwarzen Person hindeuten konnte, mit Respekt behandelt zu werden – wenn sich etwa jemand an einem Wochentag schick anzog und in die Stadt ging, um Einkäufe zu erledigen –, konnte heftige Zurechtweisungen und eine Verhaftung durch die Polizei nach sich ziehen, aber auch Prügel oder Mord, die straflos blieben.

Nach den geltenden Tabus war es Schwarzen und Weißen verboten, sich die Hand zu reichen, gemeinsam zu essen, zu trinken oder zu rauchen – man untersagte jede Art von Austausch, der das Risiko barg, dass es zu den gefürchteten intimen Kontakten kommen konnte. In den Augen der Weißen in den Südstaaten besaß bereits ein gemeinsames Mahl das Potenzial, die heilige Grenze zwischen dem glorifizierten „Wir“ und den schmutzigen „Anderen“ einzureißen.

Der Grundsatz, jedes Miteinander zu unterbinden, galt auch für einfachste Vergnügungen wie Karten- und Würfelspiel, Dame oder Billard, deren gemeinsames Spiel im Bundesstaat Alabama sogar in Privaträumen verboten war. Schwarze hatten nicht das Recht, bei sportlichen Wettkämpfen gegen Weiße anzutreten, da man Angst hatte, sie könnten gewinnen. Als der Schwarze Boxchampion Jack Johnson, genannt „Papa Jack“, die „große Weiße Hoffnung“ (Great White Hope) Jim Jeffries, der den Weltmeistertitel im Schwergewicht für seine „Rasse“ zurückerobern sollte, im „Jahrhundertkampf“ in Reno (Nevada) am 4. Juli 1910 k. o. schlug, kam es im gesamten Süden zu Dutzenden Angriffen auf Afro­ame­ri­ka­ne­r:in­nen. Gruppen wütender Weißer attackierten sie auf offener Straße, um sich für Johnsons Sieg zu rächen. Der Filmmitschnitt des Kampfs durfte nicht gezeigt werden, weil die Verantwortlichen den Stolz der Schwarzen auf Johnson als „Race Savior“ (Retter seiner Rasse“) nicht befeuern wollten.

Die größte Obsession der Weißen galt jedoch unbestritten intimen Beziehungen zwischen Schwarzen und Weißen. Den bürgerlichen Eliten ging es vor allem um „Rassenreinheit“, also einen Stammbaum, in dem Schwarze und andere diffamierte Gruppen auf keinen Fall auftauchen durften. Alle Situationen, bei denen es zu intimen Begegnungen kommen konnte, standen unter Beobachtung, und jeder reale oder imaginäre Kontaktversuch Schwarzer Männer wurde brutal unterbunden. Dagegen konnten Weiße Männer, die sexuelle Beziehungen zu Schwarzen Frauen oder Schwarze Geliebte hatten, mit Toleranz und Diskretion rechnen.

Tatsächlich versuchten viele prominente Weiße im Süden, darunter auch Richter oder Gouverneure, gar nicht zu verheimlichen, dass sie neben ihrer Weißen auch noch eine Schwarze Familie hatten, denn das war in Ordnung, solange diese Beziehungen nicht offiziell anerkannt oder in der Sprache der Gefühle darüber gesprochen wurde, und Kinder nicht in die Weiße Gesellschaft aufgenommen werden sollten.

Weiße Männer hatten also „Zugang“ zu Weißen und Schwarzen Frauen, während Schwarze Männer und Weiße Frauen nur innerhalb ihrer eigenen Kaste wählen durften. Dies trug zur Idealisierung der Weißen Frau des Südens bei, die als rein und asexuell galt, während die Schwarze Frau als hypersexuell und ausschweifend dargestellt wurde. Schwarze Männer hatten in keinem Fall das Recht, intime Beziehungen zu Weißen Frauen zu unterhalten, auch wenn es sich um Prostituierte handelte. Eine solche Beziehung galt als schlimmer als Inzest, und wer sich ihr hingab, riskierte sein Leben. Die hysterische Angst vor „rassischer Degeneration“ gipfelte in Prügelorgien, Auspeitschungen und Folter. Zwischen 1880 und 1900 wurden 2060 Afroamerikaner gelyncht. Einem Drittel von ihnen warf man sexuelle Übergriffe oder einfach unangemessenes Verhalten gegenüber Weißen Frauen vor.

Trotz ihrer Brutalität hoben die Plantagenbesitzer gern hervor, wie großzügig doch ihre Unterstützung sei für die auf ihrem Land arbeitenden Pächter, in Form von Nahrungsmitteln, medizinischer Versorgung und Schutz bei juristischen Auseinandersetzungen. Hortense Powdermaker hat es sehr gut formuliert: „Die Emotionen, die die Haltung von Weißen gegenüber Schwarzen begleiten, umfassen ein vielfältiges Spektrum: Zuneigung, Freundlichkeit, Mitleid, Nachsicht, Angst, Feindseligkeit. Das Einzige, was ein Weißer Mann einem Schwarzen niemals zugestehen wird, ist Respekt.“10

1 George M. Fredrickson, „Die Seelen der Schwarzen“, „The Black Image in the White Mind: The Debate on Afro-American Character and Destiny, 1817–1914“, Middletown, Connecticut (Wesleyan University Press) 1987 (1. Ausgabe 1971).

2 Allison Davis, Burleigh B. Gardner und Mary R. Gardner, „Deep ­South: A Social Anthropological Study of Caste and Class“, Charleston (University of South Carolina Press) 2009 (1941).

3 Nach diesem Versprechen (des Nordstaaten-Generals William Tecumseh Sherman) glaubten viele ehemalige Sklavenfamilien, sie könnten ein Stück des Landes beanspruchen, das sie zuvor zwangsweise bearbeitet hatten.

4 Hortense Powdermaker, „After Freedom: A Cultural Study of the Deep South“, Madison (University of Wisconsin Press) 1993 (1939).

5 John Dollard, „Caste and Class in a Southern Town, Madison (University of Wisconsin Press) 1988 (1937).

6 Allison Davis, Burleigh B. Gardner und Mary R. Gardner, siehe Anmerkung 2.

7 Gunnar Myrdal, „An American Dilemma: The Negro Problem and Modern Democracy“, New York (Harper & Brothers) 1962 (1944).

8 William Edward Burghardt Du Bois, „The Souls of Black Folk“, New York (G&D Media) 2019 (1903).

9 Zitiert bei N. R. McMillen, „Dark Journey: Black Mississippians in the Age of Jim Crow“, Urbana (University of Illinois Press) 1990.

10 Hortense Powdermaker, siehe Anmerkung 4.

Aus dem Französischen von Sabine Jainski

Loïc Wacquant ist Professor für Soziologie an der University of California in Berkeley. Der vorliegende Text ist ein redigierter Auszug aus seinem Buch „Jim Crow, le terrorisme de caste en Amérique“, das am 19. April im Verlag Raisons d’Agir (Paris) erscheint.

Le Monde diplomatique vom 07.03.2024, von Loïc Wacquant