08.05.2024

Wilder Wald

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Wilder Wald

Wie Bäume der Klimakrise widerstehen

von Pierre Puchot

Wenn ein Wald sich selbst überlassen wird: Forêt de la Massane NICOLAS PARENT/picture alliance/dpa/maxppp
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Auf der einen Seite verbrannte Wüstenlandschaft, auf der anderen ein jahrtausendealter, üppiger Wald mit einer in Europa einzigartigen Artenvielfalt – so sah es im Frühjahr 2023 im Albères-Massiv aus.

Hier, am südlichsten Zipfel Frankreichs, wo die Pyrenäen aufs Mittelmeer treffen, lassen sich die Herausforderungen studieren, die in Zeiten der Erderwärmung auf den Wald zukommen.

Übernutzung, Krankheiten und Parasiten, invasive Arten, Baumsterben, Dürre, Feuer und Stürme machen dem Wald zu schaffen. Gerade jetzt, da die Menschheit ihn am dringendsten braucht, vermag er seine Rolle als Kohlenstoffsenke immer weniger zu erfüllen. 2022 haben die französischen Wälder nur 27,6 Millionen Tonnen Kohlendioxid gebunden, gegenüber 40 Millionen im Jahresdurchschnitt des letzten Jahrzehnts und 60 Millionen in den zehn Jahren davor.

Insbesondere in der Region Grand Est (Elsass und Lothringen, Champagne und Ardennen) geben einige Wälder inzwischen mehr CO2 ab, als sie aufnehmen.1 Zwischen 2012 und 2020 lag die Baumsterblichkeit 54 Prozent über derjenigen zwischen 2005 und 2013.2

Angesichts der apokalyptischen Landschaft, die der Großbrand im April 2023 hinterließ – mehr als 1000 Hektar Bäume und Büsche gingen zwischen dem Grenzort Cerbère und der Kleinstadt Banyuls-sur-Mer in Rauch auf –, lässt ein Abstecher in den Forêt de la Massane, wenige Kilometer entfernt, selbst pessimistische Klimaforscher wieder Hoffnung schöpfen.

Gemanagt wird das Naturschutzgebiet von den Amis de la Massane, einer Gruppe von Wis­sen­schaft­le­r:in­nen des Meeresforschungsinstituts in Banyuls (OOB), das an die Universität Paris-Sorbonne und das Nationale Forschungszentrum CNRS angegliedert ist. Doch warum wird einem kleinen Wald in den Ausläufern der Pyrenäen so viel Aufmerksamkeit geschenkt? Schließlich handelt es sich doch nur um ein 336 Hektar großes Puzzleteilchen von landesweit insgesamt 17,3 Millionen Hektar Wald.

Tatsächlich ist der Massane für die Wis­sen­schaft­le­r:in­nen nicht nur ein Wald. Er ist ein mehrere Jahrtausende altes Heiligtum und Freiluftlabor mit 12 500 Tier- und Pflanzenarten. Im Verhältnis zu seiner geringen Größe ist die Biodiversität in Europa einzigartig. Drei Besonderheiten zeichnen das Massane-Ökosystem aus: die Lage in Meeresnähe, das hohe Alter und der über Jahrzehnte andauernde geringe anthropogene Einfluss.

Vor 150 Jahren beschlossen Forstingenieure, das obere Massane-Tal unter Schutz zu stellen. Bis dahin war die Region so intensiv bewirtschaftet worden, dass die Dörfer am Fuß der Berge von Schlammlawinen bedroht waren, wenn der Massane-Fluss über die Ufer trat, der auf dem Kamm des heutigen Naturschutzgebiets entspringt. Ein intakter Wald verhindert Erosion und hält den Boden stabil.

Den Wald schützen, damit er uns schützt – das Konzept ist eigentlich alt und viel politischer, als man meint. Im Massane ist nur spazieren gehen erlaubt; jegliche kommerzielle Nutzung ist verboten. Im Massane wird kein Holz geschlagen oder gesammelt. Ein

Großteil des Waldes wird sich selbst überlassen. Totholz bleibt liegen, abgestorbene Bäume werden stehen gelassen. Es ist eine Landschaft, die sich stark unterscheidet von den „gut gepflegten“ französischen Wäldern anderswo. Doch für die Verantwortlichen ist genau das entscheidend.

„Ich bin an der südlichen Atlantikküste aufgewachsen“, erzählt Élodie Magnanou, Forscherin am OOB und Vizepräsidentin des Massane-Naturvereins. „Da hieß es immer, man geht im Wald spazieren. Dabei gibt es da gar keinen Wald, sondern nur Plantagen und Bäume, die geerntet werden.“ Mit einem natürlichen Waldökosystem habe das rein gar nichts zu tun, erklärt sie und beklagt sich über das mangelnde Bewusstsein über die komplexe Bedeutung alter Wälder im Gegensatz zu Nutzwäldern, wo alle Bäume das gleiche Alter haben und es meist nur eine Baumart gibt, „lauter Klone“. Die Bäume werden mit etwa 40 Jahren gefällt, weit vor dem Ende der natürlichen Lebensspanne eines Baums.

Die Folge dieser Forstwirtschaft ist paradox: Frankreich hat seine Waldfläche zwar seit Ende des 19. Jahrhunderts verdoppelt, doch in Wirklichkeit ist es „ziemlich weit von einem ökologischen Gleichgewicht entfernt“, erklärt Daniel Vallauri vom WWF Frankreich. „Unsere Wälder sind jung. In den letzten 30 Jahren wurde die Altersgrenze für die Fällung sogar noch weiter gesenkt.“

Es gibt also weniger große Bäume und damit auch weniger gespeicherten Kohlenstoff. „Rechnet man die Folgen von Bränden und Stürmen ein“, so Vallauri weiter, „kommt es mittlerweile in einigen Regionen wie im Osten oder an der Atlantikküste zu einer Dekapitalisierung – das heißt, es wird jedes Jahr mehr Holz entnommen, als nachwächst. Unsere Wälder haben im Durchschnitt etwa 200 Kubikmeter Holz pro Hektar, obwohl wir mit anderen Bewirtschaftungsmethoden bei einem Drittel mehr liegen könnten, so wie in Massane.“

Der Wald von Massane gehört seit 2021 zum Unesco-Weltkulturerbe. Manche Bäume, deren Alter durch Kern­bohrungen bestimmt wurde, stammen aus den 1840er Jahren, einige sind mehrere hundert Jahre alt. Die Untersuchung von Holzkohlestücken ergab, dass der Wald seit mindestens 8000 Jahren existiert. Für die Wissenschaft ist er eine wahre Goldgrube, um die Evolution und Widerstandsfähigkeit von Bäumen in Zeiten der Klimakrise zu verstehen.

„Das Problem ist, dass wir unsere Wälder nicht altern lassen“, sagt ­Diane Sorel von der Verwaltung des Naturschutzgebiets. In einem Nutzwald werde das ganze System geschwächt, weil der Waldboden überhaupt nicht konserviert wird. Dagegen können die Bäume im Massane ihr Wurzelsystem ungestört an die Bedingungen des jeweiligen Standorts anpassen.

„Warum fällt wohl in der Region Landes bei jedem Sturm alles wie Mikadostäbchen um?“, fragt Magnanou. „Weil in Reihen gepflanzt wird und alle Bäume die gleiche Größe haben. Hier hingegen sind 2009 beim Orkan ‚Klaus‘ so gut wie keine Bäume umgestürzt.“

Die Sturmfestigkeit ist nicht der einzige Vorteil des Massane. Vorbei an den letzten Steineichen geht es in den Buchenwald, der sich zu beiden Seiten des Flüsschens erstreckt. Nach dem Großbrand 2023 war der Wasserstand beunruhigend niedrig. Der Teppich aus braunen Blättern wirkte eher wie eine Herbst- denn eine Frühlingslandschaft.

Im gesamten Jahr 2023 fielen nur 480 Millimeter Regen, gegenüber dem üblichen Jahresdurchschnitt von 1200 Millimetern. Eigentlich sind hier auch die Standortbedingungen für Buchen alles andere als ideal. Die Gegend ist heiß und trocken; diese Baumart gedeiht am besten in einer kühl-feuchten Umgebung. Dennoch zeigen die Buchen von Massane, zumindest bisher, weniger Anzeichen von Dürrestress als etwa die Buchen von Fontainebleau, die aufgrund der anhaltenden Trockenheit endgültig einzugehen drohen.

Was macht die Bäume so resistent? Zuallererst hilft der Respekt vor dem Rhythmus des Waldes, sagen die Wis­sen­schaft­le­r:in­nen. Das Massane-Schutzgebiet ist ein Wald mit natürlicher Waldentwicklung, erklärt Élodie Magnanou. „Das heißt, man greift nicht ein und lässt die natürliche Selektion walten, ganz ohne die künstlichen Selektionskriterien der Menschen.“

Sämtliche menschlichen Einflüsse lassen sich zwar nicht stoppen, etwa den atmosphärischen Eintrag von Luftschadstoffen. Und andere Eingriffe können sogar nützlich sein. In Massane habe man sich zwar entschieden, den Wald nicht zu bewirtschaften, erklärt Diane Soral, dafür greife man aber auf frühere Methoden zurück. So lasse man in Ermangelung großer Pflanzenfresser eine kleine Kuhherde weiden.

Der Naturwald widerspricht allen Vorurteilen. Das beste Beispiel ist der Umgang mit Totholz. Obwohl es ein wesentlicher Bestandteil von Wäldern ist, wird es aus Nutzwäldern entfernt – aus Sorge vor gestauten Wasserläufen. Was Unsinn ist, weil sich Holz im Wasser schnell zersetzt. Im Gegenteil ist es „sogar wichtig für die Funktion der Gewässer bis hin zur Mündung“, erklärt Sorel. „Viele Tiere und Parasiten wie Schiffsbohrwürmer ernähren sich von Totholz. Jeder hat seinen Platz in diesem Kreislauf.“

Das Gleiche gilt für den Boden, wo sich Pilze, Bakterien und andere Mikroorganismen, die sogenannte Mesofauna, tummeln, die das Holz abbauen, sodass der Baum nach seinem Absterben zu Dünger werden kann. Im Totholz konzentriert sich schätzungsweise die Hälfte aller im Massane-Wald beobachteten Arten. Wenn man es entfernen würde, würde das gesamte Ökosystem aus dem Gleichgewicht geraten. Der Wald wird schwächer, die Bäume werden anfälliger für Krankheiten und reagieren empfindlicher auf Hitzewellen: „Und das ist genau das, was heute in unseren Wäldern in Frankreich geschieht“, klagt Sorel.

Aber ist totes Holz im Falle eines Brands nicht ein Problem? „Bisher hat es in Massane noch nie gebrannt. Im Gegenteil, das tote Holz funktioniert wie ein Schwamm. Es speichert die Feuchtigkeit, um sie dann wieder abzugeben.“

Seit 1999 wurden in einem 28 Hektar großen, vollständig kartografierten Gebiet 9,6 Hektar Buchenwald eingezäunt und das Genom der Bäume sequenziert. Die Erhebung umfasst insgesamt 70 000 Bäume. Auch Totholz mit einem Durchmesser und einer Länge von mindestens 10 beziehungsweise 40 Zentimetern wird erfasst. Zu dieser Mammutaufgabe kommen noch Zeitreihen mit zwei bis drei Durchgängen pro Jahr hinzu. Dank all dieser Daten können die Entwicklung des Walds und vor allem die Auswirkungen der Klimakrise auf die Bäume gründlich untersucht werden.

Die Alters- und Genomvielfalt macht den Wald nicht nur gegenüber Klimaveränderungen widerstandsfähiger. Die Wis­sen­schaft­le­r:in­nen beobachteten zum Beispiel auch eine Gallwespenart, deren Eiablage verhindert, dass sich die Knospen der Bäume öffnen. Die aus China eingeschleppte invasive Art hat bereits die Ess­kas­ta­nien in der Ardèche schwer geschädigt. Dort entschied man sich dafür, aus China auch die Erzwespe (Torymus), den Hauptfeind dieser Gallwespen, zu importieren.

Magnanou hält das für gefährlich: „Die importierte Art könnte schließlich auch andere Insekten angreifen. Bei uns hingegen hat das große Reservoir an Biodiversität die Invasion innerhalb von zwei Jahren in den Griff bekommen, ohne dass wir etwas dagegen unternommen hätten.“

Die Forscherin vergleicht das Ökosystem mit einem Spinnennetz, in dem alles miteinander verbunden ist. Ist das Netz löchrig, reißt es schon bei der geringsten Belastung. „Bei einem starken Netz mit all seinen Verbindungen ist es für eine invasive Art hingegen schwieriger, sich zu vermehren, weil es keinen freien Platz gibt. Dagegen gibt es in Nutzwäldern enorm viele ökologische Nischen, die besetzt werden können.“

Doch mittlerweile sind die alten Wälder fast alle verschwunden. Eine natürliche Waldentwicklung wie im Naturschutzgebiet Massane wird heute gerade einmal auf 0,24 Prozent der französischen Waldfläche praktiziert. Der Erhalt alter Wälder, die 2 bis 3 Prozent der Waldfläche ausmachen, ist zwar in der „Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt 2030“ explizit vorgesehen, doch es gibt keine konkreten Maßnahmen zu deren Schutz.

Respekt vor dem Rhythmus des Waldes

Ein trauriges Beispiel ist der Wald des Ciron-Tals südlich von Bordeaux. Er gilt als der älteste Wald Westeuropas und böte die einzigartige Chance zu verstehen, wie solche Gebiete die Klimakrise überstehen könnten. Alexis Ducousso, Biologe am Nationalen Forschungsinstitut für Landwirtschaft, Ernährung und Umwelt (Inrae), entdeckte 1991 diesen Wald zufällig. Wie drei Viertel der französischen Wälder befand sich auch der Ciron-Wald damals vollständig in Privatbesitz.

Nach einer genetischen Untersuchung zeigte sich, dass sich der Ciron-Wald von allen anderen Buchenwäldern in Europa unterscheidet. Eine weitere Studie ergab, dass sich die Buchen im Ciron-Wald sogar untereinander stärker unterscheiden als beispielsweise die Buchen auf dem Balkan von den Buchen in der Normandie. Ungewöhnlich ist auch, dass sich die Ciron-Buchen miteinander kreuzen. Da sich die Forscher nicht erklären konnten, wie die Bäume in einem so warmen Klima überleben konnten, untersuchten sie als Nächstes die Geschichte des Waldes.

„Wir erlebten eine unglaubliche Überraschung: Schon während der Eiszeit gab es hier Buchen!“, berichtet Ducousso. Im Tal des Ciron-Flusses sind die ältesten verkohlten Buchenstücke 43 000 Jahre alt. Damals war der Wald in Europa praktisch verschwunden. Die Ciron-Buchen aber schafften den Schritt von einem eisigen in das heutige Klima, das theoretisch viel zu warm für sie ist.

So überdauerte dieser Wald die Jahrtausende – bis schließlich große Teile der Motorsäge zum Opfer fielen. Während sich der Buchenwald 1991 noch 35 Kilometer entlang des Flusses erstreckte, sind heute gerade einmal 4,5Kilometer davon übrig. „Es ist eine genetische Ressource, die für immer verloren ist, ebenso wie die ­Chance auf eine Rückkehr der Buchenwälder ins Tal“, klagt Ducousso. Abholzung, Stürme und die forstwirtschaftliche Umstellung von Laub- auf Kiefernwälder haben vielen Buchen den Garaus gemacht.

Den restlichen Ciron-Wald, der inzwischen als Natura-2000-Gebiet und „empfindlicher Naturraum“ klassifiziert ist, versucht das Département Stück für Stück aufzukaufen. Jérôme Ogée, der am Inrae in Bordeaux über die Wechselwirkungen zwischen Wald und Erderwärmung forscht, befasste sich unter anderem mit dem Mikroklima, insbesondere im Auwald, dem Herzstück des Ciron-Waldes am gleichnamigen Wasserlauf, wo die Biodiversität besonders groß ist.

„In sommerlichen Hitzeperioden beträgt der Temperaturunterschied zwischen dem Unterholz auf dem Plateau und dem Flussufer in weniger als 100 Metern Entfernung bis zu vier Grad. Das ist enorm. Bei der Luftfeuchtigkeit liegen die Unterschiede bei 15 Prozent“, berichtet Ogée. Diese mikroklimatischen Variationen könnten sich als entscheidend für die Zukunft der französischen Wälder erweisen: „Wir versuchen, Lösungen für die beängstigenden Folgen der Klimakrise zu finden. Zonen wie die Flussufer sind Refugien für bedrohte Laubbäume. Man sollte sie nutzen, um das genetische Erbe der verschiedenen Arten zu erhalten und ein Massenaussterben zu verhindern.“

Dieser kleine Wald bei Bordeaux ist aber nicht nur wegen seines genetischen Reichtums und der Mikroklimazonen bedeutsam: „Ein Boden wie der des Ciron, der nicht bearbeitet oder umgepflügt wurde, wie es bei Kahlschlägen meist der Fall ist, kann eine enorme Menge an Kohlenstoff speichern“, erklärt Ogée. „Diese Art von Böden in alten Wäldern sollte man möglichst unberührt lassen, damit das CO2 nicht freigesetzt wird.“

Überdies werden mittlerweile auch die Vorteile von Flussufern als natürliche Feuerschneise erkannt. „Je breiter und gesünder der Auwald mit einer dichten Pufferzone um ihn herum ist, desto effektiver ist er als Brandschutzwall“, erklärt Ogée. „Die Herausforderung ist nun, Kahlschlag und Forstwirtschaft so zu regulieren, dass diese Uferwälder erhalten bleiben. Schließlich lässt sich mit ihrer Hilfe die Ausbreitung von Feuern über riesige Flächen verhindern.“

CO2-Speicher, Artenvielfalt, die Reinhaltung von Luft und Wasser, Brandschutz – all diesen Vorteilen zum Trotz ist der Wald des Ciron-Tals nach wie vor nur unzureichend geschützt. An seinen Rändern werden immer noch Bäume gefällt. „Es ist schwierig herauszufinden, ob ein Holzeinschlag legal ist oder nicht, weil die Bewirtschaftungspläne, die für Waldbesitz über 20 ­Hektar verpflichtend sind, nicht öffentlich zugänglich sind“, klagt Ducousso.

Am 14. Dezember 2023 hat die für Informationsfreiheit zuständige Behörde Cada jedoch veranlasst, dass zumindest bestimmte Passagen der Bewirtschaftungspläne von Wäldern in Privatbesitz „auf Anfrage“ zugänglich gemacht werden müssen. Der regio­nale Verband der Waldbesitzer (Centre ré­gio­nal de la propriété forestière, ­CRPF) ist für die Genehmigungen zuständig und muss die Pläne kontrollieren.

Laut Ducousso gibt es dafür in der Region um Bordeaux aber viel zu wenig Personal: „Zumindest was die Kontrolle betrifft, ist das eine mission impossible.“ Personalprobleme gibt es auch in der Nationalen Waldbehörde ONF: Von 12 800 Mitarbeitern im Jahr 2000 sind nur 8000 übrig geblieben.

„Eine Milliarde Bäume bis 2030 zu pflanzen, wie Emmanuel Macron es angekündigt hat, hat wenig Sinn, wenn man nicht einmal in der Lage ist, diese alten Wälder zu erhalten“, meint ­Diane Sorel. „Die alten Wälder sind das Gedächtnis unseres Waldes. Wenn wir sie verlieren und durch mickrige Klone ersetzen, kommt es zur Katastrophe. Die so bepflanzten Flächen werden die Schädlinge und die Klimakrise mit voller Wucht zu spüren bekommen, egal was der Mensch macht.“

Aufforstungen können also sogar kontraproduktiv sein. Dies gilt erst recht, wenn den Pflanzungen ein Kahlschlag vorausgeht, so wie es teilweise im Corona-Konjunkturprogramm geschah, als 150 Millionen Euro für die Pflanzung von 50 Millionen Bäume bereitgestellt wurden – und dann auch noch überwiegend Douglasien gepflanzt wurden, die nur an die Bedürfnisse der Industrie, nicht aber an die Erderwärmung angepasst sind.3 Öffentliche Gelder tragen demnach zur Bodenzerstörung und Freisetzung von CO2 und zur Verarmung und Schwächung der Wälder bei.

Die NGO Canopée-Forêts vi­vantes zielt mit ihrer Kritik auf die größte Forstgenossenschaft, Alliance Forêts Bois (AFB), deren Methoden sie in einer Untersuchung analysiert hat,4 nachdem sie auf mehrere Kahlschläge mit einer Ausdehnung von bis zu 20 Hektar gestoßen war, wie etwa in Viennes (Auvergne-Rhônes-Alpes). Es sind Kahlschläge in Mischwäldern, die sich normalerweise auf natürliche Weise regenerieren würden.

„Solche Kahlschläge kommen zwar nur vereinzelt vor“, erklärt Bruno Doucet, Kampagnenleiter bei Canopée. „Doch der Holzschlag von 50 Prozent des Baumbestands macht jedes Jahr im Schnitt 85 000 Hektar aus – 0,5 Prozent des Nutzwalds. Und auch Kahlschläge gewinnen zunehmend an Bedeutung, auch auf staatlicher Ebene. Die AFB, die ihr Geschäftsmodell darauf aufgebaut hat, weiß genau, wie sie bei den Behörden an ihr Ziel kommt.“

Ogée, Mitautor einer Studie über die katastrophalen Auswirkungen von Kahlschlägen5, spricht von einem strukturellen Problem: „In der heutigen Forstwirtschaft machen die Genossenschaften maßgeschneiderte Angebote. Viele Waldbesitzer haben nur kleine Waldflächen und sind froh, wenn man ihnen sowohl einen Bewirtschaftungsplan erstellt als auch die schweren Arbeiten wie Pflügen und Neupflanzungen übernimmt. Die Genossenschaften bieten all das aus einer Hand. Dadurch entstehen viele Interessenkonflikte.“

Das Forstgesetz untersagt nur unabhängigen Verwaltern mehrere Funktionen in Personalunion (Beratung, Abholzung und Verkauf), Genossenschaften sind von diesem Verbot ausgenommen.

AFB bestreitet in einer ausführlichen Pressemitteilung die meisten Vorwürfe von Canopée.6 Dabei sind diese durchaus dokumentiert. Lediglich in Bezug auf einen der beschriebenen Kahlschläge räumt die Genossenschaft ein, „dass Forstarbeiten nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurden, allerdings nur auf einem kleinen Gebiet (nur ein Hektar in dem Natura-2000-Gebiet war betroffen)“.

Zu dem vorgeworfenen Interessenkonflikt erklärt die AFB, dass sie „von und für private Waldbesitzer gegründet wurde, und diese die Genossenschaft auch leiten. Sie ist ein Manager und kein Betreiber, das ist ein großer Unterschied. Wir bringen Eigentümer zusammen, insbesondere von kleinen und mittleren Flächen, die oft isoliert und weit verstreut sind und deren Bewirtschaftung oft vernachlässigt ist. Wir verfügen über drei Geschäftsbereiche, die es unseren Mitgliedern ermöglichen, von einer Bewirtschaftung ihres Waldes und einer umfassenden persönlichen Betreuung zu profitieren. Für die Eigentümer ist das eine Chance“.

Im Landwirtschaftsministerium sieht man das ähnlich. Für den Privatwald seien Genossenschaften „das Äquivalent der staatlichen Waldbehörde: Beide Akteure werden von den Eigentümern auf der Grundlage der durchgeführten Arbeiten und Holzverkäufe bezahlt, ohne dass sie selbst das Holz kaufen und weiterverkaufen, wie es ein Forstunternehmer tun würde, der sich durch den bei dieser Transaktion erzielten Gewinn finanziert“, heißt es auf Anfrage.

Das Ministerium dementiert, dass mit den Mitteln, die der Genossenschaft zugewiesen wurden, Kahlschläge finanziert worden seien. Vielmehr würden dank der Subventionen, die den Waldbesitzern über die AFB zugutekommen, viele Hektar Waldbestand erneuert werden, „der entweder geschädigt, gefährdet oder als wirtschaftlich leistungsschwach identifiziert wurde“.

Wie können Wälder und Böden also bewahrt werden angesichts anachronistischer Abholzungspraktiken, die weiter zur Anwendung kommen? Zunächst muss noch viel Arbeit in die Identifizierung außergewöhnlicher Wälder – wie im Fall des Massane – investiert werden, um zu retten, was noch zu retten ist. Nachhaltige Bewirtschaftungsmethoden, die unter anderem von der Organisation Pro Sylva unterstützt werden, erlauben zudem eine natürliche Regeneration durch Ausdünnung, ohne dass dabei der Boden geschädigt wird.7

„Es wird wenig darüber gesprochen, aber es gibt immer mehr gescheiterte Aufforstungen“, berichtet Jérôme Ogée. „Es werden Baumarten gepflanzt, die für ein extremes Klima nicht geeignet sind. Was wir heute brauchen, sind vor allem ein Gesetz und verbindlichere Vorschriften, die es uns ermöglichen, Flussufer und alte Wälder zu schützen und eine Forstwirtschaft mit einer Vielfalt an Baumarten zu fördern.“

1 „Gaz à effet de serre et polluants atmosphériques. Bilan des émissions en France de 1990 à 2022“, Centre interprofessionnel technique d’études de la pollution atmo­sphé­rique (Citepa), Rapport d’inventaire Secten, 2023.

2 Siehe die Waldinventur des IGN: „L’IGN publie les résultats des cinq dernières campagnes de l’inventaire forestier“, 12. Oktober 2023.

3 „Planté! Le bilan caché du plan de relance en forestier“, Canopée-Forêts vivantes, März 2022.

4 „Enquête sur le système Alliance forêts bois“, Canopée-Forêts vivantes, Oktober 2023.

5 Jérôme Ogée und Laurent Augusto, „Effet des ­coupes rases sur le milieu physique“, 22. November 2022.

6 „Rétablir la vérité avec les faits!“, Alliance Forêts Bois, 28. Juli 2023; sowie „Coupes rases d‘Alliances forêts bois: Canopée ment?“, Youtube, 26. Juli 2023.

7 Siehe Gaëtan du Bus de Warnaffe, „Pour une ges­tion écologique des forêts“, Mens (Terre vivante) 2023.

Aus dem Französischen von Nicola Liebert

Pierre Puchot ist Journalist.

Deutsche Holzwirtschaft

Dem deutschen Wald geht es schlecht. Laut der letzten Waldzustandserhebung sind vier von fünf Bäumen krank. Ob Fichte, Kiefer, Buche, Eiche – die Bäume in Deutschlands Wäldern leiden. Dürren und hohe Temperaturen infolge der Klimakrise setzen ihnen weiter zu.

Deutschland gilt als waldreich, wie in Frankreich und in der Schweiz sind gut 30 Prozent der Fläche mit Wald bedeckt. Das war nicht immer so. Als Mitteleuropa vor 7500 Jahren neu besiedelt wurde, waren 90 Prozent des Gebiets Wald. Die großen Abholzungen im Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit reduzierten den Baumbestand massiv. Dominierte zuvor noch die Buche, wurde im 19. Jahrhundert, vor allem aber nach den Weltkriegen, mit schnell wachsenden Nadelhölzern aufgeforstet: Fichte und Kiefer wurden zu den „Brotbäumen“ der Holzwirtschaft. Heute ist der Wald ein menschengemachter – und der Holzvorrat wächst. 1,1 Millionen Arbeitsplätze sind mit dem Wirtschaftsbereich Forst und Holz verbunden. Der Wald beschäftigt mehr Menschen als die Automobilindustrie.

48 Prozent des deutschen Walds sind in Privatbesitz, 29 Prozent gehören den Ländern, 19 Prozent den Kommunen und Körperschaften und 4 Prozent dem Bund. Zu den Privateigentümern gehören vor allem Adelsfamilien. Die Thurn und Taxis verfügen mit knapp 20 000 Hektar über den größten privaten Waldbesitz, das sind allerdings nur knapp 0,2 Prozent des Gesamtbestands. In Frankreich sind drei Viertel des Waldes in privater Hand, in der Schweiz weniger als 30 Prozent.

Die Umweltbewegung hat den Wald spät entdeckt – vor allem durch das „Waldsterben“. Zwar wurden die Schäden durch den sauren Regen seit den 1970er Jahren in vielen Ländern diskutiert, aber das „Waldsterben“ – vom Nachrichtenmagazin Spiegel im November 1981 ausgerufen – war ein „deutsches Eigengebräu“, wie der Historiker Joachim Radkau in seiner Weltgeschichte der Ökologie schreibt. „Erst stirbt der Wald, dann stirbt der Mensch“ wurde zur neuen Ökoparole. In der Folge war nicht mehr die Atomkraft der Hauptgegner, sondern die Kohle, deren Verbrennung entscheidend zum sauren Regen beitrug. Die erregte Debatte über das Waldsterben führte dazu, dass in den 1980er Jahren mit Milliardenaufwand Rauchgasfilter in die Großkraftwerke eingebaut sowie der Katalysator und bleifreies Benzin eingeführt wurden. Die schlimmsten Prognosen traten nicht ein, der Wald erholte sich.

Weil aber weit über die Hälfte der 90 ­Mil­liar­den Bäume in Deutschland Nadelbäume in Monokulturen sind, geraten sie in Zeiten der Erderhitzung in Stress. So kommen Fichten, die eigentlich in Nordeuropa und in den Bergen beheimatet sind, mit Hitze und Trockenheit nicht gut zurecht. Deutlich widerstandsfähiger auch gegen den Borkenkäfer sind Mischwälder. Noch anpassungsfähiger sind naturnahe Wälder, die aber lediglich 3 Prozent der deutschen Wälder ausmachen: Alte, dicke Laubbäume, ein geschlossenes Blätterdach und große Mengen von lebendem und abgestorbenem Holz erzeugen ein Klima, das extreme Hitze gut abpuffert. Besonders robust ist übrigens die schöne Himalaja-Birke.

Stefan Mahlke

Le Monde diplomatique vom 08.05.2024, von Pierre Puchot