Die USA als Kriegspartei
von Gilbert Achcar
Die Luft- und Bodenoffensive der israelischen Streitkräfte gegen den Gazastreifen nach dem Angriff der Hamas vom 7. Oktober ist der erste israelische Krieg, an dem Washington direkt beteiligt ist. Die USA unterstützen offen das Kriegsziel – die Zerschlagung der Hamas – und blockieren Forderungen nach einem Waffenstillstand bei den Vereinten Nationen. Zugleich versorgen sie Israel mit Waffen und Munition und halten andere regionale Akteure davon ab, in den Konflikt einzugreifen.
Das war nicht immer so: Im ersten Arabisch-Israelischen Krieg 1948/49 unterstützten die USA Israel nicht militärisch. Zunächst spielte Washington die Rolle eines unparteiischen Vermittlers und verhängte ein Waffenembargo über beide Seiten. Das blieb bis zum Ende der Präsidentschaft von Dwight D. Eisenhower 1961 in Kraft.
Die Situation änderte sich, als John F. Kennedy angesichts des offensiven arabischen Nationalismus unter der Führung des ägyptischen Präsidenten Nasser die US-Interessen in der Region in Gefahr sah. Kennedy beschloss, sich auf Israel zu stützen, und begann Tel Aviv Waffen zu liefern.
Es war der Beginn einer „special relationship“: Bis Anfang 2023 erhielt Israel über die Jahrzehnte mehr als 158 Milliarden Dollar an US-Hilfen, darunter über 124 Milliarden Militärhilfe. Damit ist es der größte Empfänger von US-Geldern seit dem Zweiten Weltkrieg.1 Heute gewähren die USA Israel jedes Jahr Militärhilfe in Höhe von fast 4 Milliarden Dollar.
Während des Sechstagekriegs im Jahr 1967 unterstützte Washington Israel jedoch nicht offen – die Invasion des Westjordanlands ging zulasten Jordaniens, eines anderen US-Verbündeten in der Region: Das konnten die USA nicht gutheißen.
Während des Oktober-Kriegs 1973 installierten die USA zwar eine Luftbrücke für Waffenlieferungen nach Israel – allerdings lediglich mit dem Ziel, den Angriff der arabischen Staaten abzuwehren. Nachdem Israel die Oberhand errungen hatte, übte Washington starken Druck auf Tel Aviv aus, die Feindseligkeiten zu beenden.
Auch die israelische Invasion im Libanon 1982 hat Washington nicht offen unterstützt, ebenso wenig den Angriff Israels auf den Libanon 2006. Auch aus den Offensiven gegen den Gazastreifen hielt es sich heraus.
Beim gegenwärtigen Gazakrieg ist die US-Unterstützung für Israel jedoch offen und massiv. Nach dem 7. Oktober beschloss Washington, zwei Flugzeugträger-Kampfgruppen in die Region zu entsenden, eine ins Mittelmeer und eine in den Golf von Aden; dazu eine Marine-Eingreiftruppe, eine Amphibien-Angriffsgruppe unter Führung der „USS Bataan“ und das Atom-U-Boot „USS Florida“. Gleichzeitig alarmierte Washington seine Luftwaffenstützpunkte in der Region und lieferte kurzfristig militärische Ausrüstung an Israel, darunter Raketen für das Luftabwehrsystem Iron Dome.
Washington bot Israel somit militärische Rückendeckung, damit Tel Aviv den Großteil seiner Streitkräfte für den Krieg gegen den Gazastreifen einsetzen konnte, dessen erklärtes Ziel von Anfang an die Vernichtung der Hamas war. Die USA und andere westliche Staaten haben dieses Ziel offen unterstützt, wobei schnell klar wurde, dass es sich nicht ohne eine horrende Zahl ziviler Opfer erreichen lassen würde.
Die israelische Armee hatte die klare Absicht, Verluste in den eigenen Reihen so gering wie möglich zu halten; das bedeutete intensive Angriffe aus der Luft und durch die Artillerie, sowie die Planierung städtischer Gebiete, um einen urbanen Guerillakrieg zu vermeiden.
Die USA tragen eine direkte Mitverantwortung für die hohe Zahl der zivilen Opfer in Gaza, denn sie haben einen großen Teil der eingesetzten Waffen geliefert: Bis Ende November gingen 57 000 Artilleriegranaten und 15 000 Bomben an den israelischen Verbündeten, darunter mehr als 5400 BLU-117 sowie 100 BLU-109 („Bunker Buster“), die jeweils knapp eine Tonne wiegen.2
Die New York Times berichtete, Militärexperten hätten sich „überrascht“ gezeigt angesichts des „freizügigen“ Einsatzes dieser 2000-Pfund-Bomben durch Israel in dicht besiedelten Wohngebieten. Zivilisten würden in Gaza „in historischem Tempo“ getötet.3
Bis zum 25. Dezember hatten die USA 244 Waffenlieferungen per Frachtflugzeug sowie 20 Lieferungen per Schiff nach Israel geschickt.4 Der Guardian enthüllte zudem, dass Israel auf einen großen Vorrat an US-Munition zurückgreifen konnte, die bereits im Land lagerte.5
Am 20. Oktober beantragte die Regierung Biden im Kongress zusätzliche Haushaltsmittel in Höhe von 105 Milliarden US-Dollar, darunter 61,4 Milliarden für die Ukraine (46,3 Milliarden davon Militärhilfe), 14,1 Milliarden für Israel (davon 13,9 Milliarden Militärhilfe) und 13,6 Milliarden für die Bekämpfung der illegalen Einwanderung an den Grenzen. Bis Ende Januar war es Biden jedoch noch nicht gelungen, für diese zusätzlichen Mittel die Zustimmung des Kongresses zu bekommen.
Auch die Zustimmung des Kongresses für den Verkauf von 45 000 Granaten für Israels Merkava-Panzer im Wert von 500 Millionen Dollar steht aus. Am 9. Dezember erklärte die Regierung Biden deshalb eine Notlage; so konnte sie den Kongress umgehen und ein Paket von 14 000 Granaten an Israel liefern. Am 30. Dezember wiederholte sie das Vorgehen und zog damit den Zorn der Demokraten im Kongress auf sich, die mehr Kontrollen für Waffenpakete an Israel forderten.
Letztlich hat Biden, der während seiner Wahlkampagne 2020 noch versprochen hatte, den Kurs der ausgesprochen israelfreundlichen Politik seines Vorgängers zu ändern, nichts dergleichen unternommen. Damit hat er nicht nur seine eigene Demokratische Partei gegen sich aufgebracht, sondern auch die US-Bevölkerung insgesamt: Laut einer jüngst veröffentlichten Umfrage sind 57 Prozent der Amerikaner nicht mit Bidens Haltung in dem Konflikt einverstanden.6
Aus dem Französischen von Jakob Farah
Gilbert Achcar ist Professor für Entwicklungsstudien an der School of Oriental and African Studies (SOAS) der University of London.