08.02.2024

Töten und Sterben in der Fremde

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Töten und Sterben in der Fremde

Kolumbianische Bürgerkriegsveteranen verdingen sich als Söldner in aller Welt

von Hernando Calvo Ospina

Offiziersanwärter an der General Artillery School in Bogotá VANNESSA JIMENEZ/picture alliance/aa
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Am 7. Juli 2021 um ein Uhr nachts wurde der haitianische Präsident Jovenel ­Moïse in seiner Residenz in Port-au-Prince ermordet. Zwölf Schüsse wurden auf ihn abgefeuert, sie trafen in die Stirn, ins linke Auge, in die Brust, in die Hüfte und in den Bauch. Es scheint die Anweisung gegeben zu haben, keine Zeugen am Leben zu lassen. Gleichwohl überlebte seine verletzte Frau die Schießerei, indem sie sich tot stellte, den Kindern gelang es zu fliehen. 48 Stunden später wurde bekannt gegeben, die Täter seien gefasst: neben zwei Männern mit sowohl haitianischer als auch US-amerikanischer Staatsangehörigkeit 26 Kolumbianer. Tatsächlich glich das grausame Vorgehen bei der Hinrichtung des Präsidenten einer Signatur.

In Kolumbien versuchten die Medien damals, die Täter zu entlasten, und stützten sich dabei auf Aussagen von deren Familien: Die Kolumbianer, ehemalige Soldaten, seien von ihren Auftraggebern getäuscht worden, angeheuert habe man sie lediglich als Sicherheitsleute und Personenschützer.1

Bereits in den 1980er Jahren tauchten erste Berichte über kolumbianische Söldner auf – im Zusammenhang mit dem Drogenkartell von Pablo Escobar. Leute, die durch die Schule einer der repressivsten Armeen der Welt gegangen waren, perfektionierten in seinen Diensten als sogenannte sicarios im Lauf der Jahre die Instrumente der Gewalt. Mittlerweile gilt Kolumbien als weltweit größtes Reservoir an Söldnern und Auftragskillern.2

Weniger als ein Jahr nach der Ermordung des haitianischen Präsidenten, am 10. Mai 2022, töteten kolumbianische Auftragsmörder den para­guayi­schen Staatsanwalt Marcelo Pecci auf der Halbinsel Barú an der kolumbianischen Karibikküste. Er war gerade auf Hochzeitsreise. Pecci stand an vorderster Front im Kampf gegen die organisierte Drogenkriminalität in seinem Land. Ein Jahr später traf es einen Politiker in Ecuador: Fernando Villavicencio, Journalist und Präsidentschaftskandidat, wurde am 9. August 2023 bei einem Wahlkampfauftritt von kolum­bia­nischen Killern getötet.3

Seit zwei Jahrzehnten berichtet die kolumbianische Presse hin und wieder über ehemalige einheimische Soldaten, die im Nahen Osten kämpfen oder Ölquellen schützen. Bereits 2006 hatten Medien wie das kolumbianische Nachrichtenmagazin Semana oder die katarische The New Arab mit Sitz in London berichtet, dass 35 kolumbianische Veteranen zum Schutz von US-Militärstützpunkten im Irak angeheuert worden waren. Auch in Afghanistan waren im Jahr 2010 hunderte kolumbianischer Staatsangehöriger an den Kämpfen beteiligt.4

Die Militäroperationen der USA nach den Anschlägen vom 11. September 2001 brachten ein rasches Anwachsen privater Sicherheitsfirmen mit sich. Im Auftrag von Pentagon und Außenministerium rekrutierten sie Söldner, die dann für die gefährlichsten Operationen eingesetzt wurden oder die gegen die Bevölkerung gerichtete Drecksarbeit erledigten. Sie waren eine ideale Personalressource, denn ihr Tod brachte keine politischen Kosten und keine moralische Belastung für die Nation mit sich. Private Unternehmen müssen zudem keine Rechenschaft ablegen, das internationale Recht ist im Hinblick auf ihre Handlungen nicht klar genug. Zwar gelten auch für sie Regeln, doch beachtet und durchgesetzt werden sie gewöhnlich nicht.

Lange Zeit waren die Söldner an den verschiedensten Orten im Einsatz, von Libyen über Syrien bis Irak; wobei es in den meisten Fällen vor allem einen Auftraggeber gab, die USA.

Doch dann änderte sich die Lage. Im Mai 2011 enthüllte die New York Times, dass zahlreiche kolumbianische Ex-Militärs in Abu Dhabi gelandet waren und sich als Bauarbeiter ausgegeben hatten.5 Die Söldner wurden dem Kommando eines ehemaligen Obersts der kolumbianischen Armee unterstellt und von der Koalition mehrerer Staaten unter Führung Saudi-Arabiens in den Jemen entsandt, um die dortige Söldnerarmee zu verstärken.

2015 schrieb ebenfalls die New York Times, dass 450 ehemalige lateinamerikanische Soldaten, die meisten von ihnen abermals Kolumbianer, direkt von den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) für denselben Zweck angeheuert wurden. Kolumbianischen Medien zufolge wurden 15 von ihnen am 10. Dezember in der Stadt Taiz getötet, wo die heftigsten Kämpfe stattfanden und mehr als 10 000 Zivilisten den Tod fanden.6

Dante Hincapié, pensionierter Offizier des Generalkommandos der kolumbianischen Streitkräfte, hat im Jemen gekämpft: 2015 war er für ein Jahr von den Vereinigten Arabischen Emiraten angeheuert worden, 2018 bis 2020 war er erneut dort. Er erzählt, dass damals drei Söldner-Bataillone aufgestellt wurden: Das erste bestand zu 90 Prozent aus Angehörigen verschiedener Nationalitäten, 10 Prozent waren Kolumbianer. Im zweiten war das Verhältnis umgekehrt. Und im dritten, dem er selbst zugeteilt war, ­seien alle Soldaten Kolumbianer gewesen.

Hincapié ist einer von etwa 10 000 ehemaligen kolumbianischen Militärs, die in den letzten zehn Jahren als Söldner im Nahen Osten dienten. Die meisten von ihnen waren von den VAE angeheuert und fast alle waren ehemalige Berufssoldaten.7

Als dann die Ukraine mehr Kämpfer benötigte, meldeten sich ebenfalls kolumbianische Interessenten. Viele verkaufen ihren Besitz, um die lange Reise bezahlen zu können. Die einen reisen über die Dominikanische Republik, Belgien, Polen und dann auf dem Landweg in die Ukraine, andere nehmen die Südroute über Spanien und Italien nach Polen. An der Grenze erklären sie – mithilfe einer Übersetzungs-App –, dass sie kämpfen wollen, und werden zu einem Militärstützpunkt in der westukrainischen Stadt Ternopil geschickt. Dort werden sie verhört und medizinisch untersucht.

Anschließend werden die neuen Rekruten zum Karpaten-Bataillon Sitsch oder zur Internationalen Legion für die Verteidigung der Ukraine geschickt. Bevor sie in den Kampf ziehen, gestattet man ihnen ein Bankkonto zu eröffnen, damit sie Geld nach Hause an ihre Familien schicken können.

Doch viele von ihnen halten die Misshandlungen, die Fremdenfeindlichkeit und die brutalen Kriegsverbrechen, deren Zeuge sie werden, nicht lange aus. Nicht selten sind sie gezwungen, ihre Landsleute unbestattet auf dem Schlachtfeld zurückzulassen. Wenn einer von ihnen stirbt, schicken die ukrainischen Behörden den Angehörigen eine kleine Schachtel mit einer Medaille – nicht aber das Geld, das ihnen laut Vertrag zusteht.

Im Juli 2023 ging ein Video viral, in dem Söldner sich vor ukrainischen Soldaten über Misshandlungen beklagen und als Antwort eine Tränengaswolke abbekommen. „Sie behandeln mich wie einen Hund, obwohl ich einen verdammten Granatsplitter in meinem Arm habe, weil ich euer verdammtes Land verteidigt habe“, schreit da ein Soldat. In einem zweiten Video liegt ein Söldner mit blutendem Gesicht heulend am Boden: „Diese ukrai­ni­schen Schweine sind schlimmer als die Russen!“8

Söldner sind nicht durch das humanitäre Völkerrecht geschützt. Sie werden weder als Kombattanten noch als Zivilisten betrachtet, sondern als Auftragskiller. Wenn sie sterben, gibt es keine Zeremonie, und niemand sieht sie als Helden. Begehen sie Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen, werden sie dafür als Individuen verantwortlich gemacht. Sie können also von denselben Staaten, die sie beauftragen, angeklagt werden, denn diese können sich auf die Position zu­rückziehen, dass man „nichts davon gewusst“ habe oder dass „die vorgeschriebenen Verfahren nicht eingehalten“ wurden.

Die kolumbianischen Streitkräfte sind aufgrund von 60 Jahren Bürgerkrieg die größten in Lateinamerika, mit rund 450 000 Soldaten. Mit der Demobilisierung der Guerillakämpfer der Revolutionären Streitkräfte Kolum­biens (Farc) ab 2017 wurde ihre Truppenstärke um etwa 50 000 Mann reduziert. Jedes Jahr gehen etwa 6000 Soldaten nach 20 Dienstjahren in Pension, weitere 10 000 gehen mit rund 40 Jahren, weil sie nicht befördert werden oder die Lebensbedingungen zu aufreibend sind.9

Ehemalige Armeeangehörige erhalten eine lebenslange monatliche Pen­sion von maximal 2,6 Millionen kolumbianischen Pesos (etwa 600 Euro), mit der man selbst als Single nicht über die Runden kommt. Die Mörder des haitianischen Präsidenten erwarteten für ihren Auftrag rund 3000 US-Dollar pro Person. Kämpfer im Nahen Osten können sie bis zu 90 Dollar pro Tag verdienen, die Söldner im Jemen erhielten zwischen 2000 und 3000 Dollar pro Monat, mit Prämien von 1000 Dollar für jede Woche, die sie im Landesinnern eingesetzt wurden.10

Vielen wurden die versprochenen Summen jedoch nie ausgezahlt. So wurden 2006 im Irak eingesetzte Kolumbianer mit Versprechungen von 7000 US-Dollar Monatsgehalt von der Firma ID Systems in Bogotá angeworben, im Irak erhielten sie jedoch nur 1000 Dollar und konnten nicht vom Vertrag zurücktreten.11

In der Ukraine verspricht man ihnen 40 000 US-Dollar für jeden eroberten feindlichen Panzer sowie eine zusätzliche Zahlung, wenn sie einen russischen Soldaten töten oder gefangen nehmen. Viele beschweren sich jedoch, dass sie kein Geld erhielten für die Monate, in denen sie ein Land verteidigten, von dessen Existenz sie bis vor Kurzem meist gar nicht gewusst hatten.

Kolumbien ist nicht zuletzt deswegen ein Reservoir an sehr gesuchten jungen Veteranen, weil die Soldaten dort seit 1947, als das Land mit den USA das erste Militärabkommen in Lateinamerika unterzeichnete, eine Ausbildung nach westlichen Standards erhalten, militärisch wie ideologisch. So war Kolumbien das einzige Land der Region, das ab 1951 am Koreakrieg teilnahm, mit immerhin fast 5000 Mann.

Entscheidend war jedoch der 1999 von US-Präsident Bill Clinton und seinem kolumbianischen Amtskollegen An­drés Pastrana ins Leben gerufene „Plán Colombia“. Dieses millionenschwere Programm zur Drogenbekämpfung, das jedoch vor allem auf die verschiedenen Guerillagruppen abzielte, machte das Land zum größten Empfänger von US-Militärhilfe in Lateinamerika. Im Gefolge dieses Programms kamen private US- Sicherheitsfirmen wie Blackwater ins Land, die Veteranen der US-Armee zu Hunderten einsetzten, um kolumbianische Spezialtruppen im Antiguerillakampf auszubilden. Blackwater war 2009 die erste Firma, die in Kolumbien ein Rekrutierungsbüro für Söldner eröffnete. Mit solchen Aktivitäten ist das Unternehmen zum Inbegriff der Privatisierung des Kriegs im 21. Jahrhundert geworden.

Ebenso wie die USA hat auch Kolumbien das UN-Übereinkommen gegen die Anwerbung, den Einsatz, die Finanzierung und die Ausbildung von Söldnern nicht unterzeichnet. Rechtlich gesehen ist es in Kolumbien kein Verbrechen, ein Söldner zu sein, und deshalb hat die Staatsanwaltschaft keine Handhabe, dergleichen Tätigkeiten strafrechtlich zu verfolgen.

1 „Haiti president’s assassination: What we know so far“, BBC, 1. Februar 2023.

2 Juan Sebastián Serrano, „Mercenaries: the sinister export from Colombia’s conflict“, International Business Times, 9. Juli 2021.

3 Siehe Maurice Lemoine, „Explosion der Gewalt in Ecuador“, LMd, Dezember 2023.

4 „EEUU – Mercenarios de Colombia en Irak y Afganistán piden ser reconocidos como veteranos“, Euronews, 16. Januar 2022.

5 Mark Mazzetti und Emily B. Hager, „Secret Desert Force set up by Blackwater’s founder“, The New York Times, 14. Mai 2011 (verfügbar auf theledger.com).

6 Inigo Alexander, „From Haiti to Yemen: Why Colombian mercenaries are fighting foreign wars“, The New Arab, 4. August 2021.

7 Iván Gallo, „Ganarse la vida matando: testimonio de un mercenario colombiano“, Las Orillas, 18. August 2021.

8 „Videos demostrarían maltrato a exmilitares colom­bia­nos en Ucrania“, Semana TV, 1. August 2023.

9 José Ospina-Valencia, „Colombia: mercenarios, solo preparados para la guerra“, Deutsche Welle, 27. Juli 2021.

10 Inigo Alexander, siehe Anmerkung 6.

11 „Atrapados en Bagdad“, Semana, Bogotá, 19. August 2006.

Aus dem Französischen von Nicola Liebert

Hernando Calvo Ospina ist Journalist.

Le Monde diplomatique vom 08.02.2024, von Hernando Calvo Ospina