Run auf den Rosé
In der Provence verkommen die Weinberge zum Investitionsobjekt
von Julie Reux
Im sonnigen Südosten Frankreichs klingeln die Kassen der Immobilienmakler: 2022 wechselten in der Provence so viele Weingüter wie noch nie ihren Besitzer. Alle wollen plötzlich ein Landhaus und die dazugehörenden Weinberge: das Ehepaar Sarkozy/Bruni, die Hollywood-Prominenz (Brad Pitt, George Clooney, George Lucas), private Fondsmanager, deren Namen der breiten Öffentlichkeit unbekannt sind, und eine Myriade von mehr oder weniger pensionierten Kleinunternehmern, die scharf sind auf steuerbefreite Vermögenswerte und Sonne – mit Rosé als Dreingabe.
Nicht ganz unschuldig an diesem Run auf die provenzalischen Weingüter ist Bernard Arnault, der reichste Mann Frankreichs. „Wenn ein Visionär wie Bernard Arnault beschließt, hier zu investieren, dann muss es sich lohnen“, erklärt eine Weingutbesitzerin am Fuße des Berges Sainte-Victoire glücklich.
2019 kaufte Arnaults Konzern LVMH das Gut Château d’Esclans im gleichnamigen Tal 45 Kilometer nördlich von Saint-Tropez. In den folgenden vier Jahren erwarb der Weltkonzern für Luxusgüter, Champagner und Cognac weitere Weingüter mit rund 400 Hektar Fläche ganz oder teilweise. Diese vertreiben die größten Rosé-Marken der Provence, drei von ihnen sind mit dem Siegel „Crus Classés“ ausgezeichnet.
Offenbar sind alle zufrieden, ist dies doch der hart erkämpfte Beweis dafür, dass der Rosé seinen Platz unter den großen Weinen hat. Mittlerweile hat sich der Preis für Trauben und Weinland in den begehrtesten Lagen verdoppelt, und die Kooperativen – die zu Traubenlieferanten für LVMH oder andere werden – verdienen entsprechend mehr.
„Sie sind glücklich, sie haben alle einen dieser riesigen Luxus-Pick-ups gekauft“, spottet Fabrice Raymond. Er baut auf seinem Gut Terres d’Esclans Naturweine an und ist Mitglied der Bauerngewerkschaft Confédération paysanne (Conf). Im August 2022 organisierte die Conf eine „wilde Weinlese“ auf einer Parzelle des Château d’Esclans, um gegen das Landgrabbing im Weinbau zu protestieren.
Raymonds Weingut wurde gewissermaßen zu einer Enklave inmitten von Arnaults Reben-Reich. „Früher gab es fünf oder sechs Weingüter im Esclans-Tal. Gute und weniger gute, aber das war egal, es gab Leben. Jetzt haben wir Roboter in den Weinbergen.“
Die junge Winzerin Gwénaëlle Le Bars ist Vertreterin der Conf bei der halbstaatlichen Société d’aménagement foncier et d’établissement rural (Safer), die für den Erhalt von Agrarland zuständig ist. „Wir wissen genau, wie es läuft“, beklagt sie. „LVMH und Co. kaufen die Trauben zu einem höheren Preis. Alle verkaufen an sie, auch alteingesessene, genossenschaftlich organisierte Lieferanten, die in finanziellen Schwierigkeiten stecken. Und wenn der Preis wieder sinkt, ist es zu spät. Alle haben vergessen, dass die Genossenschaften als Gegengewicht zur Macht dieser Großkunden geschaffen wurden.“1
Bis die Blase platzt, wie es einige bereits vorhersagen, konzentrieren sich die Sorgen vor allem auf die Folgen der steigenden Grundstückspreise. „Wenn ich das Geschäft meinen Kindern übergeben will, fehlt mir das Geld zur Finanzierung der Nachfolge. Mit 8 Euro pro Flasche komme ich nicht weit“, erklärt Fabrice Raymond. „Die Winzer sehen nicht, dass sie ihr Kapital verwässern, wenn sie ihre Trauben an diese Typen verkaufen … Das wird ihnen erst bewusst, wenn sie ihre Nachfolge regeln möchten.“ Andererseits berichtet ein Kenner der Branche: „Wenn die Kinder beim Notar feststellen, dass der Wert des Weinguts von 4 auf 10 Millionen Euro gestiegen ist, unterschreiben alle schnell den Kaufvertrag und sind nicht unzufrieden.“
Kaum noch Winzernachwuchs
Der Boom der provenzalischen Weinberge hat vor etwa zehn Jahren begonnen, fügt sich aber in einen schon länger andauernden Finanzialisierungsprozess. Der Grundgedanke, dass ein Winzer seine Weinberge selbst bewirtschaftet (als Eigentümer oder Pächter) und ihm das Betriebskapital ganz oder teilweise gehört, trägt nicht mehr: Immer mehr Winzer:innen verkaufen ihr Land.
Im Jahresbericht 2022 der Safer liest sich das so: „Der Markt wird durch juristische Personen belebt.“ 40 Prozent der im Jahr 2022 verkauften Weinberge wurden von Unternehmen gekauft. 7,1 Prozent des französischen Agrarlands gehören branchenfremden Kapitalanlegern. Im Weinbau ist diese Zahl deutlich höher. Die Soziologen Bertrand Hervieu und François Purseigle erklären, dass sich „seit vielen Jahren eine Entkoppelung zwischen dem Besitz von Boden- und Betriebskapital und der Ausübung des Berufs“ beobachten lässt.2
Nach Angaben der Makleragentur Vinea Transactions entfallen weniger als die Hälfte der Käufe auf Profis aus dem Weingeschäft, und hierbei handelt es sich überwiegend um Handelsriesen wie Castel oder Gérard Bertrand. Diese wollen sich den Nachschub an Trauben oder Saft sichern, sich prominenter auf dem Markt platzieren oder Strukturen für den Weintourismus schaffen.
Nur für 3 Prozent der Transaktionen im Jahr 2022 war der tatsächliche Winzernachwuchs verantwortlich. Unter den „Nichtwinzern“, die Weingüter kaufen (71 Prozent des Marktes, gemessen am Wert), finden sich mehrheitlich europäische Investoren (28 Prozent) – 2 Prozent der Rebflächen in Frankreich befinden sich in ausländischer Hand. Es folgen „Neu-Winzer“, die sich beruflich umorientiert haben (21 Prozent), und „Scheinrentner“ aus anderen Branchen (20 Prozent), die Steuerschlupflöcher ausnutzen wollen.
Hinter diesen Zahlen verbirgt sich eine Vielzahl rechtlicher Konstruktionen: Manchmal wird das Gutshaus, der Name des Winzers oder des Weinguts, Rebstöcke und Material mitverkauft, manchmal nicht. Mehrere Eigentümer können sich auch zu einem Verbund zusammenschließen. Vor allem werden Agrargesellschaften aber auch in Anteilen verkauft – jedes Jahr werden rund 200 000 Hektar veräußert, weitestgehend ohne Kontrolle durch die Safer.
Die Transformation des Sektors wirkt sich auch auf den Winzerberuf selbst aus. „Es gibt einen regelrechten Aderlass in der bäuerlichen Welt“, sagt Raymond. Derjenige, der auf dem Traktor sitzt, ist nicht mehr Eigentümer, sondern immer häufiger Angestellter, nicht selten eines Dienstleistungsunternehmens für Weinbauarbeiten. In der Landwirtschaft und insbesondere im Weinbau blüht das Subunternehmertum. Die Auftragsvergabe an Subunternehmer hat sich zwischen 2002 und 2016 verdoppelt; dieser Markt wurde für Frankreich 2020 auf 4 Milliarden Euro geschätzt.
Fast 5 Prozent der französischen Weinbaubetriebe haben das Management an einen externen Anbauleiter übertragen.3 „Unternehmen wie LVMH wollen nicht einmal Angestellte, alles wird über Dienstleister geregelt“, sagt Gwénaëlle Le Bars. „Sie haben einen Önologen und einen landwirtschaftlichen Berater, der den Anbauplan erstellt, dazu einen oder zwei ganzjährig beschäftigte Traktoristen. Die restliche Arbeit wird von externen Unternehmen geleistet.“
Aber es gibt noch andere Modelle, wie Le Bars erläutert: „Einer der großen neuen Investoren hat beispielsweise den Großteil des Landes einem Einheimischen überlassen, dem er dann die Trauben abkauft. Der Winzer wird in eine Produktionskette integriert – und er ist derjenige, der die klimatischen Risiken trägt.“
In beiden Fällen geht es grundsätzlich um Vermögensverwaltung und darum, Gewinn für die Teilhaber zu erwirtschaften, und nicht mehr darum, Produktionsarbeit zu entlohnen. Die Tertiärisierung des Weinbaus ist in vollem Gange. Der Ökonom Jean-Marie Cardebat aus Bordeaux sieht in dieser Entwicklung vor allem Vorteile: „Die neuen Akteure sind besser aufgestellt, finanziell stabiler und in der Lage, Gewinne zu erwirtschaften, wo der Weinbauer Verluste gemacht hat.“
Als Beispiel nennt er die Krise in Bordeaux, wo 10 bis 30 Prozent der Weinberge gerodet werden sollen, um die Überproduktion zu stoppen. „Es gibt 6000 Erzeuger, die nicht einmal den Mindestlohn verdienen, obwohl sie extrem viel arbeiten. Es ist besser, wenn sie bei einem Konzern angestellt sind“, meint er. Das einzige Risiko wäre eine zu starke Konzentration und die Bildung eines Monopols. „Aber davon sind wir noch weit entfernt. Anstatt 5000 verschiedene Bordeaux-Marken zu haben, was viel zu viel ist, rechnen wir bis 2035 mit 200. Und das ist gut so.“
Tanguy Martin, Koordinator von Terre de Liens, einer Bürgerbewegung, die sich seit 20 Jahren für den Erhalt von landwirtschaftlichem Grund und Boden einsetzt, entgegnet: „Die Konzentration geht mit einem Rückgang der Arbeitsplätze einher. Und den Arbeitnehmern wird es wirtschaftlich nicht besser gehen als den unabhängigen Winzern. Gewiss, einige wenige können Anbauleiter werden.“ Dem Rest aber drohen Prekarität und Arbeitslosigkeit.
Laut dem Statistikdienst Agreste waren 2020 rund 80 Prozent der Landarbeiter:innen prekär beschäftigt, insbesondere Frauen. Der Anteil an ausländischen Saisonkräften, die für spezielle Aufgaben wie das Beschneiden der Rebstöcke nach Frankreich geholt werden, ist in der Landwirtschaft noch höher als im Baugewerbe.
„Der Bauer lebt arm und stirbt reich“, lautet eine Volksweisheit. „Gut für die Winzer, die profitieren“, seufzt ein Beobachter in der Provence. „Aber wenn das in diesem Tempo weitergeht, wird es in einer Generation keine Winzer mehr geben.“
1 Siehe Lucile Leclair, „Konzerne fressen sich durchs Land“, LMd, Februar 2022.
Aus dem Französischen von Birgit Bayerlein
Julie Reux ist Journalistin und Gründerin der Zeitung Vinofutur.