Kaderschmieden der Entwicklungspolitik
Eliteuniversitäten, NGOs und Chefbanker von Yves Dezalay und Bryant Garth
Analysen zum Thema „World Governance“ stehen bei den Produzenten rechts-, wirtschafts- und politikwissenschaftlicher Literatur hoch im Kurs, denn sie sind gewinn- und prestigeträchtig.1 Bei allen wissenschaftlichen oder ideologischen Differenzen ist den Autoren solcher Analysen gemeinsam, dass sie das Thema Globalisierung ernst nehmen. Die Globalisierung gilt als eine Realität, die man fördern oder bekämpfen oder auch eindämmen kann. Auf Basis dieser Annahme können sie gesellschaftliche und institutionelle Ressourcen mobilisieren, die ihr Studienobjekt als politisches Problemfeld etablieren helfen und damit zugleich als Baustelle, auf der sich viele Experten tummeln können. Die spielen sich auf immer neuen Foren und Symposien die Bälle zu und sind vor allem darauf bedacht, dass ihr neuer Machtbereich unangetastet bleibt.
Der Weltmarkt für Gutachten und Expertisen ist elitär organisiert und streng abgeschottet. Wer dazugehören will, muss bestimmte kulturelle und sprachliche Kompetenzen mitbringen. Um sich in kostspieligen Ausbildungsgängen für ein internationales Betätigungsfeld zu qualifizieren, ist es eine günstige Voraussetzung, wenn man aus einer kosmopolitischen Familie kommt. Dies gilt auch für eine Reihe von Globalisierungskritikern, die sich in vorwiegend nordamerikanisch geprägten Netzwerken bewegen. Auch die großen internationalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) suchen sich ihre jungen Spezialisten unter den besten Absolventen der US-amerikanischen Ivy-League-Universitäten2 . Der Zugang zu diesen Elitehochschulen – die jährlichen Studiengebühren betragen bis zu 40 000 Dollar – bleibt im Wesentlichen den Sprösslingen einer linksliberalen Elite vorbehalten, die – Noblesse oblige – schon immer einen Hang zu Idealismus und Universalismus hatte.
Dank dieser Rekrutierungsbasis verfügen manche NGOs ständig über neue junge und kompetente Mitarbeiter, können hoch motiviert arbeiten, verschaffen sich Anerkennung und avancieren zu kritischen Partnern von multinationalen Konzernen und Regierungsbehörden. Die in der Regel mit wenig Geld belohnte Arbeit, die aber um so wertvollere Erfahrungen vermittelt, schließt spätere Karrieren in staatlichen Institutionen, Gutachterbüros oder bei multinationalen Konzernen keineswegs aus. Dort finden die engagierten Politprofis von gestern wieder Anschluss an ihre ehemaligen Kommilitonen – oder sie können diese sogar überholen. In ihren politischen Lehrjahren haben sie erworben, was in Zeiten der Globalisierung zum unabdingbaren Rüstzeug gehört: ein Adressbuch mit wichtigen Telefonnummern, tadelloses politisches Auftreten, das mediale Präsenz mit diskretem Lobbying zu verbinden weiß, und nicht zuletzt eine Reputation, die sich als überaus nützlich erweisen kann, wenn man sich später als „moralischer Unternehmer“ betätigt.
Erst gemeinnützig, dann regierungsnützlich
Der Harvard-, Oxford- und Yale-Absolvent Benjamin Heineman zum Beispiel verbrachte seine ersten drei Berufsjahre in einer gemeinnützigen, von der Ford-Stiftung finanzierten Anwaltskanzlei. Anschließend übernahm er in der Carter-Regierung wichtige Aufgaben und stieg danach zum juristischen Direktor von General Electric auf, wo er 17 Jahre später den Posten des Vizepräsidenten erklimmen konnte. Sein vorbildliches Profil kommt seiner professionellen Glaubwürdigkeit immer dann zugute, wenn er sich für berufliches Ethos und sozialverantwortliches Unternehmertum engagiert.
Was die neue Generation der Globalisierungsaktivisten auszeichnet, gilt erst recht für ihre Vorgänger. Die kulturelle und sprachliche Gewandtheit, die Eliteschülern mit vielfach zweisprachigem Unterricht von Kindesbeinen an vermittelt wird (insbesondere in den Entwicklungsländern), dient als Passierschein zum Besuch ausländischer Universitäten, deren hohe Studiengebühren die soziale Selektion zusätzlich verstärken.
Dass die nationalen Eliten der abhängigen Länder ihre Ausbildung im Ausland absolvieren, ist eine Hinterlassenschaft aus Kolonialzeiten, die der neue Imperialismus wieder belebt hat. Die USA festigten ihre Hegemonie durch Bildungsinvestitionen, die das universitäre Curriculum der künftigen Regierungsvertreter um wirtschafts- und politikwissenschaftliche Themen zentriert. So avancierten die privaten Ivy-League-Universitäten zu bevorzugten Orten der nationalen wie internationalen Elitebildung. Da die Konkurrenz an den landeseigenen Hochschulen durch steigende Studentenzahlen zunimmt, schickt das Bürgertum seine Erben an ausländische Universitäten, womit sie fast exklusiven Zugang zu renommierten Auslandsabschlüssen erlangen. Diese unter den Eliten vieler Länder verbreitete Strategie hat zu „einer weltweiten Vereinheitlichung der Ausbildung von Führungskräften“3 beigetragen.
Mit der Abwertung der alten Kolonialideologie zugunsten neuer universaler Werte – Entwicklung, Markt, Rechtsstaat – hat der amerikanische Hegemon zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Die Seilschaften des europäischen Neokolonialismus wurden disqualifiziert, die marginalisierten Eliten per Ausbildung in die eigenen Universitäten umgelenkt. Mit dem nützlichen Nebeneffekt, dass hoch qualifiziertes Humankapital auf die meistbietenden Arbeitsmärkte abwandert.
National wie international sind die Eliten über ihre Reproduktionsstrategien eng vernetzt. Auf dem internationalen Expertenmarkt setzt sich am besten durch, wer mit internationalen Abschlüssen und Titeln aufwarten kann, die im eigenen Land beglaubigt sind. Umgekehrt ist ein internationales Kompetenz- und Beziehungskapital ein beachtliches Plus innerhalb der nationalen Machtstrukturen. Ein Abschluss der École Nationale d’Administration oder der École Polytechnique kann einer späteren Karriere in internationalen Institutionen bestimmt nicht schaden, und ein Harvard-Diplom ist gewiss kein Hindernis, um in Paris Minister zu werden. Wer zu der kleinen Gruppe der Privilegierten gehört, kann seinen nationalen Ruf nutzen, um sich auf internationaler Ebene zu präsentieren, und gleichzeitig sein internationales Engagement in die Waagschale werfen, um seine Position zu Hause zu festigen. In letzterem Fall genügt schon der Hinweis, dass man so die Interessen des eigenen Landes im internationalen Wettbewerb besser vertreten könne.4 Ein Beispiel: Das Gros der nationalen Zentralbankchefs hat ein Studium der Wirtschaftswissenschaften an einer Ivy-League-Universität absolviert; über ein Drittel von ihnen arbeitete zunächst beim Internationalen Währungsfonds (IWF) oder bei der Weltbank.
Paradoxerweise zieht das Imperium Kraft aus seiner Zerrissenheit. Die List der imperialen Vernunft5 besteht darin, dass sie sogar noch ihre Kritikmethoden exportiert. Selbst die Einwände gegen das amerikanische Modell orientieren sich an den in den USA üblichen Analysen und Kampfinstrumenten (Mobilisierung der „Zivilgesellschaft“ und der Medien).
Dank ihrem von den Elitehochschulen stammenden Personals, der finanziellen Unterstützung durch philanthropische Stiftungen und einem umfassenden Beziehungsnetz sind die in Washington ansässigen NGOs eher in der Lage, Strategien und Modelle für aktuelle politische und wissenschaftliche Fragestellungen auszuarbeiten. Dabei wollen sie ihre Analysen auch deshalb unter die Leute bringen, weil sie mit der Mobilisierung der Weltöffentlichkeit zugleich ihren Einfluss in Washington stärken wollen. Ganz anders sieht es für die politisch engagierten Organisationen der beherrschten Länder aus: Mangels Ressourcen sind sie auf die Unterstützung internationaler Stiftungen angewiesen, die ihnen als Gegenleistung die Übernahme ihrer Parolen und Modelle abverlangen.
Wie zweideutig sich die „Partnerschaft“ zwischen den großen internationalen NGOs und den kleinen Netzwerken vor Ort gestaltet, belegt Benjamin Buclet in seiner Dissertation über den „Internationalen Markt der Solidarität“6 . Finanziert werden immer nur einzelne Projekte, die mit den internationalen Geldgebern ausgehandelt werden müssen. Die damit entstehende Konkurrenz zwischen den Projekten sichert den Fondsverwaltern weitreichenden Einfluss auf die Definition der Handlungsziele, auf die „Zielgruppen“ und die Evaluierungskriterien. Da die lokalen NGOs überdies kaum direkte Kontakt zu internationalen Geldgebern aufnehmen können, sind sie auf die Vermittlung der großen, international anerkannten NGOs angewiesen, die gegenüber den lokalen NGOs als eine Art Holding auftreten. Die nationalen Regierungen und örtlichen Notabeln lassen sich so zwar umgehen, doch andererseits kann auf diesem Weg die „internationale Zivilgesellschaft“ ihre eigenen Werte und Prioritäten durchsetzen, die Entwicklungsnotwendigkeiten bestimmen und die „Erwartungen“ an die Demokratie formulieren.
Bei der Kritik an den Verfechtern des Monetarismus, die ihre Gefolgsleute an die Spitze der Finanzinstitutionen der Entwicklungsländer gehievt haben, darf man nicht übersehen, dass die Akteure des „Weltmarkts der Solidarität“ häufig auf lokaler Ebene die politische Umstrukturierung der marginalisierten Staaten umsetzen. Auch die Verantwortlichen der kleinen NGOs vor Ort entkommen der Logik des Klientelismus nicht, wenn sie in ihrem Umfeld Glaubwürdigkeit erlangen wollen. Als Sprecher – und „Paten“ – derer, die nichts zu sagen haben, sind sie darauf angewiesen, den Konkurrenzkampf mit den bisherigen lokalen Machtmonopolisten aufzunehmen.
Manche Aktivisten haben auch schon böse Überraschungen erlebt, wenn sie populäre Aktionsformen wie friedliche Kundgebungen aus demokratischen Verhältnissen in Länder übertragen wollten, wo die Regierung vor Gewaltanwendung nicht zurückschreckt. Aktionen, die ins Repertoire der westlichen Protestkultur gehören – die Mediatisierung des Protests eingeschlossen –, machen auf repressive Regime, bei denen es anders zugeht als in Stockholm oder Washington, nicht unbedingt großen Eindruck.7
Weil sie ihr Engagement nicht immer nur in David-gegen-Goliath-Kämpfen verausgaben wollen, sind manche Aktivisten versucht, auf die internationale Bühne zu flüchten, wo sie sich der Illusion hingeben können, dass ihr Tun weniger gefährlich und wirkungsvoller sei. Einige der Leute, die in Pinochets Chile für die Menschenrechte kämpften, gingen anschließend ins Ausland, was ihnen einen prominenten Platz auf der internationalen Bühne einbrachte. Manche fassten diesen Entschluss, weil sie verfolgt oder ausgewiesen wurden, wie etwa der Juraprofessor José Zalaquett, der 1976 amnesty international beitrat, wo er drei Jahre später den Vorsitz übernahm. Die meisten jedoch wanderten ab, als nach dem Wahlsieg der demokratischen Koalition der Niedergang der chilenischen NGOs einsetzte. Andere erhielten einen Posten bei der neuen Regierung. Roberto Garreton zum Beispiel, der unter der Diktatur den erzbischöflichen Rechtsausschuss für die Opfer der Diktatur leitete, wurde zunächst zum Menschenrechtsbotschafter ernannt, bevor er seine Karriere bei der UNO als Berichterstatter für Menschenrechtsfragen (etwa für die Demokratische Republik Kongo) fortsetzte. Insgesamt begannen die NGO-Gelder zu versiegen, als Chile nicht mehr in den Schlagzeilen stand; doch die benachteiligten Schichten des Landes werden nach wie vor zu Opfern polizeilicher Gewalt. Manche Aktivisten wanderten aus, um ihr Engagement fortzusetzen, etwa José Vivenco, der in Washington die Leitung der American Division von Human Rights Watch übernahm.
Erst das richtige Adressbuch, dann der perfekte Job
Die Internationalisierung der nationalen Kämpfe, über die sich ansatzweise eine Art globaler Zivilgesellschaft herausbildet, trägt mithin dazu bei, Strategien und Kampfmethoden durchzusetzen, die sich am Modell der US-Politik orientieren. Bereits die pathetische Rhetorik Ronald Reagans zeitigte paradoxe Wirkungen, insofern sie die Universalisierung der Menschenrechte begünstigte.8 Um der drohenden Rechtslastigkeit der staatlichen Institutionen entgegenzuwirken, stützten sich die Reformer aus dem demokratischen Lager auf private Think-Tanks, die sie selbst gegründet hatten und nach wie vor kontrollierten. In ihrem Bemühen, die Zivilgesellschaft als Gegenmacht zu etablieren, beriefen sie sich auf die moralische Basis der Menschenrechte und deren Anspruch auf allgemeine Geltung.
Bei der Mobilisierung protestierender Bürger üben solche philanthropischen Stiftungen zumeist einen mäßigenden Einfluss aus. So hat etwa die finanzielle und wissenschaftliche Unterstützung der Ford-Stiftung mehrere ökologische Protestbewegungen zu einem „verantwortungsbewussten“ Handeln bewogen: Die Verantwortlichen des Environment Defense Fund (EDF) wurden überredet, auf rechtliche Klagen zu verzichten, mit denen sie die Öffentlichkeit hatten mobilisieren wollen. „Bringt die Schweine vor Gericht“ (sue the bastards) hatte es bis dahin geheißen. Doch weil die Ford-Stiftung als Geldgeber womöglich zivilrechtlich für Schäden haftbar zu machen war, bestanden ihre Vertreter auf einer vorherigen Sichtung des belastenden Materials. Gleichzeitig ermunterte die Stiftung die Umweltschützer zu Verhandlungen mit der Industrie. Sie finanzierte die Arbeit eines Ökonomenteams des französischen Stromversorgers EDF, die belegt, dass Umweltschutz nicht nur Kosten verursacht, sondern auch ein gewinnträchtiges Geschäft ist. Und sie drängte die zahlreichen kleineren Aktivistengruppen, sich in größeren Verbänden zusammenzuschließen, deren professionelle Führung eher imstande sei, auf der Grundlage eines anerkannten wissenschaftlichen Gutachtens zu verhandeln.9
Von Pierre Bourdieu stammt der Satz: „Die Bezugnahme aufs Universelle ist die Waffe par excellence.“10 Der Imperialismus versteht es, unter dem Banner der Menschenrechte und der (good) Governance voranzuschreiten. Die multinationalen Konzerne brauchen dann nur noch auf ihre Partnerschaft mit den NGOs zu verweisen, und schon stehen sie als die eigentlichen Champions einer nachhaltigen Entwicklung (des Kapitalismus) da.