Birmas Generäle streiten sich und suchen Freunde
von André und Louis Boucaud
Nach dem Sturz von Premierminister Khin Nyunt im Oktober 2004 haben sich die Generäle zu uneingeschränkten Herrschern in Birma1 gemacht. In einem Klima, das von persönlichen Rivalitäten und Machtkämpfen zwischen konkurrierenden Cliquen geprägt ist, machen sie ohne viel Federlesens die vagen Hoffnungen und Illusionen der demokratischen Opposition und des Auslands zunichte. Der Nationalkonvent, der Ende Februar 2005 seine Arbeit wieder aufgenommen hatte und eine neue Verfassung ausarbeiten sollte, wurde am 31. März erneut vertagt – offiziell wegen der „heißen Jahreszeit“! Nach der Ernte im November soll die Arbeit wieder aufgenommen werden.
Lange Zeit galt General Than Shwe, der dritte Mann an der Spitze der Militärjunta, als ein Element des Ausgleichs im Machtkampf zwischen den beiden Rivalen Khin Nyunt und Maung Aye. Heute ist er der mächtigste Mann in Birma. Als Vorsitzender des „Staatsrats für Frieden und Entwicklung“ (State Peace and Development Council, SPDC) steht er an der Spitze des zentralen Machtorgans der Junta, das auch die Exekutive stellt. Internen Widerstand gegen seine Politik braucht er nicht mehr zu befürchten, nachdem es ihm gelungen ist, nahezu alle Schlüsselpositionen des Landes mit seinen Gefolgsleuten zu besetzen. Deshalb hat General Maung Aye, Oberbefehlshaber der Streitkräfte und stellvertretender Vorsitzender des SPDC und damit die Nummer zwei des Machtapparats, heute die größte Mühe, seinen alten Einfluss in der Armee zu bewahren.
Der Vorgänger von General Than Shwe, General Khin Nyunt, war seit dem Putsch des Militärs, das im Sommer 1988 einen Volksaufstand blutig niedergeschlagen hatte, als Chef der Geheimdienste einer der mächtigsten Männer in Birma. Er war der erste Sekretär des SPDC, den die Generäle 1997 nach einem internen Staatsstreich gegründet hatten.2
Ein Hinterhalt für die Staatsfeindin Nummer eins
Die Ernennung von Khin Nyunt zum Regierungschef im August 2003 war von vielen Beobachtern als Bereitschaft der Militärjunta zum Dialog mit der demokratischen Opposition gewertet worden. Zu Unrecht. Denn was Khin Nyunt von den beiden Hardlinern im Machtapparat, den Generälen Than Shwe und Maung Aye, vor allem unterschied, waren weniger grundsätzliche Vorbehalte als vielmehr seine größere Bereitschaft zu Kompromissen und sein Verhandlungsgeschick. Das hatte er bei vielen Gelegenheiten unter Beweis gestellt, unter anderem auch in den Verhandlungen mit der „internationalen Gemeinschaft“.
Auch Khin Nyunt zeigte sich jedenfalls nicht bereit, die Macht mit der demokratischen Opposition zu teilen. Schließlich war er der Architekt der traditionellen Politik, deren Ziel es war, die Macht der Militärs aufrechtzuerhalten. Diese Politik basierte vor allem auf zwei Strategien: auf der Unterdrückung der demokratischen Opposition, an deren Spitze die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi steht, und auf einer rabiaten Bekämpfung des bewaffneten Aufstands der ethnischen Minderheiten.3
Khin Nyunt wollte dieses Ziel jedoch mit Mitteln erreichen, die den beiden anderen Mitgliedern des Triumvirats nicht ins Konzept passten. Das gilt vor allem für General Than Shwe, dem allein schon der Gedanke unerträglich zu sein schien, Aung San Suu Kyi und ihrer Nationalen Liga für die Demokratie (National League for Democracy, NLD) auch nur die geringste Bewegungsfreiheit gewähren zu müssen.
Seit im Frühjahr 2002 ihr Hausarrest aufgehoben worden war, hatte Aung Suu Kyi zu einem langen Marsch aufgerufen, der in die Demokratie zurückführen sollte. Selbst in den entlegensten Gebieten Birmas, wo sie vorher noch nie aufgetreten war, wuchs die Zahl ihrer Anhänger.
Ganz ohne Zweifel war die enthusiastische Aufnahme, die ihr die Bevölkerung auch in den Gebieten der ethnischen Minderheiten bereitete, der entscheidende Grund, der General Than Shwe zu dem Befehl veranlasste, die NLD unverzüglich zu neutralisieren. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion sollten die charismatische Anführerin der Demokratiebewegung und ihre engsten Mitarbeiter verhaftet und wieder ins Gefängnis geworfen werden.
Als sich im Frühjahr 2003 eine Delegation der NLD unter der Führung von Aung Suu Kyi und dem stellvertretenden Vorsitzenden Tin Oo auf einer politischen Reise im Norden des Landes befand, schien eine günstige Gelegenheit gekommen. Am Abend des 30. Mai 2003 geriet der Autokonvoi der NLD am Ausgang des Dorfes Tabayin, auf der Straße nach Mandalay in einen Hinterhalt. Die Wagenkolonne wurde beschossen. Zahlreiche Anhänger der NLD wurden ermordet. Doch Aung San Suu Kyi kam unverletzt davon, weil ihr Fahrer so geistesgegenwärtig war, das Auto aus der Schusslinie herauszusteuern.
Bei den Angreifern handelte es sich um Kriminelle, die man eigens freigelassen hatte, um sie auf die NLD-Führung anzusetzen. Angeleitet wurden sie von Mitgliedern der USDA (Union Solidarity Development Association), einer Massenorganisation, die General Than Shwe als eine Art Parteiersatz gegründet hatte, um ein Instrument zur Unterstützung des Militärregimes jederzeit einsatzbereit zu haben. Nach Überzeugung vieler Anhänger der demokratischen Kräfte bestand das Ziel der Operation genau darin, die Oppositionsführerin auszuschalten.
Das Regime düpiert den UN-Sonderbotschafter
Nach diesem Vorfall wurde der für Anfang Juni geplante Besuch des malaysischen UN-Sonderbotschafters Razali Ismail in Birma dringlicher denn je. Der UN-Vertreter konnte mit der Oppositionsführerin sprechen, die vom Regime in „Schutzhaft“ genommen worden war, und er hatte auch ein Treffen mit zwei „gemäßigten“ Führern der Militärjunta, Khin Nyunt und Maung Aye. Diese beiden Generäle billigten zwar das Vorgehen ihres Kollegen Than Shwe nicht, wollten aber auch nicht so weit gehen, dessen Methoden ausdrücklich zu verurteilen.
Razali Ismail war davon überzeugt, dass seine privilegierten Beziehungen zum Militärregime in Rangun ihn zum idealen Mittler zwischen beiden Seiten machten. Der UN-Sonderbotschafter ist zugleich Präsident und Hauptaktionär von Iris Technologies, einem malaysischen Elektronikkonzern, der kurz vorher mit der birmanischen Regierung einen Vertrag über die Lieferung von 5 000 biometrischen Pässen abgeschlossen hatte. Vor Beginn der Verhandlungen gab sich Razali Ismail denn auch optimistisch und drückte seine Erwartung aus, dass Suu Kyi in den nächsten Wochen freigelassen werde.
In Wirklichkeit hat sich der UN-Sonderbotschafter von dem Regime an der Nase herumführen lassen und damit der Welt wieder einmal vor Augen geführt, dass die internationale Organisation nicht den geringsten Druck auf Rangun auszuüben vermag.
Als die NLD sich dann auch noch weigerte, die Farce des Nationalkonvents mitzumachen, weil sie mit ihrer Teilnahme nicht einen vorgefertigten Verfassungsentwurf sanktionieren wollte, war sie vollends ins Abseits geraten. Und mit ihr alle Anhänger der Demokratiebewegung.
Inzwischen brauchen die Militärmachthaber ohnehin nur noch die Kritik der UNO und der internationalen Gemeinschaft zu fürchten. Zwar sind in jüngster Zeit einige Asean-Staaten (Association of Southeast Asian Nations) auf Distanz zum Regime in Birma gegangen, vor allem nachdem US-Außenministerin Condoleezza Rice im Februar 2005 Birma zum ersten Mal in die Liste der „Vorposten der Tyrannei“ eingestuft hat. Damit steht Birma, isoliert vom Westen, auf einer Ebene mit Nordkorea und Kuba, was es wiederum den Chinesen leicht macht, ihre Interessen in Birma durchzusetzen.
Thailand allerdings unterstützt das Regime in Rangun ganz offen. Premierminister Thaksin Shinawatra ist auch wirtschaftlich in Birma engagiert. Erst 2002 hat seine Telekommunikationsfirma Shin Satellite (eine Tochter der Shin Corporation, die von seiner Familie kontrolliert wird) mit dem birmanischen Post- und Telekommunikationsministerium einen Vertrag über 13 Millionen Dollar unterzeichnet (mit Beteiligung der halbstaatlichen Bagan Cybertech, an deren Spitze damals ein Sohn von General Khin Nyunt stand). Dies erklärt ohne Zweifel, warum Thaksin4 Anfang 2005 öffentlich erklärte, der Hausarrest von Aung San Suu Kyi solle ruhig beibehalten werden.
Nachdem die demokratische Opposition ausgeschaltet war, hat Than Shwe, um den Anschein demokratischer Repräsentativität zu wahren, neben den Mitgliedern der USDA auch andere Gruppen einbezogen. Aus demselben Grund führte er auch die Integrationspolitik seines Vorgängers Khin Nyunt gegenüber den ethnischen Minderheiten weiter. Doch die ethnischen Minderheiten haben innerhalb des pseudodemokratischen Kurses eine reine Alibifunktion; Than Shwe und Maung Aye haben in keiner Weise vor, diesen Gruppen irgendwelche Zugeständnisse zu machen.
Als General Khin Nyunt im Oktober 2004 gestürzt wurde, nahmen seine beiden Rivalen sogleich den gesamten Apparat aufs Korn, den Nyunt kontrolliert hatte. Geheimdienste, Polizei, Einwanderungsbehörde und Zoll wurden einer radikalen Säuberung unterzogen, wie sie das Militärregime seit der Machtergreifung durch Ne Win im Jahre 1962 (die Ne-Win-Diktator dauerte bis 1988) noch nie zuvor erlebt hatte.
Wo die Armee den Geheimdienst fürchtet
In dieser Phase der Eroberung der absoluten Macht konnte General Than Shwe auf das Wohlwollen des Generals Maung Aye zählen, des Oberbefehlshabers der Streitkräfte und großen Rivalen von General Khin Nyunt. In der Tat fürchtet die Armee den Apparat des militärischen Geheimdienstes – und beneidet ihn zugleich, denn der Geheimdienst hat bei allen möglichen legalen und illegalen wirtschaftlichen Aktivitäten die Finger im Spiel gehabt und im Laufe der Zeit enorme Reichtümer angesammelt.
Lange vor dem Sturz von General Khin Nyunt hatte Than Shwe damit begonnen, die entscheidenden Machtpositionen mit seinen Gefolgsleuten zu besetzen. Seit Ende 2003 ersetzte er die lokalen Befehlshaber, die in den zwölf Militärregionen außerhalb von Rangun faktisch die Herrschaft ausüben, systematisch durch eigene Anhänger. Um sie besser kontrollieren zu können und den Einfluss des Oberbefehlshabers der Streitkräfte Maung Aye in Grenzen zu halten, installierte Than Shwe eine zusätzliche militärische Hierarchieebene, die aus den vier Kommandeuren der Spezialoperationseinheiten5 besteht. Diese kontrollieren nicht nur die militärischen Aktivitäten der Regionalchefs, sondern auch die Umsetzung der Politik, die vom höchsten Entscheidungsorgan SPDC beschlossen wurde.
Auch die Geheimdienstpyramide wurde gekappt, indem über 300 höhere Offiziere verhaftet oder in den Ruhestand versetzt wurden. Alle Militärs, die Mitglieder des militärischen Geheimdienstes (Military Intelligence, MI) waren oder mit diesem in Verbindung standen, wurden von ihren Posten entfernt. Zur gleichen Zeit fand eine umfangreiche politische Säuberung in den Ministerien und Behörden statt. Wer immer im Verdacht stand, Sympathien für General Khin Nyunt gehegt zu haben, büßte seinen Posten ein.
Um die Armee zu überwachen und jegliche Gefährdung seiner persönlichen Macht auszuschließen, hatte der langjährige Diktator Ne Win sich vor allem auf die Geheimdienste gestützt und diese gezielt gestärkt. Die heutigen Machthaber wollen jedoch nicht, dass ihnen in den Geheimdiensten eine allzu unabhängige Gegenmacht erwächst.
Nachdem die Polizei an das Innenministerium „zurückgegeben“ wurde (sämtliche Polizeichefs sind jedoch ehemalige Armeeoffiziere), wurden die neuen militärischen Geheimdienste (unter dem neuen Namen „Defence Services Military Security“) dem Kommando des mächtigsten Regionalchefs unterstellt, also dem von Rangun. Dieser wiederum untersteht direkt General Thura Shwe Mann6 , der einzig und allein gegenüber General Than Shwe verantwortlich ist. Der neue Chef des militärischen Geheimdienstes, General Myint Swe, ist im Übrigen ein Neffe von Than Shwe.
Die alte Troika an der Spitze des SPDC wurde also durch die „Viererbande“ ersetzt, wie die Führer der ethnischen Minderheiten die neue Führung der Militärjunta nennen. In dieser neuen Führung scheint der Oberkommandierende der Armee, Maung Aye, ziemlich isoliert zu sein.
In zwei zentralen Punkten sind die beiden wichtigsten Führer der Militärdiktatur gegensätzlicher Meinung: in der Frage der Behandlung von Aung San Suu Kyi und in der Politik gegenüber China. General Maung Aye möchte den Dialog mit der Oppositionsführerin wieder aufnehmen. Than Shwe dagegen ist in dieser Frage absolut unnachgiebig. Was das Verhältnis zu China anbelangt, so waren sich schon die beiden Rivalen Maung Aye und Khin Nyunt nicht einig gewesen. Die Entmachtung von Khin Nyunt hat an der Politik gegenüber China nichts geändert, denn Than Shwe hat die pragmatische Politik seines Vorgängers fortgesetzt.
Für die chinesische Politik gegenüber Birma spielen die Wa-Gruppen der ehemaligen Kommunistischen Partei Birmas (PCB) eine wichtige Rolle.7 Diese hatten sich nach der Unterzeichnung eines Waffenstillstands mit Rangun 1989 an die chinesische Grenze in den Nordosten des Landes zurückgezogen. Viele ihrer Führer sind Chinesen, die Peking zur Zeit der offenen Unterstützung Chinas für die PCB nach Birma eingeschleust hatte. Sie blieben im Land und haben heute die Aufgabe, einen chinesischen Einfluss auf die ethnischen Minderheiten im Vielvölkerstaat Birma geltend zu machen.
Diese Gruppen sind für Peking überaus nützliche Instrumente, denn man nutzt das birmanische Glacis als Schutz der chinesischen Grenze im Südwesten gegen Indien und als privilegierten Zugang zum Indischen Ozean, der es erlaubt, die gefährliche Straße von Malakka zu vermeiden.
Die Chinesen als Garanten des birmanischen Regimes
Ein weiteres wichtiges Ziel für China ist der Ausbau des Oberlaufs des Mekongs (chinesisch: Lankang Jiang). Dabei ist man auf die Zusammenarbeit mit Birma angewiesen, weil im Abschnitt an der chinesisch-birmanischen Grenze Riffe und Stromschnellen gesprengt werden müssen. In Zukunft sollen Schiffe von 500 Tonnen den Mekong fast das ganze Jahr über zwischen der südchinesischen Provinz Yunnan und Luang Prabang in Laos befahren können. Von den ökologischen Folgen redet angesichts der wirtschaftlichen Interessen der Großmacht China kaum jemand. Die Uferbewohner, die von der Flussregulierung betroffen sind, wurden ohnehin nicht gefragt.
Als Gegenleistung unterstützt die chinesische Regierung das Regime in Rangun sowohl militärisch als auch wirtschaftlich,8 wobei sie allerdings auch über zwei Druckmittel verfügt: die etwa 20 000 Mann starke Rebellenmiliz United Wa-State Army (UWSA), die an der chinesischen Grenze über eine eigene autonome Region verfügt (die so genannte Sonderregion Nr. 2), und Kredite zu sehr niedrigen Zinsen, mit denen Peking die birmanische Wirtschaft unterstützt. Im März 2004 kam die stellvertretende chinesische Ministerpräsidentin Wu Yi zu einem Staatsbesuch nach Rangun. Bei diesem Anlass wurden 24 Abkommen zur wirtschaftlichen und technischen Zusammenarbeit unterzeichnet. Zuvor hatte China dem Land einen Kredit in Höhe von 200 Millionen Dollar gewährt.
General Maung Aye, einen glühenden Nationalisten, ist der wachsende chinesische Einfluss ebenso ein Dorn im Auge wie die Autonomie, die den ethnischen Minderheiten gewährt wurde, was zur Folge hatte, dass diese weitere Forderungen erhoben. Seit dem Sturz von Khin Nyunt will Maung Aye diese Minderheiten und insbesondere die UWSA militärisch ausschalten oder sie zur bedingungslosen Unterwerfung zwingen.
Doch weil Birma die günstigen chinesischen Kredite braucht, setzt auch Maung Aye die Zusammenarbeit mit Peking fort. Und was China betrifft, so würde es bestimmt nicht tatenlos zusehen, wenn an seiner Südflanke eine feindlich gesinnte Regierung an die Macht käme. Das Militärregime in Birma kann sich daher auf die Unterstützung Chinas verlassen, die für Rangun eine Art Überlebensversicherung darstellt.