Globale Währung
Was eine Reform des IWF bewirken könnte
von Dominique Plihon
Im Juni dieses Jahres fand in Paris ein „Gipfel für einen neuen globalen Finanzpakt“ statt, der die Kluft zwischen den reichen Ländern und den Ländern des Südens erneut sichtbar machte.
Der arme Globale Süden hat einen riesigen Finanzierungsbedarf für die Bewältigung einer Klimakrise, die ihn mit voller Wucht trifft, ohne dass er dafür verantwortlich wäre. Gleichwohl beschränkt sich die Antwort der reicheren Länder auf vage Versprechungen.
In Paris forderten die Länder des Südens wie schon so oft eine Reform des bislang weitgehend von den USA dominierten internationalen Finanzsystems und neue Instrumente zur Finanzierung des ökologischen Wandels. In dieser Hinsicht könnte die entscheiden Rolle einem vom Internationalen Währungsfonds (IWF) entwickelten Instrument zukommen: den sogenannten Sonderziehungsrechten (SZR).
Das Kürzel SZR taucht in den offiziellen Diskursen seit einiger Zeit wieder häufiger auf. Anfang des Jahres benannte Adam Elhiraika, Direktor der UN-Wirtschaftskommission für Afrika, die SZR als ein Instrument, um den Finanzbedarfs der afrikanischen Länder angesichts der sozioökonomischen Auswirkungen der Coronapandemie zu decken.1 Er übernahm damit die Vorschläge mehrerer Experten, darunter Joseph Stiglitz, Wirtschaftsnobelpreisträger und ehemaliger Chefökonom der Weltbank, und Mark Weisbrot vom Center for Economic and Policy Research (CEPR) in Washington.
Könnte es sein, dass die Lösung für die aktuelle Wirtschaftskrise hier bereits angelegt ist? Bei den IWF-Sonderziehungsrechten handelt es sich formal um eine Kreditlinie, die den Ländern entsprechend ihrem Anteil am Kapital des Fonds zur Ergänzung ihrer Währungsreserven gewährt wird. Mithilfe der SZR können die Staaten also außenwirtschaftliche Transaktionen finanzieren. Die Einführung dieses Instruments im Jahr 1969 war eine Reaktion auf das Versagen des internationalen Währungssystems, das 1944 durch das Abkommen von Bretton Woods geschaffen worden war.
Damals hatte Washington den Dollar als Leitwährung durchgesetzt. Das war eine zentrale Säule der nach 1945 etablierten „Pax Americana“. Der britische Ökonom John Maynard Keynes war gegen diese Idee, den auf Gold gestützten US-Dollar zur Ankerwährung zu machen, die er nicht für tragfähig hielt. Doch der Gegenvorschlag von Keynes, die Schaffung einer wirklich internationalen Währung namens „Bancor“ setzte sich nicht durch.
Das auf dem Dollar basierende Weltwährungssystem geriet rasch in Turbulenzen. Auf weltwirtschaftlicher Ebene kehrte keine Stabilität ein; der Devisenmarkt schwankte ständig zwischen Liquiditätsknappheit und Dollarüberschuss. Dieser Konstruktionsfehler lässt sich durch das „Triffin-Dilemma“ erklären: Demnach kann eine nationale Währung, deren Schöpfung allein von der Politik des ausgebenden Landes abhängt, nicht die Rolle einer internationalen Währung spielen, die den gesamten Welthandel und die Zahlungsbilanzen der übrigen Staaten entscheidend beeinflusst.
Im Grunde läge eine der zentralen Aufgaben des Währungssystems darin,
die vorhandene Liquidität so zu regulieren, dass sie allen Ländern, je nach ihrem Bedarf, zur Verfügung steht. Der mit der Wahrung der Währungsstabilität betraute IWF schuf mittels der SZR ein neues globales Reserveguthaben, das die Ausweitung des Handels und der Finanzströme auch dann unterfüttern konnte, wenn der Dollar knapp wurde.
Der Umfang der SZR wird auf Basis eines „Währungskorbs“ ermittelt, dessen Zusammensetzung von Zeit zu Zeit variiert. Seit 2016 sind fünf Währungen mit unterschiedlicher Gewichtung in dem Korb enthalten: US-Dollar, Euro, Pfund Sterling, Yen und Renminbi.2 Der größte Vorteil des Liquiditätsinstruments SZR liegt somit darin, dass es politisch neutral ist. Die Versorgung mit SZR hängt also nicht von der Finanz- und Währungspolitik der USA ab, sondern wird unter der Ägide des IWF multilateral gesteuert.
Die SZR erhielten 2009 auch den ausdrücklichen Segen des Gouverneurs der chinesischen Zentralbank, Zhou Xiaochuan, was damals einige Beachtung fand. Im Zeitraum 2007 bis 2009 hatte der IWF mit 182,6 Milliarden US-Dollar die größte SZR-Zuteilung in seiner Geschichte bewilligt (zum Vergleich: 1970 bis 1972 waren es noch 9,3 Milliarden, 1978 bis 1981 nur 12,1 Milliarden Dollar). Damals forderten China und die Schwellenländer vom IWF auch eine Revision der Stimmrechte, die ihrem neuen wirtschaftlichen Gewicht entsprach.3
Zhou sah in der Washingtoner Institution die Vorstufe einer internationalen Zentralbank, die die globale Geldversorgung mit dem Ziel weltweiter Preisstabilität steuern könnte. Aus dieser Sicht erschienen die SZR als eine zusätzliche Quelle internationaler Liquidität – und womöglich sogar als Alternative zum Dollar.
Um dieselbe Zeit empfahl Joseph Stiglitz, ehemals Chefökonom der Weltbank, in seinem Bericht für die Vereinten Nationen über „Die Reform des internationalen Währungs- und Finanzsystems nach der globalen Krise“ die SZR als „den besten Mechanismus für globale Liquidität“.4
In seinem Report schlug Stiglitz die Zuteilung von Sonderziehungsrechten in Höhe von jährlich 150 bis 300 Milliarden US-Dollar vor, wobei er drei Hauptziele formulierte: Erstens sollten die SZR-Emissionen an das Wachstum des Welthandels gekoppelt sein, um den Mitgliedsländern die erforderlichen zusätzlichen Devisenreserven zu verschaffen. Zweitens sollten die ärmsten Ländern ihren Finanzierungsbedarf leichter decken können, da die SZR ihnen ein Mehr an IWF-Krediten zu günstigen Bedingungen verschafften. Drittens sollten die SZR auch eine antizyklische Funktion erfüllen: Es sollten also höhere Summen vergeben werden, wenn das globale Wirtschaftswachstum hinter seinem Potenzial zurückbleibt.
Der IWF würde damit die Funktion eines Kreditgebers der letzten Instanz für die Zentralbanken der Mitgliedsländer übernehmen. Tatsächlich beschlossen die 20 größten Industrie- und Schwellenländer (G20) im April 2009 auf ihrem Gipfeltreffen in London eine Erhöhung der IWF-Mittel um 500 Milliarden US-Dollar. Damit war der Fonds in der Lage, mehr Kredite, insbesondere in Form von SZR, an Länder zu vergeben, die durch die Immobilien- und Finanzkrise in Schieflage geraten waren. Ansonsten aber blieb der Stiglitz-Report toter Buchstabe.
Ein weiterer Vorschlag, der 2015 auf der Pariser Klimakonferenz eingebracht wurde, zielt auf „grüne SZR“, mit denen der von der UNO verwaltete Green Climate Fund aufgestockt werden soll. Damit könnten die Energiewende der Länder des Südens und ihre Anpassung an den Klimawandel finanziert werden. Diese Gelder wären von den 20 Ländern – plus China – aufzubringen, die für den größten Teil der Treibhausgasemissionen verantwortlich sind.5
Diese 21 sollen einen Teil ihrer Devisenreserven, die vom IWF in Form von SZR gehalten werden, an den Green Fund überweisen. Über die Mittelverwendung könnten die Beitragszahler unabhängig vom IWF entscheiden. Mit diesen SZR würde man also die für die Energiewende notwendigen Nord-Süd-Finanztransfers gewährleisten – und zugleich einen Teil der ökologischen Schulden des Nordens begleichen. Voraussetzung wäre allerdings, dass die reichen Länder ihre historische Verantwortung für den Klimawandel erst einmal anerkennen.
Der Rückgriff auf SZR ist jedoch, trotz der aufgezeigten Vorteile, nicht unbegrenzt möglich. Das wirft die Frage auf, ob die IWF-Sonderziehungsrechte wirklich das beste Mittel für eine Reform des internationalen Währungssystems sind. Die Antwort lautet: nicht unbedingt.
Das liegt zum einen an der Art und Weise der SZR-Vergabe. Die Rechte werden nicht denjenigen zugeteilt, die sie am dringendsten benötigen, sondern proportional zum jeweiligen Anteil am Kapital des IWF, also vor allem den reichsten Ländern. Hinzu kommt, dass die SZR kein echtes internationales Zahlungsmittel darstellen. Wie der IWF selbst feststellt, „sind SZR keine Währung“, sie begründen aber „einen Anspruch auf frei verfügbare Währungen von IWF-Mitgliedern“. SZR-Bestände müssen also „in Devisen umgewandelt werden, um als Zahlungsmittel oder Instrumente zur Intervention auf den Devisenmärkten verwendet werden zu können“.6
Eine Studie des CEPR verweist allerdings auf eine weitere Möglichkeit: Wenn man SZR zum Ausgleich der Zahlungsbilanz verwendet, kann man damit zuvor blockierte Liquidität für die nationalen Wirtschaftskreisläufe zurückgewinnen. Demzufolge sind SZR zwar tatsächlich keine Währung, sie können aber sehr wohl Geld „freisetzen“.7
Der IWF als globale Zentralbank?
Eine dritte Möglichkeit ist die auf dem Pariser Finanzgipfel im Juni vorgeschlagene Mobilisierung von SZR im Wert von 100 Milliarden US-Dollar für gefährdete Länder. Damit soll vor allem ein neues Instrument des IWF, der Treuhandfonds für Resilienz und Nachhaltigkeit (Resilience and Sustainability Trust) gespeist werden.
In all diesen Fällen stellen die SZR jedoch keine fixe monetäre Größe dar. Ihr Wert hängt von der Gewichtung und den Kursen der Währungen ab, aus denen sich der Korb zusammensetzt. Um als Rechnungseinheit zu fungieren, muss eine Währung jedoch einen stabilen Wert haben.
Eine letzte Einschränkung: Der IWF ist keine Zentralbank mit der Befugnis, Geld zu schöpfen; deshalb kann er internationale Liquidität in Form von SZR nicht unbegrenzt bereitstellen. Derzeit ist die Rolle des IWF auf die Umverteilung der finanziellen Ressourcen beschränkt, deren Höhe von den Mitgliedstaaten festgelegt wird. Eine Neudefinition seiner Aufgaben erfordert daher zwangsläufig eine Reform der Institution.
Dafür müssen mindestens drei Bedingungen erfüllt sein: Erstens eine Demokratisierung des IWF, der bislang von den Industrieländern dominiert wird, weshalb seine Legitimität umstritten ist. Die USA und Europa sind jedoch gegen eine solche Reform. So ist die Neuberechnung der Stimmrechte, die China und die Schwellenländer nach der letzten Finanzkrise anstrebten, am faktischen Veto Washingtons gescheitert. Zweitens müssen die Statuten des IWF geändert werden. Er müsste die Möglichkeit erhalten, in der Art einer Zentralbank Geld in Form von SZR gemäß den Bedürfnissen der Weltwirtschaft zu schöpfen.
Die dritte Bedingung liegt nicht in der Macht des IWF. Will man die SZR zu einer unabhängigen internationalen Währung machen, die über den nationalen Währungen steht, muss man letztendlich die Logik einer Leitwährung und die dominante Rolle des Dollar im internationalen Währungssystem infrage stellen.
Bleibt die große Frage, ob die politischen Voraussetzungen für solche radikalen Veränderungen gegeben sind. Man könnte annehmen, dass eine größere Aufstockung der SZR durch die jüngsten Entwicklungen im internationalen Währungssystem begünstigt wird. Dieses System hat sich durch den Aufstieg des Euro und des Renminbi in Konkurrenz zum Dollar zu einem multipolaren System entwickelt, das der Währungskorb der SZR quasi antizipiert, der ja mit seinen fünf Referenzwährungen diese Multipolarität bereits widerspiegelt.
Allerdings wird das Weltwährungssystem nach wie vor vom Greenback dominiert, auch wenn der an Gewicht verloren hat. Der US-Dollar ist nach wie vor die Währung, mit der ein Großteil der weltweiten Devisengeschäfte abgewickelt wird: 2019 waren es 44 Prozent, gegenüber 16 Prozent mit dem Euro, 8 Prozent mit dem Yen und nur 2 Prozent mit Renminbi8 . Die chinesische Währung spielt im internationalen Zahlungsverkehr eine untergeordnete Rolle und liegt derzeit nur auf Platz acht.
Es ist höchst unwahrscheinlich, dass die USA ihre dominante Position aufgeben werden. Das beweisen sie nicht zuletzt mit ihren Sanktionen, deren Auswirkungen – etwa im Fall Iran – auch die europäischen Verbündeten zu spüren bekommen. Mit solchen einseitig verhängten Sanktionen, die auf der internationalen Verwendung des Dollars basieren, verteidigt Washington seine ökonomischen und militärisch-strategischen Interessen.
Das Gleiche gilt für die Prioritäten bei der Hilfe für Krisenländer. Zwar hat die US-Regierung im August 2021 angesichts der Coronakrise im IWF der Ausgabe von SZR in Höhe von 650 Milliarden US-Dollar zugestimmt, um die Weltwirtschaft mit ausreichender Liquidität zu versorgen und die Währungsreserven der Mitgliedsländer aufzustocken.
Das Risiko eines Währungskriegs
Grundsätzlich jedoch bevorzugt sie Hilfen, die mit Auflagen verbunden sind; Insbesondere sogenannte Devisenswap-Vereinbarungen zwischen Zentralbanken, die sich damit im Austausch gegen ihre Landeswährung Devisen und vorzugsweise Dollar verschaffen können. Um an Swap-Geschäften teilnehmen zu können, muss ein Staat allerdings ein geopolitisch „zuverlässiger“ Partner sein.
Angesichts der fehlenden Bereitschaft, eine gemeinschaftliche Reform für das internationale Währungssystem anzustreben, ist es durchaus denkbar, dass sich die Risse in diesem System noch vertiefen. Zum Beispiel für den Fall, dass die Verweigerung von Kooperation in einen Währungskrieg münden sollte. Die Folge könnte ein Abwertungswettlauf sein, in dem sich Staaten durch eine künstlich verbilligte Währung gewisse Wettbewerbsvorteile im Welthandel sichern wollen.
Bei einem solchen Szenario könnte auch die Digitalisierung der internationalen Devisengeschäfte eine wichtige Rolle spielen. Auf diesem Gebiet hat sich China mit seiner digitalen Zentralbankwährung e-Yuan bereits einen Vorsprung verschafft. Mit der digitalen Währung, die den mächtigen Dollar unter Druck setzen soll, will Peking neue Verbindungen zu den digitalen Währungen von Partnerländern in Afrika und Asien schaffen und damit die Strategie der Neuen Seidenstraße vorantreiben.9
Die EU will 2024 mit den Vorarbeiten für die Einführung eines digitalen Euros beginnen, um die Rolle der Gemeinschaftswährung auf den internationalen Devisenmärkten zu stärken. Die Frage des Mit- und Gegeneinander der verschiedenen digitalen Geldsorten könnte bei der anstehenden Transformation des Weltwährungssystems noch wichtig werden.
Ein Währungskrieg würde vor allem vielen schwächeren Ländern schaden. Eine Aufspaltung der Weltwirtschaft in antagonistische Währungsräume könnte die ökonomische Entwicklung dieser Länder bedrohen. Überdies sind Verhandlungen über eine umfassende multilaterale Regelung unabdingbar, um für die großen Probleme dieser Welt, allen voran den Klimawandel, eine Lösung zu finden.
Ein solches neues Rahmenwerk müsste auf zwei Säulen aufbauen. Die erste ist ein multilaterales Aufsichtsregime für die wichtigsten Finanzakteure, insbesondere für die großen „systemischen“ Banken, die bei der globalen Finanzkrise 2007 bis 2008 die Hauptrolle spielten. Eine solche Aufsicht wurde übrigens bereits 2009 von der G20 installiert. Und zweitens bräuchte es ein internationales Finanzierungssystem zugunsten der vom Klimawandel am stärksten betroffenen Länder.
Ein solches System existiert noch nicht. Doch in letzter Zeit gab es einige Vorstöße in diese Richtung, etwa mit dem bereits erwähnten Green Climate Fund. Im Zuge solcher neuen Finanzmechanismen könnte eine Ausweitung der SZR-Volumen beschlossen werden – schließlich könnten sie vom IWF einfach aus dem Nichts geschaffen werden.
Das würde auf eine doppelte Umgestaltung des internationalen Währungssystems hinauslaufen. Zum einen würden SZR-Zuteilungen an den internationalen Liquiditätsbedarf gekoppelt und nicht mehr durch die finanziellen Ressourcen des Fonds begrenzt. Der IWF würde dadurch zum Kreditgeber letzter Instanz des globalen Finanzsystems. Zum andern würde damit die derzeitige Logik des internationalen Währungssystems durchbrochen, das noch immer vom Dollar dominiert wird. Dies wäre ein erster Schritt hin zu einer Erneuerung des Weltwährungssystems. Einer Erneuerung, die an die Vorschläge anknüpfen würde, die Keynes 1944 in Bretton Woods auf den Tisch gelegt hatte.
3 Siehe Renaud Lambert, „Die Geldverteiler“, LMd, Juli 2022.
6 IMF-Factsheet, „Special Drawing Rights“, www.imf.org.
8 Von der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich veröffentlichte Daten.
Aus dem Französischen von Nicola Liebert
Dominique Plihon ist emeritierter Professor der Universität Sorbonne Paris-Nord und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats von Attac.