Jesus und James Bond in Ouarzazate
Marokkanische Drehorte sind in der internationalen Filmindustrie seit jeher beliebt
von Pierre Daum
Im marokkanischen Ouarzazate wächst die Aufregung. Der britische Regisseur Ridley Scott will im 30 Kilometer entfernten Aït-Ben-Haddou eine Fortsetzung von „Gladiator“ drehen, seinem oscarprämierten Monumentalfilm aus dem Jahr 2000. In einer Mondlandschaft aus ockerfarbenem Stein und Staub kämpfen Bagger und Arbeiter gegen den Fels, um Platz zu schaffen für ein Kolosseum aus Pappmaschee.
Die Händler in den Gassen der befestigten Altstadt (ksar) von Aït-Ben-Haddou, die 1987 von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt wurde, sind allerdings skeptisch. Sie wissen nicht, wie lange sie ihre Läden wegen der Dreharbeiten werden schließen müssen noch wie hoch die Entschädigung für die Einnahmen ausfallen wird; ob sie 500 Dirham (47 Euro), 1000 oder 1500 Dirham pro Tag bekommen.
„Ich habe ohnehin keine Wahl“, erklärt der junge Maler Aziz, der auf 1000 Dirham hofft. So viel kostet eines seiner Bilder, die er nach traditioneller Weise mit Tee und Safran malt. „Wenn ich mich weigere, meinen Laden zuzumachen, taucht die Polizei auf, und weil ich keine Lizenz habe, kriege ich eine Menge Ärger.“
Für die „Gladiator“-Fortsetzung, in der unter anderem Hollywoodstar Denzel Washington mitspielt, werden tausende Komparsen engagiert. Nach einem Elfstundentag bekommen sie 300 Dirham (28 Euro) auf die Hand, so umgehen die Produzenten auch noch Steuern und Sozialabgaben. „Wenn die Leute erfahren, dass ich mich um den neuen ‚Gladiator‘ kümmere, steht mein Telefon nicht mehr still“, meint Hamid Aït Timaghrit, einer der wichtigsten Caster für Statist:innen in der Region, der selbst aus Ouarzazate stammt. „Es gibt nicht genug Jobs für alle. Ich habe mir im Laufe der Jahre eine Kartei mit mehreren tausend Personen aufgebaut, inklusive Foto, Adresse, Größe und Anmerkungen über ihr Betragen, also ob sie immer pünktlich am Set erschienen sind, alkoholisiert waren und so weiter.“
Die Aussicht auf die Großproduktion scheint Hamid aber nicht sonderlich zu begeistern. Er trauert produktiveren Zeiten nach. „Sie hätten Ouarzazate in den 1990er oder 2000er Jahren erleben sollen! Damals wurde ständig gedreht, acht, neun, zehn Filme gleichzeitig! Die Hotels waren ausgebucht. Und heute? Sehen Sie sich um! Eine tote Stadt. Ein oder zwei Filme, das ist alles. Erst die Coronapandemie, jetzt der Ukrainekrieg. Es gibt kein Geld mehr!“ Dann zählt er die Hotels auf, die dichtgemacht haben: das Belere, ein Fünfsternehotel, in dem „alle Stars der ganzen Welt abgestiegen sind“, das Palmeraie oder das Riad Salam.
Werden die Dreharbeiten zu „Gladiator II“ daran etwas ändern? Ahmed „Jimmy“ Abounouom glaubt nicht daran. Er ist Co-Chef von Dune Films, eine der größten marokkanischen Produktionsfirmen, und organisiert die Dreharbeiten des künftigen Blockbusters: „So eine Produktion blockiert mehrere Monate lang alle Hotels und Techniker. Andere Filme werden dann woanders gedreht.“ Woanders heißt im Ausland (siehe Kasten auf Seite 17).
Das jahrhundertealte, in traditioneller Lehmbauweise errichtete Dorf Aït-Ben-Haddou diente schon als orientalistische Kulisse für David Leans „Lawrence von Arabien“ (1962), als Camp für afghanische Mudschaheddin in dem James-Bond-Streifen „Der Hauch des Todes“ (1987) und als biblisches Dorf in diversen US-amerikanischen und italienischen Monumentalschinken.
Martin Scorsese ließ hier für „Kundun“ (1997) sogar ein tibetanisches Dorf auferstehen, mit den verschneiten Gipfeln des Hohen Atlas im Hintergrund als Himalaja. Es wurde hier so oft gedreht, dass die früheren Altstadtbewohner mittlerweile auf die andere Seite des Dorfs umgezogen sind. Sie haben ihre Häuser mit den sorgfältig gepflegten Fassaden den Filmteams und Tourist:innen auf der Suche nach authentischen Kulissen überlassen.
Aber nicht nur in Aït-Ben-Haddou wird gedreht, seit 40 Jahren wird die ganze Region Ouarzazate von Filmemachern aus aller Welt geschätzt. „Die letzte Versuchung Christi“ (Martin Scorsese, 1988), „Himmel über der Wüste“ (Bernardo Bertolucci, 1990), „Die Mumie“ (Stephen Sommers, 1999), „Asterix und Obelix: Mission Kleopatra“ (Alain Chabat, 2002), „Alexander“ (Oliver Stone, 2004), „Königreich der Himmel“ (Ridley Scott, 2005), „Mission Impossible 5“ (Christopher McQuarrie, 2015) oder auch Serien wie „Büro der Legenden“ (Frankreich, fünf Staffeln, 2014–2019), „Game of Thrones“ (USA, acht Staffeln, 2010–2017) und „Homeland“ (USA, acht Staffeln, 2010–2019) – die Spielfilme und Serien, die ganz oder teilweise hier gedreht wurden, sind kaum zu zählen. Hinzu kommen etliche biblische Doku-Fictions und Werbespots.
Der Grund für diesen Erfolg? „Kein Ort der Welt bietet so vielfältige Naturkulissen!“, schwärmen alle Profis, mit denen wir gesprochen haben. „In einem kleinen Radius findest du hier Oasen, uralte Dörfer, Gebirge, Schnee, Sanddünen, Steinwüste, Flüsse, das Meer, kurz: alles. Außerdem noch dieses ganz besondere Licht!“, schwärmt Abounouom. „Und nur drei Flugstunden von London oder Paris entfernt.“
Ob ein Riad (ein typisch arabischer Innenhof) für „Tausendundeine Nacht“ oder eine alte europäische Stadt gebraucht wird: Für alles findet sich die passende Kulisse in Marokko– sei es die mittelalterliche Medina in Marrakesch oder die Jugendstil- und Art-déco-Fassaden aus der französischen Kolonialzeit in Casablanca.
Auch an geeigneten Kleindarstellern besteht kein Mangel: „Die Menschen hier kommen aus sehr alten Stämmen, man sieht eine große Vielfalt typisch semitische Gesichter, als seien sie direkt biblischen Zeiten oder dem alten Rom entsprungen“, behauptet ein Manager der Filmstudios Atlas und CLA, die 1983 und 2004 am Stadtrand von Quarzazate gegründet wurden. Die Frage, ob diese „semitischen“ oder „römischen“ Gesichter eine Erfindung Hollywoods sind, stellt er sich nicht. Bis heute rätselt die Wissenschaft, wie Jesus, wenn es ihn denn wirklich gab, wohl ausgesehen haben mag.
Echte Armut als Filmkulisse
Ein anderer, fast noch wichtigerer Grund, der für Marokko als Filmkulisse spricht, ist die Sicherheitslage. „Ehrlich gesagt, findet man die schönsten Wüstenlandschaften in Algerien oder Libyen“, sagt Abdelilah Hilal, der technische Direktor der renommierten Filmhochschule École Supérieur des Arts Visuels (ESAV) in Marrakesch. „Aber dort ist es nicht sicher. Alle Ausländer sagen es: In Marokko hat man keine Angst.“ Jedenfalls wenn es einen nicht stört, dass man auf Schritt und Tritt von bewaffneten Polizisten kontrolliert wird, und wenn man weiß, dass es in jeder Stadt Beamte in Zivil gibt, die eingreifen, sobald ein Tourist von einem Marokkaner belästigt wird.
Zudem sorgt die Regierung dafür, Marokko im Wettlauf mit der ausländischen Konkurrenz noch attraktiver zu machen: Produktionsfirmen sind von der Umsatzsteuer und Sozialabgaben befreit, sie erhalten Rabatte bei der Royal Air Maroc und bekommen 30 Prozent der vor Ort getätigten Ausgaben erstattet; die Genehmigungsverfahren werden laufend vereinfacht und so weiter und so fort.
„Wir gehören zu den wenigen Ländern auf dieser Welt, die gegen einen symbolischen Preis ihre Armee für Dreharbeiten zur Verfügung stellen“, erklärt Khalid Saïdi, Generalsekretär des Centre cinématographique marocain (CCM), das den nationalen Film fördert und die ausländischen Dreharbeiten koordiniert. „Wir genehmigen sogar den Einsatz echter Kriegswaffen!“
Auf Anfrage des Produzenten von „Mission Impossible 5“ (2015) sperrten die Behörden für 14 Tage einen vielbefahrenen Autobahnabschnitt der A3 Casablanca–Agadir nahe Marrakesch – zum Schaden unzähliger marokkanischer Autofahrer. Eine CCM-Broschüre, die extra für westliche Firmen konzipiert wurde, wirbt auf Englisch damit, dass die marokkanischen Techniker nicht gewerkschaftlich organisiert seien.1
Die Maßnahmen der marokkanischen Regierung zeigen Früchte. „2022 haben ausländische Produktionsfirmen 100 Millionen Euro in Marokko ausgegeben“, freut sich Saïdi. „Damit haben wir den bisherigen Rekord von 2019 – 80 Millionen Euro – vor den zwei schrecklichen Covid-Jahren gebrochen.“
Die 100 Millionen machen zwar nur etwa 4 Prozent der ausländischen Direktinvestitionen aus, die seit 2016 zwischen 1,5 und 3,5 Milliarden Euro schwanken2 , sie sind aber für die extrem arme Region Drâa-Tafilalet, in der Ouarzazate liegt, ein hochwillkommener Geldregen.
In den Hütten der Oasen spürt man das Elend. Die Schulkinder, die alle weiße Kittel tragen, müssen oft mehrere Kilometer zwischen ihrem Zuhause und der Schule zurücklegen. Sie erbetteln bei jedem Ausländer, der anhält und sie mitnimmt, ein paar Dirham. Am Straßenrand laufen Frauen, die Rücken gebeugt unter den schweren Holzbündeln für ihren kanoun, den niedrigen Ofen aus Lehm oder Metall, der zum Kochen und Heizen verwendet wird.
„Es ist eine sehr abgeschiedene Region“, erzählt Mostafa Errahj, Sozialagronom an der Landwirtschaftshochschule in Meknès. „In der Kolonialzeit nannten die Franzosen die Region das ‚nutzlose Marokko‘. Nach der Unabhängigkeit kam der berüchtigte Félix Mora hierher, um Arbeitskräfte für die nordfranzösischen Kohleminen zu rekrutieren.“3
Die ausländischen Filmproduktionen bringen den Einwohner:innen zwar ein bisschen Geld ein, aber es ist nur ein sehr unregelmäßiges Einkommen. Es reicht nicht aus, um die jungen Leute an der Abwanderung zu hindern. Dabei sind gerade die Jungen unverzichtbar für das Überleben der Oasen. Nur sie können die Dattelpalmen hochklettern, um die Bestäubung vorzunehmen. In vielen Oasen fehlt auch die Arbeitskraft zum Auflesen der trockenen Blätter. Dabei stellen Brände die größte Gefahr für die Oasen dar.
Als ich in der wunderschönen Oase Fint, 20 Kilometer südlich von Ouarzazate, zu Besuch bin, dreht Netflix gerade ein Remake von „Lohn der Angst“ (Henri-Georges Clouzot, 1953). Fint ist die Kulisse für einen Angriff auf ein Dschihadisten-Camp. Seit 9/11 lässt man marokkanische Komparsen immer wieder böse Islamisten spielen, egal ob afghanische oder irakische, syrische oder pakistanische.
„Unsere Oase ist bei den Produzenten sehr beliebt“, sagt Mohammed Baadi, während er mich durch sein Dorf führt. Egal ob „Jesus von Nazareth“ (Franco Zeffirelli, 1977), „Babel“ (Alejandro González Iñárritu, 2006) oder „Königin der Wüste“ (Werner Herzog, 2015) – „alle haben hier gedreht!“
Von den einhundert Familien, die in der Oase leben, haben nur fünf ein Auto. Viele Häuser zerfallen, „aber die Produzenten lieben das, wegen der Kriegsszenen!“ Baadis Haus ist geräumig, aber sehr bescheiden eingerichtet. Die Arbeit ist hart, Häuser müssen renoviert, die Palmen gepflegt und das Bewässerungssystem instandgehalten werden.
„Wenn es für uns bei Dreharbeiten etwas zu tun gibt, wechseln wir uns ab, damit jede Familie ein bisschen davon profitiert. Entweder als Komparse für 300 Dirham am Tag oder als Hilfskraft für 200 Dirham.“ Wenn die Oase die Kulisse für eine Szene bildet, bekommt der Frauenverein 300 Dirham. Wenn auf privatem Land gedreht wird, erhält der Besitzer bis zu 3000 Dirham. „Die Dorfbewohner verlangen nicht viel“, so Baadi. „Deswegen kommen die Produzenten wieder.“
Obwohl die Filmdollar seit mehr als 40 Jahren in Ouarzazate fließen, ist Drâa-Tafilalet mit einem jährlichen Bruttoinlandsprodukt von 18 000 Dirham (1680 Euro) pro Kopf immer noch die ärmste der zwölf Regionen Marokkos.4
„Die Ausländer sagen, dass sie wegen des Lichts und der Schönheit der Natur in Marokko drehen. Aber das finden sie auch in den USA“, sagt Najib Akesbi. Er ist Ökonom am Institut für Agronomie und Veterinärmedizin Hassan-II (IAV) in Rabat und Spezialist für Entwicklungsstrategien. „Tatsächlich kommen sie, um die Produktionskosten niedrig zu halten, besonders die Lohnkosten für Komparsen, Kostümbildner, Kulissenbauer und anderes technisches Personal.“
Die Filmindustrie gehört ebenso wie die Textil- oder Elektroindustrie zu den Sektoren mit hoher Arbeitsintensität (labor-intensive industries): Um die Profite zu steigern, werden daher T-Shirts in Bangladesch, Mobiltelefone in Vietnam und Filme in Marokko produziert.
Offiziell gibt es in Marokko zwar einen monatlichen Mindestlohn von 3000 Dirham (280 Euro). Allerdings haben 54 Prozent der Beschäftigten keinen Arbeitsvertrag. „Der Reallohn eines Maurers liegt bei 1500 bis 2000 Dirham. Aber natürlich nur, wenn er Arbeit hat. Das erklärt, warum die Leute unbedingt einen Job am Set ergattern wollen, so wie schon ihre Großväter unbedingt von Mora ausgewählt werden wollten.“
Doch die Ausländer, die in „Ouarzawood“ drehen, sind nicht alle gleich. „Am schlimmsten sind die Franzosen“, meint Karim Debbagh, Gründer von Kasbah Film, einer der zehn großen Produktionsfirmen in Marokko. „Für die Amerikaner ist der Film ein Business. Sie kommen her, zücken ihre Dollarbündel, bezahlen und erwarten dafür einen guten Service. Die Franzosen halten sich für große Künstler und denken, jeder müsse aus bloßem Respekt für die Kunst ihr Projekt unterstützen. Und weil sie nie genug Geld haben, versuchen sie in typischer Kolonialherrenmanier die Kosten zu drücken, auch wenn es nur um ein paar Dirham geht.“
Dieses rücksichtslose Geschäftsgebaren ließe sich unterbinden, wenn die marokkanische Regierung ihre Entwicklungspolitik ändern würde. Was allerdings ziemlich unwahrscheinlich ist. „Die Regierung setzt vor allem auf effekthascherische Infrastrukturprojekte, um ausländische Investoren und Touristen zu beeindrucken“, sagt Entwicklungsökonom Akesbi. „Unsere Autobahnen zum Beispiel sind ausgezeichnet, aber von 1800 Kilometern sind 1000 nicht rentabel. Manchmal fährt man eine halbe Stunde, ohne einem anderen Auto zu begegnen. Das Gleiche gilt für den Hochgeschwindigkeitszug zwischen Tanger und Casablanca. Ökonomisch betrachtet ist er Unsinn.“ Derweil gibt es immer noch keine Zugverbindung oder Autobahn nach Ouarzazate. „Da stecken wir noch in der Kolonialmentalität vom ‚unnützen Marokko‘.“
Schlimmer noch. Der Agronom Ahmed Bouaziz, emeritierter Professor des IAV in Rabat, der selbst aus der Region Tafilalet stammt, erzählt, dass die Regierung im Rahmen des „Plan Maroc Vert“ (Plan Grünes Marokko), der 2008 ins Leben gerufen wurde, die Anlage riesiger Palmenhaine durch Landwirtschaftsunternehmen gefördert hat: „Teilweise mit europäischem Kapital werden große Teile des verfügbaren Wassers abgepumpt und den traditionellen Oasen entzogen.“
Wenn die ausländischen Dreharbeiten die lokale Bevölkerung schon nicht aus der Armut holen, haben sie wenigstens positive Auswirkungen auf die marokkanische Filmindustrie? Grundsätzlich gibt es keinen Mechanismus, der dafür sorgt, dass die 100 Millionen Euro, die bei Dreharbeiten in Marokko investiert werden, zur Unterstützung des marokkanischen Films eingesetzt werden.
Der Hilfsfonds des CCM ist nur mit 60 Millionen Dirham (5,4 Millionen Euro) dotiert, die jedes Jahr auf etwa fünfzehn Projekte verteilt werden. „Allerdings hätten wir ohne die ausländischen Produktionen nicht so viele gute Techniker!“, meint Abdelilah Hilal von der Filmhochschule ESAV, der vor 20 Jahren selbst als Tonassistent bei den Dreharbeiten von „Asterix und Obelix: Mission Kleopatra“ mitgewirkt hat.
Jahrzehntelang wurden marokkanische Kameraleute, Tontechnikerinnen, Beleuchter, Masken- und Kostümbildnerinnen tatsächlich direkt am Set ausgebildet. Später entstanden in Marrakesch, Rabat und Ouarzazate Schulen. Wer die Ausbildung durchlaufen hat, findet Praktikumsplätze und später Jobs bei den ausländischen Drehteams, für die eine gesetzliche Verpflichtung gilt, mindestens 25 Prozent Marokkaner:innen zu beschäftigen (Komparsen ausgenommen).
„Deshalb haben wir heute so hervorragende Leute“, sagt der Regisseur Abdelhaï Laraki, der in den 1970er Jahren seine Ausbildung in Paris gemacht hat und 1990 seine eigene Produktionsfirma (Casablanca Films et Audio) gegründet hat: „Mein neuester Film handelt zum Beispiel von der marokkanischen Unabhängigkeitsbewegung. In Ouarzazate habe ich Techniker gefunden, die alle Spezialeffekte erzeugen konnten, die ich brauchte, Explosionen, Maschinenpistolenschüsse, Kugeleinschläge – direkt am Set, wie früher, ohne Computer.“
Dollarbündel und Künstlerallüren
Das Gesamtbild ist jedoch nicht ganz so rosig, wie der 33-jährige Kameramann und Esav-Absolvent Hamza Benmoussa erzählt: „Die ausländischen Produzenten vertrauen uns nicht, sie stellen uns als Hilfstechniker ein, wir werden nur als Laufburschen oder als Dolmetscher eingesetzt. Inzwischen arbeite ich lieber für marokkanische Fernsehproduktionen, wo ich wirklich erster Kameramann bin. Ich verdiene 1200 Euro pro Woche, das ist ganz gut. Aber die Beschäftigung ist prekär. Wenn ich nicht arbeite, verdiene ich auch nichts.“
Die in Rabat lebende französisch-marokkanische Filmemacherin Sofia Alaoui, 33, wurde gerade erst im Januar für ihren ersten Langfilm „Animalia“ auf dem berühmten Sundance Film Festival in Utah mit dem Jurypreis ausgezeichnet. Sie bestätigt Benmoussas Aussagen wie alle jungen Regisseur:innen, die ich getroffen habe: „Wenn die Amerikaner mit ihren Dollars ankommen, haben sie ihr ganzes Team dabei. Dann besetzen sie jeden Job doppelt mit einem Marokkaner. Der hat zwar den Titel und wird gut bezahlt, aber im Grunde hat er nichts zu tun. Wenn ich dann Techniker suche, haben diese hohe Ansprüche, denen eine Low-Budget-Produktion nicht gerecht werden kann.“
Ein weiteres Problem, das alle Befragten erwähnen: Die besten marokkanischen Filmleute haben nie Zeit, sondern sind immer für ausländische Produktionen gebucht.
Zudem gehen die Preise für Drehorte durch die Decke. „Ich wollte in einem Riad in Fès drehen“, erzählt Abdelhaï Laraki. „Der war vorher für eine ausländische Produktion genutzt worden. Sie verlangten das Fünffache der Summe, die ich angeboten hatte.“ Das Gleiche gilt für Dreharbeiten in den alten Medinas. Wenn kurz zuvor eine Hollywoodproduktion dort stattgefunden hatte, drohen die Anwohner damit, die Filmarbeiten zu stören, wenn sie nicht 100 Dollar am Tag bekommen. Diese Summen können marokkanische Produktionen nicht aufbringen.
Die größten Gewinnerinnen des Systems scheinen die marokkanischen Co-Produktionsfirmen zu sein. Aber tragen diese auch zur Entwicklung der nationalen Filmindustrie bei? Im Prinzip schon: Das CCM verpflichtet sie, alle vier Jahre einen marokkanischen Spielfilm oder drei Kurzfilme zu produzieren, damit ihre Lizenz verlängert wird. „Aber wir sind da recht flexibel“, formuliert es CCM-Generalsekretär Saïdi. „Wir wollen den Firmen, die jedes Jahr Dutzende Millionen Euro ins Land bringen, keine Steine in den Weg legen.“
Der 34-jährige Regisseur Walid Ayoub kritisiert, dass Firmen, die sich an die Verpflichtung halten, marokkanische Filme meist „mit CCM-Funding, stümperhaft und ohne Risiken produzieren“. Und die 33-jährige Rim Mejdi, die bislang drei Kurzfilme gedreht hat, sagt geradezu verzweifelt: „Seit zehn Jahren gibt es großartige algerische Filme, der tunesische Film erlebt eine Renaissance, warum schafft es unsere Generation in Marokko nicht?“
Es scheint fast so, als hätten sich die Vorteile, die das Land zum beliebten Drehort für ausländische Filme machen, in ein Hindernis für die Entfaltung einer nationalen Filmindustrie verwandelt.
4 Drei der zwölf Regionen liegen ganz oder teilweise in der umstrittenen Westsahara.
Aus dem Französischen von Claudia Steinitz
Pierre Daum ist Journalist.
Konkurrenz aus Saudi-Arabien
Lange Zeit waren Marokkos Hauptkonkurrenten als Drehort für ausländische Filmproduktionen Tunesien und Südafrika. In Tunesien wurden zum Beispiel Teile von „Der englische Patient“ (Anthony Minghella, 1996) und des ersten „Star Wars“ (George Lucas, 1977) gedreht. Doch laut dem marokkanischen Produzenten Sarim Fassi-Fihri „ist es seit den 2000er Jahren schwieriger geworden, dort eine Dreherlaubnis zu erhalten. Und seit dem Arabischen Frühling 2011 herrscht in Tunesien Chaos. Niemand will mehr dort hin.“
Südafrika hat sich seit etwa zehn Jahren aus dem Markt zurückgezogen, weil immer weniger Fernsehwerbung gedreht wird, auf die sich das Land spezialisiert hatte. „Was die Landschaften angeht – Meer, Dünen, Wüste – sind unsere unmittelbaren Konkurrenten Malta, Portugal und Spanien, vor allem die Kanarischen Inseln, die direkt vor der marokkanischen Küste liegen“, erklärt Khalid Saïdi, Direktor des Centre cinématographique marocain (CCM). „Aber wir haben mittlerweile auch neue ernsthafte Mitbewerber in Saudi-Arabien und den Emiraten.“
„Saudi-Arabien schadet uns sehr“, sagt Fassi-Fihri, der das CCM von 2014 bis 2022 leitete. „Sie werben unsere besten Techniker ab, indem sie ihnen fantastische Gehälter anbieten. In vier, fünf Jahren haben wir da ein echtes Problem.“ Ende 2022 begann das Land auf Betreiben von Kronprinz Mohammed bin Salman im Norden des Landes mit dem Bau einer riesigen futuristischen Stadt. „The Line“ ist Teil des Projekts Neom. Die Stadt soll sich als schnurgerades Band 170 Kilometer durch die Wüste ziehen und auch Filmstudios beherbergen.
„Das ist unlauterer Wettbewerb“, beklagt ein Gesprächspartner, der anonym bleiben möchte, „schließlich handelt es sich offiziell um einen befreundeten Staat. Die Saudis reden von einer Erstattung von 40 Prozent der vor Ort entstandenen Kosten, aber manchmal erstatten sie auch 100 Prozent. Für sie spielt Geld keine Rolle. Es zahlt allein das Image in der Welt.“ Im Dezember 2022 war die Crème de la Crème des internationalen und des arabischen Films beim 2. Red Sea International Film Festival in Dschiddah zu Gast, nicht zuletzt, um dort Fördermittel zu ergattern.
Wie andere Länder hat auch Marokko finanzielle Anreize geschaffen: Steuererleichterungen, kostenlose Bereitstellung der Armee und eine Kostenerstattung, die 2022 von 20 auf 30 Prozent angehoben wurde.
Der Ökonom Najib Akesbi fragt sich, wo dieser Überbietungswettbewerb enden soll: „Wenn Marokko ausländischen Produzenten immer mehr finanzielle Anreize bietet, zahlt es am Ende selbst drauf, um seinen Marktanteil zu halten. Allerdings sind die Vorteile am Ende sowohl symbolischer als auch wirtschaftlicher Natur. Diese Filme machen unser Land international bekannt, indem sie die Medienmacht Hollywoods nutzen.“
Auch die marokkanische Filmindustrie trage ihren Teil dazu bei, sagt Saïdi. „Mit Filmen über die Situation von Frauen, Homosexualität und den Kampf gegen den islamistischen Fundamentalismus zeigen wir dem Westen, dass Marokko ein offenes Land ist. Es wurden sogar schon Sexszenen während des Ramadans gedreht. Sie bitten dann einfach das marokkanische Personal, den Set zu verlassen.“
Das Filmdrama „Much Loved“ (2015) von Nabil Ayouch wurde in Marokko allerdings verboten. Die Geschichte der drei Sexarbeiterinnen Noha, Randa und Soukaina war wohl zu wild, frei und gesellschaftskritisch. Wohingegen „Das Blau des Kaftans“ über die homosexuelle Liebe zwischen einem Schneider und seinem Lehrling 2023 von Marokko ins Rennen um einen Oscar geschickt wurde. Die Regisseurin Maryam Touzani hatte das Drehbuch gemeinsam mit ihrem Mann Nabil Ayouch verfasst.
Der CCM-Direktor ist zuversichtlich: „Die 100 Millionen Euro, die ausländische Produktionsfirmen 2022 in Marokko ausgegeben haben, sind nur der Anfang. Unser Ziel ist, diese Summe auf 300 Millionen Euro jährlich zu steigern.“ Die technologische Entwicklung droht jedoch die Ziele des CCM zu durchkreuzen. „Die britischen Studios verfügen über phänomenale Möglichkeiten für Spezialeffekte“, sagt der marokkanische Filmproduzent Karim Debbagh. „Mit ein paar Klicks lassen sich auf dem green screen alle Dünen, Ksars und Oasen Marokkos nachbilden.“ Das wäre wohl irgendwann das Ende von Ouarzawood.
Pierre Daum