Sterben dürfen
Frankreich diskutiert über Beihilfe zum Suizid
von Philippe Descamps
Harold ist ein einsamer junger Mann. Um von seiner Mutter beachtet zu werden, inszeniert er regelmäßig seinen Suizid. Dann lernt er die 79-jährige Maude kennen, die ihm beibringt, das Leben zu lieben. Bis sie ihm eine Nachricht hinterlässt: „Ich habe vor einer Stunde die Tabletten genommen. Um Mitternacht bin ich weg.“
Die ungewöhnliche Liebe zwischen „Harold und Maude“ in dem gleichnamigen Kultfilm von Hal Ashby kam 1971 in die Kinos; drei Jahre später erschien unter der Federführung von drei Nobelpreisträgern – dem Briten George Paget Thomson (Physik, 1937), dem US-Amerikaner Linus Pauling (Chemie, 1954) und dem Franzosen Jacques Monod (Medizin, 1965) in dem US-Magazin The Humanist das Manifest „A Plea for Beneficent Euthanasia“ (Ein Plädoyer für mildtätige Sterbehilfe).1
Die meisten Industrieländer haben seither ihre Gesetze geändert, um Sterbenskranken die Möglichkeit zu geben, ihr Leiden selbstbestimmt zu beenden. Die „passive Sterbehilfe“ – der Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen oder deren Reduzierung – ist mittlerweile in den meisten Ländern legal.
Nur etwa 15 Staaten erlauben auch „direkte oder aktive Sterbehilfe“, das heißt eine gezielte Herbeiführung des Todes durch eine andere Person. Wenn dies auf Wunsch des Schwerkranken oder Sterbenden erfolgt, spricht man von Tötung auf Verlangen, womit man sich in vielen Ländern, unter anderem in Deutschland, strafbar macht.
Erlaubt ist nur die Beihilfe zur Selbsttötung (wenn dabei nicht gegen das Betäubungsmittel- oder Waffengesetz verstoßen wird).
Nachdem in den vergangenen Jahren einige Länder schon vorangeprescht sind, steht derzeit in vielen Staaten überall auf der Welt die Gesetzgebung zur Sterbehilfe erneut auf dem Prüfstand: So hat in Frankreich der von Präsident Macron ins Leben gerufene Bürgerrat zur Sterbehilfe (Convention citoyenne sur la fin de vie), der seit dem 9. Dezember 2022 tagt, mittlerweile seine Empfehlungen ausgesprochen. Über deren gesetzgeberische Umsetzung wird das Parlament möglicherweise noch in diesem Herbst beraten.
In Deutschland hingegen hat der Bundestag Anfang Juli zwei Gesetzentwürfe abgelehnt, die unterschiedliche Regelungen der Sterbehilfe vorsahen. Dabei hat das Bundesverfassungsgericht schon 2020 das Recht auf selbstbestimmtes Sterben in einem Grundsatzurteil anerkannt.
Pionierin der „aktiven Sterbehilfe“ ist die Schweiz, die schon 1942 eine „nicht aus selbstsüchtigen Gründen“ erfolgende „Beihilfe zum Suizid“ entkriminalisiert hat. Die Fallzahlen zur Sterbehilfe sind in der Schweiz allerdings erst seit der Jahrtausendwende enorm gestiegen: von etwa 100 Fällen im Jahr 2000 auf 1391 (plus 221 Ausländer) im Jahr 2021, das sind 1,9 Prozent aller Todesfälle im Land.2
Seit in den Niederlanden 2001 das „Gesetz zur Kontrolle der Lebensbeendigung auf Verlangen und Hilfe bei der Selbsttötung“ verabschiedet wurde, erhöhte sich dort von Jahr zu Jahr die Zahl der bewilligten Anträge: 2022 waren es 8707, das sind 5,1 Prozent der Todesfälle im Land.3 In Kanada, wo aktive Sterbehilfe seit 2016 erlaubt ist,
haben im ersten Jahr 1018 Personen die medizinische Sterbehilfe in Anspruch genommen, 2021 waren es zehnmal mehr.
In Frankreich wurde vor mehr als 40 Jahren die öffentliche Meinung stark von dem Buch „Changer la mort“ (Den Tod verändern) beeinflusst.4 Seitdem ist bei Umfragen regelmäßig eine große Mehrheit für ein individuelles Entscheidungsrecht und die Möglichkeit der aktiven Sterbehilfe. Das Parlament ist dieser Auffassung nie gefolgt. Der letzte, von Olivier Falorni (Parti radical de gauche, PRG) im April 2021 eingebrachte Gesetzesvorschlag wurde von den Républicains (LR) blockiert. Mehrere bestürzende Patientengeschichten sowie die Entwicklung in den Nachbarländern und in der Ärzteschaft könnten das Blatt nun wenden.
Jedenfalls sind die 184 per Los nominierten Mitglieder des Bürgerrats zur Sterbehilfe zu der Auffassung gekommen, dass „der derzeitige gesetzliche Rahmen zur Begleitung des Lebensendes“ angesichts der vielfältigen Lebens- und Leidenssituationen „nicht angemessen“ sei; der Bürgerrat hat sich mit einer Vierfünftelmehrheit für die Möglichkeit der aktiven Sterbehilfe ausgesprochen.5 Die Empfehlungen des Rates hat Präsident Macron am 3. April entgegengenommen und damals für Ende des Sommers einen Gesetzentwurf in Aussicht gestellt. Seitdem mischen sich zahllose Akteure und Organisationen in die Debatte ein.
Auf allen Kontinenten steigt derzeit die Zahl der Selbsttötungen ab dem 65. Lebensjahr und noch einmal besonders ab dem 75. Lebensjahr.6 Schon der Soziologe Émile Durkheim (1858–1917) hat in seiner Studie „Der Selbstmord“ von 1897 unter anderem festgestellt, dass sich mehrheitlich ältere Menschen das Leben nehmen.
In ihrer großen Studie über das Alter schrieb Simone de Beauvoir, dass sich eine Selbsttötung bei alten Menschen in den meisten Fällen nicht durch eine psychische Erkrankung erklären lasse, sondern eine normale Reaktion auf eine als irreversibel, hoffnungslos und unerträglich erlebte Situation sei (siehe auch den nebenstehenden Erfahrungsbericht).7 Viele warteten nicht auf ein Gesetz. Berühmte Paare wie Paul Lafargue und Laura Marx (die Tochter von Karl Marx) oder André und Dorine Gorz wählten den selbstbestimmten, gemeinsamen Tod.
Doch wie lassen sich angemessene Bedingungen für etwas schaffen, was eine persönliche Entscheidung ist? An oberster Stelle, heißt es in der Stellungnahme des Bürgerrats zur Sterbehilfe, der vom französischen Wirtschafts-, Sozial- und Umweltrat (Cese) herausgegeben wurde, müsse die Fürsorge im Alter und bei Krankheit stehen; niemand dürfe das Gefühl bekommen, „der Gesellschaft und seiner Umwelt zur Last zu fallen“.8 Und gleich in den ersten Zeilen des Berichts steht: „Mehr denn je ist es nötig, unser Gesundheitssystem zu stärken, um alle Patienten und besonders jene, die am Ende ihres Lebens stehen, zu begleiten.“
Am 20. März dieses Jahres haben sich in Frankreich 18 Organisationen zusammengeschlossen – darunter die Ligue des droits de l’homme (französische Liga für Menschenrechte), die Ligue de l’enseignement (Bildungsliga), die Association pour le droit de mourir dans la dignité (Verein für das Recht, in Würde zu sterben) und das laizistische Comité national d’action laïque –, um ein entsprechendes Budget einzufordern, damit alle den gleichen Zugang zur palliativen Behandlung bekommen können.9
Seit 1995 wurden in Frankreich schon fünf Gesetze zur Sterbehilfe erlassen, denen es aber allesamt an der nötigen Klarheit fehlte. Das von der Nationalversammlung einstimmig beschlossene sogenannte Leonetti-Gesetz vom 22. April 2005 erlaubte etwa eine Form von passiver Sterbehilfe, die aber nicht so genannt wurde. Es ging eher um ein „sterben lassen“: „Wenn sie unnötig oder unverhältnismäßig erscheinen oder keine andere Wirkung haben als die künstliche Aufrechterhaltung des Lebens“, heißt es in Artikel 2, könnten bestimmte medizinische Maßnahmen abgebrochen werden beziehungsweise müsse man sie gar nicht erst in die Wege leiten.
Viele Gutachten kritisierten indes den mangelhaften Zugang zu Palliativbehandlungen. Dazu gehört etwa der Bericht von Didier Sicard. Der Medizinprofessor, der von 1999 bis 2008 auch die Nationale Ethikkommission geleitet hat, überreichte im Dezember 2012 Präsident François Hollande einen entsprechenden Bericht. Hollande hatte im Wahlkampf ein paar Monate zuvor angekündigt, „eine medizinische Beihilfe zu einem würdevollen Lebensende“ zu erlauben.
Das während seiner Präsidentschaft verabschiedete sogenannte Claeys-Leonetti-Gesetz vom 2. Februar 2016 erleichterte zwar den Zugang zur Palliativversorgung, machte die Patientenverfügungen rechtsverbindlicher und stärkte die Rolle der Vertrauenspersonen. Doch Artikel 3 erlaubt in ganz bestimmten Fällen eine „tiefe und kontinuierliche Sedierung“ bis zum Eintreten des Todes.
Darüber, wie oft diese „tiefe und kontinuierliche Sedierung“ angewandt wird, liegen keine verlässlichen Daten vor. In dem Bericht des Bürgerrats zur Sterbehilfe heißt es, dass viele der befragten Mediziner:innen bestimmte Formulierungen in dem Gesetz als „mehrdeutig, sogar scheinheilig“ kritisieren und beanstanden, dass sie zu Missverständnissen und Missbrauch verleiten. Das Gesetz stifte geradezu Verwirrung bei den betroffenen Patient:innen und deren Angehörigen. So würden manche davon ausgehen, dass es ein Recht auf aktive Sterbehilfe gibt, während andere fürchten, Opfer einer Zwangsbetäubung zu werden.
Die Nationale Akademie für Medizin hält bei Patient:innen mit „einer kurzfristigen Lebensprognose aufgrund einer schweren und unheilbaren Krankheit“ den derzeitigen Rechtsrahmen für ausreichend.10 Sie sieht jedoch auch dessen Grenzen und fordert Regelungen für Fälle, in denen unheilbar Kranken eine längere Leidensphase bevorsteht: „Wie kann man Kranken, die Qualen erleiden und um die Irreversibilität ihres Zustands wissen, den legitimen Wunsch verwehren, nicht zum Zuschauer ihres Verfalls werden zu müssen?“
Im Präsidentschaftswahlkampf 2022 zeichnete sich bei dem Thema eine deutliche Polarisierung zwischen rechts und links ab: Valérie Pécresse, Marine Le Pen, Éric Zemmour und Nicolas Dupont-Aignan forderten lediglich eine verbesserte Palliativmedizin. Dagegen plädierten – mit kleinen Unterschieden – Anne Hidalgo, Nathalie Arthaud, Jean-Luc Mélenchon, Yannick Jadot, Philippe Poutou und Fabien Roussel für ein Gesetz zur aktiven Sterbehilfe. Und Jean Lassalle und Emmanuel Macron sprachen sich für eine große öffentliche Debatte oder einen Bürgerrat aus.
Doch alle waren sich darin einig, dass die Mängel in der Palliativmedizin behoben werden müssen. Die Regierung beauftragte den Gesundheitsexperten Franck Chauvin, einen 10-Jahres-Plan zur Schaffung eines palliativen Versorgungsnetzes zu entwickeln. Ein Teil der Ärzteschaft, die meisten Abgeordneten der Rechten sowie einige Macron-Getreue wie der ehemalige Gesundheitsminister François Braun würden es am liebsten dabei bewenden lassen.
Ein Senatsbericht formuliert diese Position wie folgt: „Die Palliativmedizin hat seit den Jahren 1990–2000 große Fortschritte gemacht. Es liegt an der mangelhaften flächendeckenden Versorgung, dass in unserem Land noch zu schlecht gestorben wird.“11 Auf diese mangelhafte Versorgung müssten die Anstrengungen abzielen, so der Bericht, nicht darauf, aktive Sterbehilfe zu ermöglichen. Denn diese trage angesichts eines nicht ausreichenden Versorgungsangebots „die große Gefahr in sich, zu einer Ausweichoption zu werden“.
Die Bischofskonferenz vertritt ebenfalls einen „französischen Weg“, der sich auf die palliative Behandlung konzentriert: „Ist die tiefste Erwartung von uns allen nicht aktive Hilfe zum Leben statt zum Sterben?“12
Schlechte Palliativversorgung
Dieser Auffassung ist auch die Französische Gesellschaft für Palliativmedizin und -begleitung (SFAP). Deren Vorsitzende Claire Fourcade erklärte: „Vordringlich ist keine Gesetzgebung zu einer Form von herbeigeführtem Tod, sondern die Anwendung des geltenden Gesetzes, das eine Palliativversorgung überall und für alle garantiert, sodass jeder über das Grundrecht verfügt, bis zum Schluss in Würde zu leben.“13
Allerdings erinnert ein auf Initiative des Sterbehilfevereins „Recht auf würdevolles Sterben“ (ADMD) gebildeter Zusammenschluss von Pflegekräften an die Realität der Gegenwart: „ein verlängerter, langsamer und einsamer Sterbeprozess“. Dagegen stellt er seine Idealvorstellung von „einem bewusst akzeptierten, schnellen und von den Angehörigen und den Pflegekräften begleiteten Tod“. Um seine Würde zu waren, könne man einem handlungsfähigen Patienten „keinen besseren Dienst erweisen, als seinem Wunsch nach aktiver Sterbehilfe zu entsprechen“.14
Der Bürgerrat geht in seinem Bericht ebenfalls auf die Bedeutung der Sterbebegleitung ein. Mehrere Vorschläge zielen darauf ab, „einen Zugang zur Palliativmedizin für alle und überall“ sicherzustellen. Und es werden die dafür nötigen Instrumente genannt: Informationskampagnen, bessere Betreuung, häusliche Pflege und Behandlung, ein flächendeckendes Versorgungsnetz. Das oberste Gebot ist „der Wille des Patienten“, und der sei in dem derzeitigen Gesetz zur Begleitung des Lebensendes nicht ausreichend berücksichtigt.
Sogar die sehr konservative Ärztekammer erwägt die Möglichkeit des assistierten Suizids, lehnt aktive Sterbehilfe jedoch ab. Ein Arzt dürfe nicht „vorsätzlich den Tod durch Verabreichung eines tödlichen Mittels herbeiführen“.15
Mehrere Länder wie Deutschland, Österreich und Italien sind in Teilen dem US-Bundesstaat Oregon gefolgt, der mit dem „Death with Dignity Act“ (Gesetz zum Sterben in Würde) seit 1997 „die freiwillige Selbstverabreichung der tödlichen Dosis eines von einem Arzt zu diesem Zweck verschriebenen Medikaments“ erlaubt. Dieses Gesetz überlässt dem Patienten bis zum letzten Moment die Entscheidung über sein Schicksal und bürdet nicht den Pflegekräften die Verantwortung für die tödliche Medikamentengabe auf.
In Deutschland ist der durch einen Arzt assistierte Suizid zwar nicht mehr strafbar, allerdings gibt es hierzulande kein für den ärztlich assistierten Suizid zugelassenes Medikament, was diese Form der Beihilfe praktisch nicht durchführbar macht. In Oregon nehmen letztlich ein Drittel der Patienten die verschriebene tödliche Arznei nicht ein, entweder weil sie schon vorher verstorben sind oder weil sie es sich noch einmal anders überlegt haben.16
Bei dieser Regelung bleiben allerdings Betroffene außen vor, die rein körperlich nicht mehr in der Lage sind, Suizid zu begehen. „Wie ist zu rechtfertigen, dass die Linderung der Leiden – wenn sie anderen, körperlich handlungsfähigen Personen in Form einer Beihilfe zum Suizid erlaubt ist – ihnen aufgrund ihrer Behinderung verwehrt bleibt?“, fragt die Ethikkommission.
Belgien hat nur die aktive Sterbehilfe für straffrei erklärt, vom assistierten Suizid ist im Gesetz nicht die Rede. In den Ländern, wo seit einigen Jahren sowohl aktive Sterbehilfe als auch assistierter Suizid erlaubt sind – in den Niederlanden, in Luxemburg und in Kanada –, wollen die meisten Patienten die tödliche Substanz lieber verabreicht bekommen, als sie selbst zu nehmen.
Der französische Bürgerrat hat diese Frage nicht klar beantwortet: 40 Prozent der Mitglieder halten beide Möglichkeiten für richtig, 10 Prozent nur den assistierten Suizid, 3 Prozent einzig aktive Sterbehilfe. 18 Prozent sind gegen aktive Sterbehilfe. 28 Prozent schließlich wollen sie nur in besonderen Ausnahmefällen und als Ergänzung zum assistierten Suizid zulassen.
Für den Fall, dass in Frankreich ein Gesetz zu aktiver Sterbehilfe kommt, besteht über mehrere rechtliche Aspekte Einigkeit: Das Gesetz muss die im Strafgesetzbuch festgeschriebene Regelung aufheben, die es Pflegekräften verbietet, an einem assistierten Suizid mitzuwirken. Der Wunsch des Patienten muss reiflich überlegt, das Verlangen wiederholt geäußert worden sein. Kein äußerer Druck darf ausgeübt worden sein. Die Urteilsfähigkeit muss vollständig vorhanden sein.
Wenn Letztere durch den Krankheitsverlauf oder einen Unfall beeinträchtigt ist, spielen Patientenverfügung und Vertrauensperson eine entscheidende Rolle. Wie notwendig die Aufklärung darüber immer noch ist, zeigen die Zahlen: Weniger als jeder fünfte Franzose hat eine Patientenverfügung (ein Drittel der über 65-Jährigen), 57 Prozent kennen nicht einmal die Bezeichnung.17
Je nach Land variieren die Bestimmungen, zum Beispiel in welchem Umfang die Ärzt:innen die Meinung eines Kollegen einholen müssen, welche Kontrollen es gibt oder welche Rechtsmittel zur Verfügung stehen. Während Unheilbarkeit und dauerhaftes, unerträgliches Leiden überall Voraussetzungen sind, ist die ärztliche Einschätzung der Lebenserwartung nicht überall notwendig – sie kann ohnehin meist nicht verlässlich prognostiziert werden.
2014 hat Belgien bei der Sterbehilfe auch die Altersbegrenzung aufgehoben. Seitdem sind dort vier Minderjährige durch aktive Sterbehilfe gestorben. Auch in Québec wird die aktive Sterbehilfe bei Minderjährigen diskutiert, ebenso wie eine vorzeitige Beantragung im Fall der Diagnose einer schwerwiegenden und unheilbaren neurokognitiven Krankheit.18
Am 11. Juli ist der tschechisch-französische Autor Milan Kundera im Alter von 94 Jahren in Paris gestorben. In seinem ganzen Werk spielt der Tod eine große Rolle. In dem Roman „Abschiedswalzer“ (1973) hat Jakub stets eine blassblaue Tablette bei sich, die er für eine Todespille hält. Kurz vor seiner Flucht aus der ČSSR zeigt er sie seiner „Ziehtochter“ Olga und äußert seine Gedanken zum Freitod: „Hierzulande weiß der Mensch nie, wann er Gift brauchen kann. Und dann ist es für mich eine Sache des Prinzips. Der Mensch sollte am Tag seiner Volljährigkeit Gift bekommen. Es sollte ihm im Rahmen einer feierlichen Zeremonie überreicht werden. Nicht, um ihn zum Selbstmord zum verleiten. Im Gegenteil, damit er in größerer Ruhe und größerer Sicherheit leben kann. In dem Bewusstsein, Herr über sein Leben und seinen Tod zu sein.“19
1 „A plea for beneficent euthanasia“, The Humanist, Juni 1974.
3 „Jaarverslagen 2022“, Regionale Toetsingscommissies euthanasie.
4 Léon Schwartzenberg und Pierre Viansson-Ponté, „Changer la mort“, Paris (Albin Michel) 1977.
6 „Preventing Suicide: A global imperative“, Weltgesundheitsorganisation, Genf, 2014.
7 Simone de Beauvoir, „Das Alter“, Reinbek bei Hamburg (Rowohlt) 1972.
12 Erklärung des Ständigen Rats der Bischofskonferenz von Frankreich, 24. September 2022.
13 „Fin de vie, les données du débat“, SFAP, März 2023.
15 „Fin de vie et rôle du médecin“, Conseil national de l’Ordre des médecins, 1. April 2023.
17 „Les Français et la fin de vie“, BVA, 8. Dezember 2022.
19 Milan Kundera, „Abschiedswalzer“, München (dtv) 1998, S. 89.
Aus dem Französischen von Uta Rüenauver