Brief aus der Hitze
von Tom Stevenson
Das erste Mal, als ich 50 Grad Celsius erlebte, war mitten in der algerischen Sahara. Es ist schwer zu beschreiben, wie sich das anfühlt. Am besten lässt es sich vielleicht mit dem Tragen einer sehr schweren Last vergleichen. Mitten in der Wüste sind solche Extremtemperaturen zumindest irgendwie plausibel: Dort erwartet man unwirtliche Bedingungen.
In einer Stadt ist es schlimmer. Das zweite Mal, als ich 50 Grad Celsius erlebte, war in Erbil, in Irakisch-Kurdistan, vor dem extravaganten Sitz der Talabani-Familie. Betrat man den neoklassizistischen Palazzo, auch das Weiße Haus genannt, standen überall Wachmänner herum, in Anzügen, aber mit umgehängten Sturmgewehren. Doch da das Gebäude klimatisiert war, genoss ich es als Zufluchtsort.
Man kann der Hitze nicht entkommen, indem man sich von einem Schattenfleck zum nächsten flüchtet. Besser bewegt man sich von einem klimatisierten Gebäude zum anderen. Oder noch besser: Man bewegt sich überhaupt nicht.
Rund um den Persischen Golf sind Tage, an denen das Thermometer auf über 50 Grad im Schatten klettert, keine Ausnahmen mehr. Im Irak und in Kuwait sind sie bereits normal. Weiter westlich wurden in Städten wie Yanbu am Roten Meer bereits 50 Grad gemessen. Der Golf ist nicht nur das Zentrum der globalen Erdöl- und Gasproduktion, er bekommt auch deren klimatische Auswirkungen besonders stark zu spüren. In der Region sind die durchschnittlichen Temperaturen bereits jetzt um deutlich mehr als 2 Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter gestiegen.
Am extremsten ist die Hitze häufig an der Nordküste des Persischen Golfs, dort, wo der Schatt al-Arab ins Meer mündet, in Kuwait, im irakischen Basra, in der iranischen Provinz Chuzestan. Im Sommer 2021 wurden in Kuwait City 53,2 Grad Celsius gemessen. In Reportagen war von Vögeln die Rede, die tot vom Himmel fielen, und von Seepferdchen, die in den seichten Küstenzonen quasi gekocht wurden.
Manchmal wird wild spekuliert, dass Kuwait bis zum Ende des Jahrhunderts Temperaturen bis zu 60 Grad Celsius erleben könnte. Das muss nicht so kommen, aber die aktuelle Kombination von lang anhaltender Dürre und stetig steigendem Meeresspiegel ist bedrohlich genug. Und lässt uns in den klimatischen Abgrund blicken: mit unerträglicher Hitze, Sandstürmen und extremen Pegelständen.
Fürs Überleben sind Klimaanlagen unerlässlich. Aber auch andere Anpassungsmaßnamen sind notwendig geworden. Öltanks müssen nicht nur sehr hohe Temperaturen aushalten, sondern auch hohe Luftfeuchtigkeit und Sandstürme. Manche der Speichertanks haben schwimmende Dächer, die sich heben, wenn der Tank befüllt wird.
Flüssiggas wird in Druckbehältern aufbewahrt, deren Temperatur ständig kontrolliert wird. Die Hotels entlang der Golfküste sind Produkte des Geoengineering: Der Aufwand für Bau und Instandhaltung scheint gleichermaßen von Verbissenheit und Vergeblichkeit zu zeugen. Die Unterwerfung der Natur, hier ist sie business as usual. Auf dem South-Pars/North-Dome-Gasfeld, das teils in katarischen, teils in iranischen Hoheitsgewässern liegt, gehen die Bohrungen bis in eine Tiefe von 3000 Metern.
Rund um den Golf wird nicht nur Öl und Gas gefördert. Seit jeher wurde auch ein Großteil des Trinkwassers mittels Brunnen aus der Tiefe geholt. Aber die unterirdischen Wasserspeicher trocknen aus; für Ersatz sorgen nur Entsalzungsanlagen. Fast die Hälfte des globalen Volumens von entsalztem Wasser wird am Golf produziert. Die Anlagen sind wahre Monstren aus einem Gewirr von Röhren und Türmen. Einige werden mit Solarenergie betrieben. Katar, Kuwait und die Vereinigten Arabischen Emirate gewinnen heute mehr als 95 Prozent ihres Trinkwassers aus dem Meer.
So war es nicht immer. Die Golfregion, wie sie heute ist, entstand gegen Ende des Pleistozäns, als der Meeresspiegel hundert Meter niedriger war als heute. Vor ungefähr 15 000 Jahren, mit dem Abschmelzen der Eisschilde auf der nördlichen Halbkugel, drang das Wasser durch die Straße von Hormus ein und füllte den Golf binnen weniger tausend Jahre. Eine plötzliche Überschwemmung, die mit der Entstehung der ersten menschlichen Siedlungen einherging.
In der Großregion östlich des Mittelmeers liegt auch der Ursprung des Ackerbaus. Das Land an den Ufern von Euphrat und Tigris und nördlich des Golfs war außergewöhnlich fruchtbar, die Bevölkerung im südlichen Mesopotamien nahm explosionsartig zu. Fossile Überreste von Mollusken zeigen, dass sich der Golf damals weit nach Norden, bis zum heutigen Nassirija ausdehnte, bevor er sich wieder zurückzog. Der schwankende Wasserspiegel war womöglich einer der Gründe dafür, dass die Menschen sich zu Gemeinwesen zusammenschlossen, die Bewässerungssysteme entwickelten und feingliedrige Hierarchien herausbildeten. Es entstanden die ersten Städte und Staaten.
Aus dieser Zeit stammen auch die frühesten Zeugnisse von Kriegen zwischen den Sumerern und den Elamiten. Der sumerische König Enmebaragesi eroberte die iranische Hochebene und unterwarf deren Bewohner, jedenfalls nach der sumerischen Überlieferung. Die Geierstele, die sich heute im Pariser Louvre befindet und auf das Jahr 2500 v. Chr. datiert wird, zeigt Soldaten in Marschformation, ausgestattet mit Speeren und Schildern, die eine geschlossene Front bildeten.
Im „Gilgamesch-Epos“ sagt Uta-napischti, der sagenumwobene König von Schuruppak, der die Sintflut überlebte und unsterblich wurde: „Es gibt eine Zeit, da bauen wir ein Haus, es gibt eine Zeit, da nisten wir im Nest, es gibt eine Zeit, da teilen sich die Brüder das Erbe, es gibt eine Zeit, da herrscht Hass im Lande. Es gibt eine Zeit, da der Fluss anschwoll und die Flut herbrachte, da die Eintagsfliege auf dem Fluss sich treiben lässt, da ihr Blick sich auf der Sonne Antlitz richtet, doch dann, mit einem Male ist nichts mehr davon da!“1
Sich sehr ferne Zeiten vorzustellen ist kein leichtes Unterfangen. Allzu oft wird unser Bild von der Vergangenheit durch unser Wissen von der Gegenwart beeinflusst. Können wir uns das Mittelmeer wirklich als eine gigantische Salzwüste vorstellen, obwohl wir wissen, dass es vor 15 Millionen Jahren genau das war? Wer die antiken Kriege rund um den Golf mit aktuellen Konflikten vergleicht, unterwirft sich der Tyrannei der Gegenwart. Der Golf war ein anderer Golf, seine Küsten und Buchten lagen anderswo, und sie sahen anders aus.
Dennoch: Konfliktreich ist die Region noch immer. Im September 2019, der Krieg im Jemen dauerte bereits fünf Jahre, griffen die Huthis die Ölverarbeitungsanlage Abqaiq mit Drohnen an. Abqaiq ist die größte Raffinerie der Welt und gehört dem saudischen Staatskonzern Saudi Aramco. Die Saudis beschuldigten Iran, hinter dem Angriff zu stecken. Im März 2022 griffen die Huthis Öldepots in Dschidda an. Über dem Gold und Weiß der Stadt stiegen schwarze Rauchwolken auf.
Seit den 1990er Jahren ist der Meeresspiegel im Golf jedes Jahr um etwa 3 Millimeter gestiegen. Und das Wasser wird immer wärmer, was die Korallen ausbleichen lässt. Die Korallen, von denen Uta-napischti Gilgamesch versprach, sie würden ihm seine Jugend zurückbringen. Die Korallenbänke, die sich in den Golfgewässern mit natürlichen und Salzinseln abwechseln und mittlerweile mit hunderten Offshore-Plattformen für die Öl- und Gasförderung. Und an den Ufern, wo einst Mangrovenwälder wuchsen, stehen Entsalzungsanlagen und Ölraffinerien.
Heute sind der Halavs Geigenrochen und der Langkamm-Sägerochen vom Aussterben bedroht. Doch manchmal kommt es auch zu einer unerwarteten Auferstehung. 2021 wurde im Persischen Golf der Tentakel-Schmetterlingsrochen (Gymnura tentaculata) gesichtet, der als ausgestorben galt. Die Muster auf der Haut des Rochens erinnerten mich an Satellitenaufnahmen einer unbekannten Landschaft. Wer weiß, wie lange es sie noch geben wird.
Aus dem Englischen von Anna Lerch
Tom Stevenson ist freier Journalist.
© London Review of Books; für die deutsche Übersetzung, LMd, Berlin