13.04.2023

Bankenbeben

zurück

Bankenbeben

Warum die Aufsichtsbehörden wieder versagten

von R. Lambert, F. Lemaire und D. Plihon

Tschabalala Self, Dime, 2019, Stoff, Acrylfarbe und bemalte Leinwand auf Leinwand, 213,5 x 183 cm
Audio: Artikel vorlesen lassen

Wenn ein Politiker ständig wiederholt, was sich im Grunde von selbst versteht, ist Miss­trauen geboten. Am 13. März, drei Tage nach dem Zusammenbruch einer Bank in den USA, erklärte der französische Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire, bei den französischen Banken sei „alles in Ordnung“. Das dürfte bei den Akteuren auf den Finanzmärkten den Eindruck verfestigt haben, dass es Zeit sei, zu den Notausgängen zu drängen.

Der Zusammenbruch der Silicon Valley Bank (SVB), die sich auf die Finanzierung von Start-ups spezialisiert hatte, war die größte Bankenpleite seit 2008. Nachdem die einschlägigen politischen und geldpolitischen Gremien in Washington das ganze Wochenende beratschlagt hatten, starrte die Welt gebannt auf die Finanzmärkte. Um die Angst vor einer Pleitewelle einzudämmen, war der französische Finanzminister sichtlich bemüht, Vertrauen und Gelassenheit auszustrahlen. Doch sein Lächeln war verkrampft, als er über die Medien an die Anleger appellierte: „Bewahren Sie die Ruhe und schauen Sie sich die Realität an. Die Realität ist, dass das französische Bankensystem nicht gefährdet ist.“

Während der deutsche Finanzminister Christian Lindner versprach: „Das deutsche Kreditwesen ist stabil“, betonte Le Maire, zwischen der Situation in Frankreich und in den USA bestehe kein Zusammenhang. Aber sein beschwörenden Fazit, es gebe „kein Risiko für die französischen Banken“, erinnerte an einen Feuerwehrmann, der einen Brand mit Kerosin bekämpfen will.

Während an den Börsen schon ein Hauch von Panik aufkam, wurden der Öffentlichkeit noch die üblichen Erklärungen serviert. Vor allem war die SVB keine Bank wie jede andere: „Da herrschte nicht die typische Wall-Street-Atmosphäre mit rauem Ton und hochgerollten Hemdsärmeln. Bei der SVB war es, als würde man eher für ein Technologieunternehmen arbeiten als für eine Bank“, erzählte ein ehemaliger Mitarbeiter Mitte März der Finan­cial Times.1 Da also die SVB eine andere Kultur als traditionelle Banken pflegte, können ihre Probleme bei anderen Banken nicht auftreten. Doch etwa zur gleichen Zeit sah sich die Schweizer Zentralbank bereits zu einer Intervention gezwungen, um die Credit Suisse, eine absolut traditionelle Bank, vor der Implosion zu bewahren.

Eine weitere beliebte Methode, die Krise kleinzureden, ist der Verweis auf das Fehlverhalten einzelner Personen – die offenbar eine so tragende Rolle spielen, dass sie über Schultern wie Atlas verfügen müssen. Schon in der Finanzkrise von 2008 hatten die Medien die „Entgleisungen“ eines ansonsten makellosen Systems auf das persönliche Konto von Börsenmaklern wie Jérôme Kerviel und Finanzbetrügern wie Bernard Madoff geschoben. Nun begann die US-Justiz wenige Tage nach dem SVB-Bankrott gegen die Manager des Unternehmens zu ermitteln, und die Zentralbank Federal Reserve (Fed) kündigte eine interne Untersuchung an, um herauszufinden, „wie die Bank unter Aufsicht der Fed zusammenbrechen konnte“.2

Wahrscheinlich werden die Ergebnisse dieser Untersuchungen weniger Aufsehen erregen als ihre Ankündigung. Die Experten werden darüber streiten,

ob eine Ansteckung droht, während sich die politische Klasse in den USA und in Europa um die entscheidende Erkenntnis zu drücken versucht, die da lautet: Eine neue Finanzkrise ist – jetzt oder etwas später – möglich, wenn nicht unvermeidlich. Und das liegt nicht an marginalen „Fehlfunktionen“, sondern an veritablen Ungleichgewichten, die das gesamte System kennzeichnen. Damit fällt den Zentralbanken, bei denen sich die Widersprüche des Systems kristallisieren, die Rolle eines Maschinisten zu, der ein Rad trotz starker Unwucht am Laufen halten muss.

Der Kollaps der SVB, bis zu ihrem Zusammenbruch die 16.-größte Bank der USA, war Folge eines „bank run“, wie er in der Geschichte der Bankpleiten nicht ungewöhnlich ist: Eine Bank kann den plötzlichen und massenhaften Abzug von Kundengeldern nicht überstehen, weil sie nicht über ausreichende Reserven verfügt.

Doch das Bankensystem ist mittlerweile so engmaschig verknüpft, dass ein an sich fast banales Ereignis das gesamte Netz auseinanderreißen kann. Aus Angst vor einer Ansteckung entschlossen sich deshalb die staatlichen Währungshüter, die SVB zu schließen und mittels eines Kreditfonds von 160 Milliarden US-Dollar den potenziellen Finanzierungsbedarf anderer Banken zu decken, um so die Bankkunden zu beruhigen. Dazu trugen zwei weitere außergewöhnliche Maßnahmen bei: die Garantie sämtlicher Einlagen der SVB – obwohl die Einlagengarantie in den USA normalerweise nur Summen bis 250 000 Dollar abdeckt – und ein neues Notfallfinanzierungsprogramms, das BTFP (Bank Term Funding Program) der Fed.

Die SVB mit ihrem Fokus auf der Start-up-Finanzierung hatte stark von der allgemeinen Begeisterung für die Techbranche während der Coronapandemie profitiert. Sie investierte die Einlagen ihrer Kunden vorwiegend in US-Staatsanleihen, die feste Zinsen bei kleinem Risiko versprachen. Als sich dann ab 2022 der Wind in der Tech-branche drehte, wurde es für Start-ups schwieriger, frisches Geld zu beschaffen. Das lag vor allem daran, dass die Fed ihre lange Zeit lockere Geldpolitik mit extrem niedrigen Leitzinsen revidierte. Die Serie von sechs Leitzinserhöhungen – von 0 auf 4,75 Prozent in nur etwa einem Jahr – ließ den Liquiditätsfluss immer mehr versiegen, was die Start-ups zwang, auf ihre Einlagen bei der SVB zurückzugreifen.

Angesichts dieser unvorhergesehenen Geldabzüge war die SVB zu Notverkäufen ihrer Staatsanleihen gezwungen. Deren Wert war allerdings wegen der inzwischen gestiegenen Zinssätze zusammengeschmolzen. Das ist eine für die Anleihemärkten typische Erscheinung: Dank steigender Zinsen erbringen neu aufgelegte Staatsobligationen eine höhere Rendite als die alten, die man deshalb nur mit Verlust abstoßen kann. Als die SVB-Kunden von den Verlusten in Höhe von rund 2 Milliarden Dollar beim Verkauf der Wertpapiere erfuhren, verloren sie das Vertrauen und zogen ihre Einlagen ab – womit sie ihre Bank selbst zum Einsturz brachten.

Was die US-Bankaufsicht betrifft, so waren die ohnehin nicht sehr strengen Auflagen, die man im Gefolge der Finanzkrise 2008 beschlossenen hatte, seitdem immer mehr aufgeweicht worden. Zum Beispiel hatte die Regierung von Donald Trump 2018 beschlossen, dass nur noch Banken ab einer Bilanzsumme von 250 Milliarden US-Dollar statt bislang 50 Milliarden einer verstärkten Aufsicht unterliegen. Die SVB lag unter dieser Schwelle und verschwand damit de facto vom Radar der Behörden.

Der Untergang der SVB wirft auch ein Schlaglicht auf die Verantwortung der Zentralbanker.3 Sie stehen angesichts der seit 2021 steigenden Inflationsraten vor einem Dilemma: Nachdem sie die Zinssätze über lange Zeit hinweg immer weiter gesenkt hatten, um die Konjunktur nach der Finanz- und Immobilienkrise von 2007/08 und nach der Coronakrise wieder anzukurbeln, haben sie im Kampf gegen die Inflation die Zinsen schrittweise angehoben.

Diese Entscheidung beruhte jedoch auf einer Fehldiagnose. Denn die Hauptgründe der aktuellen Inflation sind nicht monetärer, sondern struktureller Natur. Die Preissteigerungen reflektieren nicht etwa eine zu starke Nachfrage, die sich durch höhere Zinsen bremsen ließe, sie gehen vielmehr auf andere Faktoren zurück: auf die Neuordnung der globalen Wertschöpfungsketten, den Anstieg der Energiepreise und die geänderte geopolitische Lage. Zudem machen die Währungshüter mit der Anhebung der Leitzinsen denselben Fehler wie schon in der Finanzkrise 2008: Sie unterschätzen die Auswirkungen ihrer Geldpolitik auf die Stabilität des Banken- und Finanzsystems.

Dabei wird auch jetzt wieder darüber hinweggesehen, dass eine Zinserhöhung für bestimmte Akteure, die politisch weitaus mächtiger sind als das Wählervolk, ein gewaltiges Problem darstellt. Gemeint sind die Investoren, die ihre Portfolios über Jahre hinweg mit billigem Geld aufblähen konnten. Durch eine plötzliche Zinserhöhung wird diesem Sektor die Liquidität entzogen, von der er abhängig geworden ist.4

Bislang hat die Fed die größte Gefahr in einer Inflation gesehen. Seit der SVB-Pleite muss sie jedoch abwägen, ob sie ihre stramme Zinspolitik trotz des erhöhten Risikos der Instabilität fortsetzen will oder ob sie eine Pause einlegen und vielleicht sogar die Zinsen senken muss, um weitere Finanzakteure vor Problemen zu bewahren.

Am 22. März haben die US-Notenbanker trotz allem eine erneute Anhebung des Leitzinses um 0,25 Prozent auf jetzt bis zu 5 Prozent beschlossen. Immerhin stoppte die Fed die sogenannte Bilanzverkürzung – die Veräußerung von Wertpapieren, die sie zuvor zur Sicherung der Stabilität der Finanzmärkte angekauft hatte –, womit sie ein wichtiges Vehikel der geldpolitischen Straffung aufgab. Und in Abstimmung mit der für die Einlagensicherung zuständigen Bundesbehörde und dem US-Finanzministerium drehte sie den Liquiditätshahn wieder auf, um den vom Fall der SVB in Mitleidenschaft gezogenen Banken unter die Arme zu greifen.

Tatsächlich nahmen Finanzinstitute zwischen dem 9. und dem 15. März 164,8 Milliarden US-Dollar bei der Fed auf, womit der Rekord vom September 2008 (111 Milliarden Dollar) übertroffen wurde. Innerhalb von vier Tagen erreichte das neue BTFP bereits ein Volumen von 11,8 Milliarden Dollar, und laut der Bank JPMorgan könnte die über dieses Notfallfinanzierungsprogramm geschaffene Liquidität bei 2 Billionen US-Dollar liegen.5 Bis zum 15. März hatten die BTFP-Kredite die vorangegangenen Bilanzverkürzung der Fed bereits zur Hälfte wieder wettgemacht.

Der Staat hat sich also erneut entschieden, die Investoren – „koste es, was es wolle“ – zu unterstützen. Damit erhöht sich die Gefahr, dass Spekula­tions­blasen an den Finanzmärkten platzen. Diese Gefahr bedroht die Weltwirtschaft schon seit langem, aber mit ihren Liquiditätsspritzen im Zuge der seit 2015 betriebenen „unkonventionellen“ expansiven Geldpolitik haben die Zentralbanken diese Blasen noch weiter aufgebläht.

Die politischen und ideologischen Verrenkungen, die eine solche Strategie erfordert, haben allerdings immer mehr unerwünschte Folgen. Um die Lebenszeit eines nicht überlebensfähigen Systems zu verlängern, sehen sich die politischen und monetären Aufsichtsinstanzen gezwungen, die sich ständig wiederholenden Systemkrisen mit einem Instrumentarium zu bekämpfen, das sie verabscheuen: mit staatlichen Eingriffen.

Das läuft allen Prinzipien entgegen, die sie immerwährend als Garanten für das „optimale“ Funktionieren der Wirtschaft ausgegeben haben. Zumal die „unkonventionelle“ Politik der Zentralbanken, die zur Bekämpfung der Subprime-Hypothekenkrise den Markt und den Finanzsektor mit Liquidität überschwemmte, ist nach den Lehrbüchern der orthodoxen Ökonomie untersagt. Und auch die Politik der Europäischen Zentralbank (EZB) verstößt gegen das neoliberale Dogma der „Markt­neu­tra­li­tät“, weil sie seit 2021 de facto die Zinssätze für europäische Staatsschulden reguliert, um den Zusammenhalt der Eurozone zu sichern, der durch drei große Krisen – die Subprime-Krise (2007/08), die griechische Staatsschuldenkrise (2010/11) sowie die Coronapandemie – gefährdet war.

Gegenüber diesem Beispiel bringt die SVB-Krise eine Reihe von Neuerungen mit sich. Um an Kredite zu den von der Fed eingeräumten Vorzugsbedingungen zu gelangen, müssen die Finanzinstitute normalerweise hochwertige Sicherheiten in Form risikoarmer Wertpapiere bieten. Sie können sich also Liquidität in Höhe des Marktwerts der verpfändeten Wertpapiere (US-Staatsanleihen oder Schuldtitel großer Unternehmen) verschaffen.

Bei der neuen Notfinanzierungsfazilität gelten insofern andere Regeln, als die Fed die verpfändeten Wertpapiere zu ihrem ursprünglichen (oder nominalen) Wert veranschlagt, der wie oben dargelegt deutlich über dem aktuellen Marktwert liegt. Das steht in völligem Widerspruch zur Orthodoxie der Zentralbanker und erinnert eher an Planwirtschaft als an den freien Markt. Eine solche Geldschöpfung aus dem Nichts soll offenbar die durch den Zinsanstieg verursachte Entwertung der Anleihen kompensieren, die der SVB zum Verhängnis wurde – und die auch noch weiteren leichtsinnigen Finanzakteuren bevorsteht, die nicht auf eine straffere Geldpolitik vorbereitet waren.

Die Bankenkrise in den USA ist nur ein Symptom der Unruhe auf den globalen Finanzmärkten. Das erklärt die panischen Reaktionen an den Börsen, von denen auch die europäischen Banken betroffen waren. Die allgemeine Unsicherheit übertrug sich als Erstes auf die seit Längerem angeschlagene Credit Suisse. Die zweitgrößte Schweizer Bank gehört zu den „systemischen“ Instituten, die als „too big to fail“ gelten, deren Scheitern man also nicht zulassen kann.

Die EZB hielt am 16. März zwar an der für diesen Tag geplanten Zinserhöhung fest, ließ aber auch eine Unsicherheit über die weiteren Aussichten erkennen: „Es ist nicht möglich, zum jetzigen Zeitpunkt den weiteren Weg zu bestimmen“, sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde.6 Damit konnte sie aber die Meinungsverschiedenheiten innerhalb der EZB und der Fed, die immer deutlicher hervortreten, nur schwer kaschieren. Dabei verläuft die Front zwischen den Falken, für die das zentrale Ziel nach wie vor die Infla­tions­bekämpfung ist, und den Tauben, die sich mehr Sorgen über die Folgen der Zinserhöhungen für die Finanzstabilität machen.

Die Meinungsverschiedenheiten im EZB-Direktorium reflektieren den grundsätzlichen Zielkonflikt zwischen Geldwertstabilität und Stabilität des Finanzsektors, den jede Zentralbank aussteuern muss. Dass die EZB in diesem Fall die Zinssätze nochmals angehoben hat, verheißt nichts Gutes für die Stabilität des europäischen Bankensystems.

Seit der Finanzkrise von 2008 neigen die Währungshüter in den USA und in der EU zu einer Flucht nach vorn, die durch den Untergang der SVB noch beschleunigt wurde. Offenbar gehen sie immer weiter in ihrem Bemühen, für die Verluste aufzukommen, die durch die Finanzakteure verursacht wurden. Letztere werden aber umso leichtfer­tiger agieren, je sicherer sie sein können, dass der Staat ihre Risiken absichert, ohne eine Gegenleistung zu fordern.

Die Zentralbanken verfolgen den eingeschlagenen Weg weiter, obwohl sie sich damit immer mehr von der Marktorthodoxie entfernen, zu der sie sich eigentlich bekennen. Auf dieses Paradoxon zielt die Feststellung des Hedgefonds-Managers Kenneth Griffin: „Die USA werden als kapitalistische Wirtschaft angesehen, und die bricht nun vor unseren Augen zusammen.“7 Dasselbe lässt sich auch über Europa sagen.

1 „,It is not cut-throat like Goldman Sachs’: SVB’s culture in focus“, Financial Times, 16. März 2023.

2 Brian Quarmby, „US Fed faces internal probe over Silicon Valley Bank failure“, 14. März 2023, cointelegraph.com.

3 Siehe Jean-Marie Harribey, Esther Jeffers, Pierre Khalfa, Dominique Plihon und Nicolas Thirion, „Les Banques centrales, apprentis sorciers à la manœuvre“, Paris (Croquant) 2023.

4 Frédéric Lemaire, „Geldpaniker – woher die Infla­tions­angst kommt“, LMd, März 2022.

5 „Les banques américaines ont emprunté 165 mil­liards de dollars à la Fed en une semaine“, Les Échos, 17. März 2023.

6 „François Villeroy de Galhau écarte le spectre d’une crise financière en Europe“, La Tribune, 17. März 2023.

7 „US capitalism is ‚breaking down before our eyes‘, says Ken Griffin“, Financial Times, 13. März 2023.

Aus dem Französischen von Nicola Liebert

Frédéric Lemaire und Dominique Plihon sind Wirtschaftswissenschaftler. Plihon ist außerdem emeritierter Professor der Universität Sorbonne Paris Nord. Beide sind Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats von Attac.

Le Monde diplomatique vom 13.04.2023, von R. Lambert, F. Lemaire und D. Plihon