Sonne auf Erden?
Warum Kernfusion nicht das Klima retten wird
von Joshua Frank
Als ich eines Morgens im letzten Dezember aufwachte, hörte ich als Erstes die Nachricht vom möglicherweise bedeutendsten wissenschaftlichen Durchbruch seit der Entwicklung des ersten Corona-Impfstoffs.
Diesmal ging es allerdings nicht um die Gesundheitskrise, sondern um eine neue Technologie, die laut New York Times und CNN womöglich das größte Problem der Menschheit lösen könnte: die Klimakrise und die drohende Überhitzung unseres Planeten. Das Atomwaffenforschungszentrum Lawrence Livermore National Laboratory in Kalifornien hatte den ersehnten Durchbruch bei der Kernfusion geschafft, die lang erwartete Lösung für alles, was die bisherige Energiegewinnung aus Kernspaltung so gefährlich und nicht nachhaltig macht – Unfälle und radioaktiver Abfall.
„Dies ist ein wunderbares Beispiel für die reale Umsetzung einer Möglichkeit, ein wissenschaftlicher Meilenstein auf dem Weg zu sauberer Energieerzeugung“, freute sich Arati Prabhakar, Wissenschaftsberaterin des Weißen Hauses.
Die New York Times folgte dieser Einschätzung und rühmte die Kernfusion als „Energiequelle ohne die Verschmutzung und die Treibhausgase, die bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe entstehen“. Sogar Fox News, nicht gerade tonangebend im Kampf gegen die Klimakrise, sprang auf den fahrenden Zug auf und erklärte die Fusion zu einer „Technologie mit dem Potenzial, die Abkehr der Welt von fossilen Brennstoffen zu beschleunigen und nahezu unbegrenzt kohlenstofffreie Energie zu erzeugen“.
Alles in allem waren die Berichte zur Kernfusion überaus positiv, und sie scheint ja auch sehr sinnvoll zu sein. Was soll man gegen eine Technologie haben, die unsere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen beenden und zudem die Risiken unseres verrottenden Atomparks verringern könnte? Die Botschaft, die tagelang ständig wiederholt wurde, war: Dies ist der Wendepunkt im Kampf gegen die Erderwärmung.
Beim Fusionsprozess müssen keine Atomkerne gespalten werden, um Energie zu erzeugen. Es werden gigantische Laser verwendet und kein Uran, so dass kein umweltzerstörender Bergbau erforderlich ist. Es sind auch nicht Riesenmengen kaltes Wasser zur Kühlung überhitzter Reaktoren nötig, es entstehen keine radioaktiven Abfälle, die Hunderttausende von Jahren überdauern. Und es besteht keinerlei Gefahr einer Reaktorkatastrophe wie in Fukushima, Tschernobyl oder Harrisburg. Die Kernfusion, so die frohe Botschaft, ist sicher, effektiv und effizient.
Oder doch nicht? Vereinfacht gesagt ist die Kernfusion das, was Sterne ausmacht. In unserer Sonne verschmelzen Wasserstoffkerne zu Heliumkernen, was große Mengen Energie freisetzt. Im Livermore-Labor wurde dieser Prozess nachgeahmt, indem mit 192 gigantischen Lasern auf eine Röhre von der Größe eines Babyzehs geschossen wurde. Im Innern dieses Zylinders befand sich ein wasserstoffumhüllter Diamant. Sobald der Laserstrahl hindurchschoss, zerstörte er den Diamanten schneller als ein Wimpernschlag.
Dadurch entstand ein Bündel unsichtbarer Röntgenstrahlen, die dann
die Wasserstoffisotopen Deuterium und Tritium1 zu einem Pellet, dem sogenannten schweren Wasserstoff, verdichteten. „In einem kurzen Moment, der weniger als 100 Billionstel Sekunden dauerte, wurden 2,05 Megajoule Energie – das entspricht etwa der Sprengkraft von einem Pfund TNT – auf das Wasserstoffkügelchen geschossen“, beschrieb New York Times-Reporter Kenneth Chang, was nun geschah. „Herauskam eine Flut von Neutronenteilchen – das Produkt der Fusion –, die etwa 3 Megajoule Energie transportierten, ein Energiegewinn um den Faktor 1,5.“
Doch es gibt bei der Kernfusion – wie so oft bei neuen Technologien – ein paar Haken. Zum einen sind 3 Megajoule nicht viel Energie. Für 300 Stunden Licht aus einer 100-Watt-Glühbirne braucht es 108 Megajoule. Die Fusionsversuche von Livermore werden also in absehbarer Zeit kein Haus mit Strom versorgen, geschweige denn 1 Million Häuser. Und es gibt noch ein weiteres Problem mit dieser kleinen Kernfusion: Um die 192 Laser zu aktivieren, sind 300 Megajoule nötig. Sie verbrauchen also zum Laden 100-mal so viel Energie, wie sie letztlich erzeugen.
„Die Wahrheit ist, dass die Fusionsenergie in den nächsten zehn Jahren nicht in großem Maßstab nutzbar sein wird. In diesem Zeitraum müssen jedoch die CO2-Emissionen um 50 Prozent gesenkt werden, um eine katastrophale Erderwärmung von über 1,5 Grad zu vermeiden“, meint der Klimaexperte Michael Mann von der University of Pennsylvania. „Das kann nur mit dem Ausbau von bereits vorhandenen sauberen Energien – wie Wind und Sonne – und von Energiespeicherkapazitäten erreicht werden sowie durch Energiesparen und Effizienzsteigerung.“
Die stark gesicherte und höchster Geheimhaltung unterliegende National Ignition Facility, in der der Fusionstest stattfand, hat die Größe von drei Fußballfeldern. Es drängt sich die Frage auf, wie viel Platz wohl nötig wäre, um Kernfusion in kommerziellem Maßstab zu betreiben.2 Darauf gibt es noch keine befriedigende Antwort. Und dann ist da noch das Problem mit dem Isotop Tritium: Es ist nicht leicht zu beschaffen und kostet ungefähr so viel wie Diamanten, also etwa 30 000 Dollar pro Gramm.
„Fusionsbefürworter behaupten gern, dass der Brennstoff für ihre Reaktoren billig und reichlich vorhanden sei“, schreibt Daniel Clery in der Zeitschrift Science. „Das trifft zwar auf Deuterium zu, denn ungefähr jedes 5000ste Wasserstoffatom in den Ozeanen hat die Form von Deuterium. Es wird für rund 13 Dollar pro Gramm gehandelt. Aber Tritium mit seiner Halbwertszeit von 12,3 Jahren gibt es nur in Spuren in der oberen Atmosphäre. Es ist das Produkt kosmischer Strahlenbombardements.“
Diese unschöne Tatsache wird mit dem Hinweis auf das „Erbrüten“ von Tritium beiseitegewischt – das ist ein Prozess, bei dem Tritium endlos in einer Art Kreislauf produziert wird. In einem im Dauerbetrieb laufenden Fusionsreaktor sei dies möglich. Theoretisch mag das zutreffen, aber man braucht eine Menge Tritium, um die erste Kettenreaktion in Gang zu setzen, und es ist zweifelhaft, ob es überhaupt genug davon gibt. Hinzu kommt, dass die Reaktoren, um richtig zu funktionieren, mit reichlich Lithium ausgekleidet werden müssen. Das aber ist mit 71 US-Dollar pro Kilogramm ein ziemlich teures chemisches Element.
Dann wäre da noch die häufig wiederholte, aber leider falsche Behauptung, bei der Kernfusion entstünden keine nennenswerten radioaktiven Abfälle. Richtig daran ist nur, dass das für Atomwaffen nutzbare Plutonium kein Nebenprodukt der Kernfusion ist. Aber Tritium ist die radioaktive Form des Wasserstoffs. Die winzigen Isotope können Metalle mit Leichtigkeit durchdringen und selbst aus gut verschlossenen Behältnissen entkommen. Dies stellt nicht nur diejenigen, die in einem Fusionsreaktor kontinuierlich Tritium erzeugen wollen, vor ein Problem. Es gibt auch die Befürchtung, dass Radioaktivität aus solchen Anlagen in die Umwelt gelangen könnte.
„Krebs ist das Hauptrisiko, wenn ein Mensch Tritium aufnimmt. Wenn Tritium zerfällt, spuckt es ein niederenergetisches Elektron aus (etwa 18 000 Elektronenvolt), das entwischt und in die DNA, in ein Ribosom oder ein anderes biologisch wichtiges Molekül eindringt“, erklärt David Biello im Scientific American. „Und im Gegensatz zu anderen Radionukliden ist Tritium normalerweise in Wasser enthalten, so dass es in alle Teile des Körpers gelangt und daher theoretisch jede Art von Krebs hervorrufen kann. Immerhin verringert sich dadurch auch das Risiko: Tritiumhaltiges Wasser wird gewöhnlich in weniger als einem Monat wieder ausgeschieden.“
Für den größten Teil des vom Menschen erzeugten und noch in der Umwelt vorhandenen Tritiums sind die oberirdischen Atomtests der USA in den 1950er und 1960er Jahren verantwortlich. Es wird noch bis mindestens 2046 – also 84 Jahre nach der letzten Explosion in Nevada – dauern, bis das Tritium kein Problem mehr für die Region darstellt. Überdies entweicht Tritium auch aus unseren bestehenden Kernreaktoren und wird regelmäßig in der Nähe solcher Anlagen gefunden.
Ein Krater, 1900 Meter breit und 50 Meter tief
Angesichts der Tatsachen, dass der für den Fusionsprozess unerlässliche Stoff radioaktiv ist und dass die Technologie nicht rechtzeitig kommen wird, um den Klimakollaps zu verhindern, ist die Frage, worum es hier wirklich geht.
Die Geschichte gibt da ein paar Hinweise. Die Idee für eine Fusionsreaktion wurde erstmals 1920 von dem englischen Physiker Arthur Eddington präsentiert. Am 1. November 1952 führten die USA auf den Marshallinseln im Pazifischen Ozean den ersten groß angelegten Test einer „Wasserstoffbombe“ (also einer Kernfusionsbombe) durch, die Operation „Ivy“. Die Explosion hatte die Kraft von 10,4 Megatonnen TNT – 450-mal so viel wie die Atombombe, die die USA sieben Jahre zuvor auf Nagasaki geworfen hatten.
„Ivy Mike“ riss unter Wasser einen Krater von 1900 Metern Breite und 50 Metern Tiefe auf. „Die Detonation, die von mehreren Schiffen auf hoher See aus beobachtet wurde, ist nicht leicht zu beschreiben“, heißt es in einem Militärbericht. „Die von einem hellen Licht begleitete Hitzewelle wurde auch in einer Entfernung von 30 bis 35 Meilen wahrgenommen. Der gewaltige Feuerball, der am Horizont wie eine halb aufgegangene Sonne erschien, dehnte sich nach einer kurzen Schwebezeit schnell aus.“
„Ivy Mike“ war eine thermonukleare Teller-Ulam-Bombe, benannt nach ihren Schöpfern Edward Teller und Stanislaw Ulam. Und sie war ganz anders als die beiden Atombomben, die im August 1945 auf Japan fielen, die ihre gewaltigen Explosionen durch Kernspaltung erzeugten. Sie gab einen ersten Ausblick auf das, was bei zukünftigen Vernichtungswaffen möglich sein würde.
Die Einzelheiten ihrer Funktionsweise sind nach wie vor geheim, aber der Wissenschaftshistoriker Alex Wellerstein hat das Prinzip im New Yorker so erklärt: „Die Grundidee ist, soweit wir wissen, die folgende: Man nehme eine Kernspaltungswaffe – als Teil eins. Man nehme eine Kapsel aus fusionsfähigem Material, bedecke sie mit abgereichertem Uran – Teil zwei. Nun steckt man beide Teile in einen strahlungssicheren Behälter, eine Kiste aus sehr schwerem Material. Sobald Teil eins explodiert, tritt Strahlung aus und füllt den Behälter mit Röntgenstrahlen. Durch diesen als Strahlungsimplosion bezeichneten Prozess wird Teil zwei auf eine nicht näher bestimmte Weise sehr stark verdichtet, wodurch Fusionsreaktionen in großem Maßstab ausgelöst werden. Diese Reaktionen setzen nun ihrerseits Neutronen mit einer so hohen Energie frei, dass sie das normalerweise nicht spaltbare abgereicherte Uran im Gehäuse von Teil zwei zur Spaltung bringen.“
Die Explosion von „Ivy Mike“ war letztlich eine Kernspaltung, die eine Fusionsreaktion auslöste. Wie genau diese Instrumente des Todes wissenschaftlich funktionieren, ist gar nicht so wichtig. Entscheidend ist, dass die Kernfusion von ihrer erstmaligen monströsen Erprobung auf den Marshallinseln an als Kriegswaffe konzipiert war. Und das ist bis heute leider so geblieben, trotz all der öffentlichen Aufmerksamkeit, die ihr in ferner Zukunft möglicher Einsatz im Zusammenhang mit der Klimakrise findet.
In Wahrheit sind alle Durchbrüche bei der Kernfusion nicht als Mittel gegen die Erderhitzung von potenziell entscheidender Bedeutung, sondern als Mittel künftiger apokalyptischer Kriege. Die US-Regierung hat das immer so gesehen, und deshalb wurde der jüngste Fusionstest unter größter Geheimhaltung im Atomwaffenforschungszentrum Lawrence Livermore National Laboratory durchgeführt.
Es liegt eine gewisse Ironie darin, dass das Energieministerium bei seiner Bekanntgabe des Durchbruchs von Livermore das Thema Atomwaffen durchaus erwähnt hat (auch wenn es in den Medien kaum eine Rolle spielte). Jill Hruby, Staatssekretärin für nukleare Sicherheit, gab freimütig zu, die Forscher hätten mit dem Zünden einer Kernfusion „ein neues Kapitel im wissenschaftsbasierten Stockpile-Stewardship-Programm aufgeschlagen“, dem Programm der Nationalen Behörde für nukleare Sicherheit zur Verwaltung des Atomwaffenarsenals.
Man kann davon ausgehen, dass das von Hruby gerühmte „neue Kapitel“ viel mehr mit der Modernisierung der US-amerikanischen Nuklearwaffensysteme zu tun hat als mit der Nutzung der Laserfusion zur Verringerung unserer Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen.
„Hätten wir die Wasserstoffbombe nicht entwickelt“, sagte ihr Erfinder Edward Teller einmal, „bestünde die reale Gefahr, dass wir jetzt alle Russisch sprechen würden. Ich bereue nichts.“ Manche Standpunkte halten sich hartnäckig.
Wenn man sich weit genug durch die Website des Lawrence Livermore National Laboratory durchklickt, spricht die Regierung Klartext, worum es bei den Fusionsexperimenten in der 3,5 Milliarden US-Dollar teuren National Ignition Facility (NIF) wirklich geht: „Die Experimente der NIF zu hoher Energiedichte und Trägheitsfusion in Verbindung mit den immer ausgefeilteren Simulationen, die auf den leistungsfähigsten Supercomputern der Welt möglich sind, verbessern unser Verständnis der Waffenphysik, einschließlich der Eigenschaften und Überlebensfähigkeit waffenrelevanter Materialien. Die wissenschaftliche Präzision und der multidisziplinäre Charakter der NIF-Experimente spielen eine Schlüsselrolle für die Rekrutierung und Ausbildung von neuem qualifizierten Personal zur Verwaltung des Kernwaffenarsenals, das den Auftrag zum Schutz Amerikas auch in Zukunft erfüllen wird.“
Dies ist ein seltenes, aber durchaus absichtliches Bekenntnis, dessen Adressat die Regierungen Chinas und Russlands sein dürften. Es lässt trotz der Medienaufmerksamkeit für die Klimakrise wenig Zweifel daran, was der Durchbruch in der Kernfusion bedeutet: Es geht und ging auch in der Vergangenheit nie darum, saubere Energie für die Zukunft zu schaffen. Es geht um den „Schutz“ der größten kapitalistischen Supermacht der Welt. Konkurrenten, nehmt euch in Acht.
Leider wird die Kernfusion das Eis der Arktis nicht vor dem Abschmelzen bewahren, aber wenn wir ihr nicht Einhalt gebieten, könnte diese bahnbrechende Technologie uns alle eines Tages einschmelzen.
Aus dem Englischen von Nicola Liebert
Joshua Frank ist Journalist in Kalifornien, Mitherausgeber von CounterPunch und Autor von „Atomic Days: The Untold Story of the Most Toxic Place in America“, Chicago (Haymarket Books) 2022.
© 2023 Joshua Frank/Agence Global; für die deutsche Übersetzung LMd, Berlin