08.12.2022

Nur heiße Luft?

zurück

Nur heiße Luft?

von Claire Lecoeuvre

Leunora Salihu, ohne Titel, 2020, Tusche auf Papier, 42 × 29,7 cm
Nur heiße Luft?
Kasten: Deutschland setzt auf Mais

Hinter einem kleinen Wäldchen taucht mitten auf den Feldern eine grüne Kuppel auf. Sie gehört zu einer Biogasanlage am Rande der Ortschaft Mayrac im Südwesten Frankreichs. Betreiber sind die Schweinezüchter Joël und Cédric Laverdet. Sie haben sich vor 10 Jahren für eine Nassfermentationsanlage entschieden, in der aus Schweinegülle Biogas (Methan und Kohlendioxid) hergestellt wird, um Strom, Wärme oder Kraftstoffe zu erzeugen. Mit den Gärresten, also dem bei der Biogasherstellung anfallenden Abfall, werden anschließend die Äcker gedüngt.

Nicht nur wegen des Gestanks nimmt der Widerstand vor Ort zu. Die Ausbringung der Gärreste auf den Feldern schädigt zusehends auch die Umwelt, vor allem die Flüsse. In der Diskussion um Biogasanlagen geht es allerdings nicht nur darum, für derartige Probleme Abhilfe zu schaffen, sondern um zwei konträre Visionen: Kreislaufwirtschaft gegen Produktivismus, also der Landwirtschaftsbetrieb mit der kleinen Biogasanlage, die mit Gülle genauso viel Energie erzeugt, wie der Betrieb verbraucht, gegen die industrielle Biogasproduktion, für die extra Energiepflanzen angebaut werden müssen.

2010 gab es in Frankreich 44 Biogasanlagen, heute sind es 1424 (Stand November 2022); in der kleinen Schweiz, wo 1997 weltweit erstmals Biogas ins Netz eingespeist wurde, standen 2011 schon 80 landwirtschaftliche Biogasanlagen, heute sind es um die 120. In Deutschland feierte der Fachverband Biogas im Februar 2022 sein 30-jähriges Bestehen. Anfang der 1990er Jahre gab es etwa 140, meist von Biobauern betriebene Biogasanlagen, heute stehen in ganz Deutschland über 9000 (siehe den nebenstehenden Kasten).

Auch in Frankreich entstanden die ersten Biogasanlagen auf Eigeninitiative der Bauern. Doch durch das Umweltschutzgesetz „Grenelle II“ und die Verordnungen zur Biomethan-Einspeisung veränderte sich ab 2015 das Geschäft. Die Regierung setzte fortan auf Anlagen, die Methan für die Einspeisung ins öffentliche Gasnetz produzierten. Dafür brauchte man aber deutlich größere Systeme.

Heute speisen 982 Anlagen in Frankreich Biogas für die Stromerzeugung ein und decken damit 0,6 Prozent des nationalen Strombedarfs.1 442 Anlagen liefern Biomethan für Heizkraftwerke. Zwischen 2015 und 2021 hat sich die Einspeisekapazität in Frankreich um das 22-Fache erhöht. Zudem werden gerade 940 Anlagen gebaut, die diese Leistung noch einmal vervierfachen werden. Bis 2030 sollen zwischen 14 und 22 Terrawattstunden (TWh) Einspeisekapazität erzielt werden.2

Derart ambitionierte Zielsetzungen rufen die Industrie auf den Plan. Anfang 2021 übernahm der Konzern TotalEnergies den Marktführer Fonroche Biogaz mit sieben Großanlagen und einer Produktionskapazität von 500 Giga­wattstunden (GWh) jährlich, was fast 8 Prozent der französischen Gesamtleistung entspricht.3

„2030 wollen wir um die 6 TWh Bio­gas erzeugen“, erklärt uns Olivier Guer­ri­ni, stellvertretender Leiter der Biogasabteilung bei TotalEnergies. „Dazu brauchen wir etwa 100 bis 150 Biogasanlagen in der ganzen Welt, ein Drittel davon in Frankreich.“ In Dänemark seien die Anlagen schon 4- bis 5-mal größer als in Frankreich oder Deutschland. Der dänische Konzern Nature Energy wurde in Frankreich mit dem umstrittenen Megaprojekt in Corcoué-sur-Logne bei Nantes bekannt, das pro Jahr 500 000 Tonnen Biomasse verarbeiten soll.

Trotz heftigen Widerstands durch die betroffenen Gemeinden und Umwelt- und Bauernorganisationen sind solche Großprojekte bei Investoren beliebt. „Mit solchen Kraftwerken kann man Biogas halb so teuer produzieren wie mit den kleinen Bauernhofanlagen“, erklärt Guerrini. „Ende 2020 musste die Regierung das alte Fördersystem für Kleinanlagen einstellen, weil es viel zu teuer wurde. Wir waren mit der Finanzierung am Anschlag, und trotzdem war nicht mal 1 Prozent im Netz ‚grünes‘ Gas!“

„Die technischen und strategischen Anforderungen der Gaseinspeisung führen tendenziell zu einer Bevorzugung von Großanlagen“, sagt der Pariser Wirtschaftsdozent Pascal Grouiez, der im Juli eine Studie zu dem Thema veröffentlicht hat.4 Nur Landwirte, die sich für Investoren von außerhalb des Agrarsektors öffnen, könnten solche Projekte stemmen: „Auch wenn es sich dabei um Minderheitsbeteiligungen handelt, können diese Anteilseigner den Landwirten vorschreiben, welche Stoffe sie nutzen müssen, und damit verändern sich auch die Eigenschaften der Gärreste.“

„Alle haben begriffen, dass es auf diesem Markt etwas zu holen gab, und alle haben ihre Preise erhöht“, berichtet Grouiez. Nicht nur die Baupreise für Biogasanlagen sind von Jahr zu Jahr gestiegen. Auch die Unzuverlässigkeit mancher Bauunternehmen und die schlechte Abstimmung zwischen Unternehmensberatungen, Bauunternehmen und Bauträgern verursachten Kosten.

Kein Wunder also, findet Grouiez, dass Landwirte versucht haben, ihre Produktion zu steigern, indem sie stärker methanbildende Substrate wie Getreidesprossen oder Molke eingesetzt haben. Das Problem war nur, dass sie die nicht selbst erzeugen konnten, sondern bei Genossenschaften oder von der Industrie zukaufen mussten. Zur selben Zeit sanken aber auch die direkten Subventionen und die Einspeisevergütung für Strom. 2017 beschloss die Region Bretagne, keine weiteren Biogasanlagen zu fördern.

Im Augenblick stehen die reinen Biogas-Landwirte finanziell sehr schlecht da, manche verlieren sogar Geld. Laut Grouiez gerät die Branche zunehmend in Abhängigkeit vom Abfallmarkt. Die größte Unabhängigkeit bieten immer noch kleine Anlagen wie die auf dem Hof von Jules Charmoy in der Dordogne: „60 Prozent der Wärme, die wir mit dem Gas produzieren, nutzen wir, um das Heu für die Kühe, ­Nüsse und Getreide zu trocknen, etwa 20 bis 30 Prozent dienen dazu, den Gärbehälter auf konstanter Temperatur zu halten, und mit dem Rest heizen wir zwei Häuser neben dem Hof.“

Für Pierre Dufour, Mitglied im Bauernverband des Departements Lot, ist der kritische Punkt erreicht, wenn die Biogasanlagen nur noch dazu dienen, „die geringen Einkommen in der Landwirtschaft aufzubessern“.

„Wir bekommen einen Festpreis über 15 Jahre“, sagt Joël Laverdet. „Hätten wir nur die Schweinezucht, dann hätte mein Sohn den Betrieb niemals übernommen, und in 10 Jahren müssten wir dichtmachen. Heute haben wir ein gutes Einkommen.“ Cédric erzählt: „Bei landesweiten Bauerntreffen sehe ich oft Höfe, wo die Biogasanlage einen Zuchtbetrieb gerettet hat. Oft waren es Milchbauern, die schon am Rande des Ruins standen.“ Wenn man diese Geschichten hört, fragt man sich allerdings, ob es eine gute Idee ist, die industrielle Landwirtschaft mit all ihren Problemen durch eine noch avanciertere Industrialisierung zu retten, deren Folgen für die Umwelt erst in Zukunft spürbar werden.

Diese Flucht nach vorn behindert auch die Einsparung von klimaschädlichen Treibhausgasen. Die wenigen Umweltbilanzen des Forschungsinstituts für Landwirtschaft, Lebensmittelwesen und Umwelt (Inrae) im Auftrag des Netzbetreibers GRDF deuten zwar darauf hin, dass Bauernhöfe mit Biogasanlage weniger Treibhausgase ausstoßen als andere. Doch diese Studien vergleichen auch nur industrielle Betriebe und stellen keine Vergleiche an mit einer Landwirtschaft, die auf Weidetiere statt Massenstallungen setzt oder auf Chemiekeulen verzichtet.

Die Bilanzen benennen zwar auch die negativen Auswirkungen der Biogasanlagen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt sowie den erhöhten Wasserverbrauch. Doch zu den unbeabsichtigten Freisetzungen des klimaschädlichen Treibhausgases Methan, die verschiedenen Quellen zufolge zwischen 0,1 und 5 Prozent der Gesamtproduktion betragen sollen, gibt es weder Untersuchungen noch konsequente Nachverfolgungen.

Überall in Frankreich engagieren sich Bürgerinitiativen gegen die Kollateralschäden der Biogasanlagen. Die Menschen fragen sich beispielsweise, was eigentlich die Gärreste mit dem Boden anrichten. Die wenigen dazu erhobenen Daten lassen bislang noch keine Schlussfolgerungen zu.

„Es ist sehr kompliziert, genau zu bestimmen, welchen Einfluss die Gärreste auf die Mikrobiologie des Bodens haben“, erklärt Sophie Sadet Bourgeteau, die eine Studie zu dem Thema verfasst hat.5 „Es gibt so viele Versuche, nie wird der gleiche Gärrest ausgebracht, und die Böden sind auch sehr unterschiedlich. Wir erleben eine leidenschaftliche Diskussion, die sich allerdings nur auf wenige Fakten stützen kann.“

Der Inrae-Forscher Yvan Capowiez kann das nur bestätigen: „Es gibt nicht den einen typischen Gärrest, sondern riesige Mengen mit ganz unterschiedlichen Eigenschaften. Auf einer Testfläche in der Nähe von Tours haben wir nach Ausbringung von Gärresten festgestellt, dass zwischen 0,5 und 2 Prozent der Regenwürmer gestorben waren. Auf einer anderen Testfläche bei Colmar gab es keine toten Würmer. Auf mittlere und lange Sicht sieht man keine Auswirkungen auf die Sterblichkeit. Denn immerhin werden hier organische Stoffe ausgebracht. Dadurch steigt die Regenwurmpopulation sechs Monate oder zwei Jahre später.“

Die Qualität des Gärrests hängt von den Ausgangsstoffen ab. Dabei sind Nahrungsmittelrückstände nicht unbedingt zu empfehlen. Neben der Gär­grube von Joël Laverdet sieht man etwa Plastikstückchen auftauchen. Es handelt sich um die Überreste von Kompottschälchen. Lavardet findet das offensichtlich nicht problematisch: „Das ist wie mit dem Klärschlamm. Der wird auch auf die Felder ausgebracht.“

In den Agrarwissenschaften gibt es dazu heftige Debatten. Die meisten Landwirte erklären, dank der Gärreste könnten sie Kunstdünger sparen – was ein Bericht der Organisation Solagro, die für eine Agrarwende mit Biogasanlagen eintritt, bestätigt.6 Dafür hat aber der Einsatz von organischem Dünger zugenommen. Zwei Jahre nach dem Aufbau einer Biogasanlage hatten die meisten Zuchtbetriebe für Schafe, Ziegen und Geflügel die Gesamtmenge von Stickstoff, Phosphor und Kalium, die sie auf ihren Böden ausbrachten, kräftig erhöht.

Bei den Milchbauern war die Menge gleich geblieben, bei Rindfleischproduzenten, Schweinezüchtern und Getreideherstellern war sie leicht zurückgegangen. Im Bericht heißt es allerdings, dass auch Letztere einen „starken Stickstoffdruck“ aufwiesen – mit anderen Worten: Es wurde zu viel gedüngt.

In der Biogasanlage wird der organische Stickstoff, der in Gülle oder Mist enthalten ist, in mineralischen Stickstoff umgewandelt, der leichter löslich ist und den die Pflanzen direkt aufnehmen können. Die Gärreste gelten daher als gute Düngemittel. Sie enthalten mehr Stickstoff als Gülle, weil in den Bioreaktoren auch andere Ausgangsstoffe verwendet werden. „Man muss neben den Zuchtabfällen auch auf alle zusätzlichen Substrate achten“, erklärt die Inrae-Forscherin Sabine Houot. „Der Stickstoffeintrag wird durch die Verwendung fremder Abfälle insgesamt immer ein wenig gesteigert. Allerdings kann man ihn in seiner mineralischen Form besser beherrschen.“

Theoretisch kann man nämlich sehr gut bestimmen, wie viel Stickstoff die Pflanzen bekommen, weil man messen kann, wie viel der Gärrest enthält. Doch in der Realität wird immer noch zu viel Stickstoff ausgebracht. In den 1980er Jahren konnte man den Eintrag im Verhältnis zum Bedarf der Pflanze noch nicht so gut berechnen wie heute, erklärt der Agraringenieur Étienne Mathias, der die Landwirtschaftsabteilung am Forschungszentrum für Luftverschmutzung (Citepa) in Paris leitet: „Heute berücksichtigen wir, dass es immer Verluste geben wird. Wenn man weniger Stickstoff zugibt, sinken oft die Ernten.“ Auf sinkende Ernten möchten sich aber die meisten Landwirtschaftsbetriebe nicht einstellen – auch wenn sie dadurch hochwertigere Produkte herstellen könnten.

Selbst wenn der Stickstoff der Gärreste den Kunstdünger teilweise ersetzen kann, ist damit das Problem der Umweltverschmutzung keineswegs gelöst. Mit über 10 000 Biogasanlagen, die 2019 zwischenzeitlich in Betrieb waren, vermeldete auch Deutschland zu hohe Nitratwerte. Diese lagen in 36 Prozent der Grundwasserreservoire über dem Grenzwert, die Phosphorwerte in 77 Prozent der Oberflächengewässer. Christine von Buttlar von der Göttinger Ingenieurgemeinschaft für Landwirtschaft und Umwelt (Iglu) schlägt daher vor, die Gärreste außerhalb von Regionen auszubringen, in denen ein bestimmter Stickstoffgrenzwert überschritten wurde.7

In Frankreich stellte der Aufsichtsrat für Umwelt und Nachhaltigkeit (CGEDD) nach mehreren vergeblichen Versuchen, die Nitratgehalt im Boden zu senken, ernüchtert fest: „Die Ergebnisse für den Nitratgehalt von Oberflächengewässern und Grundwasser bleiben sehr weit von den Zielvorgaben entfernt und scheinen sich auch nicht zu verbessern.“

Ein weiteres Problem der Biogasanlagen: Sie können den Kohlenstoffanteil im Boden nicht steigern. Ein lebendiger Boden braucht Kohlenstoff, Bakterien, Pilze und Pflanzen. Der Kohlenstoffgehalt in zahlreichen Re­gio­nen Frankreichs ist aufgrund der Intensivierung der Landwirtschaft und der Umwandlung von Gras- in Ackerland seit Jahrzehnten kontinuierlich zurückgegangen.8

„Damit Stickstoff und Kohlenstoff im Humus gespeichert werden und zur Bodenfruchtbarkeit beitragen, muss das Verhältnis von Kohlenstoff zu Stickstoff 9 zu 1 betragen, wie im Humus selbst“, erklärt Marc Dufumier, Honorarprofessor für Agrarwissenschaft am Institut AgroParisTech. Die meisten Gärreste erfüllen diese Bedingung nicht, im Allgemeinen enthalten sie weniger als 5 Kohlenstoffanteile pro Stickstoffanteil. Die Biogasanlage Bioquercy von TotalEnergies, die Entengülle und Schlachtabfälle als Subs­trat nutzt, hat 2020 im Schnitt einen rekordverdächtig schlechten C/N-Wert von 1,6 erzielt.

In einem Bericht von 2018 schätzte die französische Behörde für Umwelt und Energiemanagement (Ademe), man könne bis 2050 auf 100 Prozent „erneuerbares“ Gas umstellen, wenn man den Verbrauch drastisch reduziere und die Gasnutzung verändere.9 Dabei rechnete die Ademe mit einem Rückgang der Viehbestände und einer massiven Ausweitung des Zwischenfruchtbaus. So könnten die Bauern ihre Zwischenfruchtproduktion von damals 2 Millionen Tonnen Trockenmasse bis 2050 auf 42 Millionen Tonnen steigern. Die eine Hälfte würde in die Biogasanlagen wandern, die andere sollte im Boden bleiben.

Doch die Wirklichkeit ist komplizierter. Längst ist der Konkurrenzkampf um die Rohstoffe ausgebrochen. „Die Anlagenbauer sind eher daran interessiert, ihre Biogasanlagen zu vergrößern“, meint Jimmy Guérin, Vorsitzender der Jungbauern im Departement Île-et-Vilaine. „Wenn die Anlage einmal gestartet ist, dann muss sie die ganze Zeit zu 100 Prozent ausgelastet sein. Das führt dazu, dass die Bauern manchmal zusätzliche Biomasse kaufen müssen. Es kam schon vor, dass sie in trockenen Jahren den Viehzüchtern den Futtermais zu höheren Preisen weggekauft haben.“

Und die Lage wird sich kaum verbessern. Um den steigenden Preisen für Abfälle und der Konkurrenz durch große Konzerne aus dem Weg zu gehen, setzen manche Betriebe auf den Anbau von mehr Zwischenfrüchten, zum Beispiel Kleegras. Andere haben das Maximum bereits ausgeschöpft – in Frankreich dürfen aktuell nicht mehr als 15 Prozent der landwirtschaftlichen Erträge für die Biogasherstellung verwendet werden.

Energieautonomie für Kleinbauern

Dieser Grenzwert wurde vom französischen Staat erlassen, um Auswüchse wie in Deutschland zu vermeiden, wo viele Landwirte ihren Anbau komplett auf die Biogasanlage umgestellt haben (siehe den nebenstehenden Kasten). Ende September 2021 kam die Untersuchungskommission zu Biogasanlagen zu dem Schluss, man müsse festlegen, welche Energiepflanzen darin genutzt werden dürften.10

Im März 2022 veröffentlichten 30 Organisationen auf der Website von Greenpeace France einen offenen Brief, in dem sie sich für eine nachhaltige Landwirtschaft einsetzten und zugleich gegen die Instrumentalisierung des Ukrainekriegs durch die Agrarindustrie protestierten.11 Sie sprechen sich für einen Umbau des Systems aus, wollen Bauernhöfe verkleinern, den Anbau diversifizieren und dadurch Autarkie und Umweltschutz fördern. Dass sich die Besitzverhältnisse in der Landwirtschaft immer weiter konzentrieren, ist nicht neu: Die Anzahl der Höfe schrumpft, während die Fläche pro Betrieb von durchschnittlich 30 Hektar im Jahr 2000 auf 69 Hektar 2020 gestiegen ist.12

Der französische Bauernverband hat erklärt, um die Selbstversorgung mit Lebensmitteln zu gewährleisten, brauche man 1 Million Land­wir­t:in­nen zusätzlich. Und wenn die Treib­haus­gas­emis­sio­nen bis 2050 auf ein Viertel reduziert werden sollen, kommt man um eine Agrarwende nicht herum.

„In unserem Szenario ‚Afterres 2050‘ schlagen wir vor, den Rinderbestand zu halbieren“, erklärt der Solagro-Chef Christian Couturier. „Die Landwirte müssen ernsthaft auf die Strategie ‚Weniger und besser‘ setzen.“ Das wäre zugleich eine Gelegenheit, kleinere Höfe mit vielfältigeren Produkten zu etablieren. Dagegen spricht allerdings die wachsende Anzahl großer und sehr großer Tier- und Agrarbetriebe, bei denen die Biogasproduktion eine immer größere Rolle spielt.

Die öffentliche Förderung hätte auf kleine Biogasanlagen setzen können, die Bauernhöfe energetisch autonom machen. Eine Gruppe Bauern schlägt genau das vor: Kleinanlagen mit einer Kapazität von unter 80 Kilowatt. Im Departement Ariège haben Joël Dupuy und andere Züchter eine Trockenfermentierungsanlage entwickelt, die man auch für mehrere Monate still­legen kann.

„Unsere drei Biogasanlagen, die jede 90 Kubikmeter fassen, arbeiten insgesamt nur vier Monate im Jahr“, erklärt Dupuy. „So können wir im Winter unsere 600 Tonnen Mist verarbeiten, aber wir müssen nichts zukaufen, wenn die Tiere den Rest des Jahres auf der Weide stehen.“ Ein weiterer wichtiger Aspekt für die Bauern: Solche Anlagen sind leichter verfügbar als die großen Standardanlagen, die mindestens 1 Million Euro kosten. Dupuy kalkuliert dagegen mit kleineren Budgets zwischen 200 000 und 500 000 Euro: „Unsere Baupläne und technischen Daten sind frei zugänglich, damit alle Interessierten kleine Biogasanlagen praktisch selbst bauen können.“

Pierlo und Sandrine Scherrer möchten ihren Hof in den Hautes-Pyrénées auf diese Weise energieautonom machen. Seit drei Jahren vergären sie in einer kleinen Biogasanlage jährlich eine Tonne Abfälle aus ihrer Obst- und Gemüseproduktion. „Unsere Idee war, alles wertzuschätzen, was wir auf dem Hof haben“, erzählt Scherrer. „Die Anlage liefert drei Viertel des Gases, das wir zur Befeuerung des Ofens für die Verarbeitung unserer Ernte brauchen. Wir sind ein Pilotprojekt, wir experimentieren noch. Unser Ziel ist es, 100 Prozent unseres Gasbedarfs zu decken.“

1 „Tableau de bord: biogaz pour la production d’électricité, troisième trimestre 2022“ und „Tableau de bord: biométhane injecté dans les réseaux de gaz, deuxième trimestre 2022; Stastikdienst Sedes, Umweltministerium, 25. November 2022 beziehungsweise 26. August 2022.

2 Französische Energie- und Klimastrategie. Mehrjähriger Energieplan 2019–2023, 2024–2028, Ministe­rium für die ökologische und solidarische Wende, 2020.

3 „TotalEnergies et la FNSEA s’associent pour accompagner la transition énergétique du monde agricole“, gemeinschaftliche Presseerklärung vom 4. März 2022.

4 Siehe Pascal Grouiez, „Une analyse de filière des dynamiques de revenus de la méthanisation agricole“, Nese, Nr. 49, Juli 2021, S. 41–61.

5 Sophie Sadet-Bourgeteau, Pierre-Alain Maron und Lionel Ranjard, „Que sait-on vraiment de l’impact des digestats de méthanisation sur la qualité biologique des sols agricoles?“, Revue AE&S 10-1, Agronomie et méthanisation, Juni 2020.

6 „La méthanisation, levier de l’agroécologie, syn­thèse des résultats du programme MéthaLAE“, Agence de la transition écologique (Ademe), Dezember 2018.

7 Christine von Buttlar, „Comment utiliser des digestats sans risque de pollution des eaux par les nitrates et le phosphore: Enseignements issus de l’expérience allemande“, Tagungsbeitrag Colloque Apivale, Rennes 2019.

8 „L’état des sols de France“ (Französischer Bodenzustandsbericht), Groupement d’intérêt scientifique sur les sols, 2011.

9 „Un mix de gaz 100 % renouvelable en 2050?“, Technisch-wirtschaftliche Machbarkeitsstudie, Ademe, Januar 2018.

10 Senatsbericht von Pierre Cuypers und Daniel Salmon, „Méthanisations; au-delà des controverses, ­quelles pers­pectives?“, 29. September 2021.

11 Greenpeace France, „30 organisations environnementales, citoyennes et paysannes dénoncent l’instrumentalisation de la guerre en Ukraine par les tenants d’une agriculture productiviste“, 10. März 2022, www.greenpeace.fr.

12 Land- und forstwirtschaftlicher Statistikdienst SSP, „Recensement agricole 2020“ (Landwirtschaftszensus 2020), Agreste Primeur, Nr. 2021/5, Dezember 2021.

Aus dem Französischen von Sabine Jainski

Claire Lecœuvre ist Journalistin.

Deutschland setzt auf Mais

von Claire Lecoeuvre

Die etwa 9000 Biogasanlagen in Deutschland haben im vergangenen Jahr insgesamt 5,8 Prozent des hierzulande produzierten Stroms ins Netz eingespeist. Damit lagen sie hinter Windkraft und Photovoltaik auf Platz 3 bei den erneuerbaren Energien. Nur aus einem kleinen Teil des Gases wird Wärme erzeugt.

Anders als ursprünglich geplant wird das meiste Biogas nicht aus Abfällen wie Gülle produziert. Stattdessen bauen Landwirte vor allem Mais an: 75 Prozent des Biogases stammt laut Umweltbundesamt (UBA) aus Energiepflanzen wie Mais, die extra für die Kraftwerke angebaut werden. 2021 belegten sie immerhin 9 Prozent der knappen Agrarflächen, wie aus Daten der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe hervorgeht.

Auf den knappen Agrarflächen erzeugen Biogasanlagen auch viel weniger Strom pro Hektar als Photovoltaik (PV). Bereits laufende Solarkraftwerke könnten pro Hektar im Jahr rund 13- bis 20-mal mehr Strom erzeugen als Biogasanlagen, die mit Mais laufen, heißt es in einem Arbeitspapier des UBA. Neue PV-Anlagen würden sogar 26- bis 39-mal mehr Strom liefern als Biogas aus Mais. Dabei ist diese Pflanze schon der effizienteste Rohstoff für die Biogasproduktion.

Der deutsche Staat hat Biogas hauptsächlich deshalb gefördert, weil es als erneuerbare Energie klimafreundlich sein soll. Doch in Wirklichkeit ist die Klimabilanz nach UBA-Daten schlecht. Auch das liegt vor allem an dem Flächenverbrauch. Denn wenn Pflanzen für Biogas auf Flächen wachsen, auf denen vorher zum Beispiel Futter erzeugt wurde, muss das möglicherweise importiert werden aus Ländern, in denen dafür Wald abgeholzt wurde. Zwar dürfen die Emissionen wegen dieser indirekten „Landnutzungsänderungen“ laut EU-Recht nicht in den offiziellen Bilanzen auftauchen. „Sie sind jedoch gemäß der Mehrheit von Studien dazu signifikant hoch und können unter Umständen die positive Klimabilanz gegenüber der fossilen Referenz völlig zunichtemachen“, so das UBA. Biogas produziert nachweislich mehr Treibhausgase als andere erneuerbare Energien wie Windkraft oder Solar.

Besser wären die Bilanzen, wenn die Biogasanlagen nicht hauptsächlich extra für sie angebaute Pflanzen vergären würden, sondern Abfall- und Reststoffe wie Gülle oder Mist. Doch laut UBA gibt es zu wenige solcher Stoffe, um die Biogasanlagen damit vollständig zu versorgen. Mit diesem Material lasse sich nur etwa die Hälfte der aktuellen Biogasmenge produzieren. Ein Drittel dieser Stoffe wird bereits für die Biogasproduktion verwendet.

Solche Abfall- und Reststoffe würden zudem immer knapper, ergänzt Sebastian Scholz, Teamleiter Energie und Klima beim Naturschutzbund (Nabu). Abgesehen davon werde der Mais für die Biogasanlagen oft in Monokulturen oder sehr engen Fruchtfolgen angebaut. Dadurch sinkt die Artenvielfalt. Um­welt­schütze­r:in­nen fordern deshalb, möglichst keine Pflanzen mehr für Biogas anzubauen. Der Bund müsse die Förderung durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz herunterfahren. Bisher garantiert das Gesetz der Biogasbranche feste Abnahmepreise für einen Teil ihres Stroms. ⇥Jost Maurin

Le Monde diplomatique vom 08.12.2022, von Claire Lecoeuvre