Kommunisten, Katholiken, Dissidenten
In Kuba ändern sich die Fronten und Bündnisse von Janette Habel
Ende März besuchte der höchste Würdenträger der katholischen Kirche ein Land, dessen historische Führungsfigur einst exkommuniziert worden war. In Santiago de Cuba zelebrierte Papst Benedikt die Messe vor 200 000 Katholiken, und Raúl Castro saß in der ersten Reihe. Er hat sich auf einen schwierigen Reformprozess und wirtschaftliche Liberalisierung eingelassen, und auch die Annäherung an die Kirche ist ein wesentliches Anliegen seiner Politik. Doch die sorgt für Unmut – nicht nur in den Reihen der Kommunistischen Partei Kubas (PCC), sondern auch bei gläubigen Christen und Dissidenten.
Der kubanische Klerus ist kein Gesprächspartner wie jeder andere, denn er repräsentiert die einzige nationale Institution, die von der Regierung unabhängig ist. Mit dem Wechsel an der Staatsspitze1 wurden die Reformen in der Landwirtschaft und im Bausektor vorangetrieben, dazu kam die Liberalisierung des Handels und die Legalisierung vieler Formen von selbstständiger Arbeit und des Kreditwesens. Diese Entwicklung kommt den Vorstellungen der Kirche durchaus entgegen: „Schon lange haben wir gesagt, dass es nötig ist, das gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Modell zu verändern“, unterstrich die katholische Zeitschrift Espacio Laical bereits im Oktober 2010.
Inmitten der durch die Reformen verstärkten Ungleichheit und der steigenden Armut bietet die Kirche Schutz und nützliche Dienste. Über ihr humanitäres Netzwerk in den Armenvierteln sorgt sie bereits für die Verteilung von Medikamenten und organisiert Volksküchen. Und entsprechend ihrer positiven Haltung zur wirtschaftlichen Öffnung bietet sie inzwischen sogar Kurse in Buchhaltung und Informatik für die künftigen Kleinunternehmer an, die der Staat nun wünscht.
Die Annäherung von Partei und Kirche wurde erleichtert durch eine vorsichtige Erneuerung der katholischen Hierarchie, die 1986 auf dem kubanischen Kirchentag eingeleitet wurde. Das kubanische Episkopat wird „seither von Befürwortern von Verhandlungen dominiert“, meint der katholische Religionsgeschichtler Enrique López Oliva; es sei eine neue Generation, die an den früheren Konflikten – nach der Revolution – nicht beteiligt war und zum Dissidententum ebenso Abstand hält wie zum Konfrontationskurs mancher Christen mit dem Regime. Kardinal Jaime Ortega, das Oberhaupt der kubanischen Katholiken, findet, dass es „nicht Sache der Kirche“ sei, „die Oppositionspartei zu sein, die auf Kuba fehlt“.
Bei manchen Gläubigen herrscht deshalb Verwirrung, wenn nicht Unmut. Der namhafte Oppositionelle und Sacharow-Preisträger von 2002, Oswaldo Payá,2 ist der Auffassung, dass die Stimme der Kirche von der regierungsfreundlichen Fraktion um Espacio Laical vereinnahmt wurde. Kardinal Ortegas Kurs beurteilt er kritisch: „Seiner Meinung nach muss man Raúl vertrauen und die laufenden Veränderungen unterstützen.“3 In der Tat hat der Kardinal die Polizei um Hilfe gebeten, um die Besetzung einer Kirche in Havanna durch Oppositionelle zu beenden.
Der kubanische Klerus muss um seinen Einfluss kämpfen: Nur ein Prozent der Inselbevölkerung besucht noch regelmäßig die Sonntagsmesse, die afrokubanischen Kulte (Santería) mit ihren synkretistischen Ritualen sind außerordentlich verbreitet, und evangelikale Kirchen gewinnen an Einfluss. Bei der Regierung hat die katholische Kirche jedoch einiges erreicht und zum Beispiel während der Revolution von 1959 beschlagnahmte Immobilien zurückerhalten. Im November 2010 weihte Kardinal Ortega in Castros Beisein ein künftiges Priesterseminar ein – das zudem das „Centro Félix Varela“ beherbergt, ein Diskussionsforum, an dem manchmal auch Oppositionelle teilnehmen.
In einem Land, wo selbst Kritiker aus den Reihen der PCC im Parteiblatt nicht zu Wort kommen, verfügt die Kirche über ein Publikationsnetz mit ungefähr 250 000 Lesern und etwa 20 digitalen Medien. Darüber hinaus bemüht sie sich um einen regelmäßigen Zugang zu Fernsehen und Rundfunk und fordert nachdrücklich die Einbindung katholischer Lerninhalte in das öffentliche Bildungswesen. Theologie und katholisch orientierte Geisteswissenschaften sollen auch an Universitäten gelehrt werden können. „Der Staat muss die Rolle anerkennen, die der Kirche in der Gesellschaft zukommt“, meint der Leiter des Centro Félix Varela, Yosvany Carvajal. Präsident Castro hat immerhin angekündigt, dass der Karfreitag gesetzlicher Feiertag wird.
Im Jahr 2010 war der Parteiapparat international unter Druck geraten, als der zu 25 Jahren Haft verurteilte Dissident Orlando Zapata nach 85-tägigem Hungerstreik starb. Die Kirche half der Regierung aus der Klemme, indem sie selbst an Verhandlungen mit spanischen Diplomaten teilnahm und die geforderte Freilassung von 75 politischen Häftlingen „unter Kubanern“ regelte.
Eines haben die Kader der PCC sehr wohl begriffen: Die verbesserte Position der Kirche führt zwangsläufig zur Frage nach dem Platz der (Einheits-)Partei in der politischen Landschaft. Die im Januar 2012 abgehaltene Parteikonferenz sollte die PCC modernisieren und bereit machen für die Herausforderung der Wirtschaftsreformen. Außerdem wurde eine zeitliche Begrenzung politischer Mandate festgelegt und die Neubesetzung von 20 Prozent der Sitze im Zentralkomitee beim nächsten Parteitag beschlossen. Hinter den angekündigten tiefgreifenden Veränderungen ist man aber weit zurückgeblieben. Der Präsident ist 81 Jahre alt, und sein verfassungsgemäßer Nachfolger Machado Ventura wird demnächst 82. „Die Richtung der Partei zu erneuern“, stellt also in der Tat eine schwierige Aufgabe dar, zumal „ohne eine Nachfolgegeneration“, wie Präsident Castro beim VI. Parteitag der PCC im Jahr 2011 feststellte. Dabei war er es selbst, der 2009 mit Carlos Lage und Felipe Pérez Roque zwei der wichtigsten jüngeren Führungskader abgesetzt hatte.
Zwischen der PCC und der kubanischen Bevölkerung, insbesondere der jungen Generation, klafft ein tiefer Graben: Die von der Partei im Namen des Volks aufgeworfenen Fragen beschäftigen die Mehrheit der Kubaner nicht. Während die Partei davon redet, „den Sozialismus zu erneuern“, geht es auf der Straße eher um das alltägliche Klein-Klein des Überlebens. Die offiziellen Medien üben sich in Phrasendrescherei – teque teque sagen die Kubaner dazu; gleichzeitig wird in Zeitschriften und auf Internetforen lebhaft diskutiert, auch wenn der Zugang beschränkt ist (trotz der Verlegung eines Unterseekabels zwischen Venezuela und Kuba letztes Jahr).
Teque-teque im Parteijargon
Der katholische Intellektuelle Roberto Veiga kritisiert die Einheitspartei als „Bürokratie, die Staat und Gesellschaft beherrscht“, doch die vorsichtigeren katholischen Würdenträger stellen die PCC nicht infrage. Monsignore Carlos Manuel de Céspedes,4 Generalvikar von Havanna und redaktioneller Berater des Espacio Laical, übt sich in Zurückhaltung: Die Einheitspartei stehe „ebenso wenig auf Kriegsfuß mit der Demokratie, wie ein Mehrparteiensystem ihr gutes Funktionieren garantiert. Doch um eine wirkliche Demokratie zu ermöglichen, muss die Einheitspartei auf transparente Weise funktionieren und die freie Diskussion aller Probleme akzeptieren.“
Um das alte System zu reformieren – „die Revolution zu retten“ –, braucht es neue ideologische und spirituelle Grundlagen. „Vaterland und Glaube“ ist ein Artikel vom 17. März 2012 in Juventud Rebelde (der Zeitung der Parteijugend) überschrieben. „Die Einheit von revolutionärem Denken, Glauben und Gläubigen ist im Fundament der Nation verwurzelt. Die Liebe zum Vaterland und der Kampf für eine gerechtere Gesellschaft stehen nicht im Widerspruch zu einer transzendenten Auffassung des Lebens.“ Der ehemalige Leiter des Kubanischen Instituts für Filmkunst und Filmindustrie (ICAIC), Alfredo Guevara, eine große Persönlichkeit der Revolutionszeit, setzte in der Kirchenzeitung noch einen drauf: „In dieser großen Kathedrale des Vaterlands brauchen wir eine Liturgie zur Mobilisierung des Bewusstseins.“ Die Kirche sei „ein Zentrum intellektueller Entwürfe, ein großartiger Partner, um die Vielfalt auszusäen, die das Land für seine Entwicklung braucht“.
Die Veränderungen auf der Insel werden natürlich auch von den Exilkubaner beobachtet. Als Kardinal Ortega Ende März nach Washington reiste, um eine Abschwächung der Sanktionen gegen Kuba zu erwirken, kommentierte die Washington Post: „Der kubanische Kardinal ist De-facto-Partner von Raúl Castro geworden“, und das anticastristische Radio Martí in Miami bezeichnete ihn am 5. Mai als „Lakai“. Roberto Veiga meint dazu: „Die Oligarchie der Diaspora wünscht den Zusammenbruch Kubas und arbeitet darauf hin.“ Alles, was einen von Havanna gesteuerten Wandel erleichtern könnte, gefällt den Exilanten nicht. Der Vatikan dagegen unterstützt den kubanischen Klerus, weil er besser als andere dazu geeignet scheint, den konkurrierenden evangelikalen Sekten die Stirn zu bieten.
Das Wort „Übergang“ wird zwar nicht ausgesprochen – aber muss man sich eine Kirche vorstellen, die ihn Hand in Hand mit den Streitkräften (die die Schlüsselsektoren der Wirtschaft kontrollieren) vorbereitet, auf friedlichem Wege und mit der Perspektive einer Normalisierung des Verhältnisses zur Diaspora? Max Weber schrieb einmal: „Da die politische Gewalt, ebenso wie die hierokratische, beansprucht, die Grenzen ihrer Herrschaft über den Einzelnen selbst zu ziehen, so ist Kompromiß und Bündnis zu gemeinsamer Herrschaft die adäquate Beziehung beider.“5