08.06.2012

Keine Ruhe im Sudan

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Keine Ruhe im Sudan

Neue Grenze, alter Konflikt von Jean-Baptiste Gallopin

Keine Ruhe im Sudan
Was wann geschah

Einen neuen Höhepunkt erreichte der Ölstreit zwischen den beiden sudanesischen Staaten, als der südsudanesische Präsident Silva Kiir Mayardit am 23. Januar 2012 verkündete, man habe im Ministerrat einstimmig beschlossen, die Ölförderung sofort einzustellen. Fortan sollte kein Tropfen südsudanesisches Öl mehr in die Republik Sudan fließen.1 Kurz zuvor hatte Khartum eine größere Ölladung, die dem Nachbarstaat gehörte, im Hafen von Port Sudan konfisziert, nachdem sich Juba geweigert hatte, die überteuerten Nutzungsgebühren für die Pipeline zu zahlen.

Das Erdöl, dessen Export 98 Prozent der südsudanesischen Staatseinnahmen ausmacht, sichert die Existenz der jungen Republik.2 Der anhaltende Förderstopp droht deshalb die ohnehin schwachen staatlichen Strukturen zu zerstören. Damit wäre auch die Hoffnung dahin, dass sich die seit Jahrzehnten vom Bürgerkrieg gebeutelte Region stabilisieren könnte.3

Unter den Staatsoberhäuptern aus aller Welt, die sich am 9. Juli 2011 zum Unabhängigkeitsfest in der südsudanesischen Hauptstadt Juba einfanden, war auch der sudanesische Präsident Omar al-Bashir. Nach einigem Hin und Her hatte Khartum die Teilung des Landes zwar anerkannt, doch es waren noch viele Fragen offen geblieben. Die Hauptstreitpunkte waren die Aufteilung der Erdöleinnahmen und der Staatsschulden sowie der endgültige Grenzverlauf zwischen beiden Ländern. Außerdem gab es keinen Plan für die Aufgabenverteilung bei der regionalen Sicherheit.

Auf lange Sicht wird den beiden Regierungen gar nichts anderes übrig bleiben, als sich zu verständigen. Im Norden wie im Süden ist das Öl nicht nur die wichtigste Einnahmequelle für Steuern und Devisen, es macht die beiden Landesteile auch voneinander abhängig: Während im Süden, der keinen direkten Zugang zum Meer besitzt, drei Viertel der Ölfelder liegen, verfügt der Norden mit seinem Hafen Port Sudan und der Pipeline über die nötige Infrastruktur für den Export (siehe Karte). Ohne eine Einigung über die Rechte Khartums am Transport und an der Raffination droht beiden Staaten der wirtschaftliche Zusammenbruch.

Seit August 2010 trafen sich Delegierte aus dem Norden und dem Süden regelmäßig zu Verhandlungen auf neutralem Boden in Äthiopien. Weil diese Treffen stets ergebnislos blieben, verschlechterten sich die Beziehungen der beiden Länder zusehends. Zudem waren die politischen Führer im Norden wie im Süden auch untereinander zerstritten, und während sie einander zu übertrumpfen versuchten, bekamen sie die Konflikte in den Grenzgebieten nicht in den Griff.

Als im Mai 2011, also zwei Monate vor der offiziellen Unabhängigkeit des Südens, Sudans Truppen in die umstrittene Grenzregion Abyei eindrangen, eskalierte der Konflikt. Eigentlich hätte in Abyei eine Volksbefragung über die künftige Zugehörigkeit des Gebiets stattfinden sollen, die Khartum mit seinem Einmarsch nun verhinderte. Seit dem Friedensabkommen von 2005 hatte es nicht mehr so heftige Kämpfe gegeben. Die Botschaft war eindeutig: Der Norden zeigte, dass er durchaus bereit war, seine militärische Überlegenheit einzusetzen, um die Verhandlungen zu dominieren.

Im Norden machten die sudanesischen Streitkräfte Jagd auf alle Mitglieder der Sudanesischen Volksbefreiungsarmee (Sudan People’s Liberation Movement/Army, SPLM/A), obwohl die Rebellenbewegung inzwischen in Juba an der Macht war. In Süd-Kordofan4 traf es etwa 6 000 SPLM/A-Kämpfer und in Blue Nile5 4 100. Obwohl die beiden Bundesstaaten zum Norden gehören, fühlt sich deren mehrheitlich afrikanische Bevölkerung dem Südsudan kulturell und politisch mehr verbunden. Am 2. September setzte Präsident Bashir den Gouverneur von Blue Nile und Vorsitzenden der SPLM/A-N6 , Malik Agar, ab und ließ dessen Wohnsitz bombardieren. Agar ging in den Untergrund und rief zum Sturz des Regimes in Khartum auf. Als er am 8. September die Abspaltung seiner Bewegung von der in Juba regierenden SPLM/A bekannt gab, schien sich ein neuer Bürgerkrieg anzubahnen.

Während Khartum und Juba ihre Verhandlungen fortsetzten, führten sie gleichzeitig einen gnadenlosen Wirtschaftskrieg. Ab Mai 2011 schränkte die Republik Sudan den grenzüberschreitenden Handel mit dem Süden ein, der überwiegend aus Importen von im Norden produzierten Gütern besteht.7 Außerdem führten beide Regierungen im Juli 2011 neue Währungen ein. Da der Wechselkurs zwischen dem neuen nordsudanesischen und dem neuen südsudanesischen Pfund wegen der angespannten Lage und der Finanzkrise starken Schwankungen ausgesetzt war, mussten die Zentralbanken beider Länder immer wieder auf ihre ohnehin knappen Devisenreserven zurückgreifen, um eine dramatische Geldentwertung zu verhindern.

Gleichzeitig trachteten beide Seiten danach, den Gegner gewaltsam in die Knie zu zwingen. Ab November 2011 bombardierte der Norden wiederholt südsudanesisches Territorium. Außerdem leistet Khartum militärische und logistische Unterstützung für südsudanesische Milizen, die ihre eigene Regierung bekämpfen.8 Derweil bemühte sich die Regierung in Juba darum, alle Welt glauben zu machen, ihr Verhältnis zur SPLM/A-N sei nach wie vor zerrüttet. In Wahrheit nutzt die SPLM/A-N den Südsudan als Rückzugsgebiet, genauso wie die Rebellen der Bewegung für Gerechtigkeit und Gleichheit (Justice and Equality Movement, JEM) aus Darfur, deren Kämpfer sich teilweise nach Süd-Kordofan abgesetzt hatten. Die enge Zusammenarbeit zwischen der südsudanesischen Armee, der SPLM/A-N und der JEM wurde spätestens Ende März publik, als sie gemeinsam in das umstrittene Ölgebiet Heglig eindrangen und für einige Wochen besetzt hielten.

Erklärtes Ziel der SPLM/A-N und der JEM, die sich jüngst zur Sudanesischen Revolutionären Front (SRF) vereinigt haben, ist der Sturz des Regimes in Khartum. Dass sich der Süden immer stärker für die SRF engagiert und Verhandlungsführer wie Pagan Amun – dem Generalsekretär der Regierungspartei SPLM werden gute Kontakte zur SPLM/A-N nachgesagt – immer weniger kompromissbereit sind, lässt befürchten, dass sich Teile der politischen Führung in Juba diesem Vorhaben bereits angeschlossen haben.

Der Westen und China hoffen indes weiter, dass ein bilaterales Abkommen über die Transitrechte im Ölgeschäft zustande kommt und damit ein neuer Krieg verhindert werden kann. Aber auch den Großmächten ist es nicht gelungen, die Konfliktparteien zum Kompromiss zu zwingen. Für Washington ist der politische Spielraum ohnehin eng; die USA haben schon immer den Süden unterstützt, und nicht zuletzt hat das langjährige Darfur-Engagement von Hollywoodstars wie George Clooney dazu geführt, dass die öffentliche Meinung in den USA gegen das Regime in Khartum eingenommen ist. Unter diesen Umständen kann die Regierung Obama dem Norden nur schwerlich anbieten, die 1997 und 2006 verhängten Sanktionen9 gegen den „Schurkenstaat“ (wegen Darfur und der Unterstützung von Terroristen) wenigstens teilweise aufzuheben, sollte Khartum mit dem Südsudan Frieden schließen. Stattdessen beschloss man, nach Jahren der Duldsamkeit nun auch den Süden unter Druck zu setzen: Am 2. Mai 2012 nahm der UN-Sicherheitsrat eine von den USA eingebrachte Resolution an, die beiden Staaten Sanktionen androht, sollten sie die Kampfhandlungen nicht einstellen.

Pekings Einfluss ist ebenfalls begrenzt, obwohl es gute Kontakte zu beiden Konfliktparteien pflegt. Bereits während des Bürgerkriegs – damals noch in Zusammenarbeit mit dem Regime in Khartum und seit 2008 auch mit Juba – beteiligten sich chinesische Unternehmen am Ausbau der Erdölbranche. Alle chinesischen Vermittlungsversuche verliefen ergebnislos – gegenüber westlichen Kollegen haben sich chinesische Diplomaten schon bitter darüber beklagt, dass sie in dieser Sache machtlos seien. Wenn sich die Beziehungen zwischen dem Norden und Süden noch weiter verschlechtern, wird es für Peking immer gefährlicher, auf beiden Hochzeiten zu tanzen. Außerdem weiß die Regierung in Juba, dass sie auf Israel zählen kann, das die Süd-Rebellen seit Beginn ihres Aufstands im August 1955 unterstützt hat.10

Bisher kamen zwischen dem Norden und dem Süden lediglich zwei partielle Kompromisse zustande, und auch die hielten nicht besonders lang: Im Juni 2011 handelten Nafi Ali Nafi, ein enger Vertrauter von Präsident Bashir, und der Vorsitzende der SPLM/A-N, Malik Agar, die Zulassung von dessen Partei im Norden aus – doch kurz darauf verweigerte der sudanesische Präsident seine Zustimmung, und drei Monate später musste Agar in den Südsudan fliehen. Im Februar 2012 einigten sich die beiden Regierungen über den Status von Nord- und Südsudanesen, die jeweils im anderen Staat leben. Dieser Vertrag wurde Makulatur durch die militärischen Zusammenstöße an der Grenze, bei denen manche Beobachter davon ausgehen, dass sie von der SPLM/A-N und Teilen der südsudanesischen Armee inszeniert wurden, um eine Annäherung beider Staaten zu verhindern.11

Selbst ein Abkommen über die Ölrechte wäre noch kein Garant für eine Entspannung. Vermutlich würde es noch nicht einmal die Gewalt in Süd-Kordofan und Blue Nile beenden, die vor allem lokale Ursachen hat. Sehr wahrscheinlich wird die Grenzregion zwischen den beiden sudanesischen Staaten noch jahrelang instabil bleiben.

Fußnoten: 1 „Statement by H. E. Salva Kiir Mayardit, President of the Republic of South Sudan to the National Legislature on the current oil crisis“, 23. Januar 2012: www.sudantribune.com. 2 Siehe Gérard Prunier, „Kleine Geschichte des Südsudan“, und Marc Lavergne, „Zwischen Wau und Blauem Nil“, Le Monde diplomatique, Februar 2011. 3 Siehe Anne-Felicitas Görtz, „Südsudan – Zeit für einen Staat“, Le Monde diplomatique, Januar 2011, und dies.; „Wie der Südsudan nach Magwi kam“, Le Monde diplomatique, August 2011. 4 „Report on the human rights situation during the situation in Southern Kordofan, Sudan“, United Nations Mission in the Sudan (Unmis), Interner Bericht, Juni 2011. 5 „In Need of review: SPLA transformation in 2006–2010 and beyond“, Small Arms Survey, Genf, November 2010. 6 Die SPLM/A-N ist der in der Republik Sudan operierende Teil der SPLM/A. 7 „South Sudan border row ‚causing shortages‘ “, 18. Mai 2011: www.bbc.co.uk. 8 „Fighting for the spoils: Armed insurgencies in Greater Upper Nile“, Small Arms Survey, November 2011. 9 US-amerikanische Unternehmen konnten bei der damaligen Clinton-Regierung allerdings durchsetzen, dass das für viele Produkte unentbehrliche Gummiarabikum, das vornehmlich aus der sudanesischen Akazie gewonnen wird, ausgenommen wurde. Siehe Guillaume Pitron, „Gummiarabikum“, Le Monde diplomatique, April 2011. 10 Siehe „Pourquoi le Soudan du Sud est un allié stratégique d’Israël“, 20. März 2012: www.slateafrique.com. 11 „Sudan says cessation of support to rebels prerequisite to peaceful relations with south“, 30. März 2012: www.sudantribune.com. Aus dem Französischen von Edgar Peinelt Jean-Baptiste Gallopin arbeitet als Sudanexperte für eine internationale Menschenrechtsorganisation. Der hier veröffentlichte Beitrag gibt nur seine persönliche Meinung wieder.

Was wann geschah

1. Januar 1956 Der Sudan wird unabhängig. Seit August 1955 kämpfen die Rebellen im Süden für die Unabhängigkeit vom Norden.

Oktober 1964 Das seit 1958 herrschende Militärregime wird durch einen Volksaufstand gestürzt.

25. Mai 1969 Militärputsch unter Führung von Oberst Dschafar Muhammad al-Numeiri.

März 1972 In Addis Abeba unterzeichnen die Konfliktparteien ein Friedensabkommen, das dem Süden Autonomie verspricht.

1983 Das Regime von al-Numeiri beschließt die Einführung der Scharia. Im Süden beginnt unter der Führung von Oberst John Garang der Aufstand der Sudanesischen Volksbefreiungsarmee (SPLA).

April 1985 Ein Volksaufstand beendet die Militärdiktatur. Al-Numeiri wird abgesetzt.

30. Juni 1989 Unter Führung von Omar al-Bashir putscht sich eine Gruppe islamistischer Offiziere an die Macht. Der militärische Konflikt mit dem Süden verschärft sich.

9. Januar 2005 Der Norden unterzeichnet ein Friedensabkommen mit der SPLA. Innerhalb von 5 Jahren soll eine Volksabstimmung über die Unabhängigkeit des Südens stattfinden.

9. Januar 2011 Die Bevölkerung im Süden stimmt mit großer Mehrheit für die Unabhängigkeit. Am 9. Juli wird der souveräne Staat Südsudan ausgerufen.

Le Monde diplomatique vom 08.06.2012, von Jean-Baptiste Gallopin