08.06.2012

Fußball für alle

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Fußball für alle

Geld und Gleichheit im größten Sport der Welt von David Garcia

Fußball für alle - von David Garcia
Wer kauft wen ?

März 2006. Auf ihrem Jahreskongress in Budapest polemisiert die Union der Europäischen Fußballverbände (Uefa) gegen die Lobby einer „selbst ernannten Gruppe von Klubs“. Diesem informellen Kartell der 18 reichsten europäischen Profivereine wirft die Uefa vor, sich nur für die eigenen ökonomischen Vorteile zu interessieren. „Der Fußball“, heißt es in der einstimmig verabschiedeten Entschließung, „steht für Fairness, Chancengleichheit, Leidenschaft und Vielfalt. Er ist keine geschlossene Gesellschaft, in der nur die Reichsten und Mächtigsten zu Tisch sitzen. Die Uefa wird keine Strukturen oder Systeme dulden, in denen die kleinen Vereine und ihre Anhänger keine Chance haben, ihre Träume zu verwirklichen. Das wäre mit den Idealen der Uefa, Europas und des Fußballs unvereinbar.“1

April 2012. Die steinreichen spanischen Klubs dominieren den europäischen Fußballbetrieb. Unter den acht Teams, die sich für die Halbfinalspiele in den europäischen Wettbewerben qualifiziert haben, sind fünf spanische Klubs: FC Barcelona und Real Madrid in der Champions League, Atlético Madrid, FC Valencia und Athletic Bilbao in der Euroliga.

Dieser sportliche Erfolg verdankt sich vor allem den massiven Steuergeschenken des spanischen Staats an seine Fußballvereine. In einem Land, in dem mehr als ein Fünftel der Arbeitslosen unter 25 ist, kommt der Großmut, den die spanische Regierung beim Eintreiben der 752 Millionen Euro Steuerschulden gegenüber den Vereinen an den Tag legt, gar nicht gut an. Hinzu kommen noch die 250 Millionen Euro, die die Klubs in die Sozialversicherung hätten einzahlen müssen.

Die Sozialistische Arbeiterpartei Spaniens (PSOE) will die steuersäumigen Vereine aus den spanischen Fußballligen ausschließen. „Wettbewerb heißt nun mal gleiche Bedingungen und Chancen für die Konkurrenz“, erklärte PSOE-Sprecher Manuel Pezzi, als er die entsprechende Gesetzesvorlage seiner Partei vorstellte.

„Chancengleichheit unter den Vereinen?“ Gianni Infantino, der Generalsekretär der Uefa, kann seine Skepsis nicht verhehlen. Absolute Chancengleichheit zu fordern, hält er für weltfremd: „Man kann ja auch umgekehrt sagen, dass die Höhe des Defizits das Abschneiden der betreffenden Klubs verfälscht.“ Ende 2010 haben die europäischen Erstligaklubs Verluste von insgesamt 1,6 Milliarden Euro ausgewiesen. Die Gleichung ist simpel: Je reicher ein Klub, desto erfolgreicher kann er Spitzenspieler anlocken, mit denen sich nationale und internationale Titel gewinnen lassen. Die „gloriose Ungewissheit“, die den Reiz des sportlichen Wettstreits ausmacht, schrumpft damit auf ein Minimum.

Als der Franzose Michel Platini im März 2011 mit überwältigender Mehrheit zum Uefa-Präsidenten wiedergewählt wurde, lautete eines seiner Versprechen, die Zugangschancen zu den beiden europäischen Fußballwettbewerben nach den Regeln des „finanziellen Fair Play“ (FFP) zu gestalten. Seine Begründung: „Wir müssen den Fußballklubs beibringen, wieder normal zu werden und nicht mehr Geld auszugeben, als sie haben. Wenn wir als normale Bürger so etwas machen, landen wir im Gefängnis. Aber wenn die Fußballklubs dasselbe tun, können sie umso leichter ihre Titel gewinnen. Und das ist nicht normal.“2

Also Schluss mit den ungerechten Vergünstigungen? Keineswegs. Die neuen FFP-Vorschriften der Uefa gestatten noch immer ein jährliches Defizit von 5 Millionen Euro. Und in den ersten beiden Kontrolljahren 2013 und 2014 werden sogar noch Schulden von 45 Millionen Euro hingenommen; erst in den folgenden drei Jahren reduziert sich der Spielraum auf 30 Millionen. Und über die ab 2018 geltenden Grenzen hat sich Exekutivkomitee der Uefa noch gar nicht geäußert.

Reichtum schützt vor Strafe, jedenfalls im Profifußball

Immerhin warnt der Vorsitzende des FFP-Kontrollausschusses, der frühere belgische Premierminister Jean-Luc Dehaene: „Wir wollen die Klubs auf diesem Weg begleiten, aber wenn sie sich nicht an die Regeln halten, werden wir zum Mittel der Sanktion greifen. Wie im Fall von Real Mallorca, dessen Ausschluss von der Europaliga wir schon 2010 gefordert haben, noch bevor die FFP-Bestimmungen in Kraft waren.“

Freilich hat der Ausschluss des Balearenklubs, der nicht zu den spanischen Spitzenvereinen gehört, nicht gerade besonders viel Aufsehen erregt.3 Die interessantere Frage ist doch, ob die Uefa das Gleiche auch bei den Großen des europäischen Fußballs wagen würde, etwa bei Real Madrid, Manchester United oder AC Mailand. Platini weicht einer klaren Antwort jedenfalls aus. Wenige Tage vor seiner Wiederwahl im März 2011 meinte er gegenüber der Sportzeitung L’Equipe: „Hätten Sie Anfang der 1990er Jahre gedacht, dass der nationale Kontrollausschuss der französischen Liga Vereine wie Girondins Bordeaux und Olympique Marseille zum Abstieg verurteilen würde?“

Auf europäischer Ebene liegt das Recht, die reichsten Klubs vom Wettbewerb der höchst lukrativen Champions League auszuschließen, bei der Finanzkommission der Uefa. Sie ist das Gegenstück etwa zum Kontrollausschuss des französischen Verbands (Direction Nationale du Contrôle de Gestion, DNCG), über den der Sportökonom Wladimir Andreff sagt: „Würde der DNCG seine eigenen Regeln buchstabengetreu anwenden, wäre etwa Paris Saint-Germain (PSG) gar nicht mehr in der Ersten Liga. Aber der Ausschuss wendet die Sanktionen eben vollkommen willkürlich an.“ Der Pariser Verein, der inzwischen dem Emir von Katar gehört, durfte trotzdem antreten und hat am Ende der Saison ein Defizit von 100 Millionen Euro angehäuft. „Ist es überhaupt vorstellbar, dass den ganz großen Klubs, die den Nimbus der Champions League ausmachen, die Teilnahme an der Königsklasse des Fußballs versagt wird?“, fragt Andreff.

Die Uefa bezieht gigantische Einnahmen aus Fernsehrechten und Sponsorenverträgen, von denen sie 75 Prozent an die Teilnehmer der Champions League verteilt. Und doch oder gerade deshalb bleibt sie von ihren renommiertesten Mitgliedsklubs abhängig. „Die Uefa besitzt zwar das Scheckbuch“, erklärt der Wirtschaftswissenschaftler Michel Desbordes, „aber wenn die bedeutendsten Fußballklubs die neuen Regeln des finanziellen Fair Play ablehnen und die Champions League boykottieren würden, wäre sie das Scheckbuch rasch los.“ Die Henne, die goldene Eier legt, wäre dann tot. Denn die Sender zahlen nur für die großen Stars, die hohe Einschaltquoten garantieren. Die Uefa ist zwar ein Monopolunternehmen, meint Andreff, sie hat aber nur ein Leuchtturmprodukt, die Champions League, um „ihren Daseinszweck zu erfüllen, nämlich Geld zu verdienen“. Das Prinzip der ausgleichenden Gerechtigkeit, mit dem sich die Uefa-Granden in Budapest gebrüstet haben, kommt dabei zu kurz.

Warum das so ist, erklärt Boris Helleu, der an der Universität Caen Sportmanagement lehrt: Die 1992 eingeführte Champions League entsprach den Bestrebungen der reichsten und mächtigsten Klubs, „ihre Erfolgsaussichten berechenbarer zu machen und ihre Einnahmen aus Fernsehrechten aufzubessern“. Diese Klubs haben mit ihrer ständigen Drohung, eine exklusive, geschlossene Liga der europäischen Spitzenvereine zu gründen, den alten Europapokal der Landesmeister zu Grabe getragen. Dieser Wettbewerb war 1955 auf Anregung der französischen Sportzeitung L’Equipe entstanden. Dabei traten die Meister aller nationalen Ligen in Hin- und Rückspielen gegeneinander an, der Sieger kam nach dem K.o.-System in die nächste Runde. In diesem ersten Europapokal-Wettbewerb galt das Prinzip „pro Land ein Verein“, die Spielstärke der nationalen Ligen und die Finanzkraft der jeweiligen Meisterklubs spielten also keine Rolle.

Unter dem Druck der großen nationalen Fußballverbände – Deutschland, England, Spanien, Italien, Frankreich – und ihrer publizistischen Sprachrohre wurde dieses Spielsystem nach und nach verändert. Heute dürfen von den leistungsstärksten nationalen Ligen bis zu vier Klubs teilnehmen, während die kleinen Verbände aufgrund ihres schwächeren Abschneidens nur noch je einen Teilnehmer stellen. Und die müssen noch bis zu drei Qualifikationsspiele bestreiten und sich in einer zusätzlichen Playoff-Runde durchsetzen, um an der eigentlichen Champions League teilnehmen zu können.

In der Qualifikation verlieren die „Kleinen“ in der Regel gegen die Dritt- oder Viertplazierten der starken Ligen, deren Vertreter folglich im Titelkampf unter sich bleiben – und damit auch bei der Verteilung der Fernseheinnahmen. Bereits 2005 musste Uefa-Sprecher William Gaillard einräumen: „Über den Erfolg entscheidet seit zwölf Jahren eindeutig das Geld. Die Zahl der Vereine, die es bis ins Endspiel schaffen können, nimmt von Jahr zu Jahr ab.“

1999 hatten die Vorstände der großen europäischen Fernsehgesellschaften (angeführt von Silvio Berlusconi, der in Personalunion Besitzer des Fußballklubs AC Mailand und dreier Privatfernsehsender ist), damit gedroht, eine geschlossene Liga der größten europäischen Fußballklubs zu gründen. Dem Erpressungsversuch gab die Uefa damals nicht nach. Daraufhin gründeten die reichsten europäischen Klubs die G 14, die seit 2000 als Lobby und Interessenvertretung der reichsten Vereinsmannschaften fungiert.

Platini – das gefälschte Porträt eines Reformers

2007 wurde Michel Platini zum neuen Uefa-Präsidenten gewählt, und zwar mit den Stimmen der „kleinen“ und der osteuropäischen Landesverbände. Seitdem wurde der Zugang zur Champions League teilweise demokratisiert. Davon konnte dieses Jahr der zypriotische Meister Apoel Nicosia profitieren. Er schaffte es bis ins Viertelfinale, wo er gegen das Starensemble von Real Madrid unterlag. Der spanische Meister gibt für Spielergehälter freilich fünfhundertmal mehr aus als Apoel.

Die „Reform Platini“ ist allerdings eher symbolischer Natur. Die alten Machtstrukturen wurden nicht angetastet. Zum Beispiel erhielten die Landesmeister nicht das Recht zur direkten Teilnahme an der Champions League, wie es Platini vor seiner Wahl zugesagt hatte. Das wäre auf Kosten der großen Fußballnationen gegangen, denen automatisch weniger Teilnehmer zugestanden hätten. Mit seiner Beschwichtigungspolitik erreichte Platini, dass sich die G-14-Gruppe im Februar 2008 auflöste. An ihre Stelle trat die European Club Association (ECA), der inzwischen fast 200 europäische Klubs angehören.

Der Hütchenspielertrick des Uefa-Präsidenten wurde in der europäische Presse einhellig bejubelt. Platini wurde das Image eines wackeren Kämpfers für die Schwachen und gegen die Starken verpasst. Die unternehmerfreundliche französische Wirtschaftszeitung Les Echos fiel darauf nicht herein: Sie bezeichnete das Porträt Platinis, das ihn als „Feind des Sportbusiness“ zeigt, als „gut gefälscht“.

Tatsächlich kann der frühere Kapitän der französischen Nationalmannschaft, wenn er die Reform in Richtung „finanzielles Fair Play“ eher sachte betreibt, auf seine engen Verbindungen zu den großen Klubs zählen. Zum Beispiel zu Karl-Heinz Rummenigge, dem Präsidenten der ECA und Vorstandsvorsitzenden der FC Bayern AG (des Profibereichs des Gesamtvereins). Der erklärte bei der Vorstellung der FFP-Konzeption im Januar 2011, er habe den Kurs Platinis von Anfang an unterstützt, weil ihm klar gewesen sei, „dass wir finanziell im Klubfußball in die falsche Richtung fahren“.4

Es gibt aber auch Fußballgrößen, die sich von Michel Platini wesentlich mehr Reformeifer wünschen würden. So fordert Philippe Piat, der Präsident der internationalen gewerkschaftlichen Interessenorganisation der Fußballprofis FIFPro, eine Höchstgrenze für Transfersummen: „Nur vier oder fünf Klubs können sich die wohl weltbesten Fußballer Cristiano Ronaldo oder Lionel Messi leisten. Es sind genau diese Spitzentalente, die den Klubs, bei denen sie spielen, in der Champions League den entscheidenden Vorsprung verschaffen.“ Deshalb schlägt Piat vor, die Transfersummen für Fußballprofis „zum Beispiel auf 10 Millionen Euro zu begrenzen, um sie für mehr Klubs erschwinglich zu machen“.

Das gleiche Anliegen hat Jean-Michel Aulas, der Vizevorsitzende des Finanzausschusses der AEC und Präsident von Olympique Lyon. Er will die Gehälter der Spieler ebenso deckeln wie die Vermittlungsprämien, die Spieleragenten für einen Transfer bekommen. Das sind die beiden Ausgabenposten, die bei den Klubs im Schnitt zwei Drittel der Einnahmen verschlingen. Im Gefolge des 1995 ergangenen Bosman-Urteils5 , das den Arbeitsmarkt für Fußballprofis liberalisiert hat, ist der Marktpreis für die Spieler explodiert. Platini zieht eine Begrenzung der Transferbeträge und der Gehaltssummen in Betracht, aber nur in der laschen Form von „Sanktionen“ gegen Klubs, die gegen die Regeln des finanziellen Fair Play verstoßen. Die Konturen seiner Reform bleiben offenbar absichtlich verschwommen.

Im Januar 2011 hat die für den Sport zuständige EU-Kommissarin Androulla Vassiliou, geschockt von dem 58-Millionen-Transfer des Spaniers Fernando Torres von Liverpool nach Chelsea, eine „Studie“ über die Regulierung des Vereinswechsels von Spielern angekündigt. Allerdings soll auch bei dieser Frage das Subsidiaritätsprinzip, also der Vorrang nationalstaatlicher Regelungen, gelten: „Ja zu einer besseren Kontrolle der finanziellen Solidität bei den Vereinen, wobei jedes Land unter Beachtung seiner rechtlichen und sportlichen Traditionen die geeigneten Mittel selbst wählen soll.“ Hier zeigt sich wieder einmal der Hang der EU-Kommission zur Nichteinmischung. Denn es geht ja nur um den Kampf für mehr Chancengleichheit.

Fußnoten: 1 Zitiert nach Uefa direct: kassiesa.net/uefafiles/uefadirect/uefadirect-049-2006-05.pdf. 2 La Repubblica, Rom, 24. Januar 2011. 3 Mit dem Ausschluss aus der Europaliga bestrafte die Uefa 2010 auch den englischen Klub FC Portsmouth und neuerdings (für die Saison 2012/2013) den türkischen Spitzenklub Besiktas Istanbul. 4 de.uefa.com/uefa/footballfirst/protectingthegame/financialfairplay/news/newsid=1585345.html. 5 Das „Bosman-Urteil“ (benannt nach dem klagenden belgischen Spieler Jean-Marc Bosman) ist eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahr 1995. Es sicherte die europaweite berufliche Freizügigkeit von Profifußballern und befand, dass ein Fußballspieler den Verein auch ablösefrei wechseln darf. Aus dem Französischen von Ulf Kadritzke David Garcia ist Journalist.

Wer kauft wen

Von „Financial Unfair Play“ im Fußballgeschäft spricht Karl-Heinz Rummenigge, Chef der Profiabteilung von Bayern München, in einem Interview mit dem Fachmagazin Sponsors. Als „unfaire“ Wettbewerber identifiziert er dabei „Scheichs, Ölmagnaten und Medienzaren“.

Präziser muss man drei Typen von Fußballinvestoren unterscheiden. Der erste ist der Industriekonzern, der zur Imagepflege eine eigene Sportabteilung betreibt wie Bayer 04 Leverkusen und PSV (Philips) Eindhoven oder wie der VW-Konzern, der einen lokalen Verein finanziert (VfL Wolfsburg). Der zweite Typ ist der Investor, der seinen Einsatz langfristig anlegen oder kurzfristig nach Heuschreckenart mehren will. Wie zum Beispiel Malcolm Glazer, der 2005 Manchester United, den profitabelsten Klub der Welt, erworben hat. Oder ein „Sportunternehmer“ wie Stan Kroenke, Besitzer US-amerikanischer Basketball- und Eishockeyklubs, der zwei Drittel der Anteile von Arsenal London erworben hat.

30 Prozent desselben Klubs hält die „Red and White Holdings“ des russischen Oligarchen Alischer Usmanow. Er repräsentiert den dritten Typ, den „Sugar Daddy“, der einen Klub nicht kauft, um sein Kapital zu mehren, sondern um sein Ego zu pflegen. Er kommt zumeist aus Russland oder der Golfregion. Wie zum Beispiel Roman Abramowitsch, der seit 2003 eine Milliarde Euro in den FC Chelsea gesteckt hat, oder Scheich Mansour bin Zayed al Nahyan, Chef der Arab Investment Company (Abu Dhabi), der seit 2008 Manchester City aufrüstet.

Bevorzugtes Spielfeld – der Kapitalanleger ebenso wie der Sugar Daddys – ist die englische Premier League, in der sämtliche Klubs bereits in Privatbesitz sind. Arabische Investoren kaufen sich neuerdings auch in Frankreich (Paris St. Germain) und in Spanien (FC Malaga) ein.

Le Monde diplomatique vom 08.06.2012, von David Garcia