08.06.2012

Öko-Poker um Ecuador

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Öko-Poker um Ecuador

von Aurélien Bernier

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Auf der zweiten UN-Konferenz für Umwelt und nachhaltige Entwicklung – nach dem ersten „Erdgipfel“ von Rio im Jahr 1992 Rio+20 genannt – werden einige der reichen Länder versuchen, eine „grüne Ökonomie“ im Einklang mit dem neoliberalen Wirtschaftsmodell zu präsentieren und durchzusetzen. Die Schwellen- und Entwicklungsländer erstreben eher eine Balance zwischen sozialem Fortschritt und dem Schutz der Ökosysteme an, die zugleich die nationale Souveränität respektiert.

Vorreiter dieser Politik ist Ecuador. Präsident Rafael Correa hat bereits im Juni 2007 ein revolutionäres Vorhaben angekündigt: Ecuador würde auf die Ausbeutung der nachgewiesenen Ölvorkommen im Gebiet des Yasuní-Nationalparks verzichten, wenn die „internationale Gemeinschaft“ dem Land dafür eine Entschädigung zahlt.1 Die sollte die Hälfte der 7 Milliarden Dollar ausmachen, die man als Öleinnahmen für die nächsten 13 Jahre erwartet. Mit diesen Geldern will man den Ausbau erneuerbarer Energien finanzieren, Ökosysteme bewahren oder sanieren und die indigene Bevölkerung der Urwälder schützen. Zudem sollen neue Sozialprogramme und Forschungsprojekte über die wirtschaftliche Nutzung der biologischen Ressourcen finanziert werden.

Diese sogenannte Yasuní-ITT-Initiative (nach den Ölvorkommen Ishpingo, Tambococha und Tiputini) bietet auf den ersten Blick den besten Ausweg aus der Sackgasse, in der die internationalen Verhandlungen zum Klimaschutz und zum Schutz der Artenvielfalt derzeit stecken. In Ecuador würde man 400 Millionen Tonnen an CO2-Emissionen allein dadurch einsparen, dass das Öl im Boden bleibt, und zugleich eines der artenreichsten Ökosysteme der Erde vor der Zerstörung bewahren. Damit würde man, ohne mit der Logik der Vermarktung von Natur zu brechen, der rücksichtslosen Extraktionswirtschaft einen Riegel vorschieben. Ausgerechnet in einem armen Land, das für seine Entwicklung auf die Einnahmen aus dem Export von Rohstoffen angewiesen ist, soll also das doppelte Ziel einer ökologischen und einer sozialökonomischen Wende verwirklicht werden? Zu schön, um wahr zu sein. Denn natürlich gibt es gewaltige Hindernisse.

Reiche Länder zahlen für Artenschutz

Nach seiner Wahl zum Präsidenten Ende 2006 betrieb Correa zunächst eine Politik nach venezolanischen Vorbild: Verstaatlichung von Schlüsselindustrien, sozialpolitische Programme und eine neue Verfassung mit mehr Rechten für die ärmsten Ecuadorianer. Außerdem beschloss der neue Präsident, die Schulden seines Landes nicht mehr im vollen Umfang zu bedienen, weil diese großenteils auf „illegitime“ Art zustande gekommen waren.2

In der Folge gelang es Correa, die Zahl der Arbeitslosen zu senken und die Gehälter im öffentlichen Dienst anzuheben. Zudem konnte sich Ecuador ein Stück weit aus der Bevormundung durch internationale Organisationen wie IWF und Weltbank befreien. Doch dann kam der Putschversuch vom September 2010, der offenbarte, wie schwach und instabil die „Revolution der Bürger“ war.

Mittlerweile ist auch das Verhältnis der indigenen Bevölkerung zum Präsidenten angespannt, insbesondere zur mächtigen Konföderation der indigenen Nationalitäten Ecuadors (Conaie). Einige Gruppen kritisieren die Ausbeutung von Bodenschätzen, die eine Bedrohung für die Gebiete der Indigenen darstellen; andere stoßen sich an den Bemühungen, gewisse gewohnheitsrechtliche Praktiken zu verbieten, die sich mit dem politischen Neubeginn in Ecuador kaum vereinbaren lassen (wie die noch mancherorts praktizierte Lynchjustiz).

Für Ecuador spielt das Erdöl eine Schlüsselrolle. Die Einkünfte aus dem Erdölexport decken die Hälfte der Staatsausgaben ab, ohne sie sind die Sozialprogramme nicht zu finanzieren. Die Kehrseite ist die weitgehende Abhängigkeit von ausländischen Ölkonzernen, die 40 Prozent der ecuadorianischen Vorkommen kontrollieren und wie eine neokoloniale Macht auftreten.

Für die indigene Bevölkerung ist die Erdölförderung in einigen Gebieten die einzige Verdienstmöglichkeit. Doch die Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesundheit der Menschen sind katastrophal. Die Gruppe Acción Ecológica (Ökologische Aktion) fordert daher ein absolutes Verbot neuer Bohrungen. Ermutigt wurde sie dadurch, dass ein ecuadorianisches Gericht den Energiekonzern Chevron-Texaco im Februar 2011 wegen massiver Umweltverschmutzung im Amazonasgebiet zu einer Zahlung von 18 Milliarden Dollar verurteilte.3

Die Erdölpolitik war aber auch innerhalb der neuen Regierung von Anfang an umstritten. Das Konzept eines Fördermoratoriums und einer umfassenden Energiewende war lange vor Correas Amtsübernahme in einem Kreis linker Intellektueller um den Ökonomen Alberto Acosta entwickelt worden. Als Acosta 2007 Energie- und Bergbauminister wurde, konnte er auf dieser Grundlage relativ rasch sein Yasuní-Konzept ausarbeiten.4 Acostas Gegenspieler ist das staatseigene Unternehmen Petroecuador, das darauf drängt, das Öl unter dem Yasuní-Nationalpark so schnell wie möglich zu fördern. Denn nachdem der Barrelpreis seit 2007 von 60 auf über 100 Dollar angestiegen ist, verspricht auch die Ausbeute von schwer erschließbaren Lagerstätten – wie des ITT-Felds – hohe Gewinne.

Präsident Correa muss sich also entscheiden. Will er schnelle, aber „schmutzige“ Ölgewinne, um sein politisches Programms zu finanzieren – oder will er die Forderungen der Ökologen und der indigenen Bevölkerung erfüllen? Angesichts dieses Dilemmas ist die ITT-Initiative ein geschickter Schachzug, denn sie gibt die Verantwortung für die Förderung oder Nichtförderung an die internationale Gemeinschaft weiter.

Die Initiative wurde erstmals auf dem Klimagipfel von Kopenhagen im Dezember 2009 vorgestellt. Seit 2010 besteht ein Treuhandfonds bei der UN, der bis Ende 2011 durch Beiträge zahlreicher reicher Länder 100 Millionen Dollar einsammeln sollte. Da aber nur wenige Länder zu Zahlungen bereit waren, kam sehr viel weniger Geld zusammen als erhofft. Spanien zahlte 1,4 Millionen Dollar ein. Zwei französische Gebietskörperschaften (die Region Rhône-Alpes und das Departement Meurthe-et-Moselle) und einige Länder, die weder zu den reichen Ländern noch zu den großen Umweltsündern zählen (Chile, Kolumbien, Georgien, die Türkei) überwiesen Beträge zwischen 50 000 und 200 000 Dollar. Andere Zusagen, etwa der belgischen Wallonie, wurden nicht eingehalten. Deutschland entschied sich, nach einer Reihe widersprüchlicher Äußerungen5 am Ende für eine andere Form der „Unterstützung“: durch bilaterale Investitionsprojekte, die der deutschen Seite Profite garantieren.

Die nachhaltigste Unterstützung leistete die italienische Regierung, wenn auch nicht in Form einer Gabe, sondern mit einem Schuldenschnitt: 51 Millionen Dollar an ecuadorianischen Zahlungsverpflichtungen wurden annulliert. Angesichts der italienischen Schuldenkrise lässt sich kaum sagen, ob Yasuní bei der Entscheidung der Regierung in Rom eine Rolle gespielt hat. Norwegen etwa hat Ecuador schon 2006 – ohne ökologische Begründung – allein auf Druck sozialer Initiativen Schulden in Höhe von 20 Millionen Dollar gestrichen. Solche und andere Leistungen verrechnete Quito als Beiträge zu dem Yasuní-Fonds. So wurde das 100-Millionen-Dollar-Ziel Ende 2011 für erreicht erklärt, obwohl der Kontostand nie mehr als 3 Millionen Dollar betrug.

Auch die großen Umweltschutzorganisationen sind nicht rückhaltlos begeistert. Greenpeace begrüßt zwar die Bereitschaft, das Erdöl im Boden zu belassen, unterstützt aber aus Prinzip keine Regierungsprojekte. Friends of the Earth setzt sich zwar gleichfalls dafür ein, Emissionen von Treibhausgasen zu vermeiden, die Artenvielfalt zu bewahren und die Rechte der einheimischen Urbevölkerung zu wahren, aber die NGO fürchtet, dass Yasuní sich als ein Präzedenzfall von „ökologischer Erpressung“ erweisen könnte.

Sylvain Angerand betreut bei der französischen Sektion von Friends of the Earth die Kampagne zur Rettung der Regenwälder. Er hält es für eine gute Sache, das Öl unter der Erde zu lassen, meint aber: „Die ökologische Schuld industrialisierter Länder des Nordens gegenüber dem Süden muss nicht unbedingt in Form einer finanziellen Entschädigung beglichen werden.“ Kritisch sieht der Umweltschützer – wie ein Teil der indigenen Bevölkerung Ecuadors auch –, dass in anderen Landesteilen weiterhin eine intensive Ausbeutung von Bodenschätzen praktiziert wird.

Die ITT-Initiative hatte von Beginn an mit zahllosen Schwierigkeiten zu kämpfen. Seit Beginn der Finanzkrise im Herbst 2008 und vor allem seit dem Scheitern des Kopenhagener Klimagipfels von 2009 sind die ohnehin verfahrenen internationalen Verhandlungen zur Eindämmung des Klimawandels fast völlig zum Erliegen gekommen. Die UNO konzentriert sich auf die Durchsetzung von REDD+, einer Waldschutzinitiative. Die will die private Wirtschaft in den Emissionshandel einbinden, wobei die Entscheidungshebel in den Händen der großen Staaten bleiben. Die Debatten über das Yasuní-Projekt passt den reichen Ländern nicht in den Kram. Sie nutzen die Staatsschuldenkrise und die Sparprogramme als Vorwand, um es höflich abzuservieren. Sie sehen in der Initiative Ecuadors nur einen misslichen Präzedenzfall: Die Finanzierung von Yasuní würde dazu führen, dass Länder des Südens dasselbe für hunderte ähnliche Projekte fordern.

Angesichts dieses feindlichen Umfelds hat sich Ecuador den Unternehmen zugewendet.6 Aber auch hier sind die Erfolgsaussichten mehr als unsicher. Zudem besteht die sehr reale Gefahr, dass der Umweltschutz damit instrumentalisiert wird. Denn die Spender würden im Gegenzug die Möglichkeit erhalten, mit dem Logo Yasuní für ihre Produkte zu werben. So könnte sich etwa – im schrecklichsten Fall – ein Autobauer oder Energiegigant mit dem Motto der Initiative schmücken, das da lautet: „Yasuní-Produkt. Gemeinsam für eine bessere Welt!“

Doch die Regierung Correa könnte auch versucht sein, einen noch gefährlicheren Weg zu beschreiten, der schon am Beginn der Initiative erwogen wurde: die Integration des Projekts in den Emissionshandel. Dann könnten „Yasuní-Garantiezertifikate“ erworben und in „Emissionsguthaben“ umgewandelt werden, die den Ausstoß von Treibhausgasen reicher Länder oder großer Konzerne kompensieren.7 Im Moment sieht es nicht danach aus, als wollte Ecuador diesen Weg tatsächlich gehen. Aber wenn sich kein anderer als gangbar erweist, könnte sich die Regierung Correa am Ende doch noch dafür entscheiden.

Für ein kleines und armes Land ist eine Energiewende eine gewaltige Herausforderung. Die Erfolgsaussichten der ITT-Initiative sind gering. Von Correa wird sie keineswegs bedingungslos unterstützt, aber er will sie bis zu den nächsten Nationalwahlen 2013 auf jeden Fall am Leben erhalten. Denn angesichts des Widerstands der Conaie, die für Yasuní kämpft und im März mit einem Marsch auf Quito „gegen den umfassenden Abbau von Bodenschätzen in unserem Land“ protestiert hat, kann er sich ein vollständiges Einknicken nicht leisten.

Paradoxerweise lassen die Zweifel und Unsicherheiten rund um die Yasuní-ITT-Initiative andere Erfolge der „Revolution der Bürger“ aus dem Blick geraten, die sehr real, wenn auch noch nicht endgültig gesichert sind. Immerhin ist das Ideal eines „guten Lebens“ (jenseits wirtschaftlicher Erfolge) in der ecuadorianischen Verfassung festgeschrieben. Aber die grün-alternativen Bewegungen des Nordens interpretieren die Situation allzu sehr nach ihrem eigenen Schema: eine Urbevölkerung, die quasi von Natur aus ökologisch gesinnt sei;8 böse fossile Energieträger, die den Ausbau von guten erneuerbaren Energien verhindern; umweltpolitische Vorhaben, die wie durch Zauberhand politische Differenzen überbrücken.

Da ist die Versuchung groß, Correa in simplifizierender Weise als leuchtendes Vorbild zu sehen. Tatsächlich lässt sich das Yasuní-ITT-Projekt aber nur als Teil eines Veränderungsprozesses in Ecuador verstehen. Und der ist in eine differenzierte soziale und wirtschaftliche Realität eingebettet.

Fußnoten: 1 Siehe Leah Temper und Joan Martínez Alier, „Das Öl soll in der Erde bleiben“, Le Monde diplomatique, Mai 2008. 2 So der Befund einer internationalen Untersuchungskommission: www.quetzal-leipzig.de/lateinamerika/ecuador/illegale-und-illegitime-schulden-in-ecuador-rueckzahlung-ja-oder-nein-19093.html. 3 Im Januar 2012 bestätigte ein ecuadorianisches Berufungsgericht das Urteil und verdoppelte die Zahlung von 8,6 Milliarden Dollar auf 18 Milliarden Dollar – weil sich das Unternehmen nicht, wie im Februar 2011 erstinstanzlich gefordert, entschuldigt hatte. 4 Siehe Alberto Acosta, „Öl für zehn Tage – Die Schäden der Förderung aber bleiben“, Le Monde diplomatique, März 2011. 5 Der deutsche Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) distanzierte sich bei seinem Amtsantritt 2009 von den Zusagen Deutschlands. 6 www.yasuni-itt.de. 7 Aurélien Bernier, „Monopoly mit dem Weltklima“, Le Monde diplomatique, Dezember 2007. 8 Vgl. Renaud Lambert, „Pachamama“, Le Monde diplomatique, Februar 2011. Aus dem Französischen von Herwig Engelmann Aurélien Bernier ist Sprecher des Mouvement politique d’éducation populaire (M’PEP) und Autor. Zuletzt erschienen: „Comment la mondialisation a tué l’écologie“, Paris (Mille et une Nuits) 2012.

Le Monde diplomatique vom 08.06.2012, von Aurélien Bernier