11.09.2009

Peru zum Verkauf

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Peru zum Verkauf

von Monica Bruckmann

Im Februar 2008 streikten in Peru die Landarbeiter. Bei der Räumung von Straßenblockaden wurden in der Gebirgsregion Ayacucho zwei Bauern von Polizisten erschossen. Einige Tage später erklärte der peruanische Präsident Alan García: „Die Polizei hat sehr überzeugend und entschlossen gehandelt, ich gratuliere ihr, es ist sehr gut, dass sie Peru verteidigt … Das soll allen eine Lehre sein, die öffentlich zum Streik und zur Agitation aufrufen, sie sollen wissen, wohin das führt.“1

Die sozialen Bewegungen in Peru hatten schon immer ein großes Mobilisierungs- und Protestpotenzial. 1978 erzwangen sie den Sturz der Militärdiktatur von Francisco Morales Bermúdez, 2000 den des Fujimori-Regimes. 1985 verfehlten sie mit dem Kandidaten der Vereinigten Linken (IU) Alfonso Barrantes nur knapp die zur Regierung nötige Mehrheit. Bei den letzten Wahlen von 2006 unterstützten sie den Indigenen Ollanta Humala und machten dessen Partido Nacionalista zur zweitstärksten Kraft des Landes.

Bei seinen Drohungen stützt sich García auf Gesetze, die er von der Regierung Fujimori übernommen und noch weiter verschärft hat. Diese erlauben die Kriminalisierung sozialer Bewegungen, während sie zugleich den bewaffneten Einheiten, die gegen solche Bewegungen eingesetzt werden, volle Straffreiheit gewähren. Die Aktionen der paramilitärischen Gruppen, die unter der Regierung Fujimori entstanden sind, wurde damit von García legalisiert. Diese Gruppen dürfen, wie die Polizei, unbeschränkt ihre Waffen gegen die Protestierenden einsetzen, ohne sich für die Folgen vor Gericht verantworten zu müssen. Dagegen droht Demonstranten, die sich der „Nötigung“ schuldig machen, eine Strafe von bis zu 25 Jahren Gefängnis. Auch Behörden, die Streiks unterstützen, können wegen Nötigung verurteilt werden. Jeder Bürger kann ohne Haftbefehl festgenommen und bis zu zehn Tagen ohne Kontakt mit der Außenwelt festgehalten werden. Und die Polizei kann Ermittlungen aufnehmen, ohne dass ein Staatsanwalt eingeschaltet ist.

Die Partei von Alan García, die in den 1920er-Jahren gegründete Aliança Popular Revolucionária Americana (Apra), hat in den letzten Jahrzehnten eine radikale ideologische Kehrtwendung vollzogen. Die antiimperialistischen Ideen ihres Gründers Víctor Raúl Haya de la Torre wurden ersetzt durch die „Perro del hortelano“-Doktrin des Alan García: Weil der „Hund des Gärtners“ nicht frisst, sollen die anderen auch nichts fressen.2 Das zielt gegen die sozialen Bewegungen, die Indigenen, Umweltschützer und Linken, die der Präsident als Feinde seiner Modernisierungspolitik sieht. Schon 2007 ermahnte García die Armen: Sie sollen „nicht immer fordern, sonst werden sie zu Parasiten“.3

Garcías Modernisierungspläne gehen auf den bilateralen Freihandelsvertrag zwischen den USA und Peru vom 4. Dezember 2007 zurück, der die klassischen Rezepte des Neoliberalismus enthält: Privatisierung der Rohstoffe und Energiequellen, lukrative Konzessionen für ausländische Unternehmen in der Regenwaldregion des Amazonas, Verkauf von Land der bäuerlichen Gemeinschaften und Indigenen, Intensivierung der Bergbauindustrie durch Steuererleichterungen, Privatisierung der Wasserversorgung für die Bauern. Sogar das Meer wird abschnittsweise an große Unternehmen verpachtet.

Die Privatisierung des Landes trifft die indigene Bevölkerung nicht nur ökonomisch, was schlimm genug wäre. Sie stellt auch einen Angriff auf ihr ganzes Lebensgefühl dar. Für sie ist das Land nicht nur ein Produktionsmittel, das ihnen von den europäischen Kolonisatoren geraubt wurde, sondern auch der Raum, wo „unsere Kinder leben und glücklich sein können“.

Für die Indigenen ist die Erhaltung der Umwelt und die Bewahrung des Lebens selbst ein und dasselbe. Deshalb bekämpfen sie die Dekrete 1090 (über die Wälder und die Waldfauna) und 1064 (über die Nutzung landwirtschaftlicher Flächen), die eine marktmäßige Ausbeutung des Amazonasgebiets und des Gemeinschaftslandes ermöglichen. Zwölf Monate dauerte der Kampf der Aidesep (Vereinigung der Indigenen zur Entwicklung im peruanischen Regenwald) um die Rücknahme dieser Gesetze, gefolgt von einem fast sechzig Tage dauernden regionalen Streik. Als die Aidesep schließlich einen runden Tisch und Verhandlungen vorschlug, reagierte die Regierung mit der Ausrufung des Ausnahmezustands.

Am 5. Juni 2009 gingen die Ordnungskräfte in Bagua gegen mehrere tausend Indigene vor, die eine Blockade der Fernstraßen organisiert hatten. Dabei wurden 24 Polizisten und 10 Zivilisten getötet, eine unbestimmte Zahl von Personen verschwand. Präsident García sprach von „subversiven Elementen“ und einer „von langer Hand vorbereiteten Aggression gegen Peru“. Indirekt beschuldigte er die Präsidenten Boliviens und Venezuelas, die Revolte der Indigenen geschürt zu haben.

Allerdings weigerte sich die Regierung, eine Untersuchungskommission einzusetzen, wie sie von der Indigenenbewegung gefordert wurde. Doch am 7. August leitete die mutige Staatsanwältin Luz Marleny Rojas Méndez Ermittlungen gegen 16 Offiziere und zwei Generäle der Nationalpolizei ein. Ihnen wurde „unverhältnismäßige Anwendung von Gewalt“ vorgeworfen, da die Indigenen „zu ihrer Verteidigung nur primitive Waffen (Lanzen) und stumpfe Gegenstände wie Steine und Stöcke“ benutzt hätten.4

Peru ist für die konservativen Kräfte in den USA und Lateinamerika nicht nur geopolitisch bedeutsam, sondern auch ein Zufluchtsort. Der frühere Oppositionskandidat bei den Präsidentenwahlen in Venezuela, Manuel Rosales, erhielt in Peru politisches Asyl, nachdem er vor eine Anklage wegen Untreue geflohen war. Asyl fand auch Jorge Torres Obleas. Der ehemalige bolivianische Entwicklungsminister wird von der Justiz seines Landes wegen der mutmaßlichen Beteiligung am Tod von 63 Personen bei Demonstrationen 2003 in El Alto gesucht.

Vor allem aber ist Peru heute ein Operationszentrum der US-Armee. Nach offiziellen Angaben hielten sich von 2004 bis 2009 mindestens 55 350 US-Soldaten auf peruanischem Territorium auf. Dabei erhöhte sich die durchschnittliche Aufenthaltsdauer seit 2006 pro Einreise von 100 auf 277 Tage. Als Aktivitäten des Militärpersonals werden nachrichtendienstliche Unterstützung und „Ausbildung zur Bekämpfung des Drogenterrorismus“ genannt.5

Auch die 4. US-Flotte im Pazifik nutzt die peruanische Küste als Operationsbasis, wobei die Häfen als Nachschubbasen dienen. Die mit Raketen bestückten US-Fregatten und andere Marineeinheiten halten regelmäßig gemeinsame Manöver mit der peruanischen Kriegsmarine ab.

Diese strategische Unterordnung unter die Pläne Washingtons wird ergänzt durch die zunehmende militärische Kooperation mit Kolumbien. In deren Rahmen finden gemeinsame Manöver in den jeweiligen Grenzregionen statt, dazu Übungen beider Luftwaffen und der Aufbau von Kommunikations- und Koordinationsstrukturen zwischen den beiden Generalstäben. Im ersten Halbjahr 2009 gab es vier gemeinsame Übungen, die in genau der Region stattfanden, in der auch die Patrouillen der US-Armee operieren.

Die bedingungslose Unterstützung der peruanischen Regierung für die Öffnung von US-Militärbasen in Kolumbien und die immer enger werdenden Beziehungen zu Bogotá lassen erkennen, dass Peru zu den Kräften gehört, die sich der Eindämmung der Linken in Lateinamerika verschrieben haben.

Fußnoten: 1 La República, Lima, 21. Februar 2008. 2 Das Zitat stammt aus einer Komödie von Lope de Vega. Siehe Alan García, „El síndrome del perro del hortelano“, El Comercio, Lima, 28. Oktober 2007. 3 „Perú: el presidente Alan García pide a los pobres ‚que dejen de pedir‘ “, Diarioexterior.com, 25. Februar 2007. 4 peru.indymedia.org/news/2009/08/45463.php. 5 Diese Statistik, die auch die bis Ende 2009 geplanten Truppenbewegungen erfasst, wertet die „Beschlüsse zur Genehmigung des Aufenthalts von ausländischem Militärpersonal und Flotteneinheiten auf peruanischem Territorium“ aus, die vom Parlament verabschiedet wurden und in dessen Datenbank erfasst sind. Die tatsächliche Zahl könnte allerdings höher liegen. Die Einsätze gegen den „Narkoterrorismus“ konzentrieren sich auf Dschungel- und angrenzende Gebiete, also die Brennpunkte der sozialen Konflikte.

Aus dem Französischen von Claudia Steinitz

Monica Bruckmann ist Soziologin und Politologin am Unesco/United Nations University Netzwerk zur globalen Ökonomie und nachhaltigen Entwicklung in Rio de Janeiro.

Le Monde diplomatique vom 11.09.2009, von Monica Bruckmann