12.05.2022

Frohlocken bei Lockheed

zurück

Frohlocken bei Lockheed

Die Schrecken des Kriegs in der Ukraine haben Auswirkungen, die für die Rüstungsindustrie alles andere als schrecklich sind. In den USA kann sie darauf setzen, dass die Militärausgaben kräftig zulegen, auch auf lange Sicht. Über billigere Verteidigungskonzepte wird gar nicht mehr nachgedacht.

von Julia Gledhill und William D. Hartung

Marion Eichmann, Zigarettenautomat, 2017, 83,5 × 63,5 × 9 cm
Frohlocken bei Lockheed
Kasten: Wer gibt am meisten aus?

Die russische Invasion bringt den Menschen in der Ukraine unermessliches Leid und bedeutet eine Tragödie für die ganze Welt. Doch einer bestimmten Gruppe beschert der Krieg schon heute ein glänzendes Geschäft: Die US-Rüstungskonzerne profitieren von den erhöhten Militärausgaben, die in den USA wie in Europa gefordert und zunehmend bewilligt werden.

In den Chefetagen der großen Waffenproduzenten hat man schon vor Beginn des Ukrainekriegs überlegt, was die wachsenden Spannungen in Europa für die eigenen Profite bedeuten könnten. Greg Hayes ist CEO des Hightech-Konzerns Raytheon Technologies, der unter anderem die Panzerabwehrrakete Javelin und die Flugabwehrrakete Stinger produziert. Im Januar 2022 schwärmte Hayes bei einer Onlinepräsentation gegenüber Investoren von den Geschäften, die sich mit der Aussicht auf militärische Konflikte in globalen Krisenzonen ergeben: „Wir sehen, sagen wir mal, Möglichkeiten für internationale Verkäufe … Und natürlich bedeuten die Spannungen in Osteuropa, im Südchinesischen Meer und so weiter höhere Verteidigungsausgaben. Deshalb gehe ich voll davon aus, dass wir da einiges an Profiten erwarten dürfen.“1

Am 25. Februar, einen Tag nach Kriegsbeginn, sprach Hayes gegenüber der Harvard Business Review von den Gewinnen, die dieser Konflikt seinem Unternehmen beschert. Nach dem üblichen Hinweis, dass die Javelins und die Stingers helfen, die Demokratie zu verteidigen, erklärte der CEO: „Dafür entschuldige ich mich nicht … Fakt ist, dass wir mit der Zeit einige Gewinne für unsere Geschäfte sehen werden.“

Die Erklärung ist einfach: „Alles, was heute in die Ukraine geliefert wird, kommt natürlich aus den Depots des US-Verteidigungsministeriums oder der Nato-Verbündeten. Und das ist eine tolle Nachricht, denn am Ende werden wir alles wieder auffüllen müssen, und das bedeutet profitable Geschäfte in den kommenden Jahren.“2

Für Konzerne wie Raytheon und Lockheed Martin erweist sich der Krieg in der Ukraine als wahre Goldgrube. Als Erstes werden sie Lieferverträge über weitere Stinger- und Javelin-Raketen abschließen (letztere eine Koproduktion beider Unternehmen), um die Systeme zu ersetzen, die zu Tausenden an die Ukraine geliefert wurden. Noch größere Profite verspricht jedoch die quasi garantierte Erhöhung der nationalen Militärbudgets, die das Pentagon und europäische Nato-Länder zumindest teilweise mit der russischen Invasion rechtfertigen werden.

Tatsächlich wird nur ein Teil der finanziellen Sondermittel, die an die US-Militärindustrie gehen, für direkte Waffenlieferungen an die Ukraine aufgewendet. Allein im laufenden Haushaltsjahr (1. Oktober 2021 bis 30. September 2022) sind den Unternehmen bedeutende Profite aus zwei Programmen sicher: aus dem Usai (Ukraine Security Assistance Initiative) des Pentagon und aus dem FMF-Topf (Foreign Military Financing) des Außenministeriums, aus dem neben der Beschaffung von US-Waffen und anderer Ausrüstung auch die militärische Ausbildung finanziert wird.

Seit der russischen Invasion und Annexion der Krim 2014 fungieren Usai und FMF als die beiden wichtigsten Finanzierungstöpfe für die Militärhilfe an die Ukraine. Die Gesamtsumme aus diesen Töpfen liegt bislang bei etwa 5 Milliarden Dollar. Diese Mittel sollen laut US-Außenministerium der Ukraine dabei helfen, „ihre territoriale Integrität zu erhalten, ihre Grenzen zu sichern und ihre Fähigkeit zur Zusammenarbeit mit der Nato zu verbessern“.

Entsprechend begann Washington, als im Frühjahr 2021 etwa 100 000 russische Soldaten an der ukrainischen Grenze und auf der Krim aufmarschierten, denEinsatz sehr zügig zu erhöhen. Am 31. März 2021 rief das United States European Command in Stuttgart eine „potenziell drohende Krise“ aus. Bis Ende 2021 hatte die Biden-Regierung der Ukraine bereits Waffen im Wert von 650 Millionen Dollar bereitgestellt, darunter Panzer- und Flugabwehrsysteme.

Trotz dieser Aufstockung der US-Militärhilfe für die Ukraine sind die russischen Truppen am 24. Februar einmarschiert. Seitdem hat Washington nach Angaben des Pentagons insgesamt 3,4 Milliarden Dollar an laufender Militärhilfe für die tagtägliche Operationen der ukranischen Armee aufgebracht. Tendenz langfristig stark steigend: Ende April kündigte Biden an, er wolle im Kongress weitere 33 Milliarden Dollar für die Ukraine beantragen, davon sollen 20 Milliarden in die Militärhilfe fließen und etwa 8,5 Milliarden in den wirtschaftlichen Wiederaufbau.

Ein Teil der Gelder gehört zu einem am 11. März vom Kongress beschlossenen militärischen und humanitären Nothilfepaket für die Ukraine, das 13,6 Milliarden Dollar für militärische und humanitäre Programme vorsieht. Das Geld dient unter anderem der direkten Beschaffung von US-Waffensystemen wie Drohnen, lasergesteuerten Raketen, Maschinengewehren und Munition. Die großen Rüstungskonzerne werden sich jetzt beim Pentagon um Lieferverträge für diese zusätzlichen Waffen bemühen.

Die Aussichten auf fette Aufträge sind wahrhaftig glänzend. Der militärische Teil des Hilfspakets ist auf 6,5 Milliarden Dollar dotiert; mehr als die Hälfte davon wird allein für die Auffüllung der Depots benötigt, aus denen die Ukraine schon beliefert wurde. Die dafür bewilligten 3,5 Milliarden Dollar sind das Doppelte der Summe, die Präsident Biden beantragt hatte.3 Das US-Außenministerium hat seine Foreign-Military-Financing-Ausgaben (FMF) für die Ukraine ebenfalls um 150 Millionen Dollar aufgestockt. Hinzu rechnen muss man noch die Sondermittel, die dem Pentagon für Beschaffungs- und Wartungskosten zur Verfügung stehen: Auch aus diesen Töpfen wird garantiert viel Geld an die großen Rüstungskonzerne fließen.

Und der Kuchen, aus dem sich diese Unternehmen große Stücke herausschneiden werden, dürfte noch wachsen. Jedenfalls klingt es entschieden nach einem langfristigen militärischen Engagement der USA, wenn Präsident Biden erklärt: „Wir werden der Ukraine die Waffen liefern, damit sie in den bevorstehenden schwierigen Zeiten kämpfen und sich verteidigen kann.“4

Dass der Ukrainekrieg für Waffenproduzenten wie Lockheed und Raytheon noch weitere positive Folgen haben wird, macht eine Initiative im US-Repräsentantenhaus deutlich. Hier hat der Vorsitzende des Streitkräfteausschusses, der Demokrat Adam Smith, im Verein mit seinem republikanischen Kollegen Mike Rogers gefordert, die Produktion der nächsten Generation von Flugabwehrraketen zu beschleunigen, damit die Stinger möglichst bald ersetzt werden kann. Und der Beschaffungsexperte William La­Plante, den Biden zum Chefeinkäufer des Pentagon machen will, hat bei seiner Anhörung im Kongress vorgetragen, die USA bräuchten noch mehr „heiße Fertigungsstraßen“ für Bomben, Raketen und Drohnen.

Der größte Nutzen für die US-Rüstungsindustrie ergibt sich jedoch nicht aus den unmittelbaren Waffenlieferungen an die Ukraine, sondern aus der jüngsten Wende in der Diskussion über die allgemeine Ausgabenpolitik des Pentagons. Die Repräsentanten der betreffenden Konzerne fanden natürlich schon die – überzogen dargestellte – langfristige Bedrohung durch China toll; aber dank der russischen Invasion dürfen sie sich jetzt das reine Manna vom Himmel erhoffen.

Dabei wurde dem Pentagon schon vor dem Krieg ein Etat von mindestens 7,3 Billionen Dollar für die nächsten zehn Jahre bewilligt. Das ist gut das Vierfache der 1,7 Billionen Dollar, die der Kongress für Bidens innenpolitische Build-Back-Better-Agenda bewilligt hat, die mit der Begründung zusammengestrichen wurden, dieses zivile Aufbauprogramm sei einfach „zu teuer“.

Mit Hinweis auf die Ukraine begründet das Pentagon auch die Forderung der Biden-Regierung, im Haushaltsjahr 2023 die Verteidigungsausgaben auf 813 Milliarden Dollar zu erhöhen. Zur Rechtfertigung dieser Rekordsumme verwies Vizeverteidigungsministerin Kathleen Hicks auf die russische Invasion, die sie als „akute Bedrohung der Weltordnung“ bezeichnete.

Doch selbst dieses Budget reicht den Republikanern im Kongress nicht aus. Sie verlangen, unterstützt von etlichen Demokraten im Senat und im Repräsentantenhaus, eine weitere Erhöhung. Am 23. März forderten 40 der 41 republikanischen Vertreter in den Streitkräfteausschüssen beider Häuser in einem Brief an Präsident Biden, die Militärausgaben nochmals um 5 Prozent netto aufzustocken. Das könnte bei der derzeitigen Inflationsrate weitere 100 Milliarden Dollar bedeuten.

Bezeichnend ist auch das Agieren der demokratischen Abgeordneten Elaine Luria aus Virginia. Sie repräsentiert die Region, in der die Marine­werft Newport News liegt, die zum Schiffsbaukonzern Huntington Ingalls Industries (HII) gehört. Luria wirft der Biden-Regierung vor, die US Navy „auszuweiden“, weil sie nicht genügend neue Kriegsschiffe baue, um die ausrangierten Modelle zu ersetzen.5 Dabei sind allein im Haushaltsjahr 2023 satte 28 Milliarden Dollar für den Bau neuer Schiffe vorgesehen.

Diese geplanten Ausgaben für neue Marineschiffe werden aus zwei Quellen finanziert: aus dem 276 Milliarden Dollar schweren Anschaffungsetat für neue Waffensysteme und aus den Mitteln für Forschung und Entwicklung, die in dem neuen Budget eingeplant sind. Aus diesen beiden Töpfen stammt ein Großteil des Geldes, das an die fünf großen Rüstungsunternehmen Lockheed Martin, Boeing, Raytheon, General Dynamics und Northrop Grumman fließt. Auf diese Big Five entfallen aktuell bereits Pentagon-Aufträge in Höhe von jährlich 150 Milliarden Dollar. Und diese Summe wird, wenn die Pläne der Regierung und der Kongressmitglieder durchkommen, noch weiter in die Höhe schießen.

Um es an einem Beispiel zu zeigen: Allein an Lockheed Martin gingen im Haushaltsjahr 2020 Rüstungsaufträge in Höhe von 75 Milliarden Dollar. Dass diese Summe beträchtlich über dem Gesamtetat des Außenministeriums liegt, macht deutlich, wo die wahren Prioritäten Washingtons liegen – und zwar entgegen dem „diplomacy first“-Versprechen der Biden-Regierung.

An der Wunschliste des Pentagons für das Haushaltsjahr 2023 lässt sich ablesen, wie die großen Rüstungskonzerne absahnen werden: Das vorgeschlagene Budget für das neue atomgetriebene Raketen-U-Boot der Columbia-Klasse, das von der Electric Boat Corporation (einem Unternehmen der General-Dynamics-Gruppe) in Connecticut gebaut wird, steigt von 5 Milliarden auf 6,2 Milliarden Dollar; die Ausgaben für die neue landgestützte Interkontinentalrakete (ICBM) von Northrop Grumman erhöhen sich um etwa ein Drittel auf 3,6 Milliarden Dollar; für den Gesamtbereich Raketenabwehr, den Boeing, Raytheon und Lockheed Martin unter sich aufteilen, sind mehr als 24 Milliarden Dollar vorgesehen; die Ausgaben für weltraumgestützte Raketenwarnsysteme werden im Rahmen der Raumfahrtabteilung der US-Streitkräfte fast verdoppelt, von 2,5 Milliarden Dollar für 2022 auf 4,7 Milliarden Dollar für 2023.

Inmitten dieses Ausgabenbooms bietet die Pentagon-Budgetplanung für 2023 nur eine einzige Überraschung: Der Ankauf von F-35-Mehrzweckkampfflugzeugen, also der Tarnkappenmodelle von Lockheed Martin, wird von 85 auf 61 Exemplare zurückgefahren. Der Grund dafür sind die fast schon legendären Performance-Probleme dieses Flugzeugtyps, bei dem bislang mehr als 800 Konstruktionsfehler festgestellt wurden.

Doch zum Glück für Lockheed Martin hat die Abbestellung der 24 Kampfjets keineswegs eine entsprechende Mittelkürzung zur Folge. Obwohl das Pentagon plant, 28 Prozent weniger F-35-­Jets zu kaufen, reduziert es das vorgesehene Budget lediglich um 9 Prozent, von 12 auf 11 Milliarden Dollar. Und diese Summe ist immer noch höher als der komplette Etat für das aktuelle Disease-Control-and-Prevention-Programm des US-Gesundheitsministeriums.

Seit Lockheed Martin 2001 der Auftrag für die Konstruktion der F-35 zugeschlagen wurde, haben sich die Entwicklungskosten mehr als verdoppelt, während sich aufgrund der zahlreichen Produktionsverzögerungen die Indienststellung des Flugzeugs um fast ein Jahrzehnt verzögert hat. Dennoch haben die US-Streitkräfte so viele F-35 gekauft, dass die Hersteller mit der Lieferung von Ersatzteilen nicht mehr nachkommen.

Gleichwohl kann das Flugzeug nicht wirklich auf seine Tauglichkeit getestet werden, weil es für die Fertigstellung des erforderlichen Simula­tions­programms noch nicht einmal ein ungefähres Datum gibt. Deshalb werden noch viele Jahre ins Land gehen, bis der Hersteller Flugzeuge produziert, die das leisten, was er in seiner Werbung verspricht – vielleicht schafft er es aber auch nie.

Eine Reihe von Waffensystemen, die angesichts des Ukrainekriegs vom staatlichen Geldsegen profitieren, sind so gefährlich und dysfunktional, dass sie im Grunde als Auslaufmodelle gelten müssen. Ein gutes Beispiel ist die neue Interkontinentalrakete (ICBM). Laut William Perry, der von 1994 bis 1997 Verteidigungsminister unter Clinton war, gehören landgestützte ICBMs zu den „gefährlichsten Waffen der Welt“, weil ein US-Präsident im Krisenfall innerhalb von 30 Minuten über ihren Einsatz zu entscheiden hätte, um ihrer Zerstörung durch einen Angreifer zuvorzukommen. Damit werde das Risiko, dass aufgrund eines falschen Alarms ein Atomkrieg ausgelöst wird, dramatisch erhöht.

Auch die neue Klasse von Flugzeugträgern zum Stückpreis von 13 Milliarden Dollar sei, so Perry, keine sinnvolle Investition, zumal bei der jüngsten Version die Grundfunktionen – also das Starten und Landen von Flugzeugen – sehr fehleranfällig sind.6 Vor allem aber seien die Schiffe zunehmend verwundbar durch die neue Generation von Hyperschallwaffen, die Russland und auch China entwickelt haben.7

Zwar findet sich im neuen Haushaltsentwurf auch Positives, wie etwa die Entscheidung der US Navy, die überflüssigen und nutzlosen Littoral Combat Ships aus dem Verkehr zu ziehen. Dieser Schiffstyp für „küstennahe Gefechtsführung“ ist so etwas wie die „F-35 der Meere“, insofern er für eine Vielzahl von Funktionen entworfen wurde, von denen er keine wirklich gut erfüllt.

Aber diese Entscheidung kann ohne Weiteres noch von Abgeordneten rückgängig gemacht werden, die Bundesstaaten vertreten, in denen diese Schiffe gebaut und gewartet werden. So ist es zum Beispiel auch vor einem Jahr im Fall der F-35 gelaufen. Damals hat es der mächtige „Joint Strike Fighter Caucus“, eine Parlamentariergruppe im Repräsentantenhaus, geschafft, mehr als ein Drittel aller Abgeordneten dazu zu bringen, noch mehr Exemplare des Tarnkappenflugzeugs zu fordern, als das Pentagon und die US Airforce geplant hatten.8

Ähnliche Ziele verfolgen zwei weitere Kongresszirkel. Das ist zum einen der „Shipbuilding Caucus“, an dessen Spitze der Demokrat Joe Courtney (Connecticut) und der Republikaner Rob Wittman (Virginia) stehen. Seine Mitglieder kämpfen im Repräsentantenhaus gegen den Plan der US Navy, alte Schiffe einzumotten und dafür neue zu kaufen. Sie wollen vielmehr, dass die alten in Dienst bleiben und zusätzlich Steuergelder für neue ausgegeben werden.

Zum anderen gibt es im Senat die sogenannte ICBM Coalition, die aus Vertretern von Bundesstaaten besteht, in denen Interkontinentalraketen stationiert sind oder produziert werden. Dieses Bündnis hat es immer wieder geschafft, Kürzungen im Beschaffungsetat für diese Waffensysteme abzuwenden, und es wird auch dieses Jahr die entsprechenden Etatposten mit allen Mitteln verteidigen.

Kampfjet mit 800 Konstruktionsfehlern

Eine vernünftige, realistische und finanzierbare Verteidigungspolitik zu entwerfen, ist immer eine Herausforderung. Das gilt erst recht angesichts der albtraumhaften Lage in der Ukrai­ne. Umso verdienstvoller wäre es, ein neues Konzept für die Militärausgaben zu entwickeln, die schließlich mit Steuergeldern finanziert werden.

Es sollte auf jeden Fall die Forderung beinhalten, die Zahl der privaten Auftragnehmer des Pentagons zu reduzieren. Dabei geht es um mehrere hunderttausend Leute, von denen viele absolut überflüssige Jobs ausüben. Würde man die Ausgaben für solche „private contractors“ um 15 Prozent kürzen, könnte man binnen zehn Jahren schätzungsweise 260 Milliarden Dollar einsparen.

Ein weiteres Beispiel: der auf drei Jahrzehnte ausgelegte Modernisierungsplan, der 2 Billionen Dollar für eine neue Generation der „nuklearen Triade“ (Bomber, Raketen und U-Boote) samt den entsprechenden neuen Atomsprengköpfen vorsieht. Er sollte schlicht entsorgt werden, so wie es etwa die internationale Organisation Global Zero fordert, die eine alternative atomare Abschreckungsstrategie unter dem Titel „deterrence only“ entwickelt hat.9

Auch die wahnwitzige globale Militärpräsenz der USA sollte zumindest drastisch reduziert werden, zumal die mehr als 750 Militärbasen, die über alle Kontinente außer der Antarktis verteilt sind, und die Antiterroroperationen in 85 Ländern potenziell nur zu weiteren Konflikten führen.

Eine Expertengruppe beim Center for International Policy (CIP) in Washington hat im Juni 2019 einen Bericht vorgelegt, der zu demselben Ergebnis kommt wie ein Report des Congressional Budget Office (CBO) vom Oktober 2021. Beide Dokumente rechnen vor, dass selbst eine kleine Korrektur der Strategie innerhalb von zehn Jahren mindestens eine Billion Dollar einsparen könnte.10 Diese Summe würde ausreichen, um größere Sofortinvestitionen in das öffentliche Gesundheitswesen zu finanzieren, die schlimmsten Auswirkungen der Erd­er­hit­zung zu verhindern oder zu begrenzen oder das ständig wachsende Pro­blem der Einkommensungleichheit anzugehen.

Natürlich kann keine dieser Veränderungen vonstatten gehen, ohne sich mit dem militärisch-industriellen Komplex anzulegen, der im Kongress über sehr viel Macht und Einfluss verfügt. Diese Aufgabe ist jetzt, da in Europa ein blutiger Krieg tobt, ebenso vordringlich wie schwierig. Aber genau deshalb lohnt es sich, dafür zu kämpfen. Denn eines ist sicher: Ein neuer Goldrausch bei den Ausgaben für „Verteidigung“ ist für alle, die nicht vom militärisch-industriellen Komplex profitieren, eine einzige Katastrophe.

1 Gewinnbilanz von Raytheon Technologies für das 4. Quartal 2021, The Motley Fool, 25. Januar 2022.

2 „Raytheon CEO Gregory Hayes: How Ukraine Has Highlighted Gaps in US Defense Technologies“, Harvard Business Review, 25. Februar 2022.

3 Siehe „House Approves $13.6 Billion in Emergency Aid for Ukraine“, New York Times, 9. März 2022.

4 Rede vom 16. März 2022 nach der Bewilligung von weiteren 800 Millionen Dollar Militärhilfe.

5 „ ‚The Navy owes the American public an apology‘, Rep. Luria says during rebuke of Biden’s budget proposal“, Yahoo News, 30. März 2022.

6 Siehe „The US Navy’s top admiral admits they crammed too much new tech onto their new aircraft carrier“, Business Insider, 16. August 2021.

7 Siehe Alfred W. McCoy, „Russland, China und der Feind“, LMd, April 2022.

8 Der JSF-Förderkreis besteht aus 27 Mitgliedern des Repräsentantenhauses (20 Republikaner und 7 Demokraten), die seit 2011 gegen die Kürzung der F-35-Finanzierung kämpfen. Fast alle JSF-Abgeordneten bezogen ihre größten Wahlkampfspenden von Rüstungsunternehmen und speziell von Lockheed Martin. Siehe „If You Want Bipartisanship, You Can Find it in the Improbably Real F-35 Caucus“, Esquire, 13. Mai 2021.

9 Die „deterrence-only“-Strategie ist als Zwischenetappe zu einer vollständigen atomaren Abrüstung gedacht. Sie schließt einen atomaren Erstschlag aus und würde mit einem Trägersystem von U-Booten und etwa 40 strategischen Bombern auskommen. Siehe Bruce G. Blair, mit Jessica Sleight und Emma Claire Foley, „The End of Nuclear Warfighting: Moving to a Deterring-Only Posture“, Princeton University, September 2018.

10 „Illustrative Options for National Defense Under a Smaller Defense Budget“, Congressional Budget Office, 7. Oktober 2022; und „Sustainable Defense“, CIP-Report, Juni 2019.

Aus dem Englischen von Niels Kadritzke

Julia Gledhill ist Analystin am Center for Defense Information der NGO Project On Government Oversight (Pogo) in Washington, D. C. William D. Hartung forscht am Thinktank Quincy Institute for Responsible Statecraft in Washington, D. C.

Wer gibt am meisten aus?

Das Stockholmer International Peace Research Institute (Sipri) hat am 25. April seinen Jahresbericht für 2021 veröffentlicht. Demnach sind die weltweiten realen Militärausgaben im Vergleich zum Vorjahr 2020 um 0,7 Prozent (nominal 6,1 Prozent) auf 2113 Milliarden Dollar angestiegen. 62 Prozent dieser gigantischen Summe entfallen auf die fünf größten Militärmächte USA (801 Milliarden Dollar), China (293 Milliarden), Indien (76,6 Milliarden), Großbritannien (68,4 Milliarden) und Russland (65,9 Milliarden). Auf den Plätzen 6 bis 10 folgen Frankreich, Deutschland, Saudi-Arabien, Japan und Südkorea mit Ausgaben zwischen 50 und 60 Milliarden Dollar.

Bei den Sipri-Zahlen ist zu beachten, dass „Militärausgaben“ nicht mit „Rüstungsausgaben“ identisch sind. Zum Militärhaushalt gehört auch der Unterhalt der Streitkräfte mit Gehältern, Verwaltungsgebühren, Ausbildungskosten, Übungen und Wartung, der das Niveau der Ausgaben für Waffensysteme sogar übertreffen kann.

Die höchsten Militärausgaben verzeichneten 2021 wie erwähnt die USA mit 801 Milliarden Dollar. Sie waren etwas niedriger als 2020, werden aber 2022 und 2023 auch wegen des Ukrai­ne­kriegs deutlich steigen (siehe nebenstehenden Text).

Auffällig ist die Verlagerung auf militärische Forschungs- und Entwicklungsprojekte (R&D). Im Zeitraum von 2012 bis 2021 stiegen die R&D-Mittel um 24 Prozent, während die Ausgaben für die Beschaffung neuer Waffensysteme leicht zurückgegangen sind. Offensichtlich investieren die USA in die Entwicklung neuer Militärtechnologien, um ihren technologischen Vorsprung zu halten oder den Rückstand in bestimmten Bereichen, etwa Hyperschallraketen, aufzuholen.

Für die USA lag der Anteil der Militärausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) für 2021 bei 3,5 Prozent. Für Russland kletterte dieser Wert 2021 auf 4,1 Prozent. Mit ihrem Militäretat von knapp 66 Milliarden Dollar geben die Russen jedoch zwölfmal weniger aus als die USA. Bemerkenswert ist die Steigerung über die letzten drei Jahre. Noch auffälliger ist, dass die geplanten Ausgaben für operative Kosten und Waffenkäufe im Lauf des Jahres 2021 um 14 Prozent erhöht wurden, offensichtlich in Vorbereitung des Ukrainekriegs.

Mit 5,95 Milliarden Dollar waren die Militärausgaben der Ukraine 2021 elfmal niedriger als die russischen; doch seit der Annexion der Krim 2014 hat Kiew seinen Militäretat um 74 Prozent gesteigert.

Mit 293,4 Milliarden Dollar hatte China 2001 die zweithöchsten Militärausgaben der Welt. Das sind 4,5 Prozent mehr als im Vorjahr. Bis 2025 sind weitere Erhöhungen vorgesehen, die prozentual den geplanten Zuwachs des BIPs übersteigen. Nach den Plänen der Regierung soll China bis 2049 stärkste Militärmacht der Welt werden. Das treibt auch einen Rüstungswettlauf in der Pazifikregion an. Japan hat seine Militärausgaben 2021 um 7,3 Prozent auf 54,1 Milliarden Dollar erhöht – die höchste Zuwachsrate seit 1972. Auch Australiens Militärbudget ist 2021 um 4 Prozent auf 31,8 Milliarden Dollar gestiegen und wird sich weiter erhöhen, um die Anschaffungskosten für acht Atom-U-Boote aus US-Produktion zu finanzieren.

Indien hat mit 76,6 Milliarden Dollar den weltweit drittgrößten Militäretat, der sich seit 2012 um ein Drittel erhöht hat. Die darin enthaltenen Rüstungsausgaben sind zugleich ein Instrument der Konjunkturpolitik, da 64 Prozent der Beschaffungskosten für indische Produkte vorgesehen sind.

Die Militärausgaben der Nato-Staaten beliefen sich 2021 auf 1175 Milliarden Dollar, davon entfallen 69 Prozent auf die USA und nur 31 Prozent auf die übrigen Bündnisstaaten. Von den 27 europäischen Nato-Ländern erfüllen acht die Vorgabe, ihre Militärausgaben auf mindestens 2 Prozent des BIPs zu erhöhen. Seit Beginn des Ukrainekriegs haben sich weitere Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, auf dieses Ziel verpflichtet.

⇥Niels Kadritzke

Le Monde diplomatique vom 12.05.2022, von Julia Gledhill und William D. Hartung