07.04.2022

Auf nach Borneo

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Auf nach Borneo

Indonesiens großer Plan zur Verlegung der Hauptstadt

von Dandy Koswaraputra

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Jubein Jafar steht auf dem Land, auf dem seine Familie seit Generationen gelebt hat. Er macht sich Sorgen, dass er bald von hier vertrieben wird, um für den Präsidentenpalast Platz zu schaffen. Denn laut den Plänen zum Bau der neuen indonesischen Hauptstadt soll dieser an der Ostküste Borneos errichtet werden.

Jubein ist ein Sprecher der Volksgruppe der Dayak. Im Grundsatz begrüßt er das Vorhaben der Regierung, die Landeshauptstadt in diese strukturschwache Gegend zu verlegen, fort aus der Megacity Jakarta, wo fortwährend der Verkehrskollaps droht.1 Fort auch von der dicht besiedelten Insel Java, dem wirtschaftlichen Kraftzen­trum des Landes und langjährigem Regierungssitz.

Aber Jubein ist sich nicht sicher, was das für ihn und Menschen wie ihn bedeutet, die seit ewigen Zeiten hier leben, aber keine Eigentumsrechte an Grund und Boden nachweisen können. Für die umliegenden Wälder hat die Regierung bereits Konzessionen an Privatfirmen vergeben.

„Wenn wir unser Land nicht mehr bestellen können, wovon sollen wir dann leben?“, fragt Jubein. Der 55-Jährige ist das traditionelle Oberhaupt der Volksgruppe der Paser Balik in Pemaluan, einem Dorf im Regierungsbezirk Penajam Paser Utara in der Provinz Ostkalimantan.

Am 18. Januar 2022 stimmte das Parlament in Jakarta mit großer Mehrheit einem Gesetzentwurf zu, der die Durchführung des Vorhabens sicherstellen soll, unabhängig davon, welche Regierung gerade im Amt ist. Allein die islamistische Gerechtigkeits- und Wohlfahrtspartei (PKS) stimmte dagegen.

Das Gesetz sieht eine Fläche von 2561 Quadratkilometern für die Hauptstadtregion vor. Der Name der neuen Kapitale soll Nusantara sein – ein alt-javanisches Wort, das so viel bedeutet wie „äußere Inseln“ und im täglichen Sprachgebrauch als Synonym für das indonesische Archipel verwendet wird.

Jubein betreibt wie andere Dorfbewohner in Sepaku, einem Unterbezirk von Penajam Paser Utara, in kleinem Umfang Landwirtschaft. Auf einer Teilfläche eines fünf Quadratkilometer großen Grundstücks gewinnt er Palmöl und Kautschuk. Doch die Nutzungsrechte für dieses Land gehören inzwischen dem milliardenschweren Geschäftsmann Sukanto Tanoto, der vor allem in der Holzindustrie tätig ist. Sukantos Firmenkonglomerat hat ein Unternehmen des Geschäftsmanns Hashim Djojohadikusumo übernommen, dem jüngeren Bruder von Verteidigungsminister Prabowo Subianto, das zuvor die Rechte besaß.

Sukanto kontrolliert ein 409 Quadratkilometer großes Stück Land, das bereits als die zentrale Sicherheitszone der künftigen Hauptstadt ausgewiesen wurde. Hashim seinerseits besitzt weiterhin die Rechte über einen 1730 Quadratkilometer großen Landstreifen, der Teile der Bezirke Penjam Paser Utara, Kutai Kartanegara und Westkutai umfasst. Für Jubein und die Mehrheit der 36 000 Einwohner von Sepaku ist es unvorstellbar, dass so wenige Menschen über einen Wald verfügen können, der vier Mal so groß ist wie das Stadtgebiet von Jakarta.

In der berechtigten Furcht, ihre egalitäre und gemeinschaftsorientierte Lebensweise könnte vom Bau einer glitzernden neuen Stadt im Urwald hinweggefegt werden, fordern Jubein und seine Stammesgenossen von der Regierung eine finanzielle Entschädigung und neues Land. „Wir müssen unsere Kultur und unsere Bräuche bewahren“, sagt Jubein.

Jakarta platzt aus allen Nähten

Er und seine Vorfahren haben dieses Land schon bewirtschaftet, lange bevor irgendwelche Geschäftsleute Rechte daran erwarben, ja wahrscheinlich lange vor Gründung der Republik Indonesien im Jahr 1945. Aber da er keine rechtsgültigen Dokumente vorlegen kann, hat er auch kein Druckmittel gegenüber der Regierung und den Bauunternehmern.

Im Namen der Dayak, die in Penajam Paser Utara leben, erklärt Jubein, lieber wohne er in einem leeren Haus ohne Möbel, als von seinem Land vertrieben zu werden. „Aber ich fürchte, wir werden mir nichts, dir nichts vertrieben, und man wird uns sagen, dass wir uns anderswo niederlassen und dort die Felder bestellen sollen.“

Andrinof Chaniago, der als ehemaliger Chef des nationalen Ministeriums für Entwicklung und Planung (Bappenas) direkt an der Planung zur Verlegung der Hauptstadt beteiligt ist, besteht darauf, dass der Umzug unverzichtbar sei. Der Hauptgrund für die Verlegung nach Kalimantan, den indonesischen Teil der Insel Borneo, sei schlicht und einfach, dass Jakarta zu groß geworden sei.

Die Stadt sei nicht mehr in der Lage, die nötigen Dienstleistungen wie den öffentlichen Verkehr, die Müllentsorgung, das Flussmanagement und den öffentlichen Wohnungsbau zu bewältigen. „Die Belastung ist zu groß, weil das Bevölkerungswachstum im Großraum Jakarta weit über dem na­tio­nalen Durchschnitt liegt und sich die Verstädterung immer weiter beschleunigt“, erklärt Andrinof.

Laut einer Erhebung der zentralen Statistikbehörde hatte Jakarta im vergangenen Jahr 10,6 Millionen Einwohner, was einen Anstieg von rund 10 Prozent im Verlauf der letzten zehn Jahre bedeutet. Die Metropolregion zählt sogar über 30 Millionen Einwohner.

Aufgrund des rasanten Wachstums fehlt es überall in Jakarta an Grün- und Freiflächen. „Es ist offensichtlich, dass die Stadt den Bedürfnissen ihrer Bewohner nicht mehr gerecht werden kann“, sagt Andrinof. Daher sei es zwingend notwendig, Bevölkerungswachstum, Urbanisierung und Zuwanderung in der Agglomeration Jakarta zu reduzieren.

Etwa 58 Prozent der 272 Millionen Einwohner Indonesiens leben auf der Insel Java, die meisten davon im Westteil in der Großregion Jabodetabek – die Jakarta, Bogor, Depok, Tangerang und Bekasi umfasst. „Dabei macht Java nur 7 Prozent der gesamten Landfläche Indonesiens aus“, betont Andrinof.

Wenn die Bevölkerung der Insel weiter um mindestens 1,5 Prozent pro Jahr wachse, werde sie im Jahr 2060 die Zahl von 300 Millionen erreichen. Die Versorgung mit Frischwasser wäre nicht mehr gesichert, in der Trockenperiode werde Java mit Dürren und während der Regenzeit mit Überschwemmungen zu kämpfen haben.

Und was die Sorgen von Menschen wie Jubein Jafar anbelange, so sei die Regierung nach indonesischem Gesetz dazu verpflichtet, die Rechte der indigenen Bevölkerung zu respektieren. Immerhin räumt selbst Andrinof ein, dass diese Gesetze nicht immer ordnungsgemäß eingehalten würden.

Als Präsident Joko „Jokowi“ Widodo im August 2019 am Vorabend des indonesischen Unabhängigkeitstags in einer landesweiten Ansprache den Plan zur Verlegung der Hauptstadt enthüllte, ging er auch auf Bedenken ein: „Unsere Studien sind zu dem Schluss gekommen, dass der idealste Ort für die neue Hauptstadt in den Bezirken Penajam Paser Utara und Kutai Kartanegara liegt“, erklärte der Präsident.

Die Finanzierung steht auf wackligen Füßen

Zehn Tage später verkündete Jokowi dann offiziell, dass der neue Regierungssitz in diesen beiden benachbarten Regierungsbezirken errichtet werden solle. Laut Andrinof leben in diesem Gebiet Menschen aus unterschiedlichen Ethnien – Javaner, Makassaren, Buginesen, Dayak und Malaien. Sie alle bestellen das Land auf Grundlage des Hak Guna Usaha (HGU) genannten traditionellen Nutzungsrechts.

Das Planungsministerium Bappe­nas prognostiziert, dass der Bezirk Penajam Paser Utara nach Fertigstellung der neuen Hauptstadt 2045 eine Bevölkerung von 1,9 Millionen aufweisen wird – rund zehnmal so viel wie heute. Die Bevölkerung der Provinz Ostkalimantan insgesamt werde von 3,7 auf 11 Millionen ansteigen.

Laut dem Minister für Entwicklung und Planung Suharso Monoarfa werden die Baukosten auf 466 Billionen Rupien (29,5 Milliarden Euro) geschätzt. 53 Prozent davon sollen aus dem Staatshaushalt kommen. Für den Rest setzt man auf die Privatwirtschaft und internationale Investoren. Hier hat Indonesien sein Augenmerk vor allem auf die Vereinigten Arabischen Emirate als potenziellen Investor gerichtet. Im November 2021 hatte Jokowi die Pläne auf einem Forum mit emiratischen Geschäftsleuten in Dubai präsentiert.

Angesichts der Größe und der Kosten des Projekts werden jedoch Bedenken laut, das Vorhaben könnte auf halbem Wege stecken bleiben. Anfang März verkündete zudem der SoftBank-Konzern seinen Rückzug aus dem Projekt. Mit dem japanischen Unternehmen hat ein zentraler potenzieller Investor Jakarta den Rücken gekehrt. Ursprünglich hatte SoftBank Berichten zufolge ein Investment in Höhe von bis zu 40 Milliarden US-Dollar in Erwägung gezogen, also mehr als die veranschlagten Gesamtkosten des Umzugs. Kurz nach der SoftBank-Absage brachte die Regierung sogar ein Crowdfunding-Modell zur Finanzierung der neuen Hauptstadt ins Spiel – was bei Kritikern sogleich für Gespött sorgte.

Neben der fragwürdigen Finanzierung bestehen auch begründete Zweifel darüber, ob sich künftige Regierungen nach dem Ende von Jokowis Amtszeit 2024 dem Umzug mit ebensolchem Eifer widmen werden. Das neue Gesetz verpflichtet deshalb auch Folgeregierungen, an der Verlegung festzuhalten.

Außerdem machte Jokowi frühzeitig Nägel mit Köpfen: Am 14. Dezember 2021, einen Monat vor der Abstimmung im Parlament, hatte die Regierung bereits einen eigenen Einsatzstab zur Umsetzung des Projekts gebildet. Im März richtete sie die Nusantara Capital Authority (NCA) ein, die direkt dem Präsidenten unterstellt ist. An ihre Spitze wurde der ehemalige stellvertretende Verkehrsminister Bambang Susantonom berufen.

Das Bappenas-Ministerium hat sich zum Ziel gesetzt, den Hauptstadtstatus in der ersten Hälfte 2024, wenige Monate bevor Jokowi aus dem Amt scheidet, von Jakarta auf Nusantara zu übertragen. Auch die ersten Behörden sollen 2024 umziehen. Bis die Stadt zu Ende gebaut ist, kann es aber gut und gerne noch zwei Jahrzehnte dauern.

Minister Suharso versichert derweil allen Betroffenen, ihre Bedenken würden erst genommen. Er habe sich aus diesem Grund mit Persönlichkeiten des lokalen öffentlichen Lebens, Wissenschaftlern und regionalen Verwaltungsbeamten getroffen und Rückmeldungen zu dem Projekt eingeholt. Der Grundgedanke sei, den Regierungssitz an einen neutraleren Ort zu verlegen, weg vom traditionellen Machtzentrum in Java, um der Vielfalt der Völker besser gerecht zu werden, die auf dem ausgedehnten indonesischen Archipel leben.

„Das Wichtigste, das wir uns klarmachen müssen, wenn wir – egal in welchem Kontext – über die neue Hauptstadt sprechen, ist, dass sie für Indonesien steht und nicht für Kalimantan oder Java. Sie wird unser gesamtindonesischer Stolz sein“, schrieb Suharso in einer offiziellen Stellungnahme des Ministeriums.

Eine örtliche Aktivistengruppe stellt diese offizielle Darstellung in Frage und erklärt, die Angehörigen des Stammes der Balik fühlten sich von den Projektplanungen ausgeschlossen. „Es sind solche Mängel, die wir kritisieren“, sagt Merah Johansyah, der na­tio­nale Koordinator der Aktivistengruppe Mining Advocacy Network (Jatam), eines Netzwerks zur Überwachung von Bergbauaktivitäten. Die NGO hat die Auswirkungen des Projekts auf die indigene Bevölkerung in Penajam Paser Utara und der umliegenden Region untersucht.

Vertreter der Opposition wie der Abgeordnete Mardani Ali Sera weisen zudem darauf hin, dass die großflächige Rodung von Waldflächen in Kalimantan, die für den Bau der Reißbrettstadt nötig wäre, nicht mit den Verpflichtungen zur Bekämpfung der Klimakrise zu vereinbaren sei. Der Politiker der Partei für Gerechtigkeit und Wohlstand (PKS) führt unter anderem ins Feld, dass im Zeitalter der digitalen Technologien die Verlegung des Regierungssitzes reine Geldverschwendung sei. „Es geht nicht mehr um physische Präsenz, sondern ums Vernetztsein. Die Kosten sind astronomisch und wir haben Bedenken, dass der Umzug weder technisch noch wirtschaftlich machbar ist“, erklärt Mardani.

Als abschreckendes Beispiel für gescheiterte Großprojekte führt der Abgeordnete den Bau des Hochgeschwindigkeitszugs von Jakarta nach Bandung an, ein von China gefördertes Projekt, das laut Planung ohne staatliche Zuschüsse auskommen sollte, aber am Ende subventioniert werden musste. „Der Umzug ist weder dringlich noch notwendig. Es gibt keinen Grund, dieses Projekt durchzupeitschen“, meint Mardani.

Die Idee, die Hauptstadt aus Jakarta weg zu verlegen, geht zurück bis in die Zeit der Regentschaften Suhartos und des indonesischen Gründervaters Sukarno. Der Abgeordnete Arif Wibowo von der regierenden PDI-P ist sich deshalb sicher: „Meiner Ansicht nach handelt es sich um eine ausgereifte Idee und Präsident Jokowi führt das Programm jetzt weiter.“ Andere Länder, die ihre Hauptstädte verlegt haben, hätten bewiesen, dass ein solches Vorhaben bei umsichtigem Management und sorgfältiger Planung durchaus erfolgreich sein könne, und Jakarta werde das wirtschaftliche Zentrum des Landes bleiben.

Ex-Minister Andrinof hält die Bedenken gegenüber dem Projekt für eine natürliche Reaktion auf die Politik der Regierung, zumal wenn es um ein so gewaltiges Unterfangen mit so vielen beteiligten Interessengruppen gehe. Seiner Ansicht nach sollte „die Öffentlichkeit so transparent wie möglich über die Ideen und Vorstellungen der Regierung informiert werden. Es hätte nicht passieren dürfen, dass eine bestimmte Fraktion das Projekt von vornherein ablehnt.“

Bodenspekulanten reiben sich die Hände

Ungeachtet dieser Debatte wird in Penajam Paser Utara allerdings bereits eine neue Realität ins Werk gesetzt: Noch bevor die Abgeordneten das neue Hauptstadtgesetz verabschiedet hatten, wetteiferten Profiteure um die wirtschaftlichen Ressourcen.

Bodenspekulanten, die meist nicht aus Kalimantan stammen, haben schon fast das gesamte künftige Hauptstadtareal erworben. „Selbst die Küstengebiete in Penajam Paser Utara sind bereits aufgekauft“, berichtet Pradarma Rupang, ein Aktivist der örtlichen Sektion von Jatam.

Laut Rupang sind es vor allem die Eliten Jakartas, die sich von dem Projekt finanziellen Gewinn versprechen. Zu den möglichen Profiteuren gehörten verschiedene Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, darunter auch ein Minister der gegenwärtigen Regierung. Diese Leute, die Rupang als Oligarchen bezeichnet, würden, wenn die Regierung ihr Land für das Hauptstadtprojekt reklamiere, durch Grundbesitz an anderen Orten entschädigt.

„Aber es ist nicht leicht, in Indonesien Ersatz zu finden, die einzigen verfügbaren Waldgebiete liegen in Papua“, sagt Rupang. In diesen östlichsten Provinzen des Landes, die auf der von Indonesien angeeigneten Westhälfte der Insel Neuguinea liegen, unterdrückt die Regierung von Jokowi immer wieder gewaltsam Unabhängigkeitsbestrebungen.2

Bergbauunternehmen, Holzwirtschaft und Palmölproduzenten besäßen bereits einen Großteil des Landes in Penajam Paser Utara sowie mehrere Gebiete im nahegelegenen Stadtbezirk Balikpapan. „Kaum hatte Jokowi die Verlegung der Hauptstadt nach Kalimantan verkündet, schalteten Immobilienriesen wie Agung Podomoro auch schon Werbeanzeigen in den Tageszeitungen“, berichtet Rupang.

Für Andrinof wiederum ist es nur natürlich, dass Geschäftsleute und Bodenspekulanten sich an dem neuen Hauptstadtprojekt beteiligen, schließlich suchten Unternehmer stets nach Investitionsmöglichkeiten. „Wo Zucker ist, sind auch Ameisen. Wichtig ist, dass wir ihnen Regeln vorgeben, damit ihre Geschäftstätigkeit niemandem schadet.“

Solche Äußerungen dürften die Befürchtungen der Bewohner von Ostkalimantan nicht ausräumen. Merah, der landesweite Koordinator von Jatam, stellt klar, dass die Regierung zu keinem Zeitpunkt Vertreter des Volksgruppe der Suku Balik zu Gesprächen über das Projekt eingeladen habe und dass die Pläne ausgearbeitet wurden, noch bevor die Ergebnisse der Umwelt- und Sozialverträglichkeitsstudien vorlagen.

Die Planer hätten zum Beispiel einfach die Tatsache übergangen, dass die für die neue Hauptstadt vorgesehene Region bereits heute an Wasserknappheit leide. Wenn es in dieser Gegend zu einem sprunghaften Bevölkerungsanstieg komme, werde sich der Wasserbedarf vervielfachen. Das Problem sei durch die Arbeiten des Instituts für Strategische Umweltstudien (KLHS) dokumentiert.

Merah, der selbst aus Ostkalimantan stammt, meint, die Regierung hätte die Forschungen des KLHS konsultieren müssen, bevor sie ihre Entscheidung traf. Das aber sei nicht geschehen: „Sie haben erst den Standort festgelegt und dann die Studie durchgeführt.“

Aber die Wasserversorgung sei nur ein Aspekt, sagt Merah: „Was ist mit den Arbeitsplätzen? Ist untersucht worden, inwiefern sich die veränderte Landnutzung auf die Arbeitsplätze auswirken wird? Was soll aus den Bauern werden?“ Laut Merah gibt es – zumindest keine veröffentlichte – Studie darüber, welchen Einfluss das Projekt auf die Lebensverhältnisse und das Auskommen der Einwohner von Penajam Paser Utara haben wird.

Andrinof wiederum weist die Einwände der Aktivisten als „unbegründet“ zurück. „Ich bin mir sicher, dass die nie bei Bappenas nachgefragt haben“, sagt er. Das Planungsministerium habe genug Informationen gesammelt, damit die Regierung eine Standortentscheidung fällen konnte, und dazu gehöre auch die Beurteilung der Auswirkungen auf Umwelt und Wirtschaft.

Der Unterbezirk Sepaku, in dem Dayak-Sprecher Jubein Jafar lebt, ist eines der wichtigsten Reisanbaugebiete des Landes. Sepaku beherbergt, wie die umliegenden Bezirke, viele Einwanderer aus Java, die Merah zufolge seit drei Generationen Reisfelder bestellen und Vieh züchten. Aber neben den Bauern könnten auch die Fischer in der Bucht von Balikpapan ihre Einkommensquelle verlieren, weil ihre Fischgründe innerhalb der neuen Sicherheitszone der Hauptstadt liegen.

Für den örtlichen Jatam-Aktivisten Rupang wird der Stamm der Suku Balik am wenigsten vom Hauptstadtprojekt profitieren. Seine Leute wohnen seit Generationen auf diesem Land, wurden aber stets ausgeschlossen, wann immer es in Ostkalimantan zu einem Entwicklungsprojekt kam. „Sie sind zum Zuschauen verdammt“, bemerkt Rupang lakonisch.

Andrinof Chaniago ruft alle Parteien dazu auf, sich dem Kerngedanken hinter der Verlegung der Hauptstadt nicht zu verschließen und sie als Versuch zu begreifen, die wirtschaft­liche Entwicklung in einem vielfältigen Land gerechter zu gestalten. „Wir ­können uns gerne zusammensetzen und auf der operativen Ebene über die besten Lösungen streiten, aber das Projekt als solches dürfen wir nicht abblasen.“

Jubein und seine Mitstreiter verfolgen bescheidenere Ziele – sie wollen in Frieden weiterleben und pochen auf ihre Rechte als Bürger: „Vertreibt uns nicht von unserem angestammten Land! Eine Umsiedlung würde unsere lokalen Gebräuche zerstören, die sich seit Generationen bewährt haben.“

1 Siehe Krithika Varagur, „Brief aus Jakarta“, LMd, Februar 2020.

2 Siehe Philippe Pataud Célérier, „Westpapua erhebt sich wieder“, LMd, Dezember 2019.

Aus dem Englischen von Robin Cackett

Dandy Koswaraputra ist Journalist. Eine englische Fassung dieses Betrags erschien zuerst auf benarnews.org, für die deutsche Fassung wurde der Beitrag aktualisiert.

© 2021, BenarNews; für die deutsche Übersetzung LMd, Berlin

Le Monde diplomatique vom 07.04.2022, von Dandy Koswaraputra