Lukrative Lieder
Das Geschäft mit den Songrechten
von Christophe Magis
London, Februar 1968. Der junge Folkmusiker David Bowie, der bereits als Schauspieler und Verwandlungskünstler auf der Bühne stand, bekommt von seinem Produzenten ein Demo des Chansons „Comme d’habitude“ in die Hand gedrückt, mit dem Auftrag eine englische Version davon zu schreiben, und dem Hinweis, es stehe viel auf dem Spiel.
Einige Monate zuvor ist das Lied in Frankreich herausgekommen, und der Interpret Claude François hat es damit an die Spitze der französischen Hitparade geschafft. Bowie schreibt eine Version mit dem Titel „Even a fool learns to love“ und will ihn als seine nächste Single veröffentlichen.
Doch der französische Rechteinhaber lehnt ab: Bowie ist zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt genug, weshalb das Projekt nicht profitabel erscheint. Stattdessen setzt man auf den bekannteren Paul Anka. Interpretiert von Frank Sinatra kommt dessen Version 1969 unter dem Titel „My Way“ heraus und wird ein weltweiter Hit.
Ironie der Geschichte: Bowie übernahm die Harmonien von „Comme d’habitude“ als Grundlage für seine Single „Life on Mars?“ – die 1973 für 13 Wochen in den britischen Charts stand.
Im Januar 2022 gab das Label Warner Chappell Music, zuständig für die Rechteverwertung des gesamten Musikkatalogs des Warner-Music-Konzerns, bekannt, man habe nach Verhandlungen mit den Rechtsnachfolgern David Bowies das gesamte Repertoire des Sängers erworben. Die Kaufsumme beläuft sich laut der Zeitschrift Variety auf über 250 Millionen Dollar.1
Auch Tina Turner, Bob Dylan und Bruce Springsteen standen wegen der astronomischen Summen, für die sie ihre Songrechte verkauft haben, im vergangenen Jahr in den Schlagzeilen: Schätzungen zufolge kassierte Turner 50 Millionen, Dylan 350 Millionen und Springsteen über 500 Millionen Dollar.
Zwischen diesen beiden Jahren, zwischen 1968 und 2022, war David Robert Jones, wie Bowie mit Geburtsnamen hieß, zu enormer Berühmtheit gelangt. Man kann natürlich diskutieren, wie legitim es ist, dass seine Erben nach diesem Verkauf ein Leben als Privatiers führen können und Kapital aus einem Werk schlagen, zu dem sie nichts beigetragen haben. Man darf auch die Tendenz der Musiklabel kritisieren, sich die Rechte an den „Oldies Goldies“ zu sichern, anstatt auf neue Talente zu setzen.
Entscheidend hinter alledem ist jedoch etwas anderes: Die Rolle der Rechte im Musikgeschäft hat sich gewandelt und folgt den jüngsten Entwicklungen des Kapitalismus insgesamt.
Im Hinblick auf die Rechte an geistigem Eigentum hat die Musikbranche einen Sprung vom 19. direkt ins 21. Jahrhundert vollzogen. Nahezu während des gesamten 20. Jahrhunderts dienten Urheberrechte (und ähnliche Rechte dieser Art, wie zum Beispiel das angelsächsische Copyright) hauptsächlich dazu, die Beziehungen zwischen den unterschiedlichen Stakeholdern in Musikproduktion und -vertrieb entsprechend den Regeln zu organisieren, die bereits im 19. Jahrhundert gesetzlich festgeschrieben worden waren.
In Frankreich wurde im Jahr 1850 die Gesellschaft der Autoren, Komponisten und Herausgeber von Musik Sacem (ähnlich der deutschen Gema) gegründet, die die Rechte von Künstlerinnen und Künstlern verwaltet. Damals wurden auch bestimmte Kriterien festgelegt, wie die Definition eines „Werkes“ und seiner „Originalität“. Seinerzeit wurde das Prinzip verankert, dass die Tantiemen an Autoren, Komponisten und Herausgeber gezahlt werden, und zwar in Abhängigkeit zum Vertriebsvolumen der Tonträger, deren Vielfalt mit Einsetzen der Massenkultur erheblich zugenommen hat (Grammofon, Radio, Kino und so weiter).
Im Rahmen der Plattenproduktion stellten die Tantiemen die Haupteinkommensquelle der Musikschaffenden (Autoren und Komponisten) dar. Ein solches Vergütungssystem bietet unbestreitbare Vorteile für den Musikproduzenten, der als Hauptinvestor der Branche fungiert. Da es sich nicht um ein Arbeitnehmerverhältnis handelt, muss der Herausgeber/Produzent die Leistung des Künstlers nicht schon zu Beginn des Schaffensprozesses entlohnen.
Autorinnen wie Komponisten erhalten erst Einkünfte in Form von Tantiemen, wenn ihre Arbeit bereits einen Mehrwert produziert hat. Das Risiko hinsichtlich des ungewissen wirtschaftlichen Erfolgs, das gerade in der Kulturbranche erheblich ist, liegt also fast ausschließlich bei ihnen.
So organisierte sich eine Branche, deren Kerngeschäft darin bestand, Tonaufnahmen zu erstellen und zu verbreiten. Autorenrechte dienten als Entlohnung der Kunstschaffenden und sicherten den Verlegern die Kontrolle über die verschiedenen Versionen, wie im Fall der englischsprachigen Version von „Comme d’habitude“.
Erst mit einer Krise Anfang 1980er Jahre bekam die Frage nach den Urheberrechten ein anderes Format. Das ist nicht ungewöhnlich; die Branche wird regelmäßig alle 20 oder 30 Jahre von Krisen gebeutelt. Rückblickend weiß man heute, dass diese „Vinylplattenkrise“ dank einer technischen Neuerung überwunden werden konnte und so das Musikgeschäft wiederbelebte: Die Compact Disc (CD) wurde zum zentralen Tonträger für die Verbreitung von Musikaufnahmen. Und die Verbraucher kauften nicht nur neue Alben, sondern zahlten auch für ältere Alben in „CD-Qualität“.
Mit diesem Umbruch wurden auch die Weichen für eine radikale Veränderung im Umgang mit Urheberrechten gestellt. Denn die Musiklabel konzentrierten sich neben der Herstellung von Tonträgern zunehmend auf ihre Rolle als Begründer und Verwalter von Musikrechten. Die Urheberrechte dienten nicht mehr nur als Mittel zur Vergütung der Künstler und zur Kontrolle der Produktion.
Die größten Unternehmen richteten ganze Abteilungen zur Rechteverwaltung ein, um „diese Rechte so umfassend wie möglich auszuschöpfen – also nicht nur beim Verkauf eines Titels auf einem Tonträger (Vinyl, CD, Kassette und so weiter), sondern auch bei dessen Verbreitung über Radio und Fernsehen, seiner Verwendung in Filmen, in der Tonspur einer Werbung oder eines Videos.“2
Konkret ging es darum, ein System für den Handel mit und den Verkauf von Exklusivlizenzen für die audiovisuelle Verwertung der Musik zu entwickeln. Diese Praxis erwies sich als durchaus lukrativ für die Plattenlabels. Allein für die Genehmigung, ein Musikstück in einem Film, einem Werbespot oder Ähnlichem zu verwenden, wurden zwei unterschiedliche Abgaben fällig: Für die Rechte der Autoren, Komponistinnen und Herausgeber eines Lieds – also die Urheber der Originalversion – und für das Masterrecht, das heißt die Rechte an der jeweils tatsächlich genutzten Aufnahme des Songs.
Diese beiden Arten von Lizenzgebühren, für die sich die Plattenlabels als Verleger die Kontrolle sicherten, konnten zusammen oder unabhängig voneinander Gegenstand von Verhandlungen zu verschiedenen Arten von Verträgen sein. Hinzu kamen noch die Tantiemen, deren Höhe sich an den gesendeten Volumina orientierte.
Allmählich wurden so die Rechte zur eigentlichen Ware der Musikindustrie. Das lag auch an der allgemeinen Krise des Kapitalismus, der bis dahin vor allem auf der verarbeitenden Industrie gefußt hatte. Als Anfang der 1980er Jahre die Rezession einsetzte, veranlassten die wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Industriesektors die Investoren dazu, ihr Kapital in den Bereichen Finanzen, Versicherung und Immobilien anzulegen; das ermutigte die Finanzinstitutionen, neue Anlageprodukte auf den Markt zu bringen, die wiederum einen Spekulationsboom auslösten.
Just dieses Modell der finanzialisierten Wirtschaft, in der Spekulation eine entscheidende Rolle spielt, hat zu den ersten großen Deals mit Musikrechten in den 1980er Jahren geführt. Am bekanntesten dürfte die Veräußerung der Beatles-Songrechte sein, die Michael Jackson 1985 dem Musikverlag des britischen Fernsehsenders ATV für 47,5 Millionen Dollar abkaufte, nachdem er das Angebot von Paul McCartney und Yoko Ono überboten hatte.
Im Verlauf der letzten drei Jahrzehnte war dann eine zunehmende Konzentration im Mediensektor zu beobachten. Begünstigt wurde sie nicht nur durch die Finanzialisierung, sondern auch durch die schrittweise Deregulierung der Branche, die von Staaten ebenso wie von supranationalen Institutionen wie der WTO vorangetrieben wurde. Beides führte dazu, dass sich Zentren zur Verwaltung von Urheberrechten herausbildeten, im musikalischen wie im audiovisuellen Bereich.
Es ist daher nicht verwunderlich, dass mit der nächsten Krise im Musikgeschäft – um die Jahrtausendwende – die Frage nach den Rechten allgegenwärtig war. Dabei ging es anfänglich vor allem um repressive Maßnahmen. Die Musikbranche hatte den rechtzeitigen Übergang ins digitale Zeitalter verpasst, der Markt für physische Tonträger brach weltweit zusammen und verlor zwischen 2001 und 2009 über die Hälfte seines Werts.
In der Folge wandte sich die Musikindustrie quasi gegen ihre eigenen Kunden: Endlos wurde die sogenannte Piraterie in Form von Audio- und Videodownloads thematisiert. Die teils spektakuläre strafrechtliche Verfolgung von illegaler Nutzung und unerlaubten Downloads sollte daran erinnern, dass einzig der Inhaber der Rechte an einem Titel bestimmen kann, zu welchen Bedingungen er den Zugriff auf die Werke gestattet. So versuchte man die wachsende Bedeutung der Rechte zu nutzen, um wieder aus der Flaute herauszukommen.
Zum einen wurden dieselben Mittel angewandt wie in der vorangegangenen Krise. Die Einnahmen aus dem Lizenzverkauf für Kino, Werbung oder jede andere Art von Mediennutzung wurden maximiert. Zum anderen nutzten die Eigentümer der Songrechte ihr Kapital, um sich eine starke Verhandlungsposition gegenüber den neuen internetbasierten Marktteilnehmern zu sichern.
Der Vertrag zwischen Sony Music und dem Audiostreamingdienst Spotify, dessen Inhalt Mitte der 2010er Jahre in der Presse durchsickerte, machte deutlich, wie einträglich diese Strategie für die Plattenlabels war.3 Der Kontrakt wurde für die Dauer von zwei Jahren mit Option für ein drittes Jahr abgeschlossen und zeigte, wie Sony aufgrund seiner Position als Major Label mit Urheber- und Masterrechten an Millionen von Songs die Vertragsbedingungen diktieren konnte.
Neben einer Vorauszahlung in Höhe von 25 Millionen Dollar für die ersten zwei Jahre und 17,5 Millionen Dollar für das dritte Jahr (Letztere wäre im Fall einer Kündigung erstattet worden) verlangte Sony 600 000 Dollar zum Ende jedes Vertragsjahrs für jedes Prozent seines Anteils an den Streams, zudem 15 Prozent aller Werbeeinnahmen der Plattform und kostenlose Werbefläche auf Spotify im Wert von jährlich 3 Millionen Dollar.
Hier wird deutlich, in welchem Maße die Vermarktung von Rechten bei den großen Playern der Musikbranche seit Beginn des 21. Jahrhunderts zum Selbstzweck geworden ist: Von der Produktion neuer Aufnahmen ist dieses Geschäft völlig abgekoppelt. Künftig sind Musikrechte durchaus vergleichbar mit anderen Finanzwerten, wie etwa den Anteilen am Kapital eines Unternehmens, die Ziel von Spekulationen werden. Die Spekulationsgewinne werden die Erträge aus dem Musikvertrieb und dem Konzertgeschäft bei Weitem übersteigen.
Neue, spezialisierte Verwaltungsgesellschaften sind entstanden, wie zum Beispiel der Hipgnosis Songs Fund (nicht zu verwechseln mit der legendären Künstlergruppe Hipgnosis der 1970er Jahre), gegründet vom früheren Kulturmanager Merck Mercuriadis, der „Investoren die Möglichkeit bietet, Geld mit Musikrechten zu verdienen“, und Musikerinnen und Musikern ermöglicht, „ihre Aktivwerte zu monetarisieren“.4 Das Unternehmen ist seit Sommer 2018 an der Londoner Börse notiert und besitzt die Rechte an nahezu 60 000 Songs, deren Wert auf etwa 1,5 Milliarden Pfund (1,8 Milliarden Euro) geschätzt wird.
Im Zuge der Pandemie kam es zu einem sprunghaften Anstieg bei Streams und Abonnements von Streamingdienstleistern. Nach Ansicht von Fachzeitschriften ist es deswegen überaus profitabel, in Musikrechte zu investieren, denn ein solches Investment biete stabile und regelmäßige Dividenden.5 Zudem hätten sich bedeutende Märkte (wie China) geöffnet und die Möglichkeiten zum Lizenzverkauf – und damit die Anlagemöglichkeiten – vervielfältigt. Neben Filmen, Serien und Werbespots sind heute auch Videospiele, soziale Netzwerke (Youtube, Tiktok …) und das „Metaversum“ wichtige Lizenznehmer. Inzwischen sind auch die großen Investmentfonds im Spiel: Blackstone ist 2021 mit einer Milliarde.Dollar bei Hipgnosis Song Fund eingestiegen.
Auch die beiden Major Labels Universal und Warner sind an die Börse gegangen. Ob sich ihr Börsenkurs ebenso gut entwickelt wie der Wert der Rechte an ihren begehrtesten Titeln, wird die Zukunft zeigen.
3 „This was Sony Music’s contract with Spotify“, The Verge, 19. Mai 2015.
4 Nicolas Madelaine, „Hipgnosis, le plan retraite des papys-rockstars“, Les Échos, 7. Dezember 2020.
5 Siehe „Music royalties are proving a hit for investors“, The Economist, 3. Dezember 2020.
Aus dem Französischen von Birgit Bayerlein
Christophe Magis ist Dozent für Informations- und Kommunikationswissenschaften an der Universität Paris VIII.