10.02.2022

Papierkrieg in Finnland

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Papierkrieg in Finnland

Seit Wochen wird der größte Zellstoffhersteller Europas bestreikt

von Toivo Haimi

UPM-Papiermühle in Valkeakoski LEHTIKULA MARJA AIRIO/picture-alliance/dpa
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Der Arbeitskampf in der finnischen Papierindustrie dauert nun schon über einen Monat. Seit dem 1. Januar streiken die Arbeiter in den sieben Papier- und Zellstofffabriken des Unternehmens UPM, des größten Papier-Konzerns Europas. Den Druckereien in vielen europäischen Ländern geht allmählich das Papier aus, das schon vor dem Streik knapp und aufgrund der dramatisch gestiegenen Energiekosten immer teurer wurde. Nun droht UPM, den Papierpreis noch mehr zu erhöhen, sollte der Streik weitergehen.

2200 Arbeitnehmer streiken in ganz Finnland, und sie wollen bis zum 19. Februar weitermachen, wenn es bis dahin keine Einigung über einen Tarifvertrag gibt. Neben den UPM-Beschäftigten beteiligt sich auch die Elektroarbeitergewerkschaft Sähköliitto an dem Ausstand. Der Auslöser für den Arbeitskampf war, dass es UPM und den Gewerkschaften nicht gelungen ist, einen neuen Tarifvertrag auszuhandeln: Während die Papiergewerkschaft Paperiliitto nach dem Vorbild anderer Zellstoffunternehmen einen Vertrag für die Beschäftigten des gesamten Unternehmens aushandeln will, besteht die UPM-Leitung auf fünf unterschiedlichen Vereinbarungen für die jeweiligen Geschäftsbereiche und will mit den Arbeitnehmervertretern nur Gespräche führen, wenn diese Struktur akzeptiert wird.

UPM scheint dabei das einzige Unternehmen in der Forst- und Papierindustrie zu sein, für das die finnische Tarifverhandlungskultur ein Problem darstellt. Die Metsä Group und Stora Enso, zwei weitere forstwirtschaftliche Großkonzerne, sind zwar ebenfalls aus der Tradition branchenweiter Verträge ausgeschert. Doch sie sind nicht so weit gegangen, auch einheitliche unternehmensweite Verträge zu verweigern, und haben erfolgreiche Tarifverhandlungen mit den Arbeitnehmervertretern geführt.

UPM steht mit seiner Verweigerungshaltung also ziemlich allein da. Das Management beharrt darauf, dass sowohl das Unternehmen als auch die Belegschaft von dem neuen Modell – der Aushandlung von Tarifverträgen für die einzelnen Geschäftsbereiche – profitieren würden.

Aus Sicht der Papiergewerkschaft Paperiliitto würde eine Aufspaltung des Tarifvertrags in fünf Teile jedoch eine Schwächung ihrer Position und somit der Beschäftigten bedeuten. Verschiedene Vertragslaufzeiten für einzelne Unternehmensbereiche würden die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmerseite stark einschränken und womöglich die unterschiedlichen Gruppen der Beschäftigten gegeneinander ausspielen.

Für Petri Vanhala, Vorsitzender von Paperiliitto, liegen die Ursachen für die Pattsituation jedoch nicht allein in der Uneinigkeit über die Struktur der Vereinbarungen, sondern vor allem in deren Inhalt. Vanhala wirft dem UPM-Management eine ideologische Kampagne vor. Das sieht Jarkko Eloranta, der Boss des größten finnischen Gewerkschaftsverbands SAK, ähnlich. Er warf UPM im Januar vor, das Unternehmen wolle die Arbeitszeit um bis zu 100 Stunden im Jahr ohne Kompensation verlängern. Das würde eine Lohnkürzung von mehr als 5 Prozent bedeuten.

Der Ausstand bei UPM ist Teil einer ganzen Reihe von tariflichen Auseinandersetzungen in den letzten eineinhalb Jahren. Nicht nur UPM, auch andere Unternehmen haben seither versucht, sich aus allgemeinverbindlichen Tarifverträgen zu lösen. Traditionell werden in Finnland die Tarifverträge zentral zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften vereinbart. Solche Verträge galten bisher für alle Beschäftigten derselben Branche, unabhängig davon, ob ihr Arbeitgeber einem Verband angehörte oder nicht.

Bereits im August 2020 hatte der finnische Arbeitgeberverband der Forstwirtschaft (Metsäteollisuus) angekündigt, er werde aus dem System der zentralisierten Tarifverhandlungen aussteigen und stattdessen die Einzelunternehmen, also Stora Enso, Metsä und UPM, mit Paperiliitto verhandeln lassen – nur UPM war dagegen und strebte eine eigene Lösung an.

Was zur Folge hatte, dass sich der Konzern seit dem 1. Januar 2022 in einem „vertragslosen“ Zustand befindet. Seitdem werden die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen in den UPM-Betrieben gesetzlich geregelt. Allerdings ist das finnische Arbeitsrecht sehr lasch; Arbeitszeiten, Vergütung, Kompensation von Überstunden und Urlaubsanspruch werden in den Tarifverträgen festgelegt und sind nicht gesetzlich geregelt. Unter diesen Umständen ist es nur verständlich, dass die UPM-Beschäftigten nicht bereit waren weiterzuarbeiten.

In Finnlands Papier- und Zellstoffindustrie sind 140 000 Menschen beschäftigt, an über 150 Standorten im Land. Etwa ein Fünftel der finnischen Warenexporte kommt aus diesem Sektor. Das entspricht einem jährlichen Exportumsatz von fast 13 Milliarden Euro. Zurzeit ist die weltweite Nachfrage nach Zellstoff besonders groß – die Coronapandemie hat das Geschäft mit chirurgischen Gesichtsmasken, die aus diesem Grundstoff hergestellt werden, auf ein Rekordniveau gehoben. Hinzu kommt, dass durch die ebenfalls pandemiebedingte Ausweitung des E-Commerce viel mehr Kartonagen produziert werden müssen.

Diese Entwicklung hat auch die Umsatzzahlen in der finnischen Papierindustrie in die Höhe getrieben. Im ersten Halbjahr 2021 stieg der Nettoumsatz von UPM um 6 Prozent auf 4,6 Milliarden Euro. Das Betriebsergebnis für 2021 stieg im Vergleich zum Vorjahr um 22 Prozent auf 586 Millionen Euro. Auch zu Beginn des Jahres 2022 hat die Aktie des Unternehmens trotz des Streiks nicht wesentlich an Wert verloren und liegt nur wenig unterhalb des Allzeithochs.

Ungeachtet dieser durchaus komfortablen wirtschaftlichen Situation rechtfertigt das Unternehmen seine Forderungen damit, es müsse seine Wettbewerbsfähigkeit steigern. Das UPM-Management verhält sich so, als befinde sich das Unternehmen in einer schweren Krise. CEO Jussi Pesonen hat zwischen den Zeilen sogar angedeutet, UPM könnte Fabriken schließen und die Produktion ins Ausland verlagern, sollte der Streik andauern. „Jeder Tag mehr schadet allen Beteiligten, auffangen können wir die Streiks nur mit Sparmaßnahmen und strukturellen Veränderungen“, sagte Pesonen im Januar im Gespräch mit der Wirtschaftszeitung Kauppalehti.1

Darüber hinaus behauptete Pesonen, der Streik sei einer der Gründe, warum sein Unternehmen den Bau einer neuen Bioraffinerie im holländischen Rotterdam plane und nicht am finnischen Standort Kotka. Diese Aussage sorgte für Verwunderung, denn jeder weiß, dass Rotterdam – mit dem größten Containerhafen der Welt – der weit geeignetere Standort für die Bioraffinerie ist, weil von dort viel kostengünstiger in alle Welt exportiert werden kann.

Für die Arbeitnehmerseite war klar, dass Pesonen mit seiner Bemerkung nur zusätzlichen Druck auf die Streikenden ausüben wollte. Und Eloranta twitterte: „Wir hätten gedacht, dass die Zeiten vorbei sind, in denen die Bosse auf den Tisch hauen, wir scheinen uns geirrt zu haben.“

„Ich hab gesehen, was UPM seinen Mitarbeitern angeboten hat. Die Vorschläge sind unbrauchbar“, sagte Turja Lehtonen im Januar in einem Interview mit der linken Tageszeitung KU.2 Lehtonen ist Vizepräsident der Finnish Industrial Union, der mit 200 000 Mitgliedern größten Einzelgewerkschaft im Land. Aus seiner Sicht handelt es sich im Fall UPM nicht um einen einfachen Arbeitskampf, bei dem um Arbeitsbedingungen und Löhne gestritten wird, sondern um einen Grundsatzkonflikt. Bevor sie sich in den nächsten Jahren in den Ruhestand verabschieden, hätten der UPM-Vorstandsvorsitzende Björn Wahlroos und CEO Jussi Pesonen anscheinend beschlossen, alle Kräfte im Kampf gegen die Gewerkschaftsbewegung zu mobilisieren, so Lehtonen.

Dass Entscheider aus der Wirtschaft und die politische Rechte sich so vehement gegen die Gewerkschaftsbewegung und allgemeinverbindliche Tarifverträge stellen, ist ein neues Phänomen in Finnland. Bislang war die Wirtschaft des Landes von einer So­zial­partnerschaft zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften geprägt. Die Abkehr der Papier- und Zellstoffindustrie von einer traditionellen Tarifkultur hat nun zu einem Konflikt geführt, der nicht mehr am Verhandlungstisch, sondern durch einen Arbeitskampf ausgetragen wird.

Der Streik bei UPM erinnert an die Auseinandersetzungen vom März 2021, als einige Unternehmen aus der Technologieindustrie – sie erwirtschaftet etwa 50 Prozent aller finnischen Exporte – ankündigten, sie wollten aus dem System der Branchentarifverträge aussteigen. Die meisten Firmen wollten allerdings an dem alten Modell festhalten, woraufhin der Technologieverband eine neue Organisation gründete, der 60 Prozent der Techunternehmen beitraten, die neue Verträge mit der Gewerkschaft aushandelten.

In Finnland hat die branchenübergreifende Solidarität in der Arbeiterschaft eine lange Tradition. Das hat sich auch im Papierstreik gezeigt. So erklärte die Gewerkschaft der Automobil- und Transportarbeiter (AKT) ihre Unterstützung für den Kampf von Paperiliitto. Am 24. Januar begann die AKT, die unter anderem die finnischen Hafenarbeiter vertritt, UPM-Produkte zu boykottieren. In finnischen Häfen wurden daraufhin keine Papier- und Zellstoffprodukte des Unternehmens mehr umgeschlagen.

Die Genossenschaftsbank Osuus­pankki schätzt, dass der Streik der UPM-Belegschaft das Unternehmen 2 bis 3 Millionen Euro pro Tag kostet. Wenn es zu keinem Tarifabschluss kommt und der Ausstand planmäßig bis zum 19. Februar fortgesetzt wird, bedeutet das für UPM einen Verlust von 100 bis 150 Millionen Euro. Im Prinzip eine tragbare Summe für den Konzern, aber womöglich wird der andauernde Arbeitskampf einige Vorstandsmitglieder und Aktionäre dazu bringen, den Sinn der Auseinandersetzungen zu hinterfragen.

In Politik und Wirtschaft fragen sich mittlerweile viele, welchen Preis UPM gewillt ist für den Feldzug von Pesonen und Wahlroos zu zahlen. Die haben ihre Forderungen in den vergangenen Monaten zudem so vehement vorgetragen, dass sie sich kaum mehr glaubhaft davon distanzieren können. Zugleich ist die vorgeschlagene Neugestaltung der unternehmensinternen Tarifstruktur für die Papiergewerkschaft unannehmbar. Anders gesagt: Es wird nicht leicht sein, einen Kompromiss zu finden. Aber es ist nicht unmöglich.

Hinterher ist man bekanntlich immer schlauer: Wäre UPM dem Vorbild der Metsä Group und Stora Enso gefolgt und hätte rechtzeitig eine eigene konzernweite Vereinbarung getroffen, würden die Zellstofffabriken und Papiermaschinen jetzt auf Hochtouren laufen und die Aktionäre der finnischen Papierindustrie könnten sich auf eine hohe Dividende freuen. Zudem wäre der Ruf von UPM als Arbeitgeber und Partner nicht nachhaltig ruiniert. Man kann nur hoffen, dass die Konzernführung noch einlenken wird.

1 Kauppalehti, 28. Januar 2022.

2 Kansan Uutiset, 10. Januar 2022.

Aus dem Finnischen von Jenni Roth

Toivo Haimi ist Journalist bei der Tageszeitung Kansan Uutiset.

© LMd, Berlin

Le Monde diplomatique vom 10.02.2022, von Toivo Haimi