Kulturkampf von rechts
Die AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung soll Kaderschmiede der Neuen Rechten werden
von Arne Semsrott
Warum die AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES) die Liste ihres Kuratoriums geheim halte, wollte ein AfD-Sympathisant auf Facebook wissen. „Unsere Kuratoren haben kein Interesse daran, dass ihre Wohnungen, Häuser oder Autos durch massive Farbattacken beschädigt werden“, antwortete Erika Steinbach.
Seit 2018 ist sie Vorsitzende und bekanntestes Gesicht der Stiftung, die nach Erasmus von Rotterdam benannt ist – der schon lange tot ist und sich gegen die Vereinnahmung nicht mehr wehren kann. Sie hat ein besonderes Auge auf die Außenwirkung der DES, denn die sieht sich kurz vor ihrem lange verfolgten Ziel: ebenso wie die parteinahen Stiftungen von SPD, Union, Grünen, FDP und Linken mit Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt gefördert zu werden.
Dafür müsste der Bundestag der schon lange erhobenen Forderung von Steinbach nachkommen – oder die DES müsste eine staatliche Förderung vor den Verwaltungsgerichten durchsetzen können. Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik ist die Neue Rechte einer derart großen Millionenförderung durch den Staat so nahe gewesen.
Während die AfD einer Entscheidung des Kölner Verwaltungsgerichts Anfang März zur Einstufung als Verdachtsfall durch den Verfassungsschutz entgegenfiebert und sich der völkische Flügel um Björn Höcke nach dem Austritt des Parteichefs Jörg Meuthen endgültig durchzusetzen scheint, gibt sich die DES betont ruhig. Allzu viele kontroverse Diskussionen in der Öffentlichkeit würden sie nur stören.
Die Liste der Mitglieder des DES-Kuratoriums hat die Stiftung schon 2020 von ihrer Internetseite entfernt, Inhalte der bisher offenbar rund 300 spendenfinanzierten DES-Veranstaltungen1 sind online nicht detailliert beschrieben, auch das Budget der Stiftung wird nicht veröffentlicht. Bloß keine Fehler machen, ist die interne Devise. Funktionäre halten Schulungen ab, in denen sie AfD-Kadern beibringen, wie sie die Beobachtung durch den Verfassungsschutz verhindern können.
Dabei kann die DES ihre stramm rechte ideologische Marschrichtung nicht verbergen. Ihre Strippenzieher in Vorstand und Kuratorium arbeiten schon seit Jahrzehnten daran, bundesweit neurechte Strukturen aufzubauen. Fokus der strategischen Bemühungen der Neuen Rechten ist der vorpolitische Raum – zum Beispiel Hochschulen, Vereine, Medien –, wo sie mit Interventionen und Diskursverschiebungen den Kulturkampf von rechts führen und völkisch-nationalistische und rassistische Ideale verankern wollen: ideales Betätigungsfeld für eine parteinahe Stiftung.
Der DES-Vorstandsbeisitzer Hans Hausberger etwa hat bereits vor AfD-Zeiten Erfahrung mit solchen Stiftungen gesammelt: Er war in den 1990er Jahren Vorsitzender der „Republikaner“-nahen Stiftung, die nach dem Vorsitzenden der Partei und Ex-Waffen-SS-Mann Franz Schönhuber benannt war. Im Rahmen der „Düsseldorfer Herrenrunde“, zu der Hausberger gute Kontakte hatte, kamen extrem rechte Akteure aus Politik und Wirtschaft zusammen, darunter der NPD-Gründer Adolf von Thadden und der damalige Vorsitzende der österreichischen FPÖ, Jörg Haider.
Auch die Kuratoriumsmitglieder Karlheinz Weißmann und Karl Albrecht Schachtschneider könnten mit staatlichen Förderungen für die DES Strukturen für eine rechte Kaderbildung schaffen, von denen sie jahrzehntelang nur träumen konnten. Weißmann ist eine der Schlüsselfiguren der Neuen Rechten in Deutschland. Er gründete im Jahr 2000 das neurechte „Institut für Staatspolitik“ mit und baute es zum zentralen Studienort der intellektuellen Rechten auf. Nach einem Streit mit dem Mitgründer Götz Kubitschek verließ er 2014 das Institut.
In seinen zahlreichen Veröffentlichungen und Vorträgen tritt Weißmann für die Homogenität des Staatsvolks ein und streitet für illiberale Demokratien, die auf starker Elitenauswahl basieren. Auf Weißmann geht das Konzept der „politischen Mimikry“ zurück, nach dem je nach Publikum Themen selektiv angesprochen werden – mal zurückhaltend demokratisch, mal angriffslustig und revolutionär.
Der Staatsrechtler Schachtschneider wiederum ist eng mit der antidemokratischen rechten Kampagne „Ein Prozent“ vernetzt, die aus dem Institut für Staatspolitik hervorging und einen aktivistischeren rechtsextremen Politikansatz vertritt. Sie setzt vor allem auf rechte Kulturangebote und – wie die sogenannte Identitäre Bewegung – auf Onlinekampagnen.
Gemeinsam mit dem inzwischen verstorbenen Präsidenten des rechtskonservativen Studienzentrums Weikersheim, Jost Bauch, veröffentlichte Schachtschneider 2015 das Buch „Einwanderung oder Souveränität: Deutschland am Scheideweg. Die Illegalität der Zuwanderung und der Verfall des Staates“. Darin verbreiteten die Autoren die Legende vom großen Bevölkerungsaustausch, konform mit dem neurechten Weltbild und seiner Vorstellung einer Einheit von Volk und Nation. Die Konsequenz aus dessen „Ethnopluralismus“: alle „Kulturfremden“ müssen in ihre eigenen Staaten zurückgebracht werden.
Dementsprechend tragen veröffentlichte Vorträge bei der DES auch Titel wie „Sicherheitsrisiko Migration?“ oder „Die Vertreibung der Deutschen unter dem Aspekt des Völkerrechts“. Ende Februar soll ein Onlineseminar über das beim Weltwirtschaftsforum von 2020 entworfene Konzept des „great reset“, einen beliebten Gegenstand rechter Verschwörungstheorien, stattfinden.
Bald staatlich gefördert?
Trotzdem versucht die DES, ihre Fühler gezielt auch ins rechtskonservative Milieu auszustrecken. Lange war etwa das rechte CDU-Mitglied Max Otte Vorsitzender des Kuratoriums, inzwischen ist Otte AfD-Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten. Die DES soll nach dem Willen von Erika Steinbach offen für sämtliche Strömungen der Rechten sein.
Damit hat Steinbach schon Erfahrung, hielt sie doch in den 1990er Jahren als rechte CDU-Abgeordnete und später Vorsitzende der „Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen“ den Kontakt zu den revisionistischen Vertriebenenverbänden, bis sie schließlich selbst einen AfD-Mitgliedsantrag stellte.
Tatsächlich sitzt mit dem Ex-AfDler Joachim Starbatty auch ein Nationalliberaler und Marktradikaler im Kuratorium der DES. Andere Akteure in der Stiftung kennt Starbatty noch aus seiner Zeit in der rechten Kleinpartei „Bund freier Bürger“, die Mitte der 1990er Jahre an den Sperrklauseln deutscher Landesparlamente scheiterte.
Mit der DES lud Steinbach schon Besucher in die „Bibliothek des Konservatismus“ des verstorbenen neurechten Verlegers Caspar von Schrenck-Notzing in Berlin-Charlottenburg, dessen Büchersammlung zuvor nicht nur in der Jungen Freiheit, sondern auch in der Welt bejubelt worden war. Feuilletonredakteur Tilman Krause schrieb 2017: „Die große weite Welt konservativen Denkens liegt in so vielen buchgewordenen Facetten preisgünstig herum, dass jedem das Herz höher schlägt.“ Auf diese Weise will die DES im wahrsten Sinne des Wortes salonfähig werden. Ihre Vertreter publizierten indes nicht nur in einschlägigen intellektuellen neurechten Zeitschriften wie Junge Freiheit, Sezession oder Criticón, sondern auch in plumperen verschwörungsideologischen Blättern wie Compact oder eigentümlich frei.
Die DES kann sich ihre Nähe zur AfD zunutze machen und gleichzeitig Distanz zu ihr halten. Wie alle parteinahen Stiftungen Deutschlands ist sie nicht direkt durch die Partei gesteuert, aber von ihrer Anerkennung abhängig. Aus der Diskussion um die Verfassungsfeindlichkeit des offiziell aufgelösten AfD-„Flügels“ konnte sich die DES weitgehend heraushalten; trotzdem warf Steinbach im Jahr 2020 Erik Lehnert aus dem DES-Vorstand, der als Geschäftsführer des Instituts für Staatspolitik ins Visier des Bundesamts für Verfassungsschutz geraten war.
Dass dies eine rein pragmatische Entscheidung war, machte Steinbach kurz darauf selbst öffentlich klar. Für Lehnert kam der radikale Thore Stein aus Mecklenburg-Vorpommern in den Vorstand. Stein hat eine Vergangenheit in extrem rechten Burschenschaften wie der „Halle-Leobener Burschenschaft Germania“. Und auch der sächsische AfD-Landtagsabgeordnete Sebastian Wippel ist weiter im Vorstand. Er war unter anderem Mitbegründer der völkisch-nationalistischen „Patriotischen Plattform“ in der AfD.
Sollte die DES tatsächlich staatliche Förderung erhalten, könnte sie Strukturen aufbauen, die selbst ein Verbot der AfD oder eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz überdauern könnten. Sowohl das bereits aktive „Bildungswerk“ als auch die „Politische Akademie“ der DES können dazu genutzt werden, bundesweit Nachwuchs für die neurechte Bewegung zu schulen.
Daran haben auch AfD-Kader in den Bundesländern Interesse, wo bereits – wie in Sachsen-Anhalt – eigene AfD-nahe Landesstiftungen ins Leben gerufen wurden. Die Politik muss sich also nicht nur im Bund, sondern auch auf Länderebene auf das Vordringen der Neuen Rechten vorbereiten.
Das ist lange genug vergessen worden. Denn auch wenn es eher unwahrscheinlich ist, dass der Bundestag von sich aus eine staatliche Förderung für die DES beschließt, hat die Stiftung gute Aussichten, vor Gericht eine Förderung durchzusetzen – sofern der Bund eine Förderung der antidemokratischen Rechten nicht per Gesetz prinzipiell ausschließt.
Arne Semsrott ist Projektleiter von FragDenStaat und Journalist sowie Autor (gemeinsam mit Matthias Jakubowski) der Studie: „DES – Politische Bildung von Rechtsaußen“, Otto-Brenner-Stiftung, Oktober 2021.
© LMd, Berlin