Falschgeld Bitcoin
Warum sich Kryptos nicht als Zahlungsmittel eignen
von Frédéric Lemaire
Kryptowährungen oder digitale Währungen, die lange bloß als Kuriosität galten, haben in den letzten Jahren immer öfter Schlagzeilen gemacht. Der Kurs der wohl bekanntesten Kryptowährung, Bitcoin, versechsfachte sich zwischen Oktober 2020 und März 2021, ehe er sich schlagartig fast halbierte. Anfang November 2021 erreichte er ein neues Allzeithoch, um kurz darauf wieder abzustürzen.
Mehrere bekannte Akteure des Silicon Valley und der Wall Street haben dazu beigetragen, dieser Kryptowährung öffentliche Legitimität zu verschaffen. So erlaubte der größte Vermögensverwalter BlackRock zwei seiner Fonds, auf Bitcoin basierende Derivate zu kaufen.
Seit März ermöglicht der Online-Zahlungsdienst Paypal den Erwerb von Kryptowährungen und ihren Umtausch in jede beliebige andere Währung. Zwei Monate später richtete die Investmentbank Goldman Sachs ein eigenes Team für den Bitcoin-Handel ein und bot ihren Kunden die Möglichkeit, auf den Kurs des Bitcoin zu spekulieren. Unterdessen kündigte auch Morgan Stanley an, drei Kryptowährungsfonds für ihre betuchte Kundschaft aufzulegen.
Auf den ersten Blick scheint es also, als sei Bitcoin dabei, die globale Finanzwelt zu erobern. Manche sehen in ihm sogar schon ein zukünftiges Wertaufbewahrungsmittel ersten Ranges, vergleichbar mit Gold. Von einer vollwertigen Währung ist er allerdings noch weit entfernt, und bislang kann sich noch niemand vorstellen, beim Bäcker mit Bitcoin zu bezahlen. Das ist angesichts der vielen mit der Kryptowährung verbundenen Probleme keine schlechte Nachricht.
Erfunden wurde der Bitcoin im Gefolge der weltweiten Finanzkrise Ende der 2000er Jahre. Am 31. Oktober 2008 schickte Satoshi Nakamoto (ein Pseudonym) ein Dokument an ausgewählte Kryptografie-Enthusiasten, die sich mit Techniken zur Verschlüsselung von Nachrichten befassen. Anschließend stellte er den Text ins Internet.
Auf diesem „Weißbuch“ beruhte das dezentrale System einer elektronischen Währung ohne einen zentralen Emittenten und ohne eine vertrauenswürdige dritte Partei, die den Austausch validiert. Das von Nakamoto vogeschlagene Zahlungsmittel sollte also ohne Zentralbank und Finanzintermediäre auskommen und eine fast vollständige Anonymität des Handels garantiert.
Bitcoin erreicht dies mittels einer Blockchain, eine Art weltweitem, dezentralisierten und öffentlichen Register aller Transaktionen in der Kryptowährung. Die einzelnen Blöcke sind wie Seiten, auf denen jeweils bis zu 2000 Transaktionen notiert werden können. Die hunderttausende von Transaktionen, die jeden Tag ablaufen, werden durch ein einzigartiges kryptografisches Verfahren gesichert, an dem Computer aus der ganzen Welt beteiligt sind.
Die Validierung jedes neuen Blocks, der in die Kette eingefügt wird, erfordert einen erheblichen Rechenaufwand – bei einem großen Energieverbrauch der beteiligten Computer. Sobald ein „Miner“ – so werden beteiligte Einzelpersonen und inzwischen auch mehr oder weniger offizielle Strukturen mit hunderten von Computern genannt – einen Block einfügt, wird ihm eine bestimmte Menge an Bitcoins zugeteilt.
Die Währung wird also durch denselben Prozess geschöpft, der sie sichert. Damit gibt es keine Finanzintermediäre wie Banken, die die Stabilität des Zahlungssystems gewährleisten, und auch keine Zentralbank. Die Geldschöpfung erfolgt automatisch allein durch die Auszahlung an die „Miner“. Sie ist zudem begrenzt: Im gesamten Netzwerk wird ungefähr alle zehn Minuten ein neuer Block geschaffen, und die Entlohnung der Miner halbiert sich jeweils nach 210 000 Blöcken.
Die Geldschöpfung nimmt somit im Laufe der Zeit ab, wobei die maximale Menge an Bitcoins von ihren Erfindern auf 21 Millionen begrenzt wurde. Im November 2021 waren knapp 19 Millionen Bitcoin im Umlauf. Eine solche Selbstbeschränkung gilt allerdings nicht für alle Kryptowährungen.
Aus dieser Funktionsweise ergeben sich zwei Probleme: Erstens ist die Anzahl der in jedem Block registrierten Transaktionen begrenzt, was die Anzahl der täglich möglichen Transaktionen einschränkt. Anfang Januar 2021 erreichte Bitcoin einen Rekord von 400 000 Transaktionen pro Tag, im Vergleich dazu waren es beim konventionellen Zahlungsnetzwerk Visa mehrere hundert Millionen. Und zweitens verbraucht die digitale Währung ständig mehr Energie – trotz gleichbleibender Zahl der Transaktionen –, und zwar in dem Maße, in dem das Netzwerk wächst und der Wettbewerb zwischen den Minern zunimmt.
Nach der Finanzkrise von 2008, deren Auswirkungen bis heute zu spüren sind, stieß das Versprechen eines nicht von Geschäfts- und Zentralbanken beherrschten Geldsystems auf breites Interesse. Schließlich waren die Bankgiganten direkt für das Finanzdebakel verantwortlich, das die Zentralbanken ihrerseits nicht verhindert haben.
Die Idee des Bitcoin geht jedoch weniger auf eine linke Kritik am Finanzsektor als vielmehr auf die österreichische Schule der Nationalökonomie und Autoren wie Ludwig von Mises und Friedrich Hayek zurück. Nach dieser neoliberalen Lehre führen staatliche Interventionen und das Währungsmonopol der Zentralbanken zwangsläufig zu einer künstlichen Aufblähung des Kreditvolumens und damit zu Inflation und Krisen. In seiner Schrift über die „Entnationalisierung des Geldes“ von 1976 plädierte Hayek für einen Wettbewerb der Währungen, damit die besseren, durch den Markt disziplinierten die schlechten verdrängen.
Nach einer 2012 veröffentlichten Analyse der Europäischen Zentralbank wird diese Auffassung von vielen Bitcoin-Fans geteilt.1 Der Bitcoin stellt tatsächlich das Geldschöpfungsmonopol der Zentralbanken und die Rolle der Banken bei der teilweise exzessiven Kreditvergabe infrage. Als eine vollständig dem Urteil des Marktes unterworfene Währung würde er eine Bresche in das existierende Geldsystem schlagen.
Einige sehen eine digitale Währung auch als Rückkehr zu so etwas wie dem Goldstandard, da diese wie Gold nur in begrenzter Menge verfügbar und nicht beliebig reproduzierbar ist. Gavin Andresen, einer der Bitcoin-Entwickler, preist die Kryptowährung sogar als „verbesserte Version von Gold“ an: als sicheren Hafen vor Inflation, die das von zentralen Institutionen kontrollierte Papiergeld nur allzu oft entwertet.2
Miami als künftige Bitcoin-Hauptstadt
Bitcoins bieten allerdings auch die Möglichkeit, die anonym vollzogenen Transaktionen einer Kontrolle weitgehend zu entziehen. Kein Wunder, dass sie in den USA zu einem Feldzeichen der libertären Bewegung wurde, die einen extremen Individualismus propagiert und den Staat ablehnt.
Besonders viele Fans hat die Kryptowährung im Silicon Valley. Zu ihren bedeutendsten Verfechtern gehören Mitglieder der Libertären Partei, zum Beispiel der Vorkämpfer des Goldstandards Ron Paul, der sich 2008 und 2012 um die Präsidentschaftskandidat der Republikaner bewarb3 .
Das gilt auch für zahlreiche techno-utopistische Unternehmer wie Tesla-Chef Elon Musk oder Peter Thiel, einen der Mitbegründer von Paypal. Zu den Gurus alternativer Kryptowährungen zählte auch der 2021 verstorbene John McAfee, der mit seiner Antivirensoftware ein Vermögen verdient hatte. Auch er stand der Libertären Partei nahe, für die er 2016 und 2020 als Präsidentschaftskandidat antreten wollte, was er aber nicht schaffte.
Ein weiterer libertärer Vorkämpfer für die Kryptowährung ist Roger Ver, auch unter dem Spitznamen „Bitcoin Jesus“ bekannt. Er ist der Besitzer des Portals bitcoin.com, das Nachrichten und eine Vielzahl von Dienstleistungen rund um den Handel mit Bitcoin anbietet. Seit er auf der Flucht vor den US-Finanzbehörden die Staatsbürgerschaft von St. Kitts und Nevis annahm, verkauft er auch Pässe dieser Steueroase, die natürlich in Bitcoin bezahlt werden können. 2017 träumte er davon, ein libertäres Land namens Free Society zu gründen, in der ausschließlich Kryptowährungen genutzt werden sollten.
Bitcoiner sind eine sehr aktive Online-Community, die sich nicht nur mit dem Schürfen von Bitcoins befassen. Sie tauschen sich in verschiedenen Foren aus, wie zum Beispiel BitcoinTalk, das 21 Sprachen unterstützt und fast 3,4 Millionen Nutzer hat. Oder der Bitcoin-Channel der Community-Website Reddit mit 3,5 Millionen Mitgliedern. Dort wird über Nachrichten zum Thema Kryptowährungen, über Wirtschaftstheorien, Mining-Ideen und andere Geheimtipps diskutiert.
Natürlich gibt es inzwischen auch zahlreiche Fachmedien. Das bekannteste ist das Bitcoin Magazine, das 2011 von dem damals 17-jährigen Blogger Vitalik Buterin gegründet wurde, der vier Jahre später die Blockchain-Plattform Ethereum schuf. Ether ist mittlerweile die nach Bitcoin zweitgrößte Kryptowährung.
Bitcoins werden inzwischen weit über libertäre Kreise hinaus nachgefragt, hauptsächlich aufgrund der Goldgräberstimmung, die die Währung seit einem guten Jahr auslöst. Zwischen Oktober 2020 und März 2021 stieg der Bitcoin-Kurs von knapp 10 000 auf über 60 000 US-Dollar – eine außergewöhnliche Rendite für eine Finanzanlage. Dieser Aufwärtstrend wurde nicht zuletzt dadurch angeheizt, dass sich diverse Silicon-Valley- und Wall-Street-Größen an der Spekulation oder dem Handel mit Kryptowährungen beteiligen.
Überdies gaben einige Analysten flammende und durchaus interessengeleitete Empfehlungen ab. Sie überboten sich geradezu mit ihren Prognosen immer neuer Höchststände, beflügelt von hohen Ersparnissen und weltweit überschüssiger Liquidität. Entsprechend haben seit Ende 2020 viele Privatpersonen auf der Suche nach schnellen Gewinnen ihr Erspartes in Bitcoin investiert. Von Januar bis Juni 2021 stieg die Zahl der Anleger von 71 Millionen auf 114 Millionen, zumindest nach einer Schätzung im Auftrag der Handelsplattform Crypto.com.
Wachstum nährt weiteres Wachstum. Der Erfolg eröffnet neue Horizonte und neue Nutzungsmöglichkeiten, die wiederum die Glaubwürdigkeit der Kryptowährungen erhöhen. Inzwischen wird das Interesse auch bei US-amerikanischen Politikern jeglicher Couleur geweckt. Seit einer Entscheidung der Bundeswahlkommission aus dem Jahr 2014 ist es Kandidaten erlaubt, Bitcoin-Spenden für ihren Wahlkampf anzunehmen. Republikaner und Demokraten wollen sich diese Chance nicht entgehen lassen. 2016 nahm Senator Rand Paul, der Sohn von Ron, zum ersten Mal Bitcoin-Spenden an. 2020 machte es ihm der demokratische Vorwahlkandidat Andrew Yang nach.
Miamis republikanischer Bürgermeister Francis Suarez prahlte via Twitter, er habe seine Stadt zur „Bitcoin capital“ gemacht habe, nachdem er im August 2021 das digitale Zahlungsmittel MiamiCoin eingeführt hatte. Einige Monate später verkündete der neue Bürgermeister von New York, der Demokrat Eric Adams, ein ähnliches Projekt namens NYCoin, mit dem er seine Stadt zum „Zentrum der Kryptowährungsindustrie“ machen werde.
Auch im Globalen Süden ist der Bitcoin auf dem Vormarsch. Laut der Studie eines Blockchain-Beratungsunternehmens gehören Vietnam, Indien und Nigeria zu den Ländern, in denen die Einführung von Kryptowährungen am weitesten fortgeschritten ist.4 Und der Financial Times zufolge hat der Peer-to-Peer-Handel mit Bitcoin in Subsahara-Afrika – vor allem in Nigeria, Kenia, Ghana, Südafrika, aber auch im Tschad – ein Rekordniveau erreicht. In diesen Ländern entwickeln sich die Kryptowährungen offenbar als Alternative zu den schwachen heimischen Währungen. Auch in Lateinamerika geht es voran. In Venezuela etwa haben viele mit dem Bitcoin-Mining begonnen. Sie nutzen die niedrigen Strompreise im Land, um sich angesichts der Hyperinflation, die den Bolívar unter Druck setzt, ein zusätzliches Einkommen zu verschaffen.5
Am Beispiel Venezuela lässt sich der Erfolg des Bitcoin in den meisten Ländern des Globalen Südens erklären. Er erfüllt in Staaten mit schwachen Währungen zwei wichtige Funktionen: zum einen als Spar- und Werterhaltungsmittel und zum anderen als sichere und kostengünstige Alternative für den Geldtransfer zwischen Emigranten und ihren Familien in der Heimat.
Ein Sonderfall ist El Salvador, das am 9. Juni 2021 für Schlagzeilen sorgte, als es per Gesetz den Bitcoin zur offiziellen Landeswährung neben dem US-Dollar machte. Mittlerweile gibt es dort allerdings massive Probleme, was vor allem mit der Talfahrt des Bitcoin-Kurses zu tun hat. Am 25. Januar forderte Internationale Währungsfonds die Regierung in San Salvador auf, den Bitcoin nicht länger als zweite Landeswährung zirkulieren zu lassen.
Dass Politiker, Unternehmen, Sparer und Migranten von San Salvador über Hanoi bis New York verstärkt auf Bitcoin setzen, könnte sich noch als riskant erweisen. Immer mehr Menschen lassen sich damit auf einen „hochspekulativen Vermögenswert“ ein, wie es US-Finanzministerin Janet Yellen formulierte.6 Dies ist umso besorgniserregender, als der spektakuläre Anstieg des Bitcoin-Kurses im vergangenen Jahr alle Merkmale einer Finanzblase aufweist. „Die Bitcoin-Blase übertrifft bei weitem alle bisherigen Finanzblasen“, formulierte es ein Analyst der Bank of America.7
Ein Crash ist keineswegs ausgeschlossen. Seitdem die US-Notenbank eine deutlich straffere Geldpolitik signalisiert, hat der Bitcoin bereits massiv an Wert verloren. Der Schwenk der Fed dürfte nicht nur die Attraktivität von Bitcoin als rettenden Hafen vor der Inflation verringern, sondern auch den spekulativen Höhenflug der Aktien von US-Technologieunternehmen beenden.
Im Übrigen hat sich gezeigt, wie nervös der Kurs der Kryptowährung auf Entscheidungen einzelner Akteure reagieren kann. Im Februar 2021 hatte Tesla verkündet, 1,5 Milliarden US-Dollar in Bitcoin zu investieren. Das trieb den Kurs um mehr als 10 Prozent in die Höhe. Am 24. März erklärte Konzernchef Musk dann, dass man Tesla-Autos bald mit Kryptowährung bezahlen könne. Doch am 12. Mai machte er einen Rückzieher, auf den ein beispiellosen Kurssturz folgte: Innerhalb weniger Tage lösten sich hunderte von Milliarden Dollar in Luft auf.
Kurz zuvor hatte Tesla 10 Prozent seiner eigenen Bitcoin-Bestände abgestoßen und damit einen Gewinn von 101 Millionen US-Dollar eingefahren.8 Für einige Kommentatoren war dies ein Beispiel für Marktmanipulation nach dem Muster „pump and dump“, bei der der Preis einer Anlage künstlich aufgepumpt wird, um sie anschließend für teures Geld abzustoßen.
Der Bitcoin ist in der Tat besonders anfällig für Betrug und Marktmanipulation. Da es weder Regulierung noch Aufsicht gibt, können die größten Investoren ihre ganze Finanzmacht einsetzen, um die Kurse direkt zu beeinflussen, ohne ernsthafte Sanktionen fürchten zu müssen.
Dass dies ein zentrales Motiv ist, zeigt schon die ungleiche Verteilung der Kryptowährung: Etwas mehr als 2000 von insgesamt 20 Millionen Bitcoin-Wallets (Konten), also 0,01 Prozent, enthielten im November 2021 über 42 Prozent des gesamten Bitcoin-Vermögens.9 Im Jargon der Szene werden die Besitzer besonders großen Wallets als „whales“ bezeichnet. Diese Wale sind reiche Investoren oder auch Handelsplattformen, die teils im Namen ihrer Kunden, teils auf eigene Rechnung handeln.
Zur Manipulation der Kurse wird gern auf zwei bewährte Rezepte zurückgegriffen: die Erteilung von Fake-Aufträgen (order spoofing) und der Abschluss von Scheingeschäften (wash trading). Im ersten Fall wird der Markt mit Kauf- oder Verkaufsaufträgen überschwemmt, was Kursausschläge nach oben oder unten bewirkt, ohne dass die Aufträge tatsächlich ausgeführt werden. Die zweite Methode besteht darin, dass ein Anleger eine Angebot annimmt, das er selbst aufgegeben hat, womit das Handelsvolumen aufgebläht und eine nicht vorhandene Liquidität vorgetäuscht wird.
Letztere Praxis wird vor allem von Bitcoin-Handelsplattformen angewandt, um ihre Attraktivität zu steigern und Investoren anzulocken. Dem Bericht einer koreanischen Tageszeitung zufolge entfielen zwischen August 2019 und Mai 2020 bei Coinbit, einer der größten Handelsplattformen für Kryptowährungen in Südkorea, 99 Prozent des Handelsvolumens auf wash trading. Damit hatte die Plattform 84 Millionen US-Dollar verdient.
Die Währung der Spekulanten
Angesichts der enormen Volatilität und des spekulativen Charakters stellt sich die Frage, was die wahre Natur von Bitcoin ist. Nach ökonomischer Lehrmeinung dient Geld als Zahlungsmittel, als Recheneinheit – die Waren einen Preis zuweist – und als Wertaufbewahrungsmittel. Der Bitcoin war zwar ursprünglich als Zahlungsmittel gedacht, aber seine Funktion als Wertaufbewahrungsmittel hat weitgehend die Oberhand gewonnen. Die vielen Sparer und Investoren, die Bitcoins gekauft haben, um vom Kursanstieg zu profitieren, verwenden sie schließlich nicht für ihre täglichen Einkäufe – für die es außerhalb von El Salvador ohnehin wenig Gelegenheiten gibt.
Dass die digitale Währung von einer begrenzten Anzahl von Onlineshops und Handelsplattformen als Zahlungsmittel akzeptiert wird, dient im Grunde nur dazu, den Bitcoin-Besitzern ein Gefühl von Sicherheit zu geben, weil sie ihre Krypto-Anlagen bei Bedarf „flüssig“ machen können. Als Recheneinheit taugt der Bitcoin wegen der enormen Kursschwankungen ohnehin kaum. Zum Beispiel wäre der Preis für ein Baguette im Mai 2021 innerhalb weniger Tage von 20 auf 35 Mikrobitcoins (Millionstel Bitcoins) gestiegen.
Ein häufig außer Acht gelassenes Argument ist auch, dass Geld ein Gemeingut darstellt. Da seine verschiedenen Funktionen für die Gesellschaft von grundlegender Bedeutung sind, muss es demokratisch kontrolliert und von Institutionen verwaltet werden, die das Gemeinwohl repräsentieren. Andernfalls würde Geld sofort von privaten Interessen gekapert werden. Der Bitcoin bleibt also in mehr als nur einer Hinsicht eine unvollständige Währung. Aus diesem Grund wäre der Begriff Krypto-Asset eigentlich angemessener als die Bezeichnung Kryptowährung.
Ein potenziell existenzielles Problem für den Bitcoin ist sein steigender Energieverbrauch, also seine Umweltschädlichkeit. Schuld daran ist die Funktionsweise der digitalen Währung, insbesondere das Verfahren zur Sicherung der Transaktionsblöcke. Es beruht auf der sehr hohen Rechenleistung, die zum Schürfen von Bitcoin erfordert wird.
Je mehr Miner es gibt, desto aufwändiger sind die Operationen, die dafür durchgeführt werden müssen. Dieser Mechanismus dient vor allem dazu, die Knappheit von Bitcoin zu gewährleisten und zu verhindern, dass die Erstellung von Blöcken – als die Schaffung neuer Bitcoins – mit zunehmender Rechenleistung immer weiter beschleunigt wird.
Eine solche Art der Geldschöpfung hat natürlich gravierende Auswirkungen auf den Energieverbrauch. Denn mit steigendem Bitcoin-Kurs entsteht ein Teufelskreis: Je höher der Kurs, desto größer der Anreiz für die „Miner“, ihre Rechenleistung zu erhöhen, und desto mehr Energie ist erforderlich, um eine „Belohnung“ zu erhalten. Bitcoin sorgt also für einen weltweiten Wettlauf, was zur Entstehung riesiger Mining-Farmen mit hunderten spezialisierten Rechnern geführt hat.
Nach dem Bitcoin-Energieverbrauchsindex der Universität Cambridge verschlingen die Miner bei einem Verbrauchsniveau von Mitte November 2021 pro Jahr 120 Terawattstunden, was etwa dem jährlichen Stromverbrauch von Schweden entspricht.10 Nach Berechnungen des Ökonomen Alex de Vries von der niederländischen Zentralbank setzt der Verbrauch all der Computer, die für das Mining eingesetzt werden, jährlich 64 Millionen Tonnen CO2 frei. Der CO2-Fußabdruck einer einzigen Bitcoin-Transaktion entspricht demnach dem summierten Abdruck von 1,8 Millionen Kreditkartenzahlungen.
Das ist umso fataler, als die Konfiguration, die für den wachsenden Energieverbrauch des Bitcoin verantwortlich ist, nicht geändert werden kann, ohne die grundlegenden Eigenschaften der Kryptowährung zu beeinträchtigen. Für das „Trilemma der Skalierbarkeit“ ist mithin keine Lösung sichtbar, meint Ethereum-Entwickler Buterin: Es sei unmöglich, Sicherheit, Dezentralisierung und einen begrenzten Energieverbrauch miteinander zu vereinbaren, wenn eine Blockchain in großem Maßstab eingesetzt wird.11
Die einzige Möglichkeit, die verheerende Umweltbilanz des Bitcoin zu verbessern, wäre die Umstellung des Mining auf erneuerbare Energien. Das Bitcoin Mining Council, ein Netzwerk unabhängiger Miner, behauptet, eine solche Umstellung sei bereits im Gange. Nach einer Studie der Universität Cambridge vom September 2020 stammen jedoch 61 Prozent des verbrauchten Stroms aus nicht erneuerbaren Energiequellen.12 Das heißt: Ein digitaler und dematerialisierter Vermögenswert des 21. Jahrhunderts basiert auf dem Verbrauch von fossilen Energien der Vergangenheit. Man könnte es das große Bitcoin-Paradox nennen.
Neben diesem Paradox gibt es ein weiteres Problem: die massenhafte Produktion von Elektronikschrott. Laut einer Studie, die in der Zeitschrift Resources, Conservation and Recycling veröffentlicht wurde, erzeugt das Netzwerk jährlich 30 700 Tonnen Elektronikschrott – etwa genau so viel wie die Bevölkerung der Niederlande.13
Angesichts der zahlreichen Probleme, die das Blockchain-Trilemma mit sich bringt, haben einige Länder eine sehr pragmatische Lösung gefunden: das gesetzliche Verbot. Am radikalsten geht dabei China vor. Schon Ende 2017 wurden die Handelsplattformen für Kryptowährungen, auf denen 93 Prozent der Bitcoin-Transaktionen weltweit stattfanden, im Inland schlicht verboten. Einige Monate später verkündete die Zentralbank die Sperrung aller Online-Handelsplätze für Kryptowährungen im chinesischen Internet.
2021 ging Peking noch einen Schritt weiter und untersagte auch den Finanzinstituten, entsprechende Dienstleistungen anzubieten. Im Juni wurden in der Provinz Sichuan 26 Bitcoin-Farmen geschlossen, die als zu energieintensiv eingestuft wurden. Im September und Oktober wurden schließlich alle Transaktionen mit Kryptowährungen und Mining-Aktivitäten für illegal erklärt.
China hat sich so innerhalb weniger Jahre vom Bitcoin-Paradies zum Erzfeind der Kryptowährungen entwickelt. Zumal andere Länder diesem Beispiel folgen werden. Am 21. Januar verkündete die russische Zentralbank ihre Absicht, die Verwendung von Kryptowährungen und das Mining in Russland zu verbieten. Auch Indien will angeblich Handel und Zahlungen mit Kryptowährungen verbieten, ihren Besitz aber tolerieren. Das eigentliche Ziel der Regierung in Neu-Delhi ist – ähnlich wie in China – die Einführung einer nationalen Digitalwährung.
Kryptowährungen haben ihr Ziel völlig verfehlt, nämlich „ein Zahlungssystem zu werden“, erklärte Fed-Chef Jerome Powell in einer Senatsanhörung im Juli 2021. Die Europäische Zentralbank (EZB) sieht es genauso und bezeichnet die Krypto-Assets als rein spekulatives Instrument.
Für den Bitcoin ist jedoch noch nicht alles verloren, da weder Fed noch EZB bislang ein Verbot ins Auge fassen. Und sein Kurs hält sich trotz der jüngsten Verluste auf einem relativ hohen Niveau. Eines steht jedoch fest: Bitcoins sind weit davon entfernt, die Zukunft des Geldes darzustellen. Das Versprechen eines dezentralisierten, von staatlicher und finanzieller Macht befreiten Zahlungssystems hat sich in der Realität als etwas ganz anderes entpuppt: als eine von Spekulanten dominierte Finanzblase.
1 „Virtual Currency Schemes“, Europäische Zentralbank, Oktober 2012.
2 „Crypto Currency“, Forbes, 20. April 2011.
3 Siehe Ron Paul, „End the Fed“, New York (Grand Central Publishing) 2009.
4 „The 2021 Global Crypto Adoption Index“, 18. August 2021, Chainalysis.com.
7 „Wall Street Wary of ‚Frothy‘ Stocks, Bubbly Bitcoin“, Reuters, 8. Januar 2021.
10 Cambridge Bitcoin Electricity Consumption Index.
11 „Cleaning Up Crypto“, Internationaler Währungsfonds, Washington, Herbst 2021.
12 „3rd Global Cryptoasset Benchmarking Study“, University of Cambridge, September 2020.
13 „Bitcoin’s growing e-waste problem“, Digiconomist, 17. September 2021
Aus dem Französischen von Nicola Liebert
Frédéric Lemaire ist Wirtschaftswissenschaftler.