13.01.2022

Bolloré und sein Kandidat

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Bolloré und sein Kandidat

Wie Frankreichs einflussreichster Unternehmer einem rechtsextremen Journalisten den Weg in die Politik bahnte

von Marie Bénilde

Wahlkampf im Elsass JEAN-FRANÇOIS BADIAS/ap
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Als Éric Zemmour, Moderator und Kommentator des Senders CNews der Bolloré-Gruppe, Ende 2021 seine Kandidatur für die Präsidentschaft erklärte, gab sich das Establishment erstaunt: Ausgerechnet die Säule des französischen Kapitalismus unterstützt dermaßen reaktionäre Haltungen! Konzernchef Bolloré und sein Journalist Zemmour sind der Wirtschaftselite zumindest sehr peinlich: Die beiden verkörpern – im Gegensatz zu einer rückwärtsgewandten, ungeschliffenen extremen Rechten, gegen die man sich leicht abgrenzen kann – eine gebildete, konservative und brutale Bourgeoisie.

Allerdings haut das Bürgertum gewöhnlich nicht so auf den Putz wie ihre beiden neuen Schwertträger, deren allzu direkt erklärte politische Absichten in der Welt der Besitzenden für Missstimmung sorgen. So sieht sich die herrschende Kaste vor einem unlösbaren Problem: Wie kann man das Tandem Zemmour/Bolloré kritisieren, ohne sich schmutzig zu machen?

Vincent Bolloré wurde in den 1980er und 1990er Jahren von der Presse und seinen Standesgenossen als „Kleiner Prinz des Cashflow“ gefeiert, in den nuller Jahren dann als „mutiger“ und „visionärer“ Unternehmer, als erfolgreicher Investor und großer Afrika-Eroberer1. Der Milliardär und sein Journalist bewegen sich beide in der Sphäre von Wirtschaft, Politik und Medien. Beide haben Machtpositionen inne, erklären aber gern, sie stünden am Rande.

Bolloré, der auch große Infrastruktur- und Logistikunternehmen besitzt, wurde mit der Kommunikationsagentur Havas, der Verlagsgruppe Editis, dem Privatsender Canal+, dem Zeitschriftenverlag Prisma und neuerdings auch der Mediengruppe Lagardère-Hachette zum Medienmogul mit beträchtlichem Einfluss. Éric Zemmour, Absolvent der renommierten Politikhochschule Sciences Po, war anfangs Kolumnist bei der konservativen Tageszeitung Le Figaro. Seit 20 Jahren ist er das mediale Sprachrohr der konservativen, autoritären, frauenfeindlichen Rechten. In den Samstagabend-Talkshows auf France2, auf iTélé (noch bevor Bolloré den Sender kaufte) und RTL stellte er Geflüchtete und Migranten regelmäßig als „Invasoren“ dar.

Seine Forderung nach einem kompletten Einwanderungsstopp ist nicht gut fürs Geschäft, doch seine These vom „grand remplacement“, vom großen Austausch, fasziniert eine Oberschicht, die aufs eigene Fortbestehen bedacht ist und mehr als jede andere soziale Gruppe in Frankreich Tradi­tion, Abschottung und Exklusivität kultiviert. Und steht Bolloré nicht für ein familiäres Unternehmertum, das über die Jahrhunderte immer mehr Wohlstand generiert hat? Moralische Rückendeckung erhält Bolloré vom Philosophen Bernard-Henri Lévy. Für Lévy ist es ein Beweis seiner Toleranz, dass in Bollorés Verlagen „bis heute einige der radikalsten Vertreter der extremen Linken veröffentlicht“ werden. Der Unternehmer sei „ein christlicher Konservativer, das ja, mit allem Missfallen, das diese beiden Begriffe bei den Meistern der Unterstellung erregen. Aber er ist kein Extremist“ (Le Point, 23. September 2021).

Doch wer ist Vincent Bolloré wirklich? Seine Familie hat ihre Wurzeln in der Bretagne, ist aber im katholischen Großbürgertum des Pariser Westens zu Hause. In ihrem Salon verkehrte Präsident Georges Pompidou oder die Luftfahrtunternehmerfamilie Dassault.

Bollorés Markenzeichen waren von Anfang an Firmenübernahmen und komplexe Umstrukturierungen, unterstützt wurde er dabei vor allem von Antoine Bernheim, einem Freund der Familie und Gesellschafter des Bankhauses Lazard. Ihm verdankt Bolloré angeblich auch das Rezept für seinen Aufstieg: „Wie man Übernahmeangebote macht, ohne Geld auszugeben, wie man ein Unternehmen auseinandernimmt und das Hauptgeschäftsfeld behält, um daraus so viel Profit wie möglich zu schlagen, und wie man ohne Kapitalbesitz einen Konzern beherrscht“, heißt es in einer Biografie des Milliardärs.2 Tatsächlich brachte er mit diesem Rezept den Medienkonzern Vivendi unter seine Kontrolle, mit nur 27 Prozent der Anteile.

Die Heuschrecke im Medienmarkt

Sehr früh gab er sich das Image eines katholisch-sozialen Unternehmers. Im Fernsehen zeigte er sich gern arbeitnehmerfreundlich und behauptete, er säße mit den Gewerkschaften „im selben Boot“, als es um Lohnkürzungen zum Erhalt des alten Familienbetriebs ging. Dennoch benötigte er 1993 die Unterstützung von Bernard Ésambert (Rothschild), Georges Pébereau (Marceau) und Claude Bébéar (Axa), um die geerbten Papierfabriken halten zu können (in denen seit 1918 Zigarettenpapier der Marke OCB produziert wurde).

Für die Öffentlichkeitsarbeit nahm Bolloré die Dienste eines früheren Aktivisten der rechtsextremen Splittergruppe Occident in Anspruch: Michel Cal­za­roni, ehemaliger Kommunikationsdirektor der Arbeitgebervereinigung CNPF. Mit seiner Beratungsfirma DGM Conseil entwarf Calzaroni für seinen Klienten die Legende, er sei die erfolgreichste aller Heuschrecken, der müden Medienunternehmen wie Pathé, Bouy­gues und Aegis, dem Bankhaus La­zard oder dem Rohrspezialisten Val­lou­rec noch ordentlich Mehrwert abzupressen vermochte. Dieser Mythos sollte Schrecken verbreiten – und natürlich die Aktienkurse in die Höhe treiben.

Bollorés Versuch, 1998 das Impe­rium des Bau- und Medienmoguls Martin Bouygues zu übernehmen, trug ihm die hartnäckige Feindschaft des ehemaligen Schulkameraden ein. Verlassen konnte er sich jedoch immer auf Alain Minc. Der prominente Soziologe, Ökonom und Buchautor, der 1997 sein Berater wurde, hatte Bolloré zu der Ak­tion gegen Bouygues überredet; bis heute mischt Minc bei seinen Finanzcoups mit und erhält 1 Prozent seiner Gewinne. Als Aufsichtsratsvorsitzender der Tageszeitung Le Monde weckte er Bollorés Interesse an Medien. Er begleitete die Gründung von Bollorés erstem Sender Direct 8 (später umbenannt in C8) und trug ihm eine Partnerschaft mit Le Monde an, aus der 2007 die kostenlose Tageszeitung Matin Plus hervorging. Bald übernahm Bolloré das Gratisblatt komplett.

Gelegentlich wird dem Medienmogul zugutegehalten, er habe das französische Kino gerettet, weil er nach dem Einstieg bei Canal+ dessen Modell zur Filmförderung aus den 1980er Jahren beibehielt. Bolloré als Freund der Künste? Dieses Bild verschafft ihm ausreichend Ellenbogenfreiheit, um anderswo die Redaktionslinien zu beeinflussen – so etwa beim Infokanal iTélé, für den er 2016 den Skandalmoderator Jean-Marc Morandini engagierte, um den rechten Rand des Publikums zu bedienen. Die Redaktion von iTélé trat in Streik, in der Folge kündigten rund 100 Jour­na­lis­t:in­nen des Senders, mehr als die Hälfte der Redaktion. Morandini moderiert heute die CNews-Sendung „Face à la rue“ (Die Straße im Blick); für die erste Sendung im Oktober 2021 interviewte er Éric Zemmour.

Der Geschäftsmann Bolloré gab stets vor, sich von der politischen Macht fernzuhalten. Zwar ist bekannt, dass er Mitglied in der von Dominique Strauss-Kahn initiierten Lobbygruppe Cercle de l’Industrie ist und den frisch gewählten Nicolas Sarkozy auf seine Yacht einlud, doch bei näherer Betrachtung erweisen sich diese Verbindungen als noch viel enger: Michel Roussin, in den 1990ern Entwicklungshilfeminister, wurde 2000 zum Vizepräsidenten der Bolloré-Gruppe ernannt und durfte auf dem hauseigenen Sender Direct 8 die Sendung „Paroles d’Afrique“ (Stimmen Afrikas) moderieren, wo Berater Minc dann über den „gut gemanagten“ Subprime-Markt schwadronierte.

Der ehemalige Landwirtschaftsminister Jean Glavany wurde 2003 in den Strategieausschuss des Konzerns berufen. Außenminister Bernard Kouchner kam zur Hochzeit von Bollorés Sohns Yannick, der inzwischen CEO von Havas ist. Die aktuelle Präsidentschaftskandidatin von Les Républicains (LR), Valérie Pécresse, kennt Bolloré ebenfalls gut: Ihr Vater leitete das Tochterunternehmen Bolloré Telecom. Der frühere Präsident François Hollande ließ den Kontakt zu Bolloré über seinen Berater Bernard Poignant herstellen, der seit Jahrzehnten mit Vincent Bolloré befreundet ist.

In diesem Nebelfeld, in dem die verschiedenen Machtbereiche aufeinandertreffen, spielt das Agenturnetzwerk Havas die Rolle des Vermittlers. Havas befindet sich eigentlich in einem permanenten Interessenkonflikt, wenn sie das Geld ihrer Kunden bei Canal+, C8 oder CNews einsetzt. Ihr stellvertretender Geschäftsführer Stéphane Fouks war früher PR-Berater von Dominique Strauss-Kahn und berät heute den ehemaligen sozialistischen Premierminister Manuel Valls, der neuerdings auf CNews dazu aufruft, „die Einwanderung zu stoppen“. Zu den Imagekunden des Kommunikationsgurus gehört auch Saudi-Arabien.

Die Havas-Gruppe ist in den Institutionen der Republik gut vertreten, sie hatte ihre Kommunikationsberater im Ély­sée-­Palast und im Hôtel Mati­gnon, dem Sitz des Premierministers, platziert und ein Dutzend weitere Mit­ar­bei­te­r:in­nen in verschiedenen Ministerien. Höchstselbst bedankte sich Vincent Bolloré 2013 beim sozialistischen Pariser Bürgermeister Bertrand Delanoë für die Bestellung von Elek­tro­autos der Bolloré-Tochter Bluecar für den städtischen Carsharing-Dienst Autolib’ und erklärte, er werde für die Sozialistin Anne Hidalgo als dessen Nachfolgerin stimmen.

Heute scheint die Familie Bolloré in der Politik auf Arbeitsteilung zu setzen: Im Mai 2021 soll Yannick Bolloré Bürgermeisterin Hidalgo zu einer chancenlosen Präsidentschaftskandidatur ermutigt haben, man brauche „eine linke Kandidatur gegen Macron“3 ; quasi gleichzeitig bestärkte Vater Bolloré den Rechtsaußen Zemmour.

Die Medienkulisse jedenfalls steht: Bei der Wahl im April hat das Fernsehpublikum die Wahl zwischen dem amtierenden Präsidenten und einem Gespann, das aus einem reaktionären Kapitalisten und einem rassistischen Journalisten besteht. Beide sind für die Ära des autoritären Neoliberalismus bestens aufgestellt.

1 Siehe Fanny Pigeaud, „Bollorés Business in Afrika“, LMd, Dezember 2021.

2 Nicolas Cori und Muriel Gremillet, „Vincent Bolloré, ange ou démon“, Paris (Hugo Doc) 2008.

3 Sophie des Déserts, „Anne Hidalgo et Jean-Marc ­Germain, duo pour un solo“, Paris Match, 16. Dezember 2021.

Aus dem Französischen von Sabine Jainski

Marie Bénilde ist Journalistin und Autorin von „On ­achète bien les cerveaux. La publicité et les médias“, Paris (Raisons d’agir) 2007.

Le Monde diplomatique vom 13.01.2022, von Marie Bénilde