Das seltsame Verschwinden des PCI
Vor 30 Jahren benannten die italienischen Kommunisten ihre Partei um
von Antoine Schwartz
Wenn der Radikalismus die Kinderkrankheit des Kommunismus ist, ist der Konformismus sein Altersleiden. Wie sonst ist das fast lautlose Verschwinden der einst größten kommunistischen Partei Europas zu erklären? An einem schönen Februartag im Jahr 1991 fand der Partito Comunista Italiano (PCI), die Partei Antonio Gramscis und der ruhmreichen italienischen Partisanen, nach 70 Jahren ihr Ende. Sie legte ihren Namen und damit ihre Identität und Geschichte ab – mit ein paar Tränen zwar, aber aus freien Stücken.
Um die Tragweite dieses Ereignisses zu ermessen, müssen wir in die Vergangenheit blicken. Am Ende des Zweiten Weltkriegs war die italienische Linke, so der Historiker Perry Anderson, „die stärkste und bedeutendste Volksbewegung für gesellschaftlichen Wandel in Westeuropa“.1 Nach der Befreiung Italiens führte Palmiro Togliatti die Partei auf einen neuen Kurs und gab alle revolutionären Anwandlungen auf, um der nationalen Einheit zu dienen und eine Demokratie neuen Typs zu schaffen. Statt Revolution sollten der Arbeiterklasse mittels Reformen eine politische Rolle zuerkannt und spürbare soziale und wirtschaftliche Fortschritte erzielt werden. Unter Togliatti als Generalsekretär entwickelte sich die PCI von einer Kader- zur Massenpartei; mit tiefer Verwurzelung im Volk („eine Parteigruppe für jeden Kirchturm“) und großer kultureller Strahlkraft.
Die Hüter der globalen Ordnung zeigten sich besorgt. Wie der Historiker Eric Hobsbawm betont, war „seit dem Beginn der Ost-West-Konfrontation 1947 klar, dass die USA es unter keinen Umständen zulassen würden, dass in Italien die Kommunisten an die Macht kämen“.2 Obwohl die Partei bei den Wahlen stets zweitstärkste Kraft wurde, bekam sie nie die Chance auf eine Regierungsbeteiligung. Denn die Konservativen von der Democrazia Cristiana (DC) kontrollierten alle Ebenen des politischen Systems, das nach der Logik des Klientelismus und der Mafia funktionierte.
Ende der 1960er Jahre erschütterte eine heftige Protestbewegung Italien und erfasste alle Bereiche der Gesellschaft. Streiks, Betriebsbesetzungen und Straßenschlachten zwischen linken Aktivist:innen und Ordnungskräften prägten ein ganzes Jahrzehnt. Das Land stand in Flammen. Die Bewegung ließ sich weder von den Gewerkschaften noch von den Parteien lenken. Es gründeten sich neue Organisationen wie Lotta continua und Potere Operaio und ein Teil der radikalen Linken entschloss sich zum bewaffneten Kampf. Der Staat seinerseits reagierte mit massiver repressiver Gewalt, um den Aufstand zu unterdrücken.
Die terroristischen Aktivitäten von Splittergruppen wie den Brigate Rosse bewegten damals die Gemüter. Später stellte sich heraus, dass viele der Gewalttaten – wie das Attentat auf der Mailänder Piazza Fontana 1969 und der Bombenanschlag auf den Bahnhof von Bologna 1980 – auf das Konto rechtsextremer Gruppierungen mit Kontakten zum Geheimdienst gingen, die den Eindruck einer permanenten Bedrohung von links aufrechterhalten wollten.3 Diese „Strategie der Spannung“ (strategia della tensione) ließ eine autoritäre Entwicklung des Staats befürchten.
Nach dem Putsch in Chile 1973 empfahl der PCI-Generalsekretär Enrico Berlinguer die neue Linie eines „historischen Kompromisses“. Durch eine Zusammenarbeit mit dem politischen Gegner von der DC sollten die demokratischen Institutionen erhalten und gesellschaftliche Reformen durchgesetzt werden.
Das schöne alte Wort war ein Klotz am Bein
Der Antikommunismus prägte weite Teile des politischen Lebens und der PCI profitierte nur teilweise vom allgemeinen Klima des Protests. Bei den Parlamentswahlen 1976 erhielt er zwar 34,37 Prozent der Stimmen – ein Rekord für die Partei mit damals knapp 2 Millionen Mitgliedern. Doch seine Vorherrschaft innerhalb der italienischen Linken wurde immer wieder infrage gestellt. Vielen Aktivist:innen galt sie als zu bürokratisch, ja sogar als Bremse des Protests.
Während sich die Wirtschaftskrise in Europa ausbreitete, deutete sich in Italien eine konservative Wende an. Im Herbst 1980 endete ein Streik bei Fiat nach 35 Tagen mit einer Niederlage für die Arbeiter. Die neue finanzpolitische Orthodoxie nach der Einführung des Europäischen Währungssystems setzte einen engen Rahmen für die Wirtschaftspolitik. Die Anführer der Arbeiterbewegung sollten sich am „Kampf gegen die Inflation“ und die steigende Arbeitslosigkeit beteiligen und gemäßigte Lohnforderungen stellen.4
1984 schaffte der sozialdemokratisch Ministerpräsident Bettino Craxi die automatische Lohnanpassung an die Inflationsrate ab. Der PCI verlangte eine Volksabstimmung über diese Frage, die er krachend verlor. 1984 war ein Wendepunkt, im Rückblick vielleicht auch ein Höhepunkt. Davon zeugt auch die riesige Menschenmenge, die Enrico Berlinguer, der im Juni 1984 starb, die letzte Ehre erwies.
Die Zeiten änderten sich und mit ihr der PCI. Die Generation der Partisanen zog sich zurück und mit ihr verschwand das Gedächtnis der Partei. Ein neuer Politikertyp erklomm die Karriereleiter. Das Organisationsprinzip orientierte sich an kommunalen Strukturen und förderte Berufspolitiker, die kaum noch Verbindungen zur Arbeitswelt hatten. Man verstand sich nicht mehr als Partei der Arbeiterklasse, sondern als Partei für alle. Auch unter den Mitgliedern wurden die Arbeiter zur Minderheit, je weiter die Deindustrialisierung voranschritt und die Arbeitswelt sich wandelte.
Das Fernsehen und die Massenmedien gewannen immer mehr an Einfluss. Sie zerstörten die engen Beziehungen zwischen der politischen und der kulturellen Sphäre, die der PCI tapfer verteidigt hatte. Ein Symbol dafür war der Verlag Einaudi, wo die Werke Gramscis und vieler anderer großer Autor:innen erschienen waren. 1994 wurde der Verlag von der Mondadori-Gruppe geschluckt, die zum Medienimperium von Silvio Berlusconi gehört.
Auch die Erschütterungen im Ostblock Ende der 1980er Jahre hinterließen ihre Spuren. Der Stimmenverlust bei den Parlamentswahlen 1987 versetze der PCI einen Schock, dabei erhielt die Partei immer noch 26,5 Prozent der Stimmen. Auch die Öffentlichkeit spürte den Abwärtstrend, hinzu kam die Konkurrenz durch den Partito Socialista Italiano (PSI), der Stimmen hinzugewinnen konnte. Eine Erneuerung war dringend nötig. Verkörpert werden sollte sie durch den 52-jährigen Achille Occhetto, der 1988 zum Generalsekretär gewählt wurde. Er war ein Apparatschik, der von reformerischen Kräften innerhalb der Parteispitze damit beauftragt war, die Partei zu modernisieren.
Occhettos Ideen spiegelten unverkennbar den neuen, liberalen Zeitgeist wider. Anstatt sich auf die Lösung der sozialen Konflikte zu konzentrieren, pflegte er eine blumige Rhetorik, die den demokratischen Fortschritt der kleinen Schritte pries und die Mächtigen nicht allzu sehr beunruhigen sollte. Für den Aufbruch zu neuen Ufern warf er den Marxismus über Bord. Nun stand endgültig politischer Reformismus auf der Tagesordnung, und Occhetto wollte seine Partei in die Sozialistische Internationale führen.
Die Zukunft leuchtete im Blau der „Vereinigten Staaten von Europa“ und des „europäischen Wegs zum Sozialismus“, den der sozialistische EU-Präsident Jacques Delors (1985–1995) vorgezeichnet hatte. „Modern“ zu sein hieß auch, die Rolle des Staates zu überdenken. So verkündete Occhetto: „Das Land braucht einen Staat, der sich weniger einmischt, aber dafür imstande ist, Konzepte zu entwerfen und Regeln für die Vielfalt der staatlichen und privaten Ziele festzulegen.“5
Die Reformer wollten mit ihrer „Wende“ (svolta) den Niedergang der Partei stoppen, breitere Wählerschichten ansprechen, neue Allianzen ermöglichen und ihre Regierungsfähigkeit unter Beweis stellen. Der Kommunismus im Namen war dabei ein Klotz am Bein, wie auch die bürgerliche Presse immer wieder betonte. Die Krise des sowjetischen Systems beschleunigte die Ereignisse. Die Reformer nahmen sie zum Anlass, die Partei auf den unwiderruflichen Weg der Selbstauflösung zu führen.
Im Herbst 1989 erklärte Occhetto, es sei notwendig, den Parteinamen zu ändern. Die Ankündigung versetzte die Mitglieder in Aufruhr, aber die Führung blieb dabei. Nun begann auf allen Ebenen eine intensive Diskussion. Die Bilder, die man in Dokumentarfilmen wie „La cosa“ (1990) von Nanni Moretti sehen kann, zeigen leidenschaftliche Debatten, heftigen Streit und viele Tränen: Ist der Begriff Kommunismus ein Ballast, den man abwerfen sollte, oder ein Erbe, das man stolz bewahren muss? Gibt man mit einer Namensänderung nicht seine Identität, seine Geschichte auf? Für viele Genossen war die Entscheidung sehr schmerzhaft, für sie war das Wort „Kommunist“ nicht nur Ausdruck ihres parteipolitischen Engagements, sondern ihrer ganzen Identität.
Beim Parteitag in Bologna im März 1990 gewann die Parteiführung eine große Mehrheit der Delegierten für den Aufbau einer neuen Partei. Der Historiker Guido Liguori betont in einer Analyse, dass die Treue zur Parteiführung, die die Organisation stets geprägt hatte, dabei ebenso maßgeblich war wie der Wunsch, eine Spaltung zu vermeiden: „Die Neigung zum Konformismus“ war ein entscheidender Grund für den Erfolg der Reformer, begleitet wurde sie allerdings vom „stillschweigenden Abschied tausender Genossen, die kampflos ‚nach Hause gingen‘ “.6
1991 wurde der Partito Democratico della Sinistra (PDS) gegründet, das neue Symbol war eine Eiche. Eine Minderheit beschloss die Abspaltung und Gründung des Partito della Rifondazione Comunista (PRC), aber nur wenige Mitglieder schlossen sich ihr an.
Der PDS wurde in den Mitte-links-Regierungen von Romano Prodi (1996–1998) und Massimo D’Alema (1998–2000) zwar endlich an der Macht beteiligt. Dafür hatte er allerdings seine Gründungsideen aufgeben müssen.
Mit dem Ende des PCI schwand die Widerstandskraft der gesamten italienischen Linken. Machtlos erlebte sie den Aufstieg einer neuen, aggressiven Rechten unter Silvio Berlusconi, der 1994 die Forza Italia gründete. Bereits in den 1970ern hatte der marxistische Staatswissenschaftler Ralph Miliband hierzu festgestellt: „Es ist bemerkenswert, dass jene Analytiker, die die Zustimmung großer Teile der Arbeiterklasse in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern zu der konservativen Ideologie zu erklären versuchen, nicht stärker den Beitrag zur politischen Abrüstung betont haben, den die sozialdemokratischen Führer regelmäßig leisteten, sowohl mit dem, was sie sagten, als auch mit dem, was sie taten.“7
Der Verzicht auf Namen und Symbol schwächte nicht nur die Partei, sondern eine politische, gewerkschaftliche und intellektuelle Bewegung, ein ganzes aktivistisches Milieu, das früher fähig gewesen war, Visionen zu entwickeln, die Gesellschaft kulturell zu prägen und mit Leib und Seele nach einer besseren Welt zu streben.
1 Perry Anderson, „An Invertebrate Left“, London Review of Books, 12. März 2009.
2 Eric Hobsbawm, „Gefährliche Zeiten. Ein Leben im 20. Jahrhundert“, München (Hanser) 2003, S. 402.
3 Vgl. Frédéric Attal, „Histoire de l’Italie depuis 1943 à nos jours“, Paris (Armand Colin) 2004.
5 Achille Occhetto, „Un indimenticabile ’89“, Mailand (Feltrinelli) 1990.
6 Guido Liguori, „Qui a tué le PCI?“, Paris (Éditions Delga) 2011.
Aus dem Französischen von Claudia Steinitz
Antoine Schwartz ist Politikwissenschaftler und Autor von „Le Libéralisme caméléon. Les libéraux sous le Second Empire (1848–1870)“, Besançon (Presses universitaires de Franche-Comté) 2022.