11.11.2021

Chinatown, New York

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Chinatown, New York

Asian Americans werden in den USA immer öfter Opfer von Hassverbrechen und beginnen sich zu wehren

von Maxime Robin

Plakate der New Yorker Stadtverwaltung im Museum of Chinese in America MARY ALTAFFER/picture alliance/ap
Chinatown, New York
Kasten: Akademische Diskrimierung
Kasten: Hungern in Little Cambodia

Mit geradezu fotografischer Genauigkeit beschreibt Wellington Chen die Attacke, das sich am Abend des 25. Februar gegen 18.30 Uhr an der Worth Ecke Baxter Street ereignete. Als Chen sein Büro in Chinatown verließ, rannte ein Mann an ihm vorbei und rammte einem Passanten ein „acht Zoll langes Messer“ in den Rücken. Die inneren Organe des 36-jährigen Opfers, wie Chen ein Asian American, wurden durchbohrt, eine Niere und eine Nebenniere mussten entfernt werden, aber er überlebte. Der Angreifer, ein Amerikaner mit jemenitischen Wurzeln und psychiatrischer Vorgeschichte, erklärte der Polizei, es habe ihm nicht gefallen, wie ihn das Opfer angesehen habe.

Auf die Frage, ob Chen den Überfall für rassistisch motiviert halte, antwortet er mit einer Gegenfrage: „Warum geht man mit einem Fleischermesser in Chinatown spazieren? Ich glaube, die Tat war geplant.“ Aber werden in diesen Zeiten, da die bewaffnete Gewalt in New York zunimmt, Latinos, Schwarze und Weiße nicht genauso grundlos angegriffen? „Kein Latino muss mit zwei Taschenalarmen aus dem Haus gehen, so wie ich neuerdings“, entgegnet er.

Chen, der taiwanesische Wurzeln hat, ist in seiner Community hoch angesehen. Der Stadtplaner ist seit 15 Jahren Leiter des Chinatown Business Improvement Districts und hat die größte New Yorker Chinatown – Flushing im Bezirk Queens – mitentwickelt. Dank seines Berufs hat er einen Überblick über die 1,2 Millionen Asian Americans, die 14 Prozent der New Yorker Bevölkerung ausmachen; US-weit sind es 7 Prozent. Die Angestellten der rund 200 Restaurants im traditionellen Manhattaner Chinatown, die mittlerweile aus Sicherheitsgründen abends früher schließen, haben sich angewöhnt, nie allein nach Hause zu gehen.

Die Staatsanwaltschaft von Manhattan hat zwar ein Hassverbrechen (Hate Crime) bei dem brutalen Mordversuch ausgeschlossen, doch das mindert nicht die Empörung der Community im In- und Ausland. Die Aufnahmen der Überwachungskameras von diesem und einem Dutzend anderer Angriffe in den USA verbreiteten sich über sämtliche Social-Media-Plattformen. „Am Tag nach der Messerattacke wurde ein Mann mittags um zwölf auf der Bowery im Süden Manhattans mit Reizgas angegriffen, am selben Abend ein anderer am East Broadway windelweich geschlagen“, zählt Chen auf.

Trumps Gerede vom China-Virus

Ist die Gewalt gegen Asian Americans in letzter Zeit tatsächlich explodiert, wie viele unserer Gesprächspartner behaupten? Die Statistiken von Vereinen und Polizei zeichnen unterschiedliche Bilder. Zwischen März 2020 und März 2021 hat die Organisation Stop AAPI Hate 6603 Zwischenfälle in den USA registriert, im Vorjahreszeitraum waren es 3795. Die New Yorker Polizei hat letztes Jahr 28 Angriffe dieser Art verzeichnet und 2019 nur 3. In den ersten fünf Monaten 2021 wurden allerdings schon 87 Anzeigen erstattet. Die Anzahl der Hassverbrechen, die sich auch gegen Schwarze, Juden und Queers richten, ist ebenfalls gestiegen. Der einzige Beschuldigte, der im ersten Quartal 2021 wegen einer antiasiatischen Tat vor Gericht kam, war ein Taiwanese, der antichinesische Graffiti auf Schaufensterscheiben gesprüht hat.

Innerhalb der Community wird vermutet, dass die Dunkelziffer wesentlich höher ist. Viele Opfer würden nicht zur Polizei gehen, weil sie kein Englisch können oder nicht auffallen möchten. Und die meisten, die „nur“ verspottet, beschimpft oder angespuckt werden – was nach Auskunft von Stop AAPI ­Hate sehr oft vorkommt –, erstatten keine Anzeige, weil es zu aufwendig wäre.

Sind asiatischstämmige Einzelhändler betroffen, ist die Unterscheidung zwischen Raub und Hassverbrechen oft schwierig. Daher lässt der Staatsanwalt den verschärfenden Vorwurf eines rassistisch motivierten Verbrechens häufig wieder fallen. Dennoch hat die New Yorker Polizei (NYPD) im vergangenen Herbst eine Task Force aus 25 Freiwilligen gebildet. Die Beamten sind alle asiatische Einwanderer der ersten Generation und sprechen „zehn verschiedene Sprachen, um die zögernden Asian Americans zu ermutigen, mit der Polizei zu kooperieren“.

Die Angriffe richten sich nicht nur gegen die chinesische Community, sondern auch gegen Menschen mit Wurzeln in Thailand, Vietnam und den Philippinen, erzählt Chen. Die Opfer seien oft ältere Frauen, die auf der Straße, in der U-Bahn, vor ihrem Haus oder der Bäckerei mit Faustschlägen, Fußtritten, Cuttern oder chemischen Substanzen attackiert werden. Durch die Spannungen zwischen Peking und Washington und vor allem durch den Streit über den Ursprung des Coronavirus würden die alten antiasiatischen Reflexe wieder aufleben, heißt es in der Community. Donald Trump, der die Theorie vom „China-Virus“ verbreitete, das einem Labor in Wuhan entwichen sei, hat „den Rassismus mit der Behauptung befeuert, wir hätten das Virus sozusagen in unseren Koffern mitgebracht“, wirft beispielsweise die New Yorkerin Oanh Nguyen, die im Finanzsektor arbeitet, dem Ex-Präsidenten vor. Auch nach dem Wechsel im Weißen Haus hat sich die Situation nicht verbessert. Während Trumps Behauptung als Fake News und Verschwörungs­theo­rie abgetan wurde, stand Joe Bidens Forderung, den Ursprung der Pandemie in China zu untersuchen, auf allen Titelseiten. Der neue Präsident hat die antiasiatische Gewalt zwar verurteilt: „Das ist antiamerikanisch, es muss aufhören“, erklärte er im März 2021, nachdem in einem Vorort von Atlanta acht Menschen, darunter sechs Asian Americans, ermordet worden waren.

Insgesamt haben die Demokraten aber die antichinesische Rhetorik der Republikaner übernommen. Im Senat, wo sich die beiden Parteien bis aufs Messer bekämpfen, ist die Vorbereitung auf den nächsten ökonomischen – und womöglichen sogar militärischen– Krieg gegen China sogar eins der wenigen gemeinsamen Projekte. Um Chinas Pläne zu durchkreuzen, billigten die Abgeordneten im Juni 2021 einen Fünfjahresplan mit einem Umfang von 52 Milliarden US-Dollar für künstliche Intelligenz, Quanteninformatik und die Produktion von Halbleitern, jenen für die Herstellung von Smartphones, Autos, Spielekonsolen oder Fitnesstrackern unverzichtbaren Komponenten.1

Der antiasiatische Rassismus hat in den USA eine lange Geschichte. Eine größere Gruppe von Chinesen lebte zwar schon seit dem Goldrausch von 1848 im Land, aber die Einwanderung wurde lange behindert, bis mit dem Chinese Exclusion Act von 1882 sogar ein Einreiseverbot für Menschen aus China verhängt wurde. Mit dem Johnson-Reed Act von 1924 wurde eine Quotenregelung für alle anderen Einwanderungsländer eingeführt und die „unerwünschte“ Immigration auf den osteuropäischen und asiatischen Raum ausgeweitet.

Im Zweiten Weltkrieg wurden Einwanderer aus Japan, das zu den feindlichen Achsenmächte gehörte, enteignet und interniert, nicht aber Amerikaner deutscher oder italienischer Herkunft.2 In den 1960er Jahren beendete die Bürgerrechtsbewegung die ethnische Diskriminierung; ab 1965 verbot ein neues Einwanderungsgesetze die Quotenregelung nach Nationen (siehe auch den Artikel auf Seite 2). Danach nahm die Zuwanderung aus Asien stark zu.

Die meisten für diesen Beitrag befragten Personen kamen nach 1965, durch Familienzusammenführungen oder das Programm für „bevorzugte Zuwanderung“ von Hochqualifizierten in die USA. Die dritte Gruppe waren Flüchtlinge. In den 1970er und 1980er Jahren nahmen die USA mehrere hunderttausend Boat People aus Vietnam, Kambodscha und Laos auf (siehe nebenstehenden Kasten). Heute sind Dreiviertel der erwachsenen ­Asian Americans in den USA geboren. Bisher bildeten Chinastämmige die größte Gruppe unter den mehr als 20 Millionen Ame­ri­ka­ne­r:in­nen asiatischer Herkunft, im kommenden Jahrzehnt könnten die Amerikaner indischer Herkunft sie überholen.

Gegen den zunehmenden Rassismus wurden Selbstschutzgruppen gegründet, wie im Frühjahr 2021 Protect Chinatown. Anfangs trafen sich deren Mitglieder jeden Samstag um 17 Uhr vor der Bronzestatue von Sun Yat Sen im Columbus Park, wo Rent­ne­r:in­nen Tai-Chi machen und an den Betontischen Xiangqi spielen, und liefen berüchtigte Straßen wie den East Broadway ab. Die Patrouille hatte keine offizielle Genehmigung der NYPD, aber die Beziehungen seien freundschaftlich, meint Protect-China-Mitglied Sandy Yang. Inzwischen begleiten die jungen Leute in Zweiergruppen vor allem ältere Menschen beim Einkäufen.

Als es wärmer wurde, organisierten Volunteers für die Community ein Stadtteilfest im Columbus Park. Verschiedene Stände boten medizinische und psychologische Beratung an, kostenlose Hepatitis-B-Tests oder tiergestützte Therapie mit Welpen. Es wurden Selbstverteidigungsmittel ausgegeben wie Trillerpfeifen oder Pfefferspray, laut dem New Yorker Verein Soar Over Hate insgesamt 19 000. Auf dem künstlichen Rasen des halbierten Fußballfelds gab es Gratiseinführungen in Martial Arts. Die Volunteers, die meisten von ihnen unter 30, hatten sich Post-its auf die Brust geheftet, um nicht­eng­lisch­spra­chi­gen Be­su­che­r:in­nen ihre Muttersprache anzuzeigen (Kantonesisch, Mandarin, Vietnamesisch, Koreanisch, Thai, Tagalog). Auf ihren Motto-Shirts stand „Proud as fuck to be Asian“.

„Ich bin in Chinatown aufgewachsen. Das Viertel hat mich zu dem gemacht, der ich heute bin“, erklärt Kevin Law-Lee, der 27-jährige Mitbegründer von Protect Chinatown. Seine Eltern, die für viele kleine Läden im Viertel die Buchhaltung machen, leiden unter den zahlreichen Pleiten seit Beginn der Pandemie. Der wirtschaftliche Niedergang ist unübersehbar. In den früher stets überfüllten Restaurants, wo Taufen, Hochzeiten und Neujahr gefeiert wurden, herrscht gähnende Leere. Das Jing Fong, das größte Restaurant in Chinatown mit 800 Sitzplätzen und mehr als 10 000 servierten Mahlzeiten pro Woche, hat 2020 dichtgemacht. Demnächst soll es wieder eröffnen, allerdings in viel bescheidenerem Umfang.

Die Schließung des Jing Fong hat die einzigen gewerkschaftlich organisierten Jobs im Viertel vernichtet, klagt JoAnn Lum von der Organisation Na­tio­nal Mobilization Against Sweatshops (NMASS), die in Chinatown schlecht bezahlte Hilfskräfte unterstützt, die oft ohne Aufenthaltsgenehmigung in Maniküresalons, in der Gastronomie oder in Privathaushalten arbeiten. NMASS kämpft gegen 24-Stunden-Tage und unbezahlte Arbeit, wage theft (Lohnraub) genannt. Seit 2005 werden die Asian Americans abwechselnd mit den Latinos regelmäßig als ärmste Ethnie New Yorks gelistet. Die Armutsquote schwankt zwischen 21 und 28 Prozent.3 Die pandemiebedingte Arbeitslosigkeit hat sie am härtesten getroffen, berichtet die Nonprofitorganisation Asian American Federation.4

Auf dem Stadtteilfest trifft man auch Leute, die es geschafft haben: „Sobald wir es uns leisten konnten, sind wir aus der Stadt rausgezogen“, erzählt Esther Tow, eine 60-jährige Geschäftsfrau, die Trillerpfeifen und Pfefferspray verteilt. „Jedes Wochenende sind wir zurück nach Chinatown gefahren, für die Einkäufe und meinen Chinesischunterricht.“ Tow ist in New York geboren, ihre Eltern flohen aus China. Als sie genug Geld angespart hatten, kauften sie sich eine chemische Reinigung in Long Island. Esther Tow war sechs, als sie anfing, Englisch zu lernen. Mit dem Lesen hat sie immer noch Schwierigkeiten. Das hat sie nicht davon abgehalten, einen eigenen Onlinehandel für Schmuck aufzuziehen. Und sie verdient gut. Ihre Tante ist Ärztin, ihr Sohn Sommelier.

Bei all den Problemen, unter denen die Bewohner von Chinatown leiden, darf man nicht vergessen, dass viele Asian Americans Karriere gemacht haben, teilweise so erfolgreich, das es sogar zum Klischee geworden ist.5 Laut dem US Census Bureau liegen die Einkommen von Asian Americans über dem nationalen Durchschnitt, und der Anteil der Asian Americans mit Col­lege­abschluss ist mit 56 Prozent weit höher als der aller anderen ethnischen Gruppen – auch der Weißen.

Indienstämmige US-Bürger, die zahlreich in der Tech- und Gesundheitsbranche tätig sind, scheinen besonders erfolgreich zu sein. Ihr durchschnittliches Haushaltseinkommen ist das höchste aller Einwanderergruppen in den USA. An zweiter Stelle stehen Ame­ri­ka­ne­r:in­nen mit Wurzeln in Taiwan, an dritter solche mit aus­tra­li­schen Wurzeln. Viele wohlhabende ­Asian Americans haben dennoch das Gefühl, nicht als richtige Amerikaner betrachtet zu werden, sondern als ewige Fremde, die im Alltag zahllosen Mikroaggressionen ausgesetzt sind: „Es gibt immer noch Menschen, die glauben, wir stünden insgeheim in Kontakt mit der chinesischen Regierung“, erzählt Esther Tow.

Selbstschutz mit ­Trillerpfeife

Schon in den 1980er Jahren unterschied man in New York zwischen „Downtown-Chinesen“, den Hilfsarbeitern in der Gastronomie und Textilindustrie, die nach Stückzahl entlohnt werden, und „Uptown-Chinesen“, die in den schönen Vierteln von Manhattan oder in den Suburbs wohnten.6 Die Ungleichheit innerhalb der Asian Community, und das fällt in den gesellschaftlichen Diskussionen oft unter den Tisch, wächst seit 40 Jahren, schneller als bei Afroamerikanern oder Latinos. Heutzutage müssen sich Asian American deshalb nicht nur gegen die rassistische Gewalt zu Wehr setzen, sondern auch dagegen, als „Vorzeigeminderheit“ abgestempelt werden. Denn dieses Stereotyp, demzufolge sie von Natur arbeitsam, fleißig und ­unschlagbar in der Schule seien, ruft Neid und Missgunst hervor.

Da in den USA Menschen mit Hochschulabschluss bei der Einwanderung gesetzlich bevorzugt werden, ist es nicht verwunderlich, dass das durchschnittliche Haushaltseinkommen von Asian Americans zu den höchsten zählt. Die Eltern von Tripti Bhatta­char­ya, Lehrbeauftragte an der Syracuse University, kamen beispielsweise als ausgebildete Ingenieure aus Indien.

Bhattacharya findet den Streit um die sogenannte Vorzeigeminderheit insofern interessant, als dadurch „eine Spannung zwischen Migrationspolitik und kultureller Prägung aufgemacht wird. Die Leute glauben, dass Asiaten aufgrund ihrer Kultur so gut abschneiden, aber ich denke, es liegt daran, dass die Gesetze im Laufe der Zeit weniger rassistisch geworden sind.“ Selbst ihre Lehrer, erzählt sie, hätten „ohne es zu hinterfragen“ an das Klischee geglaubt, Asiaten würden wie Maschinen auswendig lernen, ohne Kreativität oder Tiefe. Sie fühlte sich dadurch ihrer Individualität beraubt. Aber das Klischee nütze ihr manchmal auch, denn „die Leute erwarten, dass ich still und zurückhaltend bin. Wenn ich dann etwas sage, hören sie mir aufmerksamer zu.“

Bei den letzten Präsidentschaftswahlen haben 63 Prozent der Asian Americans für Joe Biden gestimmt, unter den 18- bis 29-jährigen waren es sogar 83 Prozent. Allerdings ist die asiatische Wählerschaft nicht monolithisch; 2020 hat sie Donald Trump 7 Pro­zent­punkte mehr Stimmen gegeben als 2016. Und Amerikaner vietnamesischer Herkunft haben sogar mehrheitlich für Trump gestimmt. Dieses Phänomen erklären manche mit der Aversion der ehemaligen Flüchtlinge aus kommunistischen Ländern gegen alles, was mit „Sozialismus“ zu tun hat – Trump versuchte wiederholt Biden mit diesem Begriff zu diskreditieren. Dass die Demokraten die polizeikritische Black-Lives-Matter-Bewegung unterstützen, könnte ebenfalls den Wechsel ins Trump-Lager provoziert haben, weil viele Asian Americans in New York, San Francisco und Los Angeles eher mehr Polizeischutz fordern.

„Vorzeigeminderheit“ oder diskriminiert und ausgebeutet? Um die Vielschichtigkeit der asiatisch-amerikanischen Community zu illustrieren, erzählt Wellington Chen ein buddhistisches Gleichnis: Ein König fordert drei Blinde auf, einen Elefanten zu beschreiben. Jeder Blinde gibt eine andere Antwort, je nachdem, ob er den Rüssel, ein Bein oder ein Ohr betastet hat. „Jeder hat zugleich recht und unrecht.“

1 Siehe Evgeny Morozov, „Machtspiele mit Mikrochips“, LMd, August 2021.

2 Siehe Robert Takaki, „Strangers from a Different Shore: A History of Asian Americans“, Boston (Little, Brown and Company) 1989.

3 „Poverty in NYC“, NYC Opportunity Data Tool, New York.

4 „The Impact of Covid-19 on Asian American Employment in NYC“, Asian American Federation, New York, 26. Januar 2021.

5 Siehe Richard Keiser, „Flucht vor den Fleißigen“, LMd, Oktober 2020.

6 Siehe Robert Takaki (siehe Anmerkung 2).

Aus dem Französischen von Claudia Steinitz

Maxime Robin ist Journalist.

Akademische Diskriminierung

Diversen Umfragen zufolge befürwortet die Mehrheit der Asian Americans positive Diskriminierung (affirmative action). Eine laute Minderheit macht sich allerdings für deren Abschaffung stark, insbesondere bei der Zulassung zu Universitäten. So verklagt der Verein Students for Fair Admission (SFFA) regelmäßig Unis wegen verfassungswidriger Bevorzugung.

Die Organisation vertritt über 20 000 Menschen mit mehrheitlich asiatischer Migrationsgeschichte, die behaupten, bei gleichen Noten würden Afroamerikaner und Latinos bevorzugt. Tatsächlich sind an der Harvard University, die ebenfalls schon mehrfach vom SFFA verklagt wurde, 25 Prozent der Studierenden asiatischer Herkunft. Der Verein bezieht sich vor allem auf eine Studie der Princeton University von 2009, die damals großes Aufsehen erregte, weil ihr zufolge schwarze Studierende mit 1000 Punkten den Aufnahmetest (scholastic assessment test) bestanden hatten, während weiße Be­wer­be­r:in­nen dafür 1310 Punkte und Asian American 1450 Punkte erreichen mussten.

Harvard, wo 2020 nur 4,6 Prozent und 2021 sogar nur 3,4 Prozent der Be­wer­be­r:in­nen aufgenommen wurden, rechtfertigt sich damit, dass die ethnische Herkunft nur ein Auswahlkriterium von vielen sei. Die Eliteuni weigert sich allerdings, die Gewichtung der einzelnen Kriterien – außerschulische Aktivitäten, Persönlichkeit oder Führungspotenzial – offenzulegen. Das Berufungsgericht Massachusetts hat ihr im November 2020 recht gegeben, das Urteil des obersten Gerichtshofs steht noch aus.

Eine Entscheidung zugunsten des SFFA hätte für die Universitäten astronomische Schadensersatzsummen zur Folge. Sie würde auch ein Urteil von 1978 (Univer­sity of California vs. Bakke) aufheben, das zwar Quoten verbietet, aber das Krite­rium der ethnischen Herkunft zulässt, um die Vielfalt zu fördern. In einem Land wie den USA, in dem der Abschluss an einer Eliteuniversität einen dermaßen hohen Stellenwert besitzt, weil er gesellschaftlichen Aufstieg, Ansehen und Reichtum verspricht, wäre die Schockwelle gewaltig.

Eine Alternative wäre die positive so­zia­le Diskriminierung (income based affirmative action). Die Befürworter des ethnischen Kriteriums sind allerdings dagegen, weil dann Schwarze und Latinos benachteiligt würden, die zwar häufig aus Elternhäusern mit geringen Einkommen kommen, aber im Gegensatz zu armen Weißen häufiger keinen Schulabschluss machen und sich daher seltener an den großen Universitäten bewerben. Die Diskussion um positive Diskriminierung ist noch lange nicht vorbei.

Hungern in Little Cambodia

Little Cambodia im Nordwesten der Bronx schrumpft von Jahr zu Jahr. In den 1980er Jahren lebten hier 10 000 Menschen mit kambodschanischen Wurzel, heute sind es weniger als 1000 rund um die Fordham Road. Die junge Generation zieht lieber in dynamischere kambodschanische Viertel in Kalifornien oder Massachusetts.

„Wir haben uns die Bronx nicht ausgesucht“, erzählt ­Chhaya Chhoum in einem virtuellen Kochkurs, mit dem Geld für alte Menschen gesammelt wird. Die Vorsitzende von Mekong NYC, einem Selbsthilfeverein kambodschanischer und vietnamesischer Flüchtlinge, lebt seit 1985 in New York. Sie war sieben, als sie zusammen mit ihren Eltern in einem Flüchtlingslager auf den Philippinen aufbrach. Nach der Unterzeichnung des Refugee Act durch US-Präsident Jimmy Carter 1980 emigrierten 1 Million Menschen aus Südostasien (Kambodscha, Vietnam, Laos) in die USA.

Von den 150 000 Kam­bo­dscha­ne­r:in­nen wurden 10 000 in der Bronx untergebracht, in furchtbar heruntergekommenen Wohnungen, die nicht mehr vermietet werden konnten. Die angestammten Bewohner sahen die neuen Zuwanderer als zusätzliche Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt und das während der Crack-Epidemie. „Die Bronx stand in Flammen“, erinnert sich Chhoum: „Als kämen wir aus einem Kriegsgebiet in ein anderes.“

„Die Migranten, die damals in ihren 30ern oder 40ern hierherkamen, um ein neues Leben anzufangen, sind heute alt und besonders durch Covid-19 gefährdet“, erklärt Chhoum. Sie wirft den New Yorker Behörden vor, der Pandemie nicht gewachsen zu sein, die die Bronx hart getroffen hat. Es fehlt an Übersetzern und Impfstoff, phasenweise sogar an Lebensmitteln. Die alten Leute standen in langen Schlangen vor den Tafeln, zum Beispiel vor der imposanten Kirche St. Nicholas of Tolentine, in der Gottesdienste auf Englisch, Vietnamesisch und Spanisch angeboten werden.

„Es tat weh, sie da so in der Kälte stehen zu sehen, vom Virus bedroht. Wir überlegten, wie man ihnen das Leben ein bisschen angenehmer machen kann.“ Chhoum berichtet, dass viele Migranten aus Kambodscha immer noch an posttraumatischem Stress und Depressionen leiden. Seit 1989 gab es im Viertel die Indochinese Mental Health Clinic, die sich auf die Behandlung mentaler Erkrankungen von Kriegsflüchtlingen spezialisiert hatte, die einzige ihrer Art in New York. 2015 wurde die Klinik trotz massiver Proteste geschlossen. Chhoum spricht von einem allgemeinen Gefühl, im Stich gelassen zu werden, und vom ermüdenden Kampf um Lebensmittelmarken, die der Staat an Bedürftige verteilt. Obendrein droht denen ohne US-Staatsbürgerschaft die Abschiebung. Bei der Grenzpolizei sind aktuell 1900 Kam­bo­dscha­ne­r:in­nen registriert, die auf die Ausweisung in ihr Herkunftsland warten, dessen Sprache und kulturelle Codes sie gar nicht mehr kennen. Nicht selten lassen sie in den USA eine Familie zurück.

Le Monde diplomatique vom 11.11.2021, von Maxime Robin