11.11.2021

Showdown in Bosnien

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Showdown in Bosnien

In Bosnien und Herzegowina droht der mächtigste serbische Politiker, Milorad Dodik, mit der Abspaltung des serbischen Teils der Föderation. Porträt eines Mannes, der gekonnt auf der Klaviatur des Populismus spielt.

von Sead Husic

Banja Luka, 2. Oktober 2021: Protest mit Schweinefüßen RADIVOJE PAVICIC/ap/picture alliance
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Seit vielen Jahren beweist er immer wieder, dass er noch eine Schippe Demagogie drauflegen kann, wie ein Trump des Balkans. Mitte Oktober gab er im Kabinettsraum des Präsidentenpalastes in Sarajevo eine Feier, die er filmen und ausstrahlen ließ. Eingeladen waren treue Gefolgsmänner, man trank Schnaps und sang, von einem Akkordeonspieler begleitet, das Lied: „Eine serbische Mutter hat mich geboren …“. Milorad Dodik, wie er leibt und lebt.

„Diesen Zirkus veranstaltet er, um vor allem den Bosniaken zu zeigen, dass er diesen Staat für einen Witz hält und dass sie nichts gegen ihn machen können, wenn er die seit vielen Jahren angekündigte Sezession des serbischen Landesteils ‚Republika Srpska‘ in die Tat umsetzt“, sagt der bosnische Soziologe Slavo Kukić.

Lange wirkten Dodiks Auftritte wie reine Show. Man hielt ihn für einen Maulhelden, dem die politische Karriere zu Kopf gestiegen ist. Doch der Mann aus dem Städtchen Laktaši scheint nun ernst zu machen. Damit könnte er einen ernsten Konflikt in Bosnien und Herzegowina auslösen, das bereits von 1992 bis 1995 einen verheerenden Krieg erlebt hat.

Aber Dodik ficht das nicht an. Er poltert und flucht, auch auf westliche Medien und Politiker, die angeblich lauter Lügen verbreiten. Die internatio­nale Gemeinschaft und die EU, repräsentiert von Strolchen, Falschmünzern und Dilettanten, sind vereint im Hass auf das serbische Volk. Mit dem einzigen Ziel, Serbien klein zu halten.

Milorad Dodik sitzt im Fernsehstudio des Belgrader Senders Kurier.1 Seit fast zwei Jahrzehnten ist er der mächtigste Politiker der Republika ­Srpska (RS), der einen Hälfte des Gesamtstaats Bosnien und Herzegowina. Dodik ist mal wieder in Fahrt. „Das Experiment Bosnien ist ein Fehlschlag, ein unmöglicher Staat. Und selbst Amerika hat erkannt, dass der Multikulturalismus gescheitert ist und keine Zukunft hat.“ Der Kerl, der als Einziger die Wahrheit ausspricht – das ist die Rolle, in der er sich am besten gefällt.

Derzeit ist Dodik noch Teil des dreiköpfigen Staatspräsidiums, das laut Verfassung von einem Bosniaken, einem Kroaten und einem Serben besetzt sein muss, wobei der Vorsitz alle acht Monate wechselt. Dodik ist es egal, ob er gerade Vorsitzender ist oder nicht. Er macht Politik auf seine Art. Am 20. Juni 2020 fuhr er nach Minsk, um den weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko zu seinem „überragenden Wahlsieg“ zu gratulieren. 2

Die beiden anderen Präsidiumsmitglieder verurteilten den Besuch und erklärten, er habe nichts mit der offiziellen Haltung des Staats Bosnien und Herzegowina zu tun, denn außenpolitische Entscheidungen müssten gemeinsam getroffen werden. Darauf entgegnete ihr serbischer Kollege süffisant, was die anderen sagten, sei ihm egal.

Mächtige Männer und Diktatoren imponieren Dodik. So trifft er sich immer wieder mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán3 , um über die Gefahren der muslimischen Flüchtlingsströme zu sprechen und sich als Bewahrer des christlichen Europa zu geben. Den US-Rechtspopulisten Steve Bannon hat er als Wahlkampfberater engagiert.4 Zu seinen politischen Freunden zählte Dodik den österreichischen Rechtspopulisten Karl-Heinz Strache, den über die Ibiza-Affaire gestolperten Ex-Vizekanzler. Und als Vorbild sieht er natürlich auch den russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Milorad Dodik war nicht immer der Rüpel vom Dienst. Im Frühjahr 1996 suchten die US-Diplomaten nach geeigneten Partnern, um die neue politische Struktur des damals knapp 4 Millionen Einwohner zählenden Landes, die durch die extrem komplizierten Bestimmungen des Dayton-Vertrags vorgegeben war, mit Leben zu füllen. Mit dem kaum bekannten, aber ehrgeizigen serbischen Sozialdemokraten Dodik wurden sie fündig.

Der fast zwei Meter große dunkelhaarige Mann mit dem großem Selbstbewusstsein scheute sich damals nicht, seinen Landsleuten ungeschminkt die Wahrheit zu sagen. „Ich weiß, was in Srebrenica geschehen ist. Das war ein Völkermord“, erklärte er im Fernsehen. Noch heute kann man im Netz die Reden aufrufen, in denen Dodik mit der jüngsten serbischen Vergangenheit abrechnet und Radovan Karadžić, den Gründer der Serbenrepublik in Bos­nien, als „größtes Unglück für das serbische Volk“ bezeichnet.

Das damalige Serbien, das noch Bundesrepublik Jugoslawien hieß, wurde von 1992 bis 1995 von Slobodan Milo­šević diktatorisch regiert. Der mobilisierte die ganze serbische Militärmacht, um den bosnischen Nachbarstaat zu attackieren, Sarajevo 1425 Tage lang zu belagern, Millionen Muslime, Kroaten, Roma zu vertreiben und Lager zu errichten, in denen zehntausende nichtserbische Menschen gefoltert, vergewaltigt und ermordet wurden.

Das erklärte Ziel von Milošević, ein Großserbien zu schaffen, wurde auf bosnischem Territorium von Radovan Ka­radžić und von Ratko Mladić umgesetzt. Der Präsident der Republika Srpska und der Oberbefehlshaber der serbischen Truppen in Bosnien wurden 2019 und 2017 vom Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag verurteilt. Unter anderem wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und wegen des Völkermords von Srebrenica, wo über 8000 Männer und Jungen von der Armee der serbischen Republik ermordet wurden.

Während dieser schrecklichen Kriegsjahre präsentierte sich Dodik sowohl als Gegner des serbischen Nationalismus als auch von Karadžić. Damals soll er muslimische Menschen in seinem Auto über die Grenze aus dem Land geschmuggelt haben.

1998 sorgten US-Diplomaten dafür, dass Dodik zum Premierminister der Republika Srpska (RS) gewählt wurde, obwohl seine Allianz der Unabhängigen Sozialdemokraten (SNSD) im Parlament der Serbenrepublik nur über zwei Sitze verfügte. Möglich war dies, weil die USA gemeinsam mit den Europäern alles unternahmen, um den Dayton-Vertrag, in dem auch die Verfassung des Landes festgeschrieben ist, erfolgreich umzusetzen.

Dieses Abkommen stand von Beginn in der Kritik, weil es zu viele Blockademöglichkeiten vorsah. Dabei hatten die staatsrechtlichen US-Experten die Checks und Balances in der bosnischen Verfassung als Sicherungsmechanismus konzipiert, der die drei Seiten immer wieder zu Kompromissen zwingen sollte. Doch in der Praxis geschah das Gegenteil: Immer wenn sich Serben, Kroaten oder Bosniaken übervorteilt fühlten, legten sie mit einem separaten Veto das politische Leben lahm.

Vom Mittler zum Separatisten

Allerdings bewegte Dodik während seiner ersten Amtszeit ohnehin nicht viel. Bei Fragen wie der Einführung gemeinsamer Pässe, einer Währung, der Zentralbank, einheitlichen Autokennzeichen, staatlicher Hoheitsabzeichen, der Grenzsicherung, einer gemeinsamen Armee, stimmten die serbische und kroatische Seite dagegen, die bosniakische dafür. Der Hohe Repräsentant, im Dayton-Abkommen mit umfangreichen Befugnissen ausgestattet, erließ Gesetze und Bestimmungen, die mehr als 60 Institutionen des Gesamtstaats etablierten, die der Integration der drei Volksgruppen dienen sollten.

Nach 2001 verschwand Dodik für einige Jahre von der Bildfläche, vor allem weil die westliche Diplomatie auf einen neuen Politiker namens Mladen Ivanić setzte. Der Wirtschaftswissenschaftler und Hochschullehrer, der stets seriös auftritt und fließend Englisch spricht, galt als Politikertypus der Zukunft, während Dodik, der aus einfachen Verhältnissen stammt und oft klotzig auftrat, als Auslaufmodell erschien.

Senad Avdić, einer der bekanntesten Journalisten Bosniens, der mehrere von Dodiks Wahlkampagnen begleitete, hat beschrieben, wie wütend Dodik auf die „westlichen Diplomaten“ war, die ihn fallen gelassen hatten.5 2006 eroberte er nach einer extrem nationalistischen Wahlkampagne den Posten des Premierministers der RS zurück. Nun wollte er es allen zeigen. Seither radikalisiert Dodik sich von Jahr zu Jahr immer mehr und fordert immer offener die Abspaltung der RS von Bosnien und Herzegowina.6

Der starke Mann der Republika Srpska argumentiert, der Daytoner Friedensvertrag sei längst von den Bos­nia­ken und der internationalen Gemeinschaft gebrochen worden. „Wir in der serbischen Republik wollen zurück zum ursprünglichen Daytoner Vertrag“, sagt Dodik und verlangt mehr Kompetenzen für seine serbische Entität. In ganz Europa sucht Dodik Rückhalt in rechten Kreisen, um internationale Unter­stützung für sein Anliegen zu finden. Als seine engsten Verbündeten sieht er den serbischen Präsidenten Alexander Vučić und den russischen Präsidenten Putin, mit denen er sich häufig trifft.

Als Donald Trump die US-Präsidentschaftswahlen gewann, tönte Dodik, dass sich die Weltlage zugunsten seiner Politik gedreht habe. Seine Anhänger verstehen das klar als Kampfansage gegen die Bosniaken. Seit Dodiks Wandlung ist der serbische Chauvinismus der 1990er Jahre wieder obenauf. Während der Kriegsverbrecherprozesse in Den Haag trat Dodik als Zeuge der Verteidigung von Ratko Mladić und Radovan Karadžić auf. Als ihn ein bosnischer Journalist mit seinen Aussagen von einst konfrontierte, meinte Dodik achselzuckend: „Ach lass mal, das ist schon lange her.“

Auch zu Srebrenica hat er seine Meinung geändert. „Hier in Srebrenica sollte man ein Mahnmal für die ermordeten Serben errichten“, erklärte er 2020 unverfroren im serbischen Fernsehen. Vor vier Jahren weihte er in Pale, der einstigen Hauptstadt der RS, ein Studentenwohnheim ein – mit einer Gedenktafel zu Ehren des Kriegsverbrechers Radovan Karadžić.

Dodik zieht alle Register, um die Nationalisten hinter sich zu vereinigen. Gleichzeitig stürzt er sein Land immer wieder in eine Staatskrise. Zuletzt im vorigen Jahr, als er es ablehnte, seine Zustimmung zur Aktivierung des Nato-Beitrittsplans zu geben. Noch vor einigen Jahren hatte er einen Beitritt von Bosnien und Herzegowina befürwortet. Und die Abgeordneten seiner Partei hatten vor zehn Jahren in beiden Parlamenten für den Beitrittsprozess gestimmt. Davon will er heute nichts mehr wissen. Beobachter vermuten, dass er den Nato-Beitritt Bosniens blockiert, weil seine neue russischen Partner es nicht gern sehen, wenn die Nato sich auf die Balkan­re­gion ausweitet.

Auf gesamtbosnischer Ebene hatte diese Blockadehaltung zur Folge, dass sich das Präsidium nicht auf die Bildung einer Regierung einigen konnte. Dodik nutzte dies zu einem zornigen Medienauftritt. Die Blockade beweise, dass Bosnien keine Zukunft habe und die ganze Idee eines multiethnischen Staates zum Scheitern verurteilt sei. Dass er selbst die Krise herbeigeführt hat, sagte er nicht.

Der als Hüter des Dayton-Vertrags bestellte Hohe Repräsentant, Valentin Inzko aus Österreich, hat in den vergangenen Jahren von seinen umfassenden Befugnissen nie Gebrauch gemacht. Seine Vorgänger hatten ab und zu unliebsame Politiker aus allen Ämtern entfernt und lebenslang von jeglicher politischen Betätigung ausgeschlossen. Inzko belässt es bei Appellen und fordert immer alle Seiten zu Kompromissen auf. Doch kurz bevor Inzko seinen Posten im Sommer 2021 an den neuen hohen Repräsentanten, den deutschen Politiker Christian Schmidt, übergab, erließ er ein Gesetz, das die Leugnung von Völkermord verbietet.

Das nahm Dodik wiederum zum Anlass, seine neueste Politshow zu inszenieren. „Srebrenica ist kein Völkermord. Damit will man nur die Serben als Volk brandmarken“, sagt Dodik im Fernsehsender der serbischen Republik. Nun setzt er alles in Bewegung, um im Parlament der RS Gesetze verabschieden zu lassen, die alle Institu­tio­nen des Staats Bosnien und Herzegowina auflösen sollen. Fortan sollen die Geheimdienste, das Militär, das höchste Gericht des Landes, das Gesundheitswesen, kurzum alle Befugnisse allein bei der serbischen Republik liegen. Insbesondere eine eigene Armee wäre ein großer Schritt in Richtung Unabhängigkeit. Oder in einen neuen Krieg.

1 In der Sendung vom 31. Oktober 2020, verfügbar auf Youtube.

2 Siehe Nachrichtenagentur Beita, 11. August 2020.

3 Siehe etwa: Euractiv, 24. September 2021.

4 Siehe Danijel Kovacevic, „Bosnian Serb PM Meets Trump’s ‚Alt-Right‘ Former Strategist“, in: Balkan Insight, 1. August 2018.

5 Vgl. Senad Avdić, „Trač partija Senada Avdića: Kako se radikalio Milorad Dodik“, Start, 21. Oktober 2018.

6 Siehe Erich Rathfelder, „Angst vor neuem Krieg“, taz, 27. Februar 2020.

Sead Husic lebt als freier Autor und Schriftsteller in Berlin, zuletzt erschien von ihm der Roman „Gegen die Träume“, Berlin (Divan) 2018.

© LMd, Berlin

Le Monde diplomatique vom 11.11.2021, von Sead Husic