07.10.2021

Mediale Einfalt in Frankreich

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Mediale Einfalt in Frankreich

Vor der Fusion der TV-Sender TF1 und M6

von Marie Bénilde

Kate Waters, Some colour’s returning, 2021, Öl auf Leinwand, 170 x 200 cm
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In den Reaktionen auf die im Mai angekündigte Fusion der Sender TF1 und M6 zeigt sich, wie flach linke Kulturdebatten geworden sind und wie die neue kapitalistische Normalität in Frankreichs Medien aussieht. Als 1983 der Bezahlsender Ca­nal+ durch die Générale des Eaux geschaffen wurde (ab 1998 überführt in das Medienunternehmen Vivendi, das inzwischen zum Bolloré-Konzern gehört) und 1986 der erste öffentlich-rechtliche Sender TF1 privatisiert und mehrheitlich vom Bouygues-Konzern übernommen wurde, gab es erbitterte Diskussionen, aufgeregte Kommentare und kritische Schlagzeilen.

Diesmal findet nichts dergleichen statt, oder jedenfalls fast nichts. Die Sendergruppe TF1 wird ihr Angebot an „Hirnverfügbarkeitszeit“ erweitern, wie ihr ehemaliger CEO Patrick Le Lay im Hinblick auf Werbeblöcke zu sagen pflegte.

Doch der Präsident der französischen Medienaufsichtsbehörde, Roch-Olivier Maistre, äußerte sich schon vor der ersten Anhörung zu dem Projekt, das nächstes Jahr über die Bühne gehen soll, positiv: Es sei „nur natürlich oder zumindest verständlich“, dass Akteure der französischen Medienlandschaft „alles in die Wege leiten“, um „ihre Investitionskapazitäten zu entwickeln und eine gewisse kulturelle Souveränität zu bewahren“. Die Regulierungsbehörde begegne diesen Annäherungsinitiativen „mit Offenheit und Verständnis“.1

Maistre ist da nicht der Einzige. Am 19. Mai gab die Sendung „Instant M“ auf France Inter die allgemeine Richtung vor. Zwei Experten, ein ehemaliger Manager bei Canal+ und bei TF1, Xavier Couture, und ein Mitarbeiter der Zeitschrift Journal du dimanche (die ihrerseits demnächst komplett unter die Kontrolle von Vivendi geraten könnte) waren sich einig, wie die von Bouygues kontrollierte und von Nicolas de Tavernost, dem Chef von M6, geleitete Megafusion einzuschätzen sei. Der deutsche Bertelsmann-Konzern, dem M6 gehört, verlasse, so Couture, „ein Frankreich, das sich für souverän hält und die europäischen Konzerne vergrault, ohne zu bedenken, dass mit dem Internet die großen US-Konzerne“ kommen. Gemeint sind Netflix, Amazon Prime, Disney+ und Apple TV.

„Zusammen erzielen TF1 und M6 weniger Werbeeinnahmen als Goo­gle allein. Der neue Riese ist nur ein Zwerg.“ Das zeige allein schon die Marktkapitalisierung oder die Abonnentenzahl der Streaming-Konzerne, fügte Couture hinzu. Für den Mann vom Journal du dimanche war „die Fusion eine Überlebensfrage für TF1 und M6“, diese würden „ohne ein geeignetes Geschäftsmodell unweigerlich verschwinden“. Beide Sender schafften 2020 zusammen einen Umsatz von 3,36 Mil­liar­den Euro und einen Gewinn von 460 Millionen Euro. Sie wurden von 42 Prozent der täglich 44,3 Millionen Zuschauer genutzt und strichen drei Viertel der TV-Werbegelder ein.

„Ich mache mir keine Sorgen über diese Fusion“, sagte auch Kulturministerin Roselyne Bachelot am 30. August auf France Info. Lediglich Julia Cagé, Ökonomin am Pariser Institut für politische Studien, hält dagegen: Die Meinungsvielfalt, die durch die Fusion angeblich geschützt werden soll, würde im Gegenteil dadurch in Gefahr gebracht. Durch die Zusammenlegung der Redaktionen der M6-Gruppe (einschließlich RTL) und von TF1 zu einer einzigen Nachrichtendirektion dürfte es möglich sein, den Nachrichtenagenturen die Preise zu diktieren und das Wohlverhalten der eigenen Journalisten zu garantieren.

Dafür wird Manager de Tavernost zweifellos sorgen. „Ich kann es nicht hinnehmen, wenn man etwas Schlechtes über unsere Kunden sagt“, hatte er schon 2015 auf Canal+ gewarnt, nachdem er drei Jahre zuvor in der Sendung „Capital“ eine missliebige Reportage aus dem Programm geworfen hatte. Einen Bericht über die Hygiene beim Werbekunden McDonald’s hatte er ebenfalls zensiert.

Die künftige Sendergruppe wird nicht bereit sein, ihre zentrale Rolle bei den Nachrichtensendungen aufzugeben, denn darüber lassen sich Gesetze und Vorschriften beeinflussen, die die Entwicklung eines so großen Telekommunikations- und Bauunternehmens wie Bouygues behindern könnten. Die TF1-Gruppe sucht bereits Käufer für ihre Sender TFX und TF1 Séries Films, um unter der gesetzlichen Grenze von sieben terrestrischen Frequenzen pro Medienunternehmen zu bleiben. Ebenso wie M6 besitzt sie schon fünf.

„Dieser Deal hat nur ein Ziel: Wir wollen versuchen, mit Netflix, Amazon, Disney und anderen Plattformen, die alles niederwalzen, was sich ihnen in den Weg stellt, auf bescheidene Weise zu konkurrieren“, erklärt Emmanuel Du­teil von Europe 1, dessen Mehrheitsaktionär Bolloré sich erfolglos um den Kauf der M6-Gruppe beworben hatte.2 Man brauche einen „französischen und europäischen Champion“.

Bescheidene Konkurrenz für Netflix, Amazon und Disney

Die Verantwortlichen von TF1 und M6 betonen, dass sie sich nicht mehr in einem vom Fernsehen, sondern von digitalen Akteuren dominierten Werbemarkt bewegen. So fordern sie die französische Wettbewerbsbehörde auf, die Analyse des „relevanten Markts“ für Fernsehwerbung auf Videos von You­tube (Google) und Facebook auszuweiten. Das hätte für die beiden den Vorteil, dass ihr Anteil am Werbemarkt etwas geringer aussehen würde. Der Verband der Werbetreibenden dagegen befürchtet vor allem Preiserhöhungen durch die Fusion.

Die Zuschauer müssen eher um das Programm fürchten. Unter den wachsamen Augen de Tavernosts gibt es bei M6 – im Gegensatz zu TF1 – nur selten Sendeformate, die nicht auf Anhieb Gewinne abwerfen. Die Rentabilität von M6 ist fast doppelt so hoch wie die von TF1. Wird die Fusion genehmigt, werden künftig Neuproduktionen streng nach ihren Ertragschancen beurteilt, wodurch französische Filmtalente zu den gefürchteten Streaming-Plattformen abwandern werden.

„Es gibt unter Fachleuten einen Konsens zugunsten der Fusion von TF1 und M6“, twitterte Pascal Rogard, Generaldirektor des Verbands von Rundfunkautoren und -komponisten, deren Verdienst von den Werbeeinnahmen abhängt. Es ist allerdings schwer nachzuvollziehen, wie eine Verringerung des Wettbewerbs das Angebot an Filmen und Serien vergrößern soll. Und wäre eine Kapitalausstattung von 4 Milliarden Euro der fusionierten Sender (anstelle von 2 Milliarden ohne Fusion) wirklich entscheidend angesichts der 200 Milliarden von Netflix? Im Übrigen gibt es mit Salto schon ein Video-on-Demand-Angebot zum Schutz der französischen Filmproduktion, das TF1, M6 und France Télévisions umfasst und von der Wettbewerbsbehörde bereits genehmigt ist.

Der ehemalige sozialistische Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg, der bei der Präsidentschaftswahl 2022 antreten will, wetterte 2010 über „das Fernsehen der Rechten“ und über „das Fernsehen des Geldes“, das „mit Dauerwerbung auf die Unsicheren einprügle“.3 Er kritisierte eine „Verarmung der kollektiven Vorstellungskraft“ und die „Verletzung des politischen Pluralismus“.

Das ist lange her. Auf LCI, dem Nachrichtenkanal von TF1, wurde erst vor zwei Jahren eine Rede des Leitartiklers von Le Figaro, Éric Zemmour, auf einem von der Le-Pen-Enkelin Marion Maréchal organisierten Kongress der Rechtsextremen live und in voller Länge übertragen. Auch von der angeblichen „Kolonialisierung“ durch Einwanderer, dem „großen Bevölkerungsaustausch“ und der „Islamisierung der Stadtviertel“ wird auf diesem Sendeplatz schwadroniert.

Die Wortführer der Linken, begeistert von ihrem eigenen Output auf ihren Youtube- oder Facebook-Kanälen mit vergleichsweise wenigen Followern, haben vergessen, wie viele Zuschauer das Fernsehen in Frankreich immer noch erreicht und wie leicht dieses selbst die reaktionärsten Thesen salonfähig zu machen vermag. Zudem ist die Sendergruppe TF1 mit ihrer direkten Ansprache „der Menschen“ und ihrer Konzentration auf Verbraucherthemen längst nicht mehr politisch auffällig. Verglichen mit dem reichweitenstärksten Nachrichtenkanal BFM TV der Al­tice-­Gruppe und CNews von Canal+, die Ängste schüren und am Schwelen halten, befindet sich TF1 – relativ betrachtet – in der politischen Mitte.

35 Jahre nach der Privatisierung des französischen Rundfunks haben die Zuschauer bald nur noch die Wahl zwischen der Bouygues-Gruppe, die 2007 Wahlwerbung für Sarkozy machte und anschließend eine ganze Reihe von öffentlichen Aufträgen erhielt, Al­tice (unter anderem mit den Sendern BFM TV und Radio Monte Carlo) und dem Bolloré-Konzern, der die französische Politik für seine Interessen in Afrika instrumentalisiert und missliebige Beiträge zensiert.

Zum Glück, könnte man sagen, gibt es noch den öffentlichen Rundfunk. Doch sogar dessen Vorsitzende, Delphine Er­notte, will nichts Beunruhigendes an dem Zusammenschluss von TF1 und M6 erkennen: Es gelte zwar Angriffe auf den Pluralismus und die „Gefahr der Verdrängung“ bei den Sportübertragungsrechten zu vermeiden, doch eine starke private Sendergruppe könnte ihrer Ansicht nach sogar dazu beitragen, die „Notwendigkeit von starken öffentlichen Sendern zu unterstreichen“.4

TF1-Chef Pélission meint, die Behörden könnten dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen – gewissermaßen als Entschädigung – wieder Werbung nach 20 Uhr erlauben. „Wir bereiten uns psychologisch auf einen entsprechenden Antrag von Delphine Er­notte vor“, erklärte er am 7. September.5 Die Rückkehr der Werbung zu jeder Zeit auf France Télévisions wäre die Vollendung der konservativen Revolution im französischen Fernsehen.

1 Les Echos, 8. September 2021.

2 Europe 1, 28. Juli 2021.

3 Le Point, Paris, 1. Oktober 2010.

4 Le Figaro, Paris, 24. August 2021

5 Les Echos, 8. September 2021.

Aus dem Französischen von Nicola Liebert

Marie Bénilde ist Journalistin.

Le Monde diplomatique vom 07.10.2021, von Marie Bénilde