Der Widerstand der Kleidermacher
„Just Garments“ und die Globalisierungvon Philippe Revelli
Auf den ersten Blick unterscheidet sich die Konfektionsfirma „Just Garments“ kaum von anderen mittelamerikanischen Maquilas: eine riesige Halle mit Neonbeleuchtung, an den aufgereihten Nähmaschinen vorwiegend Frauen. Die Löhne sind kaum höher als anderswo, aber das Betriebsklima, so die Beschäftigte Marlène Alvarado, „ist jetzt viel besser als damals, als das Unternehmen noch Tainan hieß“.
Im Mai 2000 ließ sich das taiwanische Unternehmen Tainan SA in der Freihandelszone von San Bartolo, einem Vorort von San Salvador, nieder. Einige Monate später beschloss eine etwa zwölfköpfige Gruppe von Arbeitern, eine Gewerkschaftszelle zu gründen. Zum ersten Konflikt mit der Betriebsleitung kam es anlässlich des Erdbebens im Januar 2001. Die Gebäude der Firma waren beschädigt worden, und viele Beschäftigte hatten den Verlust von Angehörigen oder die Zerstörung ihrer Wohnungen zu beklagen. Dennoch weigerte sich der taiwanische Geschäftsführer Wu Tao Chang, einen Tag frei zu geben, und ordnete trotz der Sicherheitsrisiken die sofortige Wiederaufnahme der Arbeit an. „Ich stieg auf einen Stuhl“, erinnert sich Ruben Orellana, einer der Gründer der Gewerkschaftszelle, „und rief die Arbeiter auf, nach Hause zu gehen; wir haben dann gemeinsam die Fabrik verlassen.“
Diese Kampfbereitschaft überraschte die Geschäftsleitung ebenso sehr wie die Gewerkschaft Fenastras, der die Tainan-Gewerkschafter angehörten. Bei Fenastras ist vom Kampfgeist der Achtzigerjahre nicht mehr viel zu spüren. Im November 1989, mitten im Bürgerkrieg, als die Befreiungsbewegung Frente Farabundo Martí para la Liberación Nacional (FMLN) eben eine Großoffensive auf San Salvador startete, wurden bei einem Bombenattentat etliche hochrangige Fenastras-Funktionäre getötet. Die letzten Überlebenden der „historischen“ Führungsriege mussten ins Exil gehen.
Die derzeitige Führung pflegt einvernehmliche Beziehungen zum Arbeitgeberverband und zum Arbeitsministerium. Sie benutzt die Betriebszellen als Unterpfand, um sich im Konfliktfall als Vermittler anzudienen. Dass sie dabei Vereinbarungen aushandelt, die den Beschäftigten zum Nachteil gereichen, vergelten ihnen die Arbeitgeber mit einer Beteiligung an den eingesparten Arbeitskosten.
Nach vergeblichen Versuchen, die Aktivisten bei Tainan zur Räson zu bringen, schloss die Fenastras sie aus. Daraufhin wandten sich die Gewerkschafter der Textilgewerkschaft zu. Auf die Repressalien der Betriebsleitung, die die Bewegung zu zerschlagen suchte, reagierten sie mit verstärkter Mobilisierung. Am 18. April 2002 waren über die Hälfte der Beschäftigten organisiert – genug, um bei der Arbeitsinspektion einen Antrag auf Anerkennung als Verhandlungspartner der Arbeitgeber stellen zu können. Als die Tainan-Leitung vier Tage später die Einstellung ihrer Aktivitäten in El Salvador bekannt gab, besetzten die Arbeiterinnen sogleich die Fabrik, um den Abtransport der Maschinen zu verhindern, und appellierten an die internationale Solidarität.
Unterstützung kam von der US-Gewerkschaft AFL-CIO sowie den United Students Against Sweatshops (USAS) und der Campaign for Labour Rights,1 die die Tainan-Auftraggeber (GAP, Land Ends, Footlocker, lauter große Bekleidungsfirmen) auf die Nichteinhaltung des Verhaltenskodex aufmerksam machten. Während ihres Besuchs in den USA gelang es der Tainan-Arbeiterin María Luz Panamena, sich Zugang zur Hauptversammlung der GAP-Aktionäre zu verschaffen. Als der Vorstandsvorsitzende die sozial verantwortliche Politik des Unternehmens lobte, rief sie in den Raum: „Mister Fish, ich komme aus El Salvador, und ich bin stolz darauf, für GAP Kleidung herzustellen. Aber in diesem Punkt lügen Sie.“
Am 13. Juni 2002 fanden in 31 amerikanischen Städten Kundgebungen vor Footlocker-Läden statt, doch die Unternehmensleitung verweigerte zur Frage der Gewerkschaftsfreiheit in ihren Auftragsfirmen die Stellungnahme. In Taiwan demonstrierten Aktivisten von „Focus on Globalization“ vor dem Tainan-Sitz. In Kambodscha drohte die Belegschaft der Tainan-Fabriken mit Streik.2 Und in San Salvador protestierten die Arbeiterinnen vor der taiwanischen Botschaft. Tags drauf erklärte sich Tainan einverstanden, im Beisein internationaler Beobachter ein Treffen zwischen Gewerkschaftern und Betriebsleitung zu organisieren.
Gerechte Kleidung aus El Salvador
Am 21. November gelangten die im Radisson-Hotel in San Francisco tagenden Konfliktparteien schließlich zu einer Einigung: Tainan stellt das nötige Kapital zur Wiedereröffnung einer Maquila mit 120 Maschinen zur Verfügung – mit der Option einer Aufstockung auf 600 Maschinen, wenn die Auftragslage es erlaubt – und finanziert einen Entschädigungsfonds für Gewerkschafter, die auf schwarzen Listen stehen. Die Belegschaft wird in der Betriebsleitung vertreten sein, und 50 Prozent des Jahresgewinns sollen unter den Beschäftigten aufgeteilt werden. Das neue Unternehmen soll „Just Garments“ (gerechte Kleidung) heißen.
Damit waren die Probleme der Beschäftigten jedoch noch längst nicht gelöst. Ricardo Safi, Angehöriger einer der Großgrundbesitzer-Familien in El Salvador, die in der Freihandelszone San Bartolo 80 Prozent der Grundstücke und Gebäude besitzt, weigerte sich, an ein „vergewerkschaftetes“ Unternehmen zu vermieten. Die anderen Immobilienbesitzer taten es ihm gleich. „Just Garments“ musste auf eine marode Lagerhalle ausweichen und konnte die Produktion mangels Aufträgen nicht vor dem Oktober 2003 aufnehmen.
Gilberto García, der als Vertreter des Wissenschaftlichen Zentrums zur Unterstützung der Arbeiter (Cela) bei den Verhandlungen in San Francisco dabei war, erinnert sich, dass „der GAP-Vertreter damals kurz bei uns auftauchte, sich jedoch bezüglich der Zukunft des Experiments auf keine Zusagen festlegen wollte“. Die beispiellose Situation, die durch die Vereinbarung mit dem taiwanischen Unternehmen entstanden war, beleuchtet schlaglichtartig die zweideutige Haltung der US-Firmen, die sich weigerten, das Spiel mitzuspielen.
Nach einer abermaligen Aufklärungskampagne beendeten GAP und Lands End mit der Zahlung einer Abfindung an „Just Garments“ die Geschäftsbeziehung. Auch der Boykott durch die anderen Maquilas machte dem Unternehmen zu schaffen. „Auftragsvergaben der Maquilas untereinander bilden einen nicht unerheblichen Teil der Geschäftstätigkeit des Sektors“, erklärt der neue Geschäftsführer Nelson Morales. „Aber keiner der Kollegen, die ich ansprach, wollte uns Aufträge geben – wobei sie durchblicken ließen, dass das an der ‚Vergewerkschaftung‘ unseres Unternehmens lag.“ Am Rande des Bankrotts erhielt „Just Garments“ in letzter Minute, im August 2004, seine ersten Aufträge.
Langsam füllte sich das Auftragsbuch. So können derzeit rund 100 Arbeiterinnen beschäftigt werden, und dies unter ganz anderen Arbeitsbedingungen als in den anderen Maquilas. Die Arbeiterinnen sind zufrieden: „Ich kann mit meiner Nachbarin sprechen, zur Toilette gehen oder ein Glas Wasser trinken, ohne dass man mich verwarnt.“ – „Schwangere sind nicht mehr von Entlassung bedroht.“ – „Überstunden werden bezahlt, man versucht uns nicht mehr zu bescheißen.“ Neulinge wundern sich: „Die Gewerkschafter verstecken sich nicht.“
Nelson Morales gibt jedoch zu bedenken: „Wir sind keine Nichtregierungsorganisation, die von Zuschüssen lebt. Es ist schwer, einen Ausgleich zwischen den anfänglichen Idealvorstellungen und den wirtschaftlichen Sachzwängen zu finden.“ So liegen die Löhne nur wenige Cent über dem gesetzlichen Mindestlohn. Und nach einem schwierigen Geschäftsjahr arbeitet das Unternehmen noch kaum kostendeckend, so dass keine Gewinne zur Verteilung an die Arbeiterinnen zur Verfügung stehen, wie es eigentlich im Vertrag mit Tainan vorgesehen ist.
Um den Arbeiterinnen künftig anständige Löhne zahlen zu können, setzt „Just Garments“ auf Produktivitätssteigerungen. Belegschaft und Betriebsleitung denken gemeinsam über Verbesserungen im Produktionsablauf nach und suchen nach neuen Absatzmöglichkeiten im gerechten fairen Handel. „Man sollte sich jedoch keinen Illusionen hingeben“, meint García. „Solange unsere Auftraggeber – Markenhersteller und Großhandel – 2,45 Dollar je Dutzend T-Shirts zahlen, die sie in ihren Läden für das Fünfzigfache verkaufen, bleibt unser Handlungsspielraum gering.“