Schmutzflecken, die nicht weggehen wollen
In den „Maquilas“, den neuen Textilfabriken Mittelamerikas, haben sich die Arbeitsbedingungen trotz öffentlicher Kritik kaum verbessert. Die Manager wehren sich weiterhin gegen jede Form gewerkschaftlicher Arbeit. Sie drohen mit Gangstern und Schließung – das funktioniert von Philippe Revelli
Frühmorgens in Villa Nueva, einem Arbeitervorort von Guatemala-Stadt. Fliegende Händlerinnen postieren sich mit ihren Ständen an den Eingängen der Maquilas1 , jener Weltmarktfabriken, die ausschließlich für ausländische Konzerne produzieren. Hinter ihren dampfenden Kochtöpfen warten sie auf die Ankunft der Werkbusse. Einige der oft jungen Arbeiterinnen löffeln noch wortlos eine heiße Maisbrühe, dann eilen sie an ihren Arbeitsplatz. Sie kommen aus den ärmlichen Vierteln der Umgebung, und augenscheinlich achten sie sehr auf ihr Äußeres. Wachleute verriegeln hinter ihnen die Werkstore.
Hier in Guatemala wie überall in Mittelamerika begann der Boom der Maquilas in den Neunzigern. Nach über zehnjährigem Bürgerkrieg herrschte wieder Frieden in den Ländern Guatemala, El Salvador und Nicaragua, einer Region, die wegen ihrer Nähe zu den USA und den im Vergleich zu Mexiko niedrigen Löhnen und exorbitanten Steuervorteilen2 für die Textilindustrie besonders attraktiv ist. Überdies gewährt Washington den mittelamerikanischen Ländern seit 1984 die praktisch unbeschränkte Möglichkeit, Textilien in die USA zu exportieren.
Für die asiatischen Länder, deren Exporte in die USA weiterhin kontingentiert sind, entwickelte sich die Region daher zum wichtigsten Einfallstor auf den amerikanischen Markt. Gleichzeitig hatte die Landwirtschaft der Region unter dem Verfall der Weltmarktpreise für Kaffee und andere Agrargüter zu leiden und musste darüber hinaus die Kosten der Strukturanpassungsprogramme von IWF und Weltbank tragen. Dadurch begünstigt, erobert die Maquila-Industrie die „Agrarländer“ Mittelamerikas.
Derzeit arbeiten in den mittelamerikanischen Maquilas rund 350 000 Beschäftigte; drei Viertel von ihnen sind Frauen. In Guatemala stammen aus diesem Sektor 18 Prozent aller Exporte, aus El Salvador 58,7 Prozent, in Honduras sind es 47,2 Prozent, in Nicaragua 58 Prozent, weshalb die Regierungen dieser Länder die Maquilas gern als Motoren der regionalen Entwicklung darstellen.3 Bei näherem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass man den volkswirtschaftlichen Nutzen der Maquilas stark relativieren muss. Die Rohstoffe stammen aus dem Ausland, zum Steueraufkommen tragen die Maquilas rein gar nichts bei, und die Arbeitsplätze sind unsicher, gering qualifiziert und schlecht bezahlt.
Seit am 1. Januar 2005 das Multifaser-Abkommen auslief, das die Textilexporte nach Nordamerika und Europa beschränkte, hockt den mittelamerikanischen Maquilas die chinesische Konkurrenz im Nacken. Am Sitz des Branchenverbands Vestex in Guatemala-Stadt herrscht gleichwohl verhaltener Optimismus: „In puncto Lohnkosten können wir mit China nicht mithalten“, räumt die Verbandsvorsitzende Carla Caballeros ein, „aber unsere große Stärke ist weiterhin die geografische Lage Guatemalas. Und die Rückkehr zur vollständigen Fabrik als Fertiganbieter, also die Vereinigung aller Produktionsschritte unter einem Dach, ist bereits weit gediehen. Gerade im Modesektor, wo unsere Kunden immer kürzere Lieferzeiten erwarten, lautet das Zauberwort: schneller Marktzugang und Flexibilität.“ Zwischen Auftrag und Lieferung in die Vereinigten Staaten vergehen bei den asiatischen Herstellern zwei Monate. Bei den guatemaltekischen Maquilas sind es nur zwei Wochen.
Doch dieser Vorteil allein reicht nicht, klagt Carla Caballeros: „Wir brauchen die Unterstützung der Regierung, um für ausländische Investoren attraktiver zu werden. Beispielsweise durch einfachere Zollformalitäten. Hier hat Guatemala im Vergleich zu anderen Ländern der Region einen deutlichen Nachholbedarf.“ In El Salvador wiederum sind angeblich die Strompreise für Industrieunternehmen zu hoch. Vizepräsidentin Ana Vilma Escobar geht es denn auch um Strom aus Wasserkraft: Sie befürwortet „niedrigere Tarife und höhere Investitionen“4 .
Erst öffentliche Proteste verbessern die Lage
Der Plan Puebla Panamá (PPP) dient angeblich der nachhaltigen und integrierten Entwicklung, ist aber tatsächlich im Rahmen der diversen Freihandelsabkommen zu sehen. Er fasst den Bau von mehreren Dutzend Wasserkraftwerken und ein Stromverbundnetz für die Region ins Auge.5 Carla Cabelleros hierzu: „Alles, was die Qualität der Infrastruktur und der Dienstleistungen verbessert, die wir ausländischen Unternehmen bieten können, schafft automatisch neue Anreize, sich in der Region zu engagieren.“ Noch wichtiger wäre ihrer Meinung nach die Ratifizierung des Zentralamerikanischen Freihandelsabkommens (Cafta), das die wirtschaftliche Bindung der Region an die Vereinigten Staaten stärken soll. El Salvador, Honduras und Guatemala haben das vom US-Kongress noch nicht gebilligte Abkommen bereits ratifiziert, bei den Basisorganisationen in der Region stößt es jedoch auf heftige Kritik.
Gewiss, der Vertragstext umfasst auch ein Kapitel über die Rechte der Arbeitnehmer, eine „Errungenschaft“, die vor allem auf Druck der US-Gewerkschaften zustande kam. „Die großen Markenhersteller berücksichtigen bei ihren Entscheidungen, in welchen Ländern sie sich niederlassen und mit welchen Unternehmen sie zusammenarbeiten wollen, inzwischen auch das Verhältnis zwischen Angestellten und Arbeitgebern“, unterstreicht Carla Caballeros. „Jede Maquila muss heute den Verhaltenskodex einhalten, den ihr der Kunde vorschreibt, sodass die Arbeitsbedingungen in diesen Unternehmen längst nicht mehr dem verheerenden Bild entsprechen, das von den Medien verbreitet wird.“6
In den Vereinigten Staaten wurden die meisten großen Markenhersteller (GAP, Liz Clairborne, Nike, Reebok) durch Aufklärungskampagnen über die in den Maquilas herrschenden Arbeitsbedingungen und durch entsprechenden gewerkschaftlichen Druck tatsächlich gezwungen, einen Verhaltenskodex aufzustellen. Das schlachteten die Firmen umgehend für ihre Werbung aus; fortan erwarten sie von den Maquilas ein in der Öffentlichkeit präsentables Erscheinungsbild.
Der letzte Schrei des guatemaltekischen Textilverbands Vestex zur Aufbesserung des eigenen Branchenimages, ein System zur „alternativen Konfliktlösung“ (RAC), befindet sich noch im Versuchsstadium. Es sieht die die Ausbildung „unabhängiger“ Mediatoren durch Vestex vor, die nach Auskunft von Carla Caballeros „bei Konflikten frühzeitig intervenieren sollen, damit der langwierige und kostspielige Weg über Arbeitsinspektion und Gerichte vermieden werden kann“. David Morales, Generalsekretär der Nahrungsmittelgewerkschaft Festras, empört sich: „Wie kann man gleichzeitig Richter und Partei sein!“ Er sieht in der RAC nur „einen Schritt hin zur Privatisierung der Justiz“.
Tatsache ist jedenfalls, dass Beleidigungen und körperliche Gewalt, ungerechtfertigte Entlassungen vor allem von Schwangeren, sexuelle Belästigung, endlose Arbeitszeiten, unbezahlte Überstunden und die Vorenthaltung gesetzlich vorgeschriebener Leistungen nach wie vor an der Tagesordnung sind. Nach Auffassung von Lucrecia Bautista, Koordinatorin der Maquila-Abteilung im Auditbüro Coverco, liegt das Problem jedoch nicht in unzureichenden arbeitsrechtlichen Regelungen: „Die mittelamerikanischen Arbeitsgesetze sind gut, aber ihre Bestimmungen werden in den Maquilas regelmäßig verletzt. Den meisten Regierungen fehlt der politische Wille, sie durchzusetzen.“ Die Arbeitsinspektion reagiert auf Verstöße denn auch mit bemerkenswerter Nachsicht. „Wundern braucht man sich darüber nicht“, meint Gabriel Zelada, Vorsitzender des Zentrums für Studien und Unterstützung der lokalen Entwicklung (Ceadel)7 . Zumal wenn ein Minister auf entsprechende Fragen antwortet, man müsse um jeden Preis vermeiden, die Investoren zu verschrecken; oder wenn man bedenkt, dass die Generalinspektorin für Arbeitsfragen, Aïda Celeste Ayala, selbst von Vestex kommt und dort ihre Ausbildung erhalten hat. Im September 2004 räumte ein Arbeitsinspektor in Chimaltenango dem Autor gegenüber ein, er habe ausdrückliche Anweisung, nichts zu unternehmen, was der Maquila-Industrie missfallen könnte.
Arbeit mit der „chinesischen Gefahr“
Anders als die Arbeitgeberverbände behaupten, lässt sich aus der Öffnung der Märkte, dem schärferen Wettbewerb und der „chinesischen Gefahr“ sehr wohl das Argument schmieden, höhere Wettbewerbsfähigkeit sei nur durch niedrigere Arbeitskosten zu erzielen. Nicht unbegründet daher die Befürchtung des Internationalen Bunds Freier Gewerkschaften (IBFG), „dass sich die sowieso schon schlimmen Arbeitsbedingungen in den Maquilas weiter verschlechtern“ könnten. In diese Richtung weist jedenfalls eine Studie des guatemaltekischen Exportverbands Agexpront, die neben einer Senkung des Mindestlohns auch eine „Lockerung der arbeitsrechtlichen Bestimmungen“ sowie die „Einschränkung der gewerkschaftlichen Macht“ empfiehlt.9
Um sich der Willfährigkeit ihrer Beschäftigten zu versichern, setzen die Chefs der Maquilas alles daran, gewerkschaftliche Aktivitäten in ihren Betrieben zu unterbinden. Dass sie dabei nicht sonderlich zimperlich vorgehen, mag der Bericht einer Arbeiterin belegen, die bei Choishin beschäftigt ist, eine der Maquilas in Villa Nueva bei Guatemala-Stadt. Als dort nach mehrmonatigen geheimen Vorbereitungen 2002 eine Gewerkschaftszelle gegründet wurde, reagierte die Betriebsleitung prompt: „Mehrere Kolleginnen wurden einen ganzen Tag im Büro des Geschäftsführers festgehalten und sollten ihre freiwillige Kündigung unterschreiben. Der Sicherheitsdienst des Unternehmens folgte uns bis vor unsere Haustür und drohte uns mit dem Tod –was in Guatemala nicht auf die leichte Schulter zu nehmen ist. Dann gab die Unternehmensleitung bekannt, sie werde den Betrieb schließen, alle würden entlassen, und schuld daran sei die Gewerkschaft. Daraufhin beschimpften uns die anderen Frauen und bewarfen uns mit Steinen und Wasserbeuteln. Es war schrecklich, das dauerte mehrere Wochen, einige gaben auf.“
Wer sich organisieren will, muss mit Rauswurf rechnen
Gewerkschaftlich organisierte Betriebe werden im Allgemeinen sofort geschlossen, wenn sich die Arbeiterinnen nicht schon im Vorfeld von ihren Forderungen abbringen lassen. Als Begründung wird in solchen Fällen mangelnde Rentabilität oder Umstrukturierungsbedarf vorgeschoben. Doch wenig später öffnet der Betrieb unter anderem Namen oder in einem Nachbardorf erneut.
Auch der Geschäftsführer von Dong Bang Fashion, einer Maquila in Chimaltenango, zeigte sich hier vorausschauend. „Als er von der Gewerkschaft hörte“, erzählt Gabriel Zelada, „bestellte er eine Gruppe von Arbeitern zu sich, die einer örtlichen mara, einer Verbrecherbande, angehören, und ließ sie wissen, im Fall einer Gewerkschaftsgründung würde man sie als Erste entlassen. Was sie dagegen unternehmen wollen, bleibe ihnen überlassen. Die Gewaltbereitschaft der Bande war bekannt und hing fortan wie ein Damoklesschwert über den Aktivisten. Eine Gewerkschaft gibt es bei Dong Bang bis heute nicht.“
Über bekannte Gewerkschaftsaktivisten und mutmaßliche Sympathisanten führen die Arbeitgeber schwarze Listen, die sie untereinander weiterreichen. Die Existenz dieser Listen bestreiten sie natürlich. „Aber der Geschäftsführer von Rotex in Chimaltenango hat mir gegenüber zugegeben, dass er regelmäßig solche Listen erhalte“, erzählt Zelada. „Er behauptete natürlich, ihnen keinerlei Beachtung zu schenken.“
Dabei steht der Grundsatz der Vereinigungsfreiheit ausdrücklich in den Verhaltenskodizes, deren Umsetzung die Auftraggeber der Maquilas angeblich gewährleisten können. „Wenn unser Hauptkunde Liz Clairborne uns mit einem Audit beauftragt“, so Lucrecia Bautista, „schicken wir ihm jeden Monat einen vertraulichen Bericht. Häufig bemängeln wir dabei auch Angriffe auf die Vereinigungsfreiheit. Beziehen sich unsere Empfehlungen auf den Einbau fehlender Sanitäranlagen oder die Einrichtung eines Notausgangs, werden sie manchmal sogar befolgt. Aber dass ein gesetzwidrig entlassener Gewerkschafter wieder eingestellt worden wäre, ist mir nicht bekannt. Manchmal werden Verwarnungen ausgesprochen, aber die Maquilas kümmert das nicht. Anstatt nun aber den Lieferanten zu wechseln, machen die Markenhersteller geltend, dass man einen neuen Lieferanten vorab einem Audit unterziehen müsste und dass dies zu schwerfällig wäre.“
Resultat der ständigen Schikanen: Die Präsenz der Gewerkschaften im Maquila-Sektor nimmt ab. Nach einer Untersuchung der Gemeinsamen Plattform Mittelamerikanischer Gewerkschaften10 gibt es nur in 45 der insgesamt 1 212 zentralamerikanischen Maquilas eine Gewerkschaftszelle, in Guatemala nur in 3 von 236.
Ein Beispiel erfolgreicher Gewerkschaftsarbeit in El Salvador (siehe Artikel unten, Red.) ist auch den Chefs der Maquilas nicht entgangen. Kein Wunder, wenn sie um jeden Preis verhindern wollen, dass es Schule macht. Als die Gewerkschafter der Nobland International Factory (NB) in Guatemala-Stadt vor den Werkstoren den ersten Jahrestag der Gründung ihrer Betriebsorganisation feierten, spielte eine Mariachi-Band, und die eintreffenden Arbeiterinnen wurden mit Kaffee und Tamales bewirtet. Einige ließen mit sich reden, andere davon abschrecken, dass ein Vertreter der Betriebsleitung eifrig die Anwesenden notierte und der Sicherheitsdienst sich auf der anderen Straßenseite aufgebaut hatte.
Nach Choishin und Cimatextiles ist NB in Guatemala die dritte Maquila mit gewerkschaftlicher Präsenz. Doch die Erfolge fallen eher mager aus. Außer einem Monatszuschlag von 13 Euro und der Erlaubnis, ohne Meldung bei der Vorarbeiterin zur Toilette gehen zu dürfen, beschränken sie sich auf die Anerkennung von Rechten, die ohnehin gesetzlich verbrieft sind. „Wir hatten gehofft, das Experiment werde allmählich Schule machen“, räumt Mary Mejia ein, die den Festras-Ableger „Zentrum zur Unterstützung der Maquila-Arbeiterinnen“ koordiniert. „Aber die Arbeitgeber lassen nicht locker und versuchen, Zwietracht zu säen und die Gewerkschaft zu schwächen. Unsere Lage ist ungewisser denn je, und ohne internationale Solidarität werden wir wohl nicht viel erreichen können.“