09.12.2021

Dreck am Stiefel

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Dreck am Stiefel

Die Umweltsünden der US-Armee

von Bruce Stanley

Burn pit auf der Balad-Militärbasis, Irak, März 2008 JULIANNE SHOWALTER/picture-alliance/U.S. Department of Defense
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Am 2. Juli 2021 mussten die afghanischen Sicherheitskräfte feststellen, dass die US-Soldaten über Nacht vom Luftwaffenstützpunkt Bagram nördlich von Kabul abgezogen waren. Auf dem Gelände des größten afghanischen Flughafens und der umliegenden veritablen Stadt – mit Krankenhäusern, Schulen, Einkaufszentren und Bunkern – hatten sie nicht nur Berge von Munition, kaputtes Militärgerät und eine 96 Mil­lionen Dollar teure, drei Kilometer lange Betonpiste zurückgelassen, sondern auch Fahrräder, Krankenhausabfälle, hunderte Lkws und Kleintransporter, gepanzerte Fahrzeuge, Möbel aller Art und Unmengen Plastikflaschen.

Vor der Aufgabe der Feldlager Camp Leatherneck und Camp Bastion in der Nähe von Laschkar Gah im Südwesten des Landes hatte das US-Militär die Panzer abtransportiert und die persönliche Besitztümer der Soldaten sowie den größten Teil des Magazins mit 25 000 Tonnen Lebensmitteln mitgenommen. Um all das aus Afghanistan herauszubringen, organisierte die US-Luftwaffe mehr als 1000 Flüge mit schweren Transportmaschinen. Die rund 17 000 privaten Auftragnehmer, die noch bis März im Land waren, haben Afghanistan ebenfalls verlassen. Insgesamt hatten die USA auf dem Höhepunkt ihres Engagements im Jahr 2011 fast 200 000 Soldaten und Ange­hörige privater Sicherheitsfirmen vor Ort.

Für den Irak kündigten Präsident Joe Biden und der irakische Premierminister Mustafa al-Kadhimi am 26. Juli 2021 auf einer gemeinsamen Pressekonferenz den Abzug auch der letzten US-Kampftruppen an, zugleich aber die Fortsetzung ihrer „strategischen Allianz“. Der große Verbündete stellt weiter Personal ab, das die irakische Armee ausbilden und mit dem irakischen Geheimdienst kooperieren soll. Am Ende ihrer massiven Truppenaufstockung („surge“) von 2007 hatten die USA mehr als 300 000 reguläre Soldaten und Söldner privater Militärunternehmen stationiert, die auf rund 70 Militärbasen und andere Einrichtungen verteilt waren.

Auch in der Golfregion hat das US-Militär seinen „Fußabdruck“ in letzter Zeit etwas reduziert. So wurden im Sommer 2021 Patriot-Luftabwehrsysteme sowie ein THAAD-Raketenabwehrsystem aus Saudi-Arabien abgezogen, desgleichen Kampfflugzeuge, die auf der Prince Sultan Airbase stationiert waren.

Seitdem 1958 mehrere tausend US-Marines in Beirut landeten, um die prowestliche Regierung von Ca­mille Chamoun zu stützen, hat Washington Millionen weiterer Soldaten in den Nahen und Mittleren Osten entsandt. Mit 60 000 Männern und Frauen ist die heutige Militärpräsenz in der Region jedoch deutlich geringer als noch 2003 oder 2007. Die meisten von ihnen sind nach Hause zurückgekehrt oder wurden in andere Ecken der Welt verlegt.

Die Umwelt allerdings hat ein langes Gedächtnis. Nichts ist vergessen in diesen Ländern, wo die Bevölkerung noch immer unter der giftigen Hinterlassenschaft des US-Militärs und seiner Subunternehmer zu leiden hat. Zu­rückgeblieben sind nicht nur Berge von

abgelegten Turnschuhen und Sporttrikots und Unmengen Plastikmüll, sondern auch abgereichertes Uran, das den Boden kontaminiert, tausende „Burn pits“, in denen Müll verbrannt wurde, verseuchtes Grundwasser, häufig toxischer Schutt von zerstörten Gebäuden, zurückgelassene Waffen und Munition. Hinzu kommen noch eine massive Luftverschmutzung und verseuchte Meeresgewässer, in denen sich Ölrückstände und nicht abgebaute Giftstoffe ausbreiten.

Überall dort, wo das US-Militär längst am Horizont verschwunden ist, hat es gefährliche Rückstände hinterlassen, wie etwa Agent Orange in Südostasien. Da solche Stoffe nicht leicht abbaubar sind, werden sie noch jahrhundertelang die Umwelt, die Gesundheit und die Lebensgrundlagen von vielen Menschen bedrohen.

Auch im Nahen Osten haben die US-Truppen ihren „Konfliktmüll“ 80 Jahre lang illegal entsorgt. Man hat den Abfall einfach liegen gelassen und nirgends hat das Pentagon Verantwortung übernommen für die tausendfach durch US-Soldaten verursachten Umweltschäden.

Wenn es um den umweltschädlichen „Fußabdruck“ der US-amerikanischen „boots on the ground“ in der Nahostregion geht, sind als Erstes die Treibhausgasemissionen zu nennen: ein Cocktail aus CO2, Methan, Distickstoffmonoxid und fluorierten Gasen, freigesetzt durch militärische Ope­ra­tio­nen und alle Militäreinrichtungen, die dem Centcom, dem Regionalkommando der USA für den Nahen Osten, Ostafrika und Zentralasien, unterstehen.

Das US-Verteidigungsministerium gilt als die Institution, die weltweit die größte Menge an Treibhausgasen produziert. Die enormen Emissionen im Nahen Osten sind die Summe einer ganzen Reihe verschiedenartiger Aktivitäten: Da ist zunächst der Einsatz von Fahrzeugen (ein Humvee der US-Armee verbraucht 50 Liter Diesel auf 100 Kilometer), Schiffen, Flugzeugen und anderem Militärgerät; dazu kommen Serviceleistungen und taktische Unterstützung im Rahmen solcher Kampfeinsätze; Stabsübungen und Manöver; der Transport von Personal zu entfernten Einsatzorten; die Stromerzeugung für Militärbasen und für private Subunternehmen; der Betrieb von Müllentsorgungs- und Kläranlagen; aber auch Reisen von Mitarbeitern privater Firmen.

Eine besondere Belastung für Mensch und Umwelt ist der Dieselruß, der von Schiffsmotoren ausgestoßen wird und der eine Mischung höchst schädlicher Partikel enthält, die auch zum Klimawandel beitragen. Speziell in Küstennähe hat sich die Luftqualität zum Teil drastisch verschlechtert, weil die im Hafen liegenden Kriegsschiffe ihre Dieselmotoren zur Stromerzeugung nutzen und dabei große Schadstoffmengen ausstoßen.

Im Frühjahr 2020 etwa hatte das Centcom für längere Zeit zwei Flugzeugträgerkampfgruppen gleichzeitig ins Arabische Meer entsandt. Zusätzlich befand sich zur selben Zeit auch noch eine amphibische Einheit (ARG) in der Region.1

Der vor Kurzem um ein Trockendock erweiterte Hafen von Duqm in Oman hat sich zu einem wichtigen Anlaufpunkt für Flugzeugträger entwickelt. Durch die dort geplante Ölraffinerie, eine weitere Reparaturwerft und zahlreiche andere Neubauten wird sich die Umweltbelastung noch weiter verstärken.

Für weitere – indirekte – Treibhausgasemissionen sind die militärischen Lieferketten verantwortlich, also die Versorgung der US-Truppen mit Fleisch und anderen Lebensmitteln, mit Kleidung und vor allem mit fossilen Treibstoffen, die zum Beispiel in Afghanistan einen Großteil der US-Importe ausmachten. In die Gesamtbilanz sind auch die industriellen Emissionen einzurechnen, die bei der Produktion von Panzern, Waffen, Schiffen, Flugzeugen und Munition anfallen.

Chemikalien im Grundwasser

Der Rüstungsgigant Lockheed Martin allein meldete für 2020 einen Ausstoß von 33 Millionen Tonnen CO2. Ebenfalls zu berücksichtigen sind die Emissionen, die durch Luftangriffe auf Öllager und -förderanlagen freigesetzt werden oder bei der Müllverbrennung auf US-Stützpunkten entstehen. Vielen Medizinern ist gar nicht klar, wie gefährlich die toxische Belastung ist, die beim Verbrennen von Abfällen aller Art unter freiem Himmel entsteht.

In der Umgebung praktisch aller US-Stützpunkte und US-Flugplätze auf der ganzen Welt ist das Grundwasser durch hochgiftige fluorierte Chemikalien verseucht, die im Feuerlöschschaum enthalten sind. Solche per- und polyfluorierte Alkylverbindungen (PFAS) kommen seit den 1970er Jahren bei der Brandbekämpfung auf allen US-Militärbasen zum Einsatz, insbesondere um Brände von Flugzeugen oder Fahrzeugen zu löschen.

Die Rückstände dieser Löschchemikalien versickern und gelangen so in die Gewässer oder in die Kanali­sa­tion. Auch US-Flugzeugträger und andere Schiffe verwenden diesen Schaum, der dann vom Deck ins Meer gespült wird. Die toxische Wirkung einer erhöhten PFAS-Konzentration wurde für Fische und Schalentiere nachgewiesen, aber auch für Menschen, die diese verzehren.

Diese „ewigen Chemikalien“, die nicht abbaubar sind und sich in Organismen anreichern, verbreiten sich unterirdisch und kontaminieren so auch noch Brunnen, die viele Kilometer von den Stützpunkten entfernt liegen. Über den Boden und das Grundwasser oder über den Feinstaub in der Luft gelangt PFAS in Flüsse und Meere wie auch auf die Felder und in die angebauten landwirtschaftlichen Produkte.

Die US-Umweltbehörde EPA ist im Begriff, bestimmte PFAS-Verbindungen als „gefährliche Substanzen“ einzustufen, weil sie sich im Blut und in den Organen der Menschen anreichern. Dort können sie zu Krebsleiden, Leber- und Nierenschäden führen und Schilddrüsenerkrankungen sowie Fehlgeburten und Fruchtbarkeitsstörungen verur­sachen.

Medizinische Fachstudien haben in den USA 641 Militärstützpunkte als wahrscheinliche Quellen für Verschmutzungen außerhalb des Standorts ermittelt. In einer Untersuchung von 100 inländischen Militärbasen wurde bei 87 eine PFAS-Konzentra­tion gemessen, die mehr als 100-mal höher lag als der unbedenkliche Schwellenwert. Auf den US-Marinestützpunkten etwa werden seit 50 Jahren große Mengen von PFAS in die Hafenbecken entsorgt.

Unter dem politischen und juristischen Druck von Gemeinden und Veteranenverbänden stufen US-Gesundheitsexperten die Konzentration von PFAS im Trinkwasser inzwischen als „eine der wichtigsten Gefahren für die öffentliche Gesundheit im nächsten Jahrzehnt“ ein.

Toxischer Staub in den Städten

Weitere Untersuchungen in der Umgebung aller Militäranlagen sind geplant, aber die Ausarbeitung von Strategien zur Schadensbegrenzung hat gerade erst begonnen. Die Regierung in Washington rechnet damit, in den nächsten 30 Jahren fast 3 Milliarden Dollar auszugeben, um die inländischen Stützpunkte, Flughäfen und Marinebasen zu sanieren. Außerdem sollen mit dem Geld gesundheitlich beeinträchtigte Veteranen unterstützt werden. Die PFAS-Vorschriften sollen drastisch verschärft werden, um die Grundwasserbelastung in umliegenden Gemeinden zu reduzieren.

Die PFAS-Belastung durch militärische Anlagen ist allerdings ein globales Problem, das je nach Standort spezifische Auswirkungen hat. Zwei Beispiele aus Japan und Deutschland: In Okinawa wurden in den Gemeinden um die Luftwaffenstützpunkte Futenma und Kadenma extrem hohe PFAS-Belastungen im Grundwasser und in der Luft festgestellt. Und beim US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein beträgt die PFAS-Konzentration im Flusswasser auch in 11 Kilometer Entfernung noch immer das 538-Fache des von der EU als unbedenklich eingestuften Werts.

Mehrere deutsche Gemeinden in der Nähe von US-Stützpunkten haben inzwischen die Verursacher dieser Umweltverbrechen auf Entschädigungsleistungen verklagt. Dagegen gibt es im Nahen Osten so gut wie keine Stu­dien über die von US-Stützpunkten oder -Häfen ausgehende Grundwasserkontamination oder über die Auswirkungen von PFAS auf die Gesundheit der Bevölkerung in den umliegenden Gemeinden.

Hier müssen die Behörden erst einmal Informationen sammeln und genaue Untersuchungen einleiten, um die Verursacher zur Rechenschaft ziehen zu können. Das US-Militär hat bisher noch keinerlei Verantwortung für die Verschmutzung durch PFAS außerhalb seiner Stützpunkte im Nahen Osten übernommen; weder für die Luftwaffenbasen Incirlik in der Türkei, Al Dhafra (Vereinigte Arabische Emirate) und Al Udeid (Katar) noch für den Marinestützpunkt NSA (Naval Support Activity) in Bahrain oder für Camp Lemonnier in Dschibuti, wo das US-Marineexpeditionskorps für die Einsätze am Horn von Afrika stationiert ist.

Weitere Schäden für die Gemeinden im Nahen Osten resultieren aus der „conflict pollution“; das sind Umweltbelastungen als Folge von Kampfhandlungen, etwa die toxischen Nachwirkungen eines „Urbizids“. Als Stadtmord bezeichnet man die vorsätzliche Zerstörung großer Teile der städtischen Infrastruktur (Gebäude, Indus­trieanlagen, Kraftwerke) mit dem Ziel, einen militärischen Sieg und die Kontrolle über eine Stadt zu erringen. In der Sprache der US-Marines handelt es sich um „Militäroperationen auf urbanisiertem Gelände“, bei denen Gebäude meist von innen gesprengt werden, wobei die Sprengkörper (ob Artilleriegranaten oder abgeworfene Bomben) enorme Druckwellen und hohe Temperaturen erzeugen.

Die pulverisierten Baustoffe verbreiten sich als riesige Staubwolken über bewohnte Gebiete – exakt wie nach dem Anschlag auf das New Yorker World Trade Center am 11. September 2001. Dieser Feinstaub wird von den Einsatzkräften und den Bewohnerinnen und Bewohnern der betreffenden Viertel eingeatmet. Die Folge sind Lungenkrankheiten wie Asbestose und Silikose oder Herz-Kreislauf-Probleme – und langfristig eine erhöhte Sterberate. Da der Schutt der zerstörten Gebäude oft jahrelang nicht weggeräumt wird, werden auch die in den Ruinen spielenden Kinder vergiftet.

Wenn dann später ein Wiederaufbau erfolgt, gefährdet die Räumung der Trümmer – Beton, Zement, Asbest, Metalle und Chemikalien – die örtliche Bevölkerung zusätzlich. Und in der Umgebung von Abladeplätzen, wo die toxischen Trümmer am Ende landen, kommt es zu weiteren Umweltbelastungen.

Ein Beispiel für die massive Luftbelastung durch den Staub zerstörter Gebäude ist die irakische Stadt Ramadi. Sie war dreimal (2004, 2006 und 2015) Schauplatz heftiger Kämpfe. Jedes Mal wurden ganze Stadtteile und viele Brücken über den Euphrat zerstört.

Nach der Einnahme im Dezember 2015, als die irakische Armee mit Unterstützung der USA die Stadt vom IS zurückeroberte, lag Ramadi zu 80 Prozent in Trümmern und war praktisch unbewohnbar; in der Innenstadt wurden 615 Bombenkrater und mehr als 3000 zerstörte Häuser gezählt. Angesichts der schätzungsweise 7 Millionen Tonnen Schutt und Wiederaufbaukosten in Höhe von rund 10 Mil­liarden Dollar bezeichnete Lisa Grande, die Irak-Beauftragte der UN, die Zerstörung von Ramadi im März 2016 als „erschütternd“.2 Danach dauerte es Jahre, bis Aufräumarbeiten durchgeführt werden konnten, denn zuvor mussten nicht explodierte Munition und Sprengfallen beseitigt werden. Für diesen Zweck stellten die USA 5 Millionen Dollar bereit.

Jetzt steht noch die langfristige Aufgabe bevor, die Folgen der unkoordinierten Schuttentsorgung und der Kontaminierung von Boden, Luft und Grundwasser zu bewältigen, denn all dies bedeutet eine gesundheitliche Gefährdung der Einwohner. Eine Folge ist etwa die extrem hohe Schwermetallbelastung des Euphrats bei Ramadi, was automatisch auch die Wasserqualität in den Bewässerungskanälen der Landwirtschaft in Mitleidenschaft zieht.

Nach der Befreiung der irakischen Stadt Mossul vom IS im Jahr 2017 schätzten UN-Experten, dass in der Stadt mehr als 11 Millionen Tonnen Schutt zu entsorgen waren; allein die Kosten des Abtransport der Trümmer aus der Stadt wurden auf weit über 100 Millionen Dollar geschätzt. Der größte Teil wurde einfach am Ufer des Tigris aufgeschüttet oder in den Fluss gekippt.3

Oft genug erfolgte der Urbizid nach der „Shock and Awe“-Taktik: Mit dem Einsatz beispielloser Gewalt gegen die Verkehrs-, Wasser-, Strom- und Kommunikationsinfrastruktur soll Furcht und Schrecken verbreitet werden, um den Gegner zu destabilisieren und eine schnelle Kapitulation zu erzwingen. Bei ihrer Irak-Invasion von März 2003 setzten die US-Streitkräfte allein in den ersten vier Tagen 2000 Präzisionslenkwaffen (precision guided munition oder PGM) ein, die Zielobjekte punktgenau zerstören können.

Insgesamt wurden in der heißen Phase des Krieges fast 20 000 PGMs abgefeuert. Verteidigungsminister Donald Rumsfeld kommentierte die durch US-Waffen angerichtete Zerstörung der irakischen Bevölkerungszentren damals mit einem Achselzucken und der Bemerkung: „So was passiert. Und schön ist es nicht.“

Die städtischen Kampfzonen sind übersät mit nicht explodierter Muni­tion und den Resten explodierter Bomben, wobei weißer Phosphor und unberechenbare Streumunition ebenfalls langfristige Gesundheitsrisiken darstellen. Über die Gefährdung der Bevölkerung durch solche Hinterlassenschaften gibt es nur wenige Studien, von denen etliche einen Zusammenhang zwischen einer hohe Blei- und Quecksilberbelastung der Umwelt und einer krassen Zunahme angeborener Missbildungen und Frühgeburten sehen.

Seit Langem bekannt sind auch die fatalen Auswirkungen der Uranmunition (DU), also von panzerbrechenden Projektilen, die abgereichertes Uran enthalten. Solche DU-Munition kam im ersten Irakkrieg von 1991 und bei der Irak-Invasion von 2003 zum Einsatz und beeinträchtigt bis heute die reproduktive Gesundheit der Bevölkerung des Südirak. Die gravierendsten gesundheitlichen Folgen zeigten sich bei der Bevölkerung besonders intensiv bombardierter Städte wie Basrah, Ramadi und Falludscha.4

Insgesamt lässt sich festhalten, dass die US-Militärpräsenz im Nahen Osten komplexe, zeitlich und örtlich differenzierte Auswirkungen hat. All diese schädlichen Hinterlassenschaften sind im Übrigen mit anderen Umweltbelastungen verquickt, weshalb es zuweilen schwierig ist, im Einzelnen eine klare Verantwortung festzustellen.So rührt die Luftbelastung durch den Staub zerstörter Gebäude in Ramadi und Mossul nicht nur von Aktionen des US-Militärs, sondern auch von Operationen des IS und der irakischen Streitkräfte; und natürlich vermischen sich die Treib­hausgasemissionen von Humvees und F-35-Bombern mit denen aus unzähligen anderen Quellen in der Region. Über die toxischen Belastungen und die Umweltschäden aufgrund der US-Militärpräsenz im Nahen Osten gibt es viel zu wenig Daten, detaillierte Studien und Analysen – und auch zu wenig politisches Interesse. Vor diesem Hintergrund lässt sich kaum ein vollständiges Bild über die kurz- und langfristigen Gesundheits- und Umweltrisiken anfertigen, die sich daraus für bestimmte Bevölkerungsgruppen ergeben.

Dennoch steht außer Zweifel, dass „es eine Epidemie toxischer Verunreinigungen auf und von US-Militärstützpunkten gibt“. So formuliert es eine von der Stanford University veröffentlichte Studie.5 Diese belegbare Tatsache wird heute jedenfalls für die Militäranlagen auf dem Territorium der USA und für die umliegenden Gemeinden anerkannt. Und auch das Pentagon muss inzwischen wohl oder übel zugeben, dass etwa die Grundwasserverseuchung durch PFAS oder die Müllverbrennung unter freiem Himmel die Gesundheit der betroffenen US-Veteranen erheblich gefährdet haben.

Solche Eingeständnisse bedeuten sogar eine gewisse Anerkennung der Verantwortung und eine Bereitschaft zu begrenzter Wiedergutmachung für die US-Soldaten, die etwa in den Kriegen in Afghanistan oder im Irak oder während der vielen darauf folgenden Jahre US-amerikanischer Militärpräsenz in der Region eingesetzt waren.

Allerdings sind diese Veteranen und ihre Familien höchst frustriert über die zögerliche Haltung und die Sturheit der Militärbürokratie. Dasselbe gilt im Übrigen für die Städte und Gemeinden in den USA, die in der Nähe von Marine- und Luftwaffenstützpunkten liegen. Dieses Drama wird sich noch über Jahrzehnte hinziehen, vor den Gerichten ebenso wie im Kongress in Washington.

Aber was ist mit dem Müll, den das US-Militär im gesamten Nahen Osten hinterlassen hat, und den Gesundheitsschäden in Familien und Gemeinden, die mit diesen Abfällen leben müssen? Die Hinterlassenschaften der weit über 2 Millionen US-Soldaten, die seit 1958 in der Region stationiert waren, werden noch viele kommende Generationen belasten.

Und doch wurden sie bislang nicht anerkannt, ja nicht einmal erfasst. Sie sind die „bekannte Unbekannte“ in der Betrachtungsweise von Centcom und Pentagon, in der der Nahe Osten lediglich als „Schlachtfeld“ und nicht als Heimat von Menschen und Völkern auftaucht.

Die USA haben sich ausschließlich um die Erfahrungen und die Gesundheit der Veteranen und der noch aktiven Soldatinnen und Soldaten in der eigenen Armee gekümmert. Für deren häufige Atemwegserkrankungen, körperliche Behinderungen und seltene Krankheiten zeigen sie Interesse, nicht aber für die Menschen, die sie dort angeblich beschützen.

Viele US-Experten, die sich mit den von Militärbasen außerhalb der USA ausgehenden Umweltschäden befasst haben, kamen zu eindeutigen Befunden: „Mit dieser Art der Abfall­entsorgung würde man in den USA nicht durchkommen.“6 Oder: Die US-Umweltbehörde würde solche Anlagen dichtmachen, „wenn das bei uns stattfände“.

Es ist an der Zeit, dass Washington endlich die Verantwortung übernimmt und einen Beitrag zur Beseitigung dieser Umweltverbrechen zu leistet. Die US-Truppen haben in der gesamten Region ihren verheerenden Fußabdruck hinterlassen. Bilder und Erinnerungen mögen vergehen, für die „ewigen Chemikalien“ gilt das nicht.

1 Jede der Kampfgruppen besteht aus einem Flugzeugträger, drei Kreuzern, vier Zerstörern und neun Fliegerstaffeln; eine Amphibious Ready Group (ARG) besteht aus einem Helikopterträger und einer kleinen Flotte amphibischer Landungsboote mit insgesamt 5000 Marinesoldaten.

2 Siehe Reuters-Bericht vom 4. März 2016.

3 Zum Zerstörungsgrad von Mossul siehe Patrick Cockburn, „Die Belagerten von Mossul“, LMd, September2017; ganz ähnlich endete die Belagerung der ehemaligen IS-Hauptstadt Rakkah in Syrien; siehe Patrick Cockburn, „Tödliche Belagerungen“, LMd September 2018.

4 Siehe Kamal Al Ayash, „Geboren in Falludscha“, LMd, November 2019.

5 John W. Hamilton, „Contamination at U.S. Military Bases: Profiles and Responses“, Stanford Environmental Law Journal, Bd. 35 (2016).

6 „Burn Pit On US Base In Iraq Said To Pose Health Risks“, Air Force Times, 28. Oktober 2008.

Aus dem Englischen von Nicola Liebert

Bruce Stanley ist Professor für Internationale Beziehungen an der Richmond American International University in London.

© Orient XXI; für die deutsche Übersetzung LMd, Berlin

Le Monde diplomatique vom 09.12.2021, von Bruce Stanley