12.08.2021

Der geschäftige Mister Blair

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Der geschäftige Mister Blair

Die neoliberale Mission des britischen Ex-Premiers – jetzt mit philanthropischem Anstrich

von Rémi Carayol

Will 80 Prozent seiner Zeit guten Werken widmen JEFF OVERS/bbc via reuters
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Nationale Souveränität ist ein Reizthema in Mali. Als die Regierung, die sich im August 2020 an die Macht geputscht hatte, sich durch das Tony Blair Institute for Global Change (TBI) bei der Ausarbeitung einer neuen Verfassung „fachlich unterstützen“ lassen wollte, geriet das Blut der Patrioten in Wallung.

Auf die Unterzeichnung des Vertrags am 23. März hin empörte sich der Verfassungsrechtler Brahima Fomba auf Facebook darüber, dass ausländische Experten („Geier“) mit malischen Ministern und Beamten dabei an einem Tisch sitzen. Und Choguel Maïga, einer der führenden Köpfe des Oppositionsbündnisses Mouvement du 5 juin – Rassemblement des forces patriotiques (M5-RFP), bezeichnete die Partnerschaft als „unglücklich“ und als „Beleidigung für die Intelligenz unseres Volkes, für die Ehre und Würde des malischen Führungspersonals“.

Schon kurz nach der Installation der Übergangsregierung im November 2020 fanden sich Emissäre des Instituts in Bamako ein. Die kleine Technokratenarmee des TBI besteht aus exzellenten Handelsvertretern, ausgebildet an den namhaftesten britischen Hochschulen. Nach den Worten eines ehemaligen Mitarbeiters ist sie dazu imstande, „einem Beduinen Sand zu verkaufen“.

Als Höhepunkt der Charmeoffensive traf sich der britische Ex-Premier am 22. März höchstpersönlich mit Interimspräsident Bah N’Daw. Nach ihrer Unterredung verstieg sich ein hochzufriedener Blair zu der haltlosen Behauptung, die Übergangsphase sei „ein günstiger Zeitpunkt, um das Fundament für eine Stabilisierung des Landes zu legen“. Zwei Monate später waren N’Daw und seine Mannschaft nach einem neuerlichen Staatsstreich ihre Posten wieder los, und das TBI brach die Mission ab.

Diese Partnerschaft brachte nicht nur die Einheimischen auf die Palme, sondern sorgte auch bei aktiven wie ehemaligen Mitarbeitern des TBI für Kopfschütteln. „Diese Aktion war ohne Sinn“, meint einer von ihnen, der anonym bleiben möchte. „Das Institut brüstet sich mit langfristiger Arbeit an tiefgreifenden Reformen. Das ist aber nicht die Aufgabe einer Übergangsregierung, ganz im Gegenteil – zumal wenn wir das Militär im Boot haben.“

Bei der Gründung seines Instituts 2016 betonte Blair, seine Organisation sei nicht gewinnorientiert und er selbst ziehe weder einen Vorteil daraus noch bekomme er ein Gehalt. Damit wollte er der Kritik an seinen Aktivitäten nach dem Ende seiner Amtszeit als britischer Premier im Juni 2007 begegnen.

Blair nutzte die wertvollen Kontakte, die er während seiner zehn Jahre in 10 Downing Street geknüpft hatte, als Starthilfe für eine Unmenge inter­na­tio­na­ler Beratungsfirmen und Joint Ventures: Tony Blair Associates, Windrush Ventures Ltd, Firerush Ventures Ltd und so weiter. Er schloss hoch dotierte Beraterverträge mit multinationalen Konzernen wie JP Morgan, Zurich Financial, LVMH und Mubadala, einem emiratischen Investmentfonds, ab sowie mit den Regierungen von Nursultan Nasarbajew in Kasachstan und Abdel Fattah al-Sisi in Ägypten.1 Für seine zahlreichen Vorträge erhielt er Honorare von über 100 000 Euro. Parallel gründete er die gemeinnützige Africa Governance Initiative, die afrikanischen Staaten ihre Dienste zum Nulltarif antrug.

Bis 2016 häufte Blair – nach Angaben des Guardian – ein Vermögen von mindestens 27 Millionen Pfund an und baute ein Immobilienimperium auf, das ein Dutzend Häuser und 27 Eigentumswohnungen umfasst.2 Kritiker warfen ihm vor, er zahle keine Steuern, schlage Kapital aus seiner Wohltätigkeit und nutze seinen Status als Sondergesandter des Nahost-Quartetts, um Geschäfte zu machen.3

Angesichts bröckelnder Beliebtheitswerte verkündete er 2016, er werde seine Beraterfirma und seine Joint Ventures aufgeben, sich auf karitative Tätigkeiten beschränken und sich nur noch für Belange engagieren, die ihm am Herzen liegen. „Daneben werde ich noch einige persönliche Beratungsaufgaben übernehmen, um mein Einkommen zu sichern“, fügte er hinzu. 80 Prozent seiner Zeit wolle er guten Werken widmen.4 Mit Tony Blair Associates und der Africa Governance Initiative war Schluss; es begann die Zeit des TBI.

Sehr schnell ging das neue Institut Partnerschaften ein, vor allem in Afrika. Sein erster „Kunde“ war die Regierung in Ruanda. Blair führte Präsident Paul Kagame in die Kreise der Weltenlenker ein, präsentierte ihn als Verkörperung eines modernen, aufgeschlossenen Afrika und unterschlug die Massaker der ruandischen Armee in der Demokratischen Republik Kongo und die Morde an Oppositionellen im Exil.

Blair nutzte Kagames Prestige in Afrika, um seine Dienstleistungen an den Mann zu bringen. Inzwischen berät das TBI rund fünfzehn afrikanische Regierungen, beschäftigt 231 Leute und macht 38 Millionen Euro Umsatz.

Bei der Begleitung von Strukturreformen und der Realisierung von Großprojekten soll Afrika von Blairs Erfahrungen profitieren. In der Tat hatte der Begründer von New Labour 2001 während seiner zweiten Amtszeit eine „Prime Minister Delivery Unit“ gegründet, um den schwerfälligen britischen Staatsapparat zu umgehen. Sie war ein festes Gremium, bestehend aus einer Handvoll Technokraten, das direkt seinem Kabinett angegliedert war und sich um dessen Schwerpunktprojekte kümmerte – wie die Reform des öffentlichen Dienstes. Das Modell der „Delivery Unit“ als Allzweckwaffe gegen die Bürokratie wurde von Regierungen in Kanada, Peru oder Saudi-Arabien übernommen. Die Erfolgsbilanz fiel eher mager aus.

Doch das hielt Blair nicht davon ab, das Modell afrikanischen Regierungschefs zu verkaufen. Die Grundidee erläutert der oben zitierte Ex-Mitarbeiter des Instituts so: „Wenn es ein Entwicklungsland nicht schafft, die erforderlichen Reformen umzusetzen, weil die Verwaltung sich querstellt oder die Reformen auf politische Widerstände stoßen, treten wir mit unserem Instrumentenkoffer auf den Plan. Wir schaffen Strukturen, mit denen wir die Vorhaben überwachen und die Informa­tio­nen nach oben weitergeben können. Wenn es irgendwo hakt, nutzen wir unseren direkten Draht zum Präsidenten, um die Hindernisse aus dem Weg zu räumen.“

Der Gegner des TBI ist also nicht die Finanzwelt, sondern die Verwaltung. „Das eigentliche Problem ist nicht, dass die Staaten keine Strategie hätten, sondern dass die Umsetzung von Projekten wegen der ausufernden Verwaltung so lange dauert“, erklärte 2020 Antoine Huss, TBI-Regionaldirektor für das französischsprachige Westafrika. „Wir helfen die Projekte so zu ‚verpacken‘, dass sie den Geldgebern gut präsentiert werden können.“5

Aktiv in rohstoffreichen ­afrikanischen Staaten

Wenn es darum geht, Widerstände zu überwinden, hat das TBI einen starken Trumpf im Ärmel: Meistens werden seine Beratungsleistungen von großzügigen Spendern finanziert und sind für die Staaten kostenlos. Nachdem das Präsidialamt von Burkina Faso 2019 einen Partnerschaftsvertrag mit dem Institut geschlossen hatte, wurde ihm ein dreiköpfiges Beraterteam an die Seite gestellt, welches darüber wachen sollte, dass die Schwerpunktprojekte der Regierung auch wirklich umgesetzt werden. Bezahlen musste Burkina Faso dafür nichts.

Und die Erfolgsbilanz? „Sehr durchwachsen“, räumt ein Berater des burkinischen Präsidenten Roch Marc Kaboré ein, der ebenfalls nicht namentlich genannt werden will. „Mit den Vorhaben ging es nicht so schnell voran wie erhofft. Daran war nicht das TBI schuld; das hat gute Arbeit geleistet. Aber die Bremsklötze, die es beseitigen wollte, sind immer noch vorhanden.“

Ein ehemaliger Mitarbeiter Blairs reklamiert „klar erkennbare Erfolge“ für das TBI, wie in Ruanda oder Togo, räumt aber auch „etliche Fehlschläge“ ein und resümiert: „Häufig richten wir nicht viel aus.“ Ein anderer Ex-Mitarbeiter, der nach wie vor überzeugt ist, dass die Arbeit des TBI Wirkung zeigt, gesteht ein, dass das Institut alte Rezepte wieder aufwärmt und optimiert: „Eigentlich handelt es sich um eine aktualisierte Form der fachlichen Unterstützung, wie sie seit Jahrzehnten von traditionellen Gebern und privaten Organisationen geleistet wird – allerdings mit einem erweiterten Aufgabenspek­trum. Das Tony Blair Institute platziert seine Experten möglichst nah am Verwaltungsapparat. Sie haben sowohl die technischen Rahmenbedingungen als auch die politischen Implikationen im Blick. Ich halte das tendenziell für wirkungsvoller.“

Beim TBI wird vor allem das Engagement in Togo als Erfolg gewertet. Das Institut hat dazu beigetragen, in Lomé ein Callcenter des Luxemburger Betreibers und Branchenriesen Majorel einzurichten, einen Vertrag mit dem kuwaitischen Unternehmen Agility über den Bau eines Logistikparks zu schließen und Gespräche mit dem US-amerikanischen Bekleidungsriesen PVH anzubahnen. In Blairs Augen hängt das Wohl Afrikas seit eh und je an der Privatwirtschaft.6 „Bei allen Projekten, die er betreut hat“, klagt ein togoischer Ex-Minister, „geht es darum, für eine neoliberale Wirtschaftsphilosophie zu werben, möglichst viele ausländische Investitionen anzuziehen und mehr öffentlich-private Partnerschaften zu schmieden.“7

Die Verteidiger des britischen Ex-Premiers rechnen ihm hoch an, dass er bei seiner Beratungstätigkeit keine Eigeninteressen verfolge. Das ändert jedoch nichts an der ideologischen und politischen Schlagseite seiner Beratungsleistungen. „Das ist nicht mehr und nicht weniger als Soft Power“, konstatiert ein unabhängiger Berater, der darauf hinweist, dass das Institut sich speziell für die frankofonen Länder interessiert. „Blair verteidigt den Neoliberalismus und zugleich den angelsächsischen Einfluss.“

Um sich davon zu überzeugen, genügt ein Blick auf die Geldgeberliste des TBI: die US-Behörde für interna­tio­nale Entwicklung (USAID), die Weltbank, multinationale Konzerne wie Microsoft, philanthro-kapitalistische Stiftungen wie die Bill & Melinda ­Gates Foundation (die dem TBI in den vergangenen fünf Jahren stolze 18,5 Millionen Dollar zukommen ließ, davon 6,8 Millionen Dollar allein im Jahr 2020) und „reformorientierte“ Verbände wie das African Center for Economic Transformation (ACET) oder Organisationen wie das African Green Revolution Forum (AGRF), das sich für die „Modernisierung“ der Landwirtschaft durch gentechnisch veränderte Organismen starkmacht.

„Tony Blair sieht sich als jemand, der eine Mission zu erfüllen hat“, erläutert ein ehemaliger Mitarbeiter. „Die Frage liegt jedoch nahe, welche persönlichen Interessen er dabei verfolgt. Mit manchen ausländischen Investoren, die er in den betreffenden Ländern ins Spiel bringt, ist er privat befreundet. Bei ihm ist das Geschäftliche nie weit entfernt.“ Auffallend sei im Übrigen, dass das TBI häufig in rohstoffreichen Ländern in Aktion trete.

Das Institut bestreitet jeden In­te­res­sen­konflikt. Doch es bleiben Zweifel. Guineas Präsident Alpha Condé nahm nach seiner Wahl 2010 Beratungsleistungen der Institute von Blair und George Soros in Anspruch. Diese drängten ihn, sämtliche Bergbauverträge auf den Prüfstand zu stellen. Wenige Monate später, im November 2011, kaufte der in Abu Dhabi ansässige Investmentfonds Mubadala Development Company, der von Blair beraten wurde, mehrere Anlagen im Land auf.

Im November 2013 bedachte Tony Blair bei der Konferenz der privatwirtschaftlichen Partner und Investoren Guineas – die in Abu Dhabi stattfand – den Autokraten Condé mit lobenden Worten und würdigte ihn als Visionär. Bei dieser Gelegenheit wurde bekannt, dass der Staat Guinea und die Guinea Alumina Corporation, die der Mubadala Development Company und Dubai Aluminium gehört, einen 5 Milliarden Dollar schweren Vertrag über den Ausbau der Bauxitmine im west­guineischen Sangarédi unterzeichnet haben.

1 Siehe Ibrahim Warde, „Blair Inc.“, LMd, November 2012.

2 Hilary Osborne, „Tony and Cherie Blair’s property empire worth estimated £27m“, The Guardian, London, 14. März 2016.

3 Ian Black und Peter Beaumont, „Tony Blair resigns as Middle East peace envoy“, The Guardian, 27. Mai 2015.

4 „Tony Blair staff announcement“, TBI, 20.September 2016.

5 Zitiert nach Rémy Darras, „Tony Blair, l’homme qui murmure à l’oreille des présidents africains“, Jeune Afrique, Paris, 23. Februar 2020.

6 Siehe Demba Moussa Dembélé, „Gute Worte und Placebos für Afrika“, LMd, November 2005.

7 Siehe Jean-Christophe Servant, „Ungleiche Partner“, LMd, November 2020

Aus dem Französischen von Andreas Bredenfeld

Rémi Carayol ist Journalist.

Le Monde diplomatique vom 12.08.2021, von Rémi Carayol