12.08.2021

Yang Li und der Zorn der Männer

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Yang Li und der Zorn der Männer

von Zhang Zhulin

Zu Gast in der Comedyshow „Rock & Roast“ © Screenshot Youtube
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Sie fanden es unerhört: „Eine Frau, die mit Männerbashing Geld macht!“ Ein Shitstorm tobte im chinesischen Netzwerk Weibo, wütende User riefen gleich zum Boykott von Intel auf. Der Chiphersteller aus dem Silicon Valley gehört zu den größten in China aktiven Konzernen.

Auslöser des tobenden Sturms war Intels neue Markenbotschafterin: Yang Li, eine 29-jährige Come­dian, Wegbereiterin und umstrittener Star der Stand-up-Comedy-Szene in China. Viele ihrer männlichen Landsleute fühlen sich von ihren Äußerungen „tief verletzt und gedemütigt“ und überhaupt habe sie durch ihre Auftritte „die Konfrontation zwischen Männern und Frauen angestachelt“.

In dem kurzen Werbespot, den Intel am 18. März 2021 ausspielte, gab es dabei gar nichts Beleidigendes oder auch nur Spöttisches gegen Männer. Lächelnd erklärt Yang Lin darin nur: „Intel stellt höhere Ansprüche als ich bei der Wahl meines Liebsten.“ Trotzdem war der Druck so groß, dass das US-amerikanische Unternehmen den Spot am selben Tag zurückzog, ebenso alle Plakate und Werbematerialien, die die Comedian zeigten.

Nachdem diese konzertierte Ak­tion ein derart spektakuläres Ergebnis gezeitigt hatte, begann eine wahre Hexenjagd. Als Yang Li sechs Tage später live in einer abendlichen Teleshopping-Sendung im Internet auftreten sollte, bei der es um Tampons ging, stürzte sich eine Horde männlicher User auf die Website und drohte wieder mit dem Boykott der Sendung, wenn diese „ex­tre­mistische Feministin“ nicht ausgeladen würde.

Diesmal jedoch organisierten Frauen eine Gegenwehr und posteten massenhaft ihre Unterstützung für die Künstlerin. Während der Kampf an der Geschlechterfront online tobte und beide Seiten einander zerfleischten, trat Yang Li auf. Und wegen des Wirbels, den die ganze Angelegenheit erzeugt hatte, sahen 1,6 Millionen die Sendung, die normalerweise nur ein paar tausend Zuschauer hat.

Wer ist die Comedian, die solche Reaktionen auslösen kann? Yang Li stammt aus einer Bauernfamilie in der Provinz Hebei, der Nachbarprovinz von Peking. Sie studierte Design und machte zwei kurze, nach ihren Worten „langweilige“ berufliche Erfahrungen.

Im Oktober 2018 trat sie zum ersten Mal als Comedian auf, was bis dahin ein fast ausschließlich männlicher Beruf war. In ihren unkonventionellen Sketchen lästert sie seither über die Sorge der Frauen um ihr Aussehen, berührt darin aber auch Themen, die in China als Tabu gelten – wie Menstruation. Und sie nimmt die gängigen sexistischen Vorurteile aufs Korn, denen Frauen ausgesetzt sind. In kurzer Zeit wurde sie berühmt und berüchtigt – und man warf ihr immer wieder vor, dass sie „Männer diskriminiere“.

Der Grund? Sprüche wie der folgende bei einer Show im August 2020, wo sie versicherte: „Ich liebe Männer. Männer sind nicht nur wunderbar, sondern auch besonders geheimnisvoll. Ich weiß nie, was sie denken.“ Dann fügt sie nachdenklich und mit hintergründigem Lächeln hinzu: „Wie kann ein Typ, der so schlicht wirkt, so selbstbewusst sein?“, und das Publikum tobte vor Begeisterung. Der verkürzte Satz „Pu Que Xin“ (schlicht, aber selbstbewusst) ist im Netz zum beliebten Meme geworden.

Während viele Chinesinnen Yang Li genial finden und erklären, ihre Sketche sprächen ihnen aus der Seele, schimpfen männliche Chinesen, sie würde „die Männer absichtlich erniedrigen“. Im Dezember 2020 machte sich Yang Li in einer Fernsehsendung prompt über Männer lustig, die sich von ihr angegriffen fühlen. Einem Comedian, der ihr vorwarf, „die Grenzen der Männer“ zu verletzen, entgegnete sie ironisch: „Haben die Männer etwa moralische Grenzen, die sie nicht übertreten?“ Ein neuer Tsunami war die Folge. Dieser Satz war im Nu der erste Treffer in der Weibo-Suche.

Über Yang Li ergossen sich Drohungen und Beleidigungen. Es hagelte Anzeigen bei der Staatlichen Behörde für Rundfunk, Kino und Fernsehen: Ihre Sketche seien „von sexueller Diskriminierung durchdrungen“, da sie „immer wieder alle Männer beschimpften, Hass verbreiteten, Konflikte in der Bevölkerung zu schürten, einen Geschlechterantagonismus beförderten“ und überhaupt „der harmonischen Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft chinesischer Prägung schadeten“.1

Dabei hat Yang Li mehrfach erklärt, dass sie nicht als Feministin bezeichnet werden möchte – ein Etikett, das in China als Stigma gilt. Als die junge Frau aufzutreten begann, war die MeToo-Bewegung im Westen gerade auf dem Höhepunkt. In China war sie noch nicht angekommen. Statistisch liegt China bei der Geschlechtergleichstellung weltweit auf Platz 107 von 156.2

Den meisten Chinesen ist das ziemlich egal. Sie regen sich eher über die „ungerechten westlichen Kriterien“ auf, wie ein User schrieb, der dafür viel Zustimmung erhielt. Was kümmert sie die neue Generation von Frauen, die überkommene Normen ablehnt! Beijing News, eine Zeitung, die sich an ein eher gebildetes und liberales Publikum wendet, erklärt den Sexismus der Gesellschaft mit der „Tradition“, Wortmeldungen von Frauen im öffentlichen Raum herabzusetzen. Dies, so die Zeitung weiter, sei „tief im soziokulturellen Erbe einer patriarchalischen Gesellschaft verwurzelt“ und verwehre „Frauen bei bestimmten Themen die Mitsprache“.3

Lü Pin, eine Vorkämpferin des chinesischen Feminismus, musste 2015 in den USA bleiben, nachdem sie an der jährlichen UN-Versammlung über die Rolle der Frau teilgenommen hatte. Dort hatte sie ihrem Land vorgeworfen, eine „patriarchalische Politik“ zu betreiben, bei der „alle, die den Feminismus bekämpfen, viel eher ins­titu­tio­nel­le Unterstützung erhalten als die Feministinnen“.4

Infolge dieses Statements wurden in China fünf Aktivistinnen verhaftet, Lü Pin wurde von der Polizei als deren „graue Eminenz“ bezeichnet. In China ist Stabilität eine Art Staatsreligion, und Feminismus gilt als schädlich für die Gesellschaft.

Yang Li sagt, ihre Sketche seien harmlos: „Ich spreche keine Themen an, bei denen Männer und Frauen echte Interessenkonflikte haben.“ Sie stelle nur das Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern fest. Wie in einer Szene, die vielen Chinesinnen sehr vertraut ist. „Du gehst zu einem Arbeitsessen. Du setzt dich auf deinen Platz wie alle anderen, aber für viele Männer bist du nur eine Begleiterin.“ Trotz ihrer Zurückhaltung lassen ihr das die Männer nicht durchgehen. „Als Künstlerin muss ich jedes Wort abwägen, um niemanden zu kränken.“ Männliche Comedians, die ständig sexistische Witze machen, um das Publikum zum Lachen zu bringen, haben sich auf sie eingeschossen. „Humor“ ist eben einseitig.

1 „Yang Li wurde denunziert. Haben männliche User Humor?“ (auf Mandarin), The Paper, Schanghai, 29. Dezember 2020.

2 Die Rangliste wurde 2006 vom Weltwirtschaftsforum eingeführt.

3 „Reden wir über die ‚Umzingelung‘ von Yang Li“ (auf Mandarin), Beijing News, Peking, 29. Dezember 2020.

4 „Der Feminismus in China“, The New York Times (chinesische Ausgabe auf Mandarin), 2. Februar 2017.

Aus dem Französischen von Claudia Steinitz

Zhang Zhulin ist Journalist.

Le Monde diplomatique vom 12.08.2021, von Zhang Zhulin