Warum die globale Steuer ein Fortschritt ist
Multinationale Konzerne werden endlich zu Rechtssubjekten
von Alain Deneault
Google hat im Jahr 2017 allein auf seinen Konten auf den Bermudas fast 20 Milliarden Euro angesammelt, die über diverse Steueroasen dort gelandet waren. Im selben Jahr führte das Unternehmen in Frankreich lächerliche 14,1 Millionen Euro ab – Gewerbesteuer aus der Portokasse. Die 700 in Frankreich beschäftigten Google-Angestellten hatten offiziell nichts verkauft, sondern lediglich der irischen Tochter zugearbeitet. Die ist für die Buchführung zuständig und macht sich das unternehmerfreundliche Regime des EU-Steuerparadieses zunutze.1
Der Online-Versandriese Amazon umgeht Jahr für Jahr die Unternehmensteuer in den USA und weist für seine europäischen Geschäfte Verluste aus, obwohl seine Erträge infolge der Coronapandemie durch die Decke gehen.2 Und längst ist es kein Geheimnis mehr, dass Milliardäre wie Jeff Bezos, Michael Bloomberg, Warren Buffett, Carl Icahn, Elon Musk und George Soros in den USA als Privatpersonen keine (oder fast keine) Steuern zahlen, weil sie alle Schlupflöcher nutzen.3
Paradoxerweise sind die USA einerseits der beste Verbündete der Multis, andererseits aber auch die Einzigen, die sich mit ihnen in Sachen Besteuerung und Auslandsinvestitionen anlegen können. Es musste erst Präsident Joe Biden aktiv werden und bei seinen G7-Partnern für eine globale 15-Prozent-Steuer auf den sogenannten konsolidierten Gewinn (die kumulierten Gewinne aller Tochtergesellschaften) eintreten, um die bis dahin zögerlichen Staaten für die Idee zu gewinnen.
Allerdings ist die Höhe der von Biden angeschobenen globalen Steuer, auf die sich laut OECD am 1. Juli 130 Staaten einigten, gering bis lachhaft. Der Satz von 15 Prozent entspricht dem Trinkgeld, das in Nordamerika üblich ist. Zudem setzte Großbritannien Ausnahmeregelungen für Finanzdienstleister durch, um die in London ansässigen Banken zu schützen.
Der Steuervorstoß Bidens bestätigt auch das zählebige Paradox, dass der US-Präsident weltpolitisch oft mehr Macht ausüben kann als im eigenen Land. Während er bei seinen ausländischen Partnern mit seinem Vorschlag auf keinerlei Widerspruch stieß, konnte er die Republikaner im Kongress nicht dazu bewegen, den Unternehmensteuersatz der USA von 21 Prozent auf 28 Prozent anzuheben. Auch dies war kein sonderlich ehrgeiziges Ziel: Zu Beginn der Amtszeit von Donald Trump im Januar 2017 hatte der Steuersatz noch bei 35 Prozent gelegen.
In den letzten Jahren haben alle großen OECD-Staaten ihr Besteuerungsniveau abgesenkt. Sie haben die Steueroasen lieber imitiert als bekämpft. Deutschland, Kanada, Frankreich und die skandinavischen Länder drückten den offiziellen Steuersatz in den 2010er Jahren deutlich unter die 30-Prozent-Marke. Und die multinationalen Unternehmen schaffen es sogar, mit immer neuen Tricks noch darunter zu bleiben.
Der Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty weist zu recht darauf hin, dass die neue Regelung darauf hinausläuft, die Vorzugsbehandlung der Multinationalen durch den Fiskus abzusegnen: „In dem Wissen, dass die multinationalen Konzerne auch künftig ihre Gewinne bequem in Steueroasen verschieben können, bestätigt die G7 mit einem Steuersatz von 15 Prozent eine neue Weltordnung, in der die Oligarchen strukturell weniger Steuern zahlen als der Rest der Bevölkerung.“
In seiner Analyse in Le Monde vom 12. Juni zeigt Piketty überdies, dass die Länder des Globalen Südens von der neuen Besteuerungslandschaft überhaupt nichts haben. Sie beziehen auch weiterhin nur geringe Einnahmen aus dem internationalen Steuersystem, denn ihr Markt beschränkt sich wie gehabt auf den Rohstoffexport, der wenig profitabel ist und dem Fiskus entsprechend wenig einbringt.
Dennoch ist die von Biden angeregte Neuregelung ein Fortschritt, weniger aus fiskalischer denn aus juristischer Sicht. Denn das vorgeschlagene System gibt den global agierenden Konzernen den Status von Rechtssubjekten – während bislang in den einzelnen Staaten nur die auf ihrem Gebiet operierenden Tochtergesellschaften als Rechtssubjekte behandelt wurden. Diese rechtliche Aufsplitterung haben die Multis im Laufe ihres vor hundert Jahren begonnenen Siegeszugs bedenkenlos missbraucht.
Dafür bot sich insbesondere das System der Transferpreise und der Lizenzgebühren für geistige Eigentums- und Markenrechte an. Die Multis brauchten nur die Einnahmen von Unternehmensteilen, die in ihrem Operationsgebiet eine Ertragssteuer abführen müssten, auf Schein- oder Briefkastenfirmen in Steuerparadiesen übertragen, so dass für diese Erträge keine oder nur minimale Steuern fällig wurden.
Ein schönes Beispiel ist das US-Unternehmen Starbucks, das 2012 gegenüber dem britischen Unterhaus offiziell erklärte, es mache in Großbritannien keine Gewinne, weil die britische Tochter Lizenzgebühren an andere Teile des Konzerns abführen müsse, die ihren Sitz in Steueroasen haben und Eigentümer einer Vielzahl von Nutzungsrechten sind. Da Starbucks GB diese Lizenzgebühren mit dem Gewinn verrechnete, konnte das Unternehmen gegenüber dem britischen Fiskus unter dem Strich einen Verlust melden.
Lizenzgebühren, zahlbar auf den Bermudas
Rechtlich hebelt der Beschluss der G7 die Rolle der Steueroasen teilweise aus, weil in Zukunft die gesamten Gewinne der Multis besteuert werden sollen. Welche Tochtergesellschaft diesen oder jenen Bilanzposten ausweist und wo diese Tochter ansässig ist, soll keine Rolle mehr spielen. Wenn ein großes Unternehmen in der Lebensmittel-, IT- oder Energiebranche seine geistigen Eigentumsrechte oder bestimmte Gelder an bermudische, irische oder luxemburgische Konzerntöchter übertragen möchte, kann es das nach wie vor tun – aber dann müssen ebendiese die globale Steuer zahlen. Nachdem dieser rechtliche Grundsatz etabliert ist, geht es nunmehr darum, diese Steuern auch wirklich einzutreiben.
Bidens Konzept zeigt erneut, dass das Thema der internationalen Besteuerung ein hochpolitisches Projekt ist und sich nicht auf ein buchhalterisches Problem reduzieren lässt, wie es die OECD lange Zeit getan hat. Der für die Steuerpolitik der OECD zuständige Pascal Saint-Amans, der sich heute als Architekt der Übereinkünfte darstellt, hat zuvor jahrelang eine gegenteilige Position vertreten. Zum einen bezeichnete er die Harmonisierung der Steuersysteme von rund 200 Ländern als technokratische Herkulesaufgabe, zum anderen behauptete er, eine weltweit einheitliche Unternehmensteuer stehe „im Widerspruch zum Grundsatz der Staatssouveränität“.4
Dass diese Sicht der Dinge nicht haltbar ist, hat die Regierung in Washington explizit deutlich gemacht. Es ist keineswegs so, dass die technischen Fortschritte in der internationalen Buchführung politische Fortschritte bringen, sondern die Politik muss Änderungen der Buchführung erzwingen.
Beim Thema Steueroasen geht es um politische und diplomatische Fragen. Staaten machen Gesetze, die das geltende Recht anderer Staaten, in denen die großen Unternehmen und vermögenden Privatleute real Geschäfte machen, außer Kraft setzen sollen. Staatliche Stellen mischen sich also in die Belange anderer Staaten ein, zum Beispiel, wenn die Bahamas per Gesetz exempted companies zulassen, die weder ihre Gewinne versteuern noch die Identität ihrer Geschäftsleitung offenlegen müssen, solange sie keine Aktivitäten auf der Inselgruppe selbst betreiben.
Als 2016 die EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager – gegen ihre eigene Institution – die Steuervergünstigungen rückgängig machen wollte, die Irland dem IT-Konzern Apple einräumte, benutzte sie eine Formulierung, die auch auf alle anderen Steueroasen zutrifft: Mit einer Entscheidung, die sich auf die Unternehmensbesteuerung in ganz Europa auswirke, habe Irland seine Legislativbefugnisse missbraucht und sich in die Angelegenheiten anderer Staaten eingemischt.
Dieser Vorstoß Vestagers scheiterte 2020 zwar am Europäischen Gerichtshof, aber immerhin waren damit die Eckpunkte einer Offshore-Gesetzgebung definiert und Maßnahmen benannt, für die Biden heute wirbt. Statt eine diplomatische Front gegen alle Länder aufzubauen, die wie Irland ihre Macht missbrauchen, konnte Washington die G7 dazu bewegen, ein Prinzip anzunehmen, das diesen Praktiken den Boden entzieht, indem es die Multis als solche zu Rechtssubjekten macht. Reichweite und Wirksamkeit dieser Absicht wird sich nach zwei Kriterien bemessen.
Das erste ist die Entwicklung der ausländischen Direktinvestitionen (ADI). Wenn die konzerninternen Pseudotransaktionen, die die Kaimaninseln, Luxemburg oder Delaware künstlich zu bedeutenden internationalen Finanzplätzen aufgepumpt haben, nicht zurückgehen, bedeutet dies, dass es nach wie vor Möglichkeiten gibt, Gewinne und Vermögen in Steueroasen zu verstecken. Das zweite Kriterium sind die staatlichen Steuereinnahmen. Logischerweise müssten die Unternehmen nach den neuen Regeln mehr an den Fiskus der Staaten abführen, in denen sie Geschäfte machen.
Derzeit macht die Körperschaftssteuer in Frankreich oder Deutschland lediglich 5 Prozent des gesamten Steueraufkommens aus – und darin sind auch die Steuern enthalten, die von kleinen und mittleren Unternehmen entrichtet werden, die sich dem Fiskus weniger entziehen können. Die Verbrauchs-, Lohn- und Einkommensteuer machen hingegen zwischen 60 und 65 Prozent der staatlichen Steuereinnahmen aus.
Bei alldem sei nicht vergessen, dass die Frage der Besteuerung nur einer von vielen Aspekten beim globalen Problem von Gesetzen zugunsten der Kapitalseite ist. Denn häufig können die multinationalen Unternehmen nicht nur das staatliche Steuerrecht umgehen, sondern das Rechtssystem ganz allgemein. Ein Beispiel sind die Freihandelszonen und Freihäfen, wo häufig sämtliche arbeitsrechtlichen Vorschriften außer Kraft gesetzt sind. Andere kapitalfreundliche Oasen schützen die Unternehmen vor der Belästigung durch umwelt- oder auch menschenrechtliche Bestimmungen. Das gilt etwa für die Kaimaninseln und die Marshallinseln, aber auch für Kanada, das auf solche Weise die Bergbauindustrie begünstigt.
Was die Menschenrechte betrifft, so arbeiten die Multis bekanntermaßen mit allen Tricks, um sich vor Gericht reinzuwaschen, falls eine ihrer Tochtergesellschaften irgendwo auf der Welt in einen Skandal verwickelt ist. Allzu häufig wagen es die Gerichte nicht, die Konzernzentrale eines Unternehmens für etwas zu verurteilen, das eine seiner rechtlich eigenständigen Tochtergesellschaften im Ausland verbrochen hat. Zum Beispiel hat es ein Gericht in Den Haag 2013 abgelehnt, den in den Niederlanden ansässigen Shell-Mutterkonzern wegen gravierender Umweltschäden in Nigeria zu verurteilen, weil der Konzern die Verantwortung auf seine Tochtergesellschaft abschob.
Als Fazit bleibt lediglich die beunruhigende Feststellung, dass offenbar nur die USA in der Lage sind, ein solches System zuzulassen oder es eines Tages wieder abzuschaffen. Die EU dagegen hat sich als unfähig erwiesen, dem Offshore-Phänomen auf ihrem eigenen Gebiet den Garaus zu machen. Getreu der Logik der Globalisierung hat sie zum Beispiel erlaubt, dass sich Rumänien zu einer Art zollfreien Zone, die Republik Malta zu einem Freihafen, Irland und die Niederlande zu deregulierten Oasen entwickeln konnten – und Luxemburg zum Zentrum der allzu laxen Gesetzgebung.
Aus dem Französischen von Andreas Bredenfeld
Alain Deneault ist Professor für Philosophie an der Universität von Moncton (Kanada) und Autor von „Une escroquerie légalisée“, Montreal (Écosociété) 2016.