Die roten Großmütter der Frauenbewegung
von Kristen R. Ghodsee
Wenn Sie heute als Frau im Westen leben und berufstätig sind, wissen Sie vielleicht nicht, dass viele ihrer Rechte und Privilegien von Frauen wie den Bulgarinnen Elena Lagadinowa und Ana Durcheva oder den Sambierinnen Lily Monze und Bessie Chibesakunda Kankasa erkämpft worden sind. Und wenn Sie noch nie von diesen Frauen gehört haben, liegt das daran, dass die Erinnerung an ihre zentrale Rolle für die internationale Frauenbewegung durch den Ausgang des Kalten Kriegs ausgelöscht wurde.
In den letzten drei Jahrzehnten hat der Triumphalismus des Westens aus unserem kollektiven Gedächtnis alles getilgt, was am Sozialismus des 20. Jahrhunderts tatsächlich fortschrittlich war. Stattdessen dominiert die Erinnerung an Autoritarismus, Brotschlangen, Reisebeschränkungen, Gulag und Geheimpolizei.
Man vergisst im Westen gern, dass die rasche Modernisierung Russlands und einiger anderer osteuropäischer Länder mit dem Staatssozialismus Hand in Hand ging. Zum Beispiel betrug 1910 die durchschnittliche Lebenserwartung im zaristischen Russland 33 Jahre, in Frankreich bei 49. Im Jahr 1970 hatte sich die durchschnittliche Lebenserwartung in der Sowjetunion auf 68 Jahre mehr als verdoppelt, in Frankreich lag sie bei 71.
1918 verankerte die UdSSR die rechtliche Gleichstellung von Männern und Frauen in ihrer Verfassung. 1920 legalisierte sie als erstes Land der Welt Abtreibungen. Lange vor den westlichen Ländern bemühte sie sich um die Finanzierung einer staatlichen Kinderbetreuung und investierte gewaltige Summen in die Bildung und Ausbildung von Frauen.
Dennoch: Die Frauen verrichteten zusätzlich zur Lohnarbeit immer noch die Hausarbeit, für die sich die Männer nicht zuständig hielten. Und wegen der Knappheit selbst der einfachsten Dinge des Lebens war das Einkaufen stets mit einem ungeheuren Kraft- und Zeitaufwand verbunden. Auch blieben die oberen Etagen politischer und ökonomischer Macht weiterhin den Männern vorbehalten. Trotzdem ging es unübersehbar voran. Nach 1945 gehörten die Frauen in den Ostblockstaaten selbstverständlich zur arbeitenden Bevölkerung, während sich ihre westlichen Geschlechtsgenossinnen häufig noch auf Kinder, Küche, Kirche zu beschränken hatten.
Die Dynamik des Kalten Kriegs sorgte dafür, dass in der Folge zwischen Ost und West ein regelrechter Wettlauf um die „Stellung der Frau in der Gesellschaft“ ausbrach. Den US-Amerikaner:innen blieb schon 1942 der Mund offen stehen, als Ljudmila Pawlitschenko, die junge sowjetische Scharfschützin, die 309 deutsche Invasoren zur Strecke gebracht hatte, mit Präsidentengattin Eleanor Roosevelt durch die Vereinigten Staaten tourte. Auf den Gedanken, dass die Frauenemanzipation einen Vorteil für die UdSSR im Wettlauf der Systeme bedeuten könnte, kam die US-Regierung allerdings erst nach 1957, als der erste Sputnik ins Weltall flog. Man befürchtete, die Russen würden den Wettlauf ins All endgültig gewinnen, weil sie sozusagen über einen doppelten Intelligenzpool verfügten. 1958 verabschiedete die Regierung Eisenhower deshalb den National Defense Education Act, der unter anderem Gelder für die Förderung der wissenschaftlichen Ausbildung von Frauen vorsah.
Am 14. Dezember 1961 veranlasste John F. Kennedy per Dekret die Einrichtung einer Frauenrechtskommission (President’s Commission on the Status of Women). In der Präambel der Executive Order 10980 heißt es ganz unverblümt, dass einer der Hauptgründe für die Einsetzung der Kommission die Sorge um die nationale Sicherheit sei. Besorgt war man nicht nur, weil der Staat im Kriegsfall auf die Frauen als Arbeitskraftreserve angewiesen war, sondern auch, weil die US-Führung ernsthaft befürchtete, die sozialistischen Ideale der Frauenemanzipation könnten frustrierte amerikanische Hausfrauen in die Fänge der „Roten“ locken.
Am 17. Juni 1963 dann prangte auf dem Titelblatt der New York Herald Tribune die fette Schlagzeile: „Sowjetische Blondine kreist als erste Frau im All“. Im ganzen Land brachten Zeitungen Bilder der 26-jährigen Kosmonautin Walentina Tereschkowa, wie sie aus einem großen weißen Helm herauslächelt. Während im Westen weiter Ängste geschürt wurden – die Befreiung der Frau bedeute die Zerrüttung des traditionellen Familienlebens! –, hatten die Sowjets eine Frau ins All geschickt. Als sowjetische Athletinnen bei den Olympischen Spielen 1972 in München dann auch noch eine Goldmedaille nach der anderen einheimsten, reagierte Washington, indem es im Rahmen des 1972 verabschiedeten Antidiskriminierungsgesetzes Bundesmittel zur Förderung von Mädchensport bereitstellte.
Bis Anfang der 1970er Jahre dominierten die Sowjetunion und ihre Verbündeten auch die Diskussion von Frauenfragen bei den Vereinten Nationen, ebenso auf verschiedenen Kongressen, die von der Fédération Démocratique Internationale des Femmes (Internationale Demokratische Frauenföderation, IDFF) organisiert und gesponsert wurden. Die IDFF war 1945 in Paris von Frauen der Linken als Dachverband einer ganzen Reihe von Frauenorganisationen gegründet worden. An der Gründungssitzung unter der ersten Präsidentin Eugénie Cotton nahmen Frauen aus 40 Ländern teil.
Führende männliche Politiker aus dem Westen stellten die Organisation gern als „kommunistisch unterwandert“ dar. Die US-amerikanische Sektion der IDFF, der Congress of American Women, wurde nach der politischen Überprüfung durch das Komitee für unamerikanische Umtriebe 1950 aufgelöst. Die IDFF wurde im Januar 1951 gezwungen, Paris zu verlassen, weil Eugénie Cotton, Präsidentin der französischen Sektion Union des Femmes Françaises, sich gegen den Kolonialkrieg Frankreichs in Indochina engagierte.
Die Organisation verlegte ihren Hauptsitz nach Ostberlin und wurde ein mächtiges Instrument der Interessenvertretung der Länder des Globalen Südens, die sich nach und nach vom Kolonialismus zu befreien begannen. Den jungen Nationen, die bis Ende der 1960er Jahre in Afrika und Asien entstanden, leisteten die verschiedenen IDFF-Ableger finanzielle und logistische Unterstützung, um staatliche Frauenorganisationen nach dem Vorbild solcher in den osteuropäischen Ländern zu gründen.
Im Kontext der Entkolonisierung bot der sozialistische Weg zur wirtschaftlichen Entwicklung durch die Verstaatlichung der Bodenschätze, durch Planwirtschaft und soziale Absicherung für alle eine attraktive Alternative zum kapitalistischen Weg. Es entstanden politische Allianzen zwischen den unabhängig gewordenen Ländern und den Ostblockstaaten – sehr zum Missfallen der USA, die die Ausdehnung des sowjetischen Einflusses befürchteten. Osteuropäische Frauenorganisationen arbeiteten mit den entstehenden Frauenbewegungen in Asien, Afrika und Lateinamerika zusammen. Gemeinsam protestierten sie gegen die im Westen verbreitete Auffassung, Frauenfragen könnten innerhalb von politischen und ökonomischen Strukturen gelöst werden, die auf Repression und Ungleichheit beruhen.
Auf Initiative der IDFF erklärte die UNO das Jahr 1975 zum Internationalen Jahr der Frau – ein Zeichen an die Regierungen der Welt, dass die Stellung der Frau in der Gesellschaft auf den Prüfstand gehöre. Das Jahr der Frau wurde zum Auftakt einer ganzen Dekade. Zwischen 1975 und 1985 fanden drei große internationale Konferenzen statt – in Mexico City (1975), Kopenhagen (1980) und Nairobi (1985) –, auf denen eine Koalition von Frauen aus dem Ostblock und aus dem Globalen Süden eine progressive Agenda für die Emanzipation in allen Teilen der Welt erzwang, die bis heute nachwirkt.
Die im Westen verbreitete Unkenntnis der frühen sozialistischen Errungenschaften hatte viel mit dem unterschiedlichen Verständnis zu tun, was die „Frauenfrage“ eigentlich ausmachte. Das ganze 20. Jahrhundert hindurch – eigentlich bis heute – hat man engagierten Marxist:innen vorgeworfen, sich nur für die Klassenfrage zu interessieren und anderen Formen der Unterdrückung wie Rassismus und Sexismus gleichgültig gegenüberzustehen. Doch verglichen mit ihren Kontrahenten im Westen haben die ehemaligen sozialistischen Länder Osteuropas mehr für die Förderung und Emanzipation der Frauen und für die Dekolonisierung getan, als man heute sehen will.
Zwischen Tirana und Tallinn, Budapest und Wladiwostok sorgte das sowjetische Ideal der berufstätigen Mutter für Kindergärten, Krippen und Kantinen sowie für besondere Programme zur Förderung von Frauen. Während in den USA die Frauen noch darum kämpften, an Männercolleges zugelassen zu werden und faire Erwerbschancen zu bekommen, hatten die sozialistischen Staaten bereits eine breite Palette von Reformen zur Vereinbarkeit von Arbeit und Familie durchgeführt.
Die US-Amerikanerin Arvonne Fraser, die als offizielle Angehörige der US-Delegation bei den Konferenzen in Mexico City und Kopenhagen dabei war, schildert es so: „Niemand hätte es zugegeben, vor allem niemand aus der unserer Delegation, aber es sah ganz danach aus, als würden Frauen im sozialistischen Block zumindest mehr rechtliche Gleichheit genießen.“
In der Vorbereitungsphase der ersten UN-Weltfrauenkonferenz 1975 gab es noch keinen Konsens darüber, welche Ziele ein solcher Kongress eigentlich verfolgen sollte. Viele westliche Frauen, wie die aus den USA und Frankreich, erwarteten, dass man sich auf eng definierte Fragen der rechtlichen und ökonomischen Gleichstellung konzentrieren und die UN-Mitgliedstaaten zwingen würde, Programme zu entwickeln, die die Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen verringern. Was beispielsweise die akademische Bildung betraf, waren Frauen in den USA erst kurz zuvor an den Eliteuniversitäten Harvard, Yale und Princeton zugelassen worden; die Columbia University blieb sogar noch bis 1981 Männern vorbehalten.
Im Kampf für ökonomische Unabhängigkeit wehrten sich viele dieser Frauen auch gegen die kulturelle Vorstellung, die Frau habe vor allem ihre „natürliche Rolle“ als Mutter und Hausfrau zu erfüllen. Auf ihrer Agenda stand die Forderung nach mehr Autonomie und das Recht auf Selbstverwirklichung, nicht aber die Schaffung einer neuen Weltwirtschaftsordnung oder der Widerstand gegen den Neokolonialismus.
Die Leiterin der französischen Delegation, Françoise Giroud, Staatssekretärin für Frauenfragen unter Präsident Giscard d’Estaing, behauptete: „Das Internationale Jahr der Frau wird nichts als eine weitere Farce, wenn die Ergebnisse als Antwort auf nationale oder internationale politische Initiativen zweckentfremdet werden, mögen die Absichten dahinter noch so drängend, ehrenwert oder nobel sein.“1
Dagegen argumentierten Frauen aus der Sowjetunion und den anderen Ostblockstaaten, dass eine Frauenkonferenz eine Plattform zur Diskussion über die strukturellen Ursachen der Geschlechterungleichheit bieten müsse. Sie unterstützten zum Beispiel die Forderungen von Frauen aus Afrika, Asien und Lateinamerika, Unternehmen aus der Kolonialzeit zu enteignen und Bodenschätze zu verstaatlichen. Mit den daraus erzielten Einkünften sollten gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen finanziert werden, die die Voraussetzung dafür sind, die Situation der Frauen zu verbessern.
An der Spitze von 113 der 133 Delegationen, die an der Konferenz in Mexico City teilnahmen, standen Frauen. Die Sowjetunion schickte Walentina Tereschkowa, die erste Frau im All, aus Bulgarien kam Elena Lagadinowa, promovierte Agrarbiologin und während des Zweiten Weltkriegs jüngste Partisanin im Kampf gegen das mit den Nazis verbündete bulgarische Zarentum. Als Leiterin der Delegation aus Sambia war eigentlich Chibesa Kankasa vorgesehen, die Heldin aus dem Unabhängigkeitskampf gegen die Briten, die im letzten Moment allerdings aus persönlichen Gründen absagen musste.
Aus Kuba kam Vilma Espín, Revolutionärin der ersten Stunde und Ehefrau von Raúl Castro, um über die Erfolge ihres Inselstaats in der Frauenemanzipation zu berichten: „Wir haben für unsere Frauen schon alles erreicht, was diese Konferenz fordert“, rief sie in ihrer Rede auf der parallel zur UN-Konferenz stattfindenden Konferenz der NGOs. „Hier wollen wir anderen Frauen von unseren Erfahrungen erzählen und auf diese Weise helfen. Frauen sind Teil des Volks, und wenn man nicht über Politik spricht, wird man nie etwas ändern.“
Die Vereinigten Staaten wollten übrigens Daniel Parker, den Vorsitzenden der US-Behörde für internationale Entwicklung, als Leiter der Delegation schicken. Da man die Konferenz als Gelegenheit ansah, „über“ Frauen und Frauenfragen zu sprechen, war man der Meinung, dass auch ein Mann die Position seines Landes darlegen könne. Erst nach einem Aufschrei US-amerikanischer Feministinnen wurde Patricia Hutar zur Co-Leiterin der Delegation ernannt. Die Anwesenheit der First Lady Betty Ford, die teilnehmen wollte, verhinderten US-Regierungsmitglieder jedoch. Sie befürchteten, die Konferenz könnte zu politisch werden.
Die Frauen aus dem Ostblock wollten hingegen die Chance nutzen, sich auch zu dringenden geopolitischen Themen zu äußern. Auch die Delegierten aus dem Globalen Süden stimmten darin größtenteils überein und verlangten, auch zu Problemfeldern der Entwicklung, des Kolonialismus, des Rassismus und Imperialismus sowie zur Umverteilung des globalen Reichtums sprechen zu dürfen. Was für einen Sinn habe es, fragten sie, für geschlechtliche Gleichstellung im Apartheidstaat Südafrika zu arbeiten oder in einem Land, das den Kolonialismus zwar besiegt hat, in dem aber Armut und Gewalt grassieren und das von Auslandsschulden erdrückt wird?
Insbesondere afrikanische Delegierte beharrten darauf, dass es ebenso wichtig sei, den Rassismus zu bekämpfen wie den Sexismus. „Beides ist ein und dasselbe“, sagte die Delegationsleiterin und Richterin am obersten Gerichtshof von Ghana, Annie Jiagge. Sie ärgerte sich vor allem über die US-Delegation, die nur über Gleichstellung reden wollte, während ihre Regierung in Chile gerade erst Beihilfe zum Sturz des demokratisch gewählten Präsidenten Salvador Allende geleistet hatte und außerdem einen grauenhaften Krieg in Vietnam führte.
In einem 1975 von der Women’s International League for Peace and Freedom veröffentlichten Appell argumentierte Jiagge, dass „die Frauenbefreiung keinen Sinn hat, wenn aus ihr nicht der Wille der Frauen erwächst, den Kampf um ihre eigene Freiheit mit dem Kampf für die Befreiung von allen Formen der Unterdrückung zu verbinden. Die befreite Frau kann es nicht zulassen, dass ihr Land andere Länder unterdrückt. In einer Welt, in der ein Drittel der Weltbevölkerung zwei Drittel des gesamten Reichtums abschöpft und zwei Drittel der Menschen dazu verdammt sind, mit einem Drittel des Reichtums zurechtzukommen, ist es notwendig, den Lebensstandard in den wohlhabenden Ländern anzupassen.“2
Die Solidarität zwischen den Frauen aus den staatssozialistischen Ländern und denen aus dem Globalen Süden forderte die westlichen Feministinnen ideologisch heraus. Ein gemeinsamer Vorwurf lautete, dass der westliche, liberale Feminismus nur eine andere Form von Kulturimperialismus sei. Die US-Amerikanerinnen und ihre Verbündeten unterschätzten, wie sehr Frauen überall auf der Welt den Kapitalismus als Hauptursache ihrer Unterdrückung betrachteten.
Jane Jaquette, eine Politikwissenschaftlerin aus den USA, die an der Konferenz der NGOs in Mexico City teilnahm, erinnert sich: „Ich stellte fest, dass nordamerikanische Feministinnen voller Überraschung entdeckten, dass nicht alle ihre Meinung teilten, das Patriarchat sei Hauptursache der Unterdrückung der Frauen, und dass die Frauen aus der Dritten Welt Ansichten vertraten, die eher von Marx als von Betty Friedan zu stammen schienen.“3
Bei dieser Parallelveranstaltung der NGOs, wo die Diskussionen informeller verliefen, waren durchaus auch Frauen aus dem Westen anwesend, die einen sozialistischen oder kommunistischen Feminismus forderten – unter ihnen zum Beispiel die afroamerikanische Aktivistin Angela Davis. Doch deren Ideen fanden keinen Anklang bei den offiziellen Delegationen auf dem UN-Hauptkongress; die Ost-West-Konfrontation war allzu dominant.
Auch Arvonne Fraser gibt zu, dass der Kalte Krieg bei der Zusammenkunft in Mexiko allgegenwärtig war. „Mit der neuen US-Frauenbewegung hatten die Frauen gelernt, alle Frauen als Freundinnen zu betrachten, vereint durch die gemeinsame Sache. Als sie bei der ersten internationalen Zusammenkunft erlebten, dass das durchaus nicht der Fall war, reagierten manche von ihnen wütend und enttäuscht.“4
Kalter Krieg auf der UN-Frauenkonferenz
Nach der UN-Frauenkonferenz von Mexico City nahmen viele Regierungen Geld in die Hand, um Gesetze zu überprüfen, Daten zu erheben und besondere Frauenressorts und -ministerien einzurichten. Mit ihren Forderungen erwirkten Diplomatinnen und Aktivistinnen Verbesserungen für Frauen im Eigentums-, Erbschafts- und Sorgerecht und bei Fragen der Staatsangehörigkeit.5 Wichtiger noch: Die Staaten sahen sich aufgefordert, generell eine bezahlte Elternzeit zu ermöglichen, mehr Kindergärten und Krippen einzurichten, steuerliche Vergünstigungen auszuweiten oder Zahlungen für Kinder zu erhöhen und andere Mittel bereitzustellen, um Frauen in ihrer Doppelrolle als Berufstätige und Mütter zu unterstützen.
1980 unterschrieben in Kopenhagen Repräsentanten von UN-Mitgliedstaaten das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (Cedaw), das immer noch als internationaler Grundrechtekatalog für Frauen fungiert. Die USA haben das Übereinkommen jedoch bis heute nicht ratifiziert – so wenig wie Iran, der Sudan, Somalia, Nicaragua oder China.
Während der gesamten UN-Dekade der Frau koordinierte und förderte die IDFF die Teilnahme von Aktivistinnen aus dem Globalen Süden an den Konferenzen in Mexico City, Kopenhagen und Nairobi; Aeroflot, Balkan Air, JAT und andere staatliche Fluglinien der Ostblockländer spendierten Gratistickets.
In Havanna eröffneten die IDFF und die Föderation kubanischer Frauen 1977 eigens ein Institut, an dem lateinamerikanische Frauen für die Arbeit bei den Vereinten Nationen ausgebildet wurden, und 1980 wurde in Sofia eine ähnliche Bildungsstätte für Frauen aus Asien und Afrika gegründet. 1985 organisierten und bezahlten die IDFF und das Bulgarische Frauenkomitee Unterkunft und Verpflegung für etwa hundert afrikanische Frauen, die an der Konferenz der NGOs in Nairobi teilnahmen.
Obwohl die Beziehungen manchmal durchaus angespannt waren, bildeten sich so länderübergreifende feministische Netzwerke. Lily Monze, die große Vorkämpferin für Frauenrechte in Sambia, war Mitglied der offiziellen sambischen Delegation sowohl in Kopenhagen als auch in Nairobi und später Botschafterin ihres Landes in Frankreich. Als ich sie 2012 interviewte, bestätigte sie, dass die Ostblockländer afrikanischen Frauen, die sich gegen den westlichen Imperialismus aussprachen, eine breit gefächerte Unterstützung gewährten: „Die Kooperation mit den Frauen aus sozialistischen Ländern hat uns sehr geholfen. Zum Beispiel durch Studienstipendien oder gegenseitige Besuche, und mitunter bezahlten sie für unsere Teilnahme an diesen Konferenzen.“
Die Aktivitäten und Hilfeleistungen seitens der sozialistischen Länder brachten die US-amerikanische Regierung in Zugzwang, ihrerseits Frauenorganisationen im Globalen Süden finanziell zu unterstützen, die für die Ideale des liberalen Feminismus eintraten. Je nachdem, ob ihr Land Moskau oder Washington näherstand, hatten Frauenorganisationen dort also Zugang zu den Finanzmitteln, die sie brauchten, um zwischen 1975 und 1985 an einer Vielzahl internationaler Treffen teilzunehmen.
Doch wenn die Zusammenarbeit zwischen den Frauen des Ostblocks und den Frauen des Globalen Südens so wirkungsvoll war – wie kommt es, dass diese Geschichte ausgelöscht werden konnte?
Der krasse Übergang vom Staatssozialismus zur westlichen Demokratie und freien Marktwirtschaft hat viele Opfer produziert. Als ich zum Beispiel zwischen 2010 und 2017 im Rahmen meiner Forschung Frauen in Bulgarien interviewte, lebten die meisten von winzigen Renten, ungefähr 200 Euro im Monat. Selbst wenn sie Geld fürs Alter beiseitegelegt hatten, hatten sie alles beim bulgarischen Bankencrash Mitte der 1990er Jahre verloren. Und auf andere Art gespartes und beiseitegelegtes Geld hatte nach der chaotischen Hyperinflation, die folgte, ebenfalls keinen Wert mehr. Öffentliche Dienstleistungen wurden zusammengestrichen, das Gesundheitssystem kollabierte, und die Preise für Medikamenten schossen in die Höhe.
Die Sieger des Kalten Kriegs kamen nicht in derlei Bedrängnis. Die US-Amerikanerinnen, die an den drei Konferenzen teilgenommen hatten, waren oft Oberschichtfrauen, die zudem das Privileg genossen, in einem immer noch funktionierenden Staat zu leben.
2007 bezeichnete Arvonne Fraser sich und ihren Mann als „Golden Oldies“. Sie seien „körperlich gesund, sozial abgesichert, hätten Pensionen und Renten aus privaten Rentenversicherungen und keine drängenden Verpflichtungen mehr“.6 Sie verfügten über die Zeit und die Mittel, ihre Memoiren zu schreiben und wissenschaftliche Arbeiten über ihre Erfahrungen in der UN-Dekade der Frau zu verfassen. Und sie publizierten auf Englisch, in einer Gesellschaft mit einer lebendigen feministischen Subkultur, die an Texten über Frauengeschichte interessiert war.
Frauen im Westen haben zudem oft die Möglichkeit, ihre persönlichen Aufzeichnungen, Reden und Berichte in Archiven oder Sammlungen historischer Gesellschaften unterzubringen, sodass diese einer jüngeren Generation von Forschenden zugänglich sind. 2018 starben zwei Bürgerinnen der USA, die während der UN-Dekade eine prominente Rolle gespielt hatten.
Arvonne Fraser, die 92 Jahre alt wurde, wurde von der New York Times mit einem Nachruf bedacht, und 80 Kisten mit ihren persönlichen Papieren – darunter viele ihrer Reden und Berichte aus ihrer Zeit als offizielles Mitglied der US-Delegation in Mexico City und Kopenhagen – gingen an die Minnesota Historical Society. Die andere US-Amerikanerin, Mildred Persinger, Organisatorin des NGO-Forums in Mexico City, die 2018 im Alter von 100 Jahren starb, übergab ihre Papiere der Wyndham Robertson Bibliothek an der Hollins University in Virginia.
Solche Institutionen haben meist die Mittel, ihr Archivmaterial zu digitalisieren, was bedeutet, dass Forschende leichter an Primärquellen kommen. So sind Persingers Dokumente zur UN-Dekade der Frau auch in der digitalen Datenbank des Women and Social Movements, International der Alexander Street Press zugänglich.
Frauen aus dem ehemals sozialistischen Osten und dem Globalen Süden kommen nicht in den Genuss solcher Aufmerksamkeit. Ana Durcheva, in Ostberlin von 1982 bis 1990 Schatzmeisterin der IDFF, starb 2014,7 Elena Lagadinowa, Präsidentin des Bulgarischen Frauenkomitees und Hauptberichterstatterin der Konferenz in Nairobi, 20178 und die sambische Unabhängigkeitskämpferin Chibesa Kankasa 2018.9
Alle drei Frauen besaßen persönliche Archive und schriftliche Erinnerungen an ihre Tätigkeit während der UN-Dekade der Frau, die vielleicht für immer verloren wären, wenn sie mir nicht großzügigerweise erlaubt hätten, einige ihrer Dokumente zu fotografieren und so zu konservieren.
Zusammen mit anderen Frauen, deren Namen größtenteils vergessen sind, bildeten sie starke Bündnisse. Verbunden waren sie durch ihr gemeinsames Ideal, eine gerechtere, gleichere und friedlichere Welt zu schaffen, in der Profite nicht wichtiger sind als Menschen. Indem Frauen aus den sozialistischen Ländern und den Ländern des Globalen Südens zusammenarbeiteten, nutzten sie die Rivalitäten im Kalten Krieg taktisch für die Durchsetzung von Frauenrechten überall auf der Welt. Diese unsere roten Großmütter glaubten daran, dass eine andere Welt möglich sei. Ihre Stimmen sind verstummt, ihre Träume leben weiter.
2 Abrufbar unter bcrw.barnard.edu/archive/militarism/listen_to_the_women.pdf.
6 Arvonne Fraser, „She’s No Lady“, Minneapolis (Nodin Press) 2007.
7 Siehe Kristen Ghodsee, „A Death in the Field“, Savage Minds, 8. Januar 2015.
8 Siehe Kristen Ghodsee, „The Youngest Partisan“, Jacobin, 12. Januar 2017.
9 „Freedom Fighter and Politician Mama Chibesa Kankasa has died“, Lusaka Times, 29. Oktober 2018.
Aus dem Englischen von Sigrid Ruschmeier
Kristen S. Ghodsee ist Professorin für Russische und Osteuropäische Studien an der University of Pennsylvania. Von ihr erschien auf Deutsch: „Warum Frauen im Sozialismus besseren Sex haben“, Berlin (Suhrkamp) 2019.