Assad und kein Ende
Warum der syrische Diktator immer noch an der Macht ist
von Adrien Cluzet
Am 26. Mai wurde der syrische Präsident Baschar al-Assad zum dritten Mal wiedergewählt, nach offiziellen Angaben mit 95,1 Prozent der Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von 76,4 Prozent. Die Wahl, zu der noch zwei andere Kandidaten antraten, wurde nur in den vom Regime und seinen Verbündeten kontrollierten Regionen abgehalten; sie fand also weder in der kurdischen Zone im Nordosten statt noch in der Provinz Idlib, die sich weiterhin in Rebellenhand befindet. Das Ergebnis ist kaum überraschend, da Assad das Land mit eiserner Hand regiert; und es stützt sein Image als Führer, den auch nach zehn Jahren Bürgerkrieg nichts aus dem Sattel werfen kann.
Im Frühjahr 2011, nach dem Sturz dreier Staatenlenker in der arabischen Welt, hatte es noch so ausgesehen, als seien auch die Tage des Assad-Clans gezählt. Zum Druck durch die Massenproteste in Daraa, Homs, Hama und Aleppo im Inneren kam noch der von außen: Die Einmischung der Golfmonarchien, der Türkei und der westlichen Mächte trieb das Regime zunehmend in die Enge. Assads Antwort war blinde Repression.
In der Folge tauchten in Syrien dschihadistische Gruppen auf, die teilweise miteinander konkurrierten: Katar und Saudi-Arabien unterstützten und bewaffneten ihre jeweiligen Schützlinge.1 Die von Doha finanzierte Al-Nusra-Front rivalisierte häufig mit anderen islamistischen Kräften wie Dschaisch al-Islam und Ahrar al-Scham, die die Rückendeckung Riads genossen.
In Frankreich entschieden sich die Regierungen von Nicolas Sarkozy und seinem Nachfolger François Hollande trotz warnender Stimmen aus diplomatischen Kreisen für eine harte Linie gegenüber Assad, am 24. Februar 2012 wurde die Syrische Nationalkoalition als einzige Vertretung des syrischen Volks anerkannt. Auch die USA unter Barack Obama forderten den Rücktritt Assads.
Warum also ist Assad bis heute an der Macht? Wie lässt sich die Widerstandskraft seines Regimes erklären, trotz zahlreicher Desertionen in der Armee, einer gut ausgerüsteten und von den westlichen Mächten unterstützten Opposition und des immensen Verlusts an Zustimmung bei einem Teil der Bevölkerung?
Baschar al-Assad profitierte nicht nur vom militärischen Eingreifen der libanesischen Hisbollah und seiner russischen und iranischen Bündnispartner, er zog seine Kraft auch aus dem Fundament, das sein Vater errichtet und ihm übertragen hat.
Hafiz al-Assad, General der Luftwaffe, regierte Syrien von 1970 bis zu seinem Tod im Jahr 2000. Er war nach einem Putsch an die Macht gekommen, dem dritten, seit die Baath-Partei 1963 die Regierung übernommen hatte. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern gelang es ihm, dauerhafte Bündnisse zu schmieden und seine Herrschaft auf mehrere gesellschaftliche Grundpfeiler zu stützen.
Der erste und zentrale Pfeiler waren die Alawiten. Alle Schlüsselposten in Regierung, Armee, Geheimdienst oder Partei wurden mit Anhängern dieser islamischen Glaubensströmung besetzt, die dem orthodoxen Sunnitentum als Ketzerei gilt.2 Die Alawiten stellen etwa 10 Prozent der syrischen Bevölkerung (75 Prozent sind Sunniten, 10 Prozent Christen), und durch Hafiz al-Assad waren zum ersten Mal Angehörige ihrer Gruppe an der Macht.
Hafiz’ Sohn Baschar beschränkte von 2011 an den inneren Führungszirkel weitgehend auf Familienangehörige, wobei vor allem sein jüngerer Bruder Mahir, Generalmajor und Kommandant der 4. Panzerdivision, für die Unterdrückung des Widerstands verantwortlich war. Doch auch Alawiten nehmen immer noch wichtige Positionen an der Staatsspitze ein.
Geheimdienstchef Ali Mamluk etwa, der Leiter des Nationalen Sicherheitsbüros, und Verteidigungsminister Ali Abdullah Ayyoub sind enge Berater von Baschar al-Assad. Dschamil Hassan, der frühere Chef des Nachrichtendiensts der Luftwaffe, ist zwar offiziell seit 2019 im Ruhestand, übt aber weiterhin großen Einfluss aus. Die Familie Machluf, aus der die Mutter des Präsidenten stammt, scheint dagegen an Einfluss verloren zu haben, seit Assads Cousin, der reiche Geschäftsmann Rami Machluf, in Ungnade gefallen ist.
Abgesehen von solchen internen Auseinandersetzungen bildet diese „politisch gewendete Religionsgemeinschaft“, wie sie der Soziologe Michel Seurat bezeichnete,3 eine durch Clansolidarität zusammengehaltenen Gruppe. Der maghrebinische Historiker Ibn Khaldun (1332–1406) verwendete dafür den Ausdruck Asabiya, und sah darin ein zentrales Element der Machtbeziehungen in den arabischen Gesellschaften des Mittelalters.4 Khaldun zufolge konnte man zu verschiedenen historischen Zeitpunkten beobachten, dass eine Asabiya sich eines politisch-religiösen Diskurses bediente, um an die Macht zu gelangen.
Auch Hafiz al-Assad hatte dieses Modell für seinen Aufstieg genutzt. Mitglieder seiner Religionsgemeinschaft standen über viele Jahrzehnte an den höchsten Stellen im Staat. In unruhigen Zeiten, wie etwa bei dem von den Muslimbrüdern angeführten Aufstand von 1982, knüpften er und seine Söhne ihr politisches Schicksal stets an das Schicksal der Alawiten. In den letzten zehn Jahren unternahm Baschar al-Assad alles, um seine Glaubensgenossen davon zu überzeugen, dass ihre Zukunft vom Fortbestand seines Regimes abhinge – auch wenn dafür viele Menschenleben geopfert werden müssten. Die wenigen Dissidenten wurden vom Regime gnadenlos verfolgt.
Diese Usurpation der Macht durch eine kleine, demografisch deutlich unterlegene Gruppe war durch Bündnisse mit den bürgerlichen Schichten in den Städten möglich, den – meist sunnitischen – Geschäftsleuten. Diese durften sich bereichern, Eheschließungen mit Mitgliedern des regierenden Clans wurden gefördert. So versicherte sich der Assad-Clan der Unterstützung verschiedener Netzwerke der syrischen Oberschicht. Die Hochzeit des Präsidenten mit Asma al-Akhras, die aus einer reichen sunnitischen Familie in Großbritannien stammt, trug zu seinem Image eines weltanschaulich offenen Staatenlenkers bei.
Der zweite Stützpfeiler des Regimes, den Hafiz al-Assad seinem Sohn vererbte, war die Baath-Partei. Deren Ideologie, in der sich (pan)arabischer Nationalismus, sozialistische Einflüsse und Laizismus mischen, inspirierte die syrische Verfassung von 1973. Die Baath-Partei war in der arabischen Politik der 1960er und 1970er Jahre ein zentraler Akteur, und in Syrien war eine Mitgliedschaft für jeden zwingend, der die Karriereleiter im Staat erklimmen wollte. Viele Jahrzehnte lang diente die Partei als wichtiges Ausbildungs- und Rekrutierungsnetzwerk. Obwohl ihre Verankerung vor Ort in den letzten 20 Jahren nachgelassen hat, spielt sie nach wie vor eine wichtige Rolle in der Gesellschaft, etwa in Berufsverbänden, Vereinen und Universitäten.
Seit 2011 hat sie besondere Anstrengungen unternommen, um das Regime zu sichern. Obwohl sie schon bei den ersten Demonstrationen in die Schusslinie geraten war und ihre Büros in Daraa im März 2011 in Brand gesteckt wurden, blieb sie dem Präsidenten treu. Sie unterstützte auch die brutale Unterdrückung der Oppositionellen, die sie wiederholt als vom Ausland finanzierte Terroristen bezeichnete.
Außerdem stützt sich der syrische Machthaber, drittens, nach wie vor auf das Militär. Mitglieder des Präsidentenclans kontrollieren bestimmte Armeeeinheiten und deren Nachrichtendienste. Schon Hafiz al-Assad konnte seinen Putsch im Jahr 1970 nur erfolgreich durchführen, weil er die Rückendeckung der Luftwaffe hatte.
Heute spielen die Nachrichtendienste (muchabarat) eine zentrale Rolle: Fünf verschiedene Dienste5 bilden einen in der Gesellschaft allgegenwärtigen Sicherheitsapparat, wobei das Regime auf eine gewisse Konkurrenz unter ihnen achtet, damit nicht einer der Dienste zu viel Macht gewinnt.
Als Baschar al-Assad im Jahr 2000 die Nachfolge seines Vaters antrat, baute er die Geheimdienste ganz neu auf. Zwischen 2000 und 2002 wurden Dutzende Berater und hohe Offiziere entlassen, die dem neuen Präsidenten gegenüber als zu wenig loyal galten oder seinem Onkel Rifaat al-Assad zu nahe standen. Der hatte nie ein Hehl daraus gemacht, dass er gern seinen Bruder beerbt hätte.
Zu den Entlassenen zählte auch Ali Duba, der von 1973 bis 2000 den militärischen Nachrichtendienst geleitet hatte. Seinen Posten übernahm Asif Schaukat, der Ehemann der ältesten Schwester des Präsidenten; er kam 2012 bei einem Selbstmordattentat in Damaskus ums Leben.
Ein weiterer Grundpfeiler des Regimes von Baschar al-Assad ist schließlich der Staatsapparat selbst, den er so eng mit seiner Person verknüpft hat, dass jeder Versuch, den Präsidenten abzusetzen, als Angriff auf den Staat selbst interpretiert werden kann. Das erklärt auch, warum der syrische Staat sich als Gegenentwurf zur Gesellschaft entwickelt hat und ständig vor dieser auf der Hut ist.6
Das ist der Hintergrund der langen Tradition brutaler Repressionsmaßnahmen vonseiten des Regimes. Das Massaker von Hama 1982, als die Luftwaffe die Viertel von aufständischen Sympathisanten der Muslimbruderschaft bombardierte, gehört genauso dazu wie die Giftgasangriffe von 2013 auf Vororte von Damaskus und von 2017 auf Chan Scheichun. Von der internationalen Gemeinschaft wurden sie verurteilt, was dem syrischen Regime jedoch nicht schadete.7
Ganz allgemein hat die Herrschaft der Assads von der Fragmentierung der Gesellschaft profitiert, in der nunmehr die Kernfamilie, das Viertel, der Clan, die Gemeinde oder die Religionsgemeinschaft die wichtigsten Bezugspunkte sind. Diese Zersplitterung ist ein großes Hindernis für die Herausbildung einer einheitlichen Oppositionsbewegung.
Die islamistischen Gruppen haben mit ihrer Verbindung von Religion und Politik versucht, sich als Alternative zum Regime zu präsentieren. Einige von ihnen gehörten zu den Muslimbrüdern oder waren von diesen beeinflusst, andere standen eher dem radikalen Salafismus oder Dschihadismus nahe. Doch durch ihre militärischen Niederlagen und das negative Image, das ihnen vor allem nach den Untaten des Islamischen Staats (IS) anhaftete, verloren sie zunehmend an Einfluss.
Militärisch konnte Assad mithilfe der russischen Intervention die Lufthoheit gewinnen und gegnerische Stellungen in strategisch wichtigen Zonen bombardieren lassen. Die 2015 begonnen Luftschläge zielten zunächst auf Gebiete nahe der Hauptstadt und entlang der Achse Damaskus–Homs. Mit dem Vorrücken der Regierungstruppen wurden sie immer weiter ausgedehnt.
Am Boden erhielten die Truppen des Regimes Verstärkung durch tausende Kämpfer der iranischen Revolutionsgarden, vor allem der Al-Quds-Brigaden, durch die libanesische Hisbollah und durch palästinensische Milizen. China entsandte mehrere hundert Ausbilder für nichtmilitärische Bereiche wie medizinische Versorgung und Logistik.
Russland erhielt als Gegenleistung für die militärische Unterstützung Assads einen Marinestützpunkt in Tartus und eine Luftwaffenbasis in Hmeimim, dazu mehrere Konzessionen für Gas- und Ölförderung sowie ein Monopol auf die Phosphatminen Syriens. Iran verfügt durch den militärischen Sieg des Assad-Regimes weiter über einen Zugang zum Libanon und ans Mittelmeer.
Heute üben Iran und Russland einen beträchtlichen Einfluss auf die Entscheidungen eines Staats aus, der ihnen die Kontrolle seiner Außengrenzen quasi übertragen hat. Angesichts dieses Souveränitätsverlusts bemüht sich das Assad-Regime, zumindest im Inneren des Landes die Kontrolle zu behalten sowie die wachsenden Rivalitäten zwischen Moskau und Teheran für sich auszunutzen.
Seit 2019 werden alle Posten im Militär und im Sicherheitsapparat entweder mit prorussischen oder proiranischen Kandidaten besetzt. Generalstabschef Salim Harba ist prorussisch; Mohamed Mahala, Sicherheitsberater im Präsidentenpalast, unterhält enge Kontakte mit Teheran. Und mit Mahir al-Assad hat Iran zusätzlich einen wichtigen Verbündeten im engsten Umfeld des Präsidenten.
Mittlerweile betreibt Assad die Wiederaufnahme seines Landes in die Arabische Liga8 und hegt offenbar keinerlei Zweifel an der Stabilität seines Regimes. Um seine dynastischen Ambitionen zu unterstreichen, hat er bereits begonnen, seinen ältesten Sohn auf der politischen Bühne einzuführen. Er heißt Hafiz.
1 Siehe Karim Émile Bitar, „Stellvertreterkriege in Syrien“, LMd, Juni 2013.
2 Siehe Sabrina Mervin, „Minderheit und Herrscherkaste“, LMd, Januar 2013.
3 Michel Seurat, „Syrie. L’État de barbarie“, Paris (Presses universitaires de France) 2012.
4 Ibn Khaldun, „Die Muqaddima. Betrachtungen zur Weltgeschichte“, München (C. H. Beck) 2011.
6 Michel Seurat, siehe Anmerkung 3.
7 Siehe Emmanuel Haddad, „Straflos in Damaskus“, LMd, Oktober 2017.
8 Siehe Adlene Mohammedi, „Anruf in Damaskus“, LMd, Juni 2020.
Aus dem Französischen von Sabine Jainski
Adrien Cluzet ist Journalist.